HomeBriefwechsel Schiller-Goethe1798421. An Schiller, 14. Februar 1798

421. An Schiller, 14. Februar 1798

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Ich übersende, was Sie wohl nicht erwarten, die Phänomene und hypothetischen Enunciationen über die Farbenlehre, nach den Kategorien aufgestellt. So wenig eine solche Arbeit mich kleiden mag, so werden Sie doch meine Absicht löblich finden Ihnen entgegen zu arbeiten, und Sie für diese Sache noch mehr zu interessiren, da denn doch jetzt auf die klarste Darstellung des Ganzen alles ankommt. Unter Ihren Händen wird dieses Blatt gar bald eine andere Gestalt gewinnen.

Ich habe eine Erklärung der Terminologie meiner dreifachen Eintheilung vorausgeschickt und einige Bemerkungen nachgebracht. Nehmen Sie mit dem was ich gebe einstweilen vorlieb, bis ich komme und die Sache durch ein lebhaftes Gespräch geschwind ein paar Stufen überspringt. Ich suche jetzt zu erlangen daß mir kein Name in der ganzen Literargeschichte dieses Faches ein bloßer Name sei. Dann ist der sittliche Charakter von der wissenschaftlichen Wirkung ganz unzertrennlich. Dabei ist unglaublich wie sehr die Wissenschaft retardirt worden ist, weil man immer nur von einzelnen praktischen Bedürfnissen ausging, diese zu befriedigen sich im einzelnen lange bei gewissen Punkten verweilte, und sich im Allgemeinen mit Hypothesen und Theorien übereilte. Doch bleibt es immer ein reizender Anblick wie, durch alle Hindernisse, der Menschenverstand seine impräscriptiblen Rechte verfolgt, und mit Gewalt zur möglichsten Uebereinstimmung der Ideen und der Gegenstände losdringt. Ich hoffe ehe ich am Ende der Arbeit bin soll sich auch alle Bitterkeit gegen den Widerstand verloren haben; ich hoffe ich werde darüber so frei fühlen als denken.

Die wiederholte Nachricht von Ihrem Uebelbefinden betrübt mich sehr. Es ist gerade jetzt das einzige böse das mich in meinem Verhältnisse trifft und ist mir um desto empfindlicher.

Mein längerer Aufenthalt hier am Orte bewirkt mir immer eine freiere Aussicht auf die nächste Zeit. Und in diesem Sinne freue ich mich mehr auf die bevorstehende Reise nach Jena.

Ich bin mit Ihnen völlig überzeugt daß in einer Reise, besonders von der Art die Sie bezeichnen, schöne epische Motive liegen, allein ich würde nie wagen einen solchen Gegenstand zu behandeln, weil mir das unmittelbare Anschauen fehlt und mir in dieser Gattung die sinnliche Identification mit dem Gegenstande, welche durch Beschreibungen niemals gewirkt werden kann, ganz unerläßlich scheint.

Ueberdieß hätte man mit der Odyssee zu kämpfen, welche die interessantesten Motive schon weggenommen hat. Die Rührung eines weiblichen Gemüths durch die Ankunft eines Fremden, als das schönste Motiv, ist nach der Nausikaa gar nicht mehr zu unternehmen. Wie weit steht nicht, selbst im Alterthum, Medea, Helena, Dido schon den Verhältnissen nach hinter der Tochter des Alcinous zurück. Die Narine des Vaillants, oder etwas ähnliches, würde immer nur Parodie jener herrlichen Gestalten bleiben. Dabei komme ich aber auf meinen ersten Satz zurück: daß uns die unmittelbare Erfahrung vielleicht zu Situationen Anlaß gäbe die noch Reiz genug hätten. Wie nöthig aber eine unmittelbare Anschauung sei wird aus folgendem erhellen:

Uns Bewohner des Mittellandes entzückt zwar die Odyssee, es ist aber nur der sittliche Theil des Gedichts der eigentlich auf uns wirkt; dem ganzen beschreibenden Theile hilft unsere Imagination nur unvollkommen und kümmerlich nach. In welchem Glanze aber dieses Gedicht vor mir erschien als ich Gesänge desselben in Neapel und Sicilien las! Es war als wenn man ein eingeschlagnes Bild mit Firniß überzieht, wodurch das Werk zugleich deutlich und in Harmonie erscheint. Ich gestehe daß es mir aufhörte ein Gedicht zu sein, es schien die Natur selbst, das auch bei jenen Alten um so nothwendiger war, als ihre Werke in Gegenwart der Natur vorgetragen wurden. Wie viele von unsern Gedichten würden aushalten auf dem Markte oder sonst unter freiem Himmel vorgelesen zu werden.

Leben Sie recht wohl und grüßen Sie Ihre liebe Frau. Benutzen Sie jede guten Augenblicke.

Weimar am 14. Februar 1798.

G.