Jena den 24. August 1798.
Da unser Herzog nun wieder da ist, so scheint der Termin Ihrer Hieherkunft sich wieder zu verrücken; ich werde mich binnen der Zwischenzeit meiner Pflichten und Sorgen für den Almanach zu entledigen suchen, um wenn Sie kommen, und die Mittheilungen wieder anfangen, den letzten schwersten Schritt zum Wallenstein thun zu können. Da Sie einmal Lust haben, in die Oekonomie des Stücks hineinzugehen, so will ich gelegentlich das Schema davon in Ordnung bringen, das in meinen Papieren zerstreut liegt, indem es Ihnen, eh das Ganze selbst ausgeführt ist, die Uebersicht erleichtern kann.
Ich bin verlangend Ihre neuen Ideen über das Epische und Tragische zu hören. Mitten in einer tragischen Arbeit fühlt man besonders lebhaft, wie erstaunlich weit die beiden Gattungen auseinander gehen. Ich fand dieß auf eine mir selbst überraschende Weise bei der Arbeit an meinem fünften Akte, die mich von allem ruhig menschlichen völlig isolirte, weil hier ein Augenblick fixirt werden mußte, der nothwendig vorübergehend sein muß. Dieser so starke Absatz, den meine Gemüthsstimmung hier gegen alle übrigen freieren menschlichen Zustände machte, erweckte mir beinahe eine Furcht, mich auf einem zu pathologischen Wege zu befinden, weil ich das meinem Individuum zuschrieb, was die Natur des Geschäfts mit sich brachte. Aber so ist es mir ein Beweis mehr, daß die Tragödie nur einzelne außerordentliche Augenblicke der Menschheit, das Epos dagegen, wobei jene Stimmung nicht wohl vorkommen kann, das Beharrliche, ruhig fortbestehende Ganze derselben behandelt und deßwegen auch den Menschen in jeder Gemüthsfassung anspricht.
Ich lasse meine Personen viel sprechen, sich mit einer gewissen Breite herauslassen; Sie haben mir darüber nichts gesagt und scheinen es nicht zu tadeln. Ja Ihr eigener Usus sowohl im Drama als im Epischen spricht mir dafür. Es ist zuverlässig, man könnte mit weniger Worten auskommen, um die tragische Handlung auf- und abzuwickeln, auch möchte es der Natur handelnder Charaktere gemäßer scheinen. Aber das Beispiel der Alten, welche es auch so gehalten haben und in demjenigen was Aristoteles die Gesinnungen und Meinungen nennt, gar nicht wortkarg gewesen sind, scheint auf ein höheres poetisches Gesetz hinzudeuten, welches eben hierin eine Abweichung von der Wirklichkeit fordert. Sobald man sich erinnert, daß alle poetische Personen symbolische Wesen sind, daß sie, als poetische Gestalten, immer das allgemeine der Menschheit darzustellen und auszusprechen haben, und sobald man ferner daran denkt, daß der Dichter so wie der Künstler überhaupt auf eine öffentliche und ehrliche Art von der Wirklichkeit sich entfernen und daran erinnern soll daß er’s thut, so ist gegen diesen Gebrauch nichts zu sagen. Außerdem würde, däucht mir, eine kürzere und lakonischere Behandlungsweise nicht nur viel zu arm und trocken ausfallen, sie würde auch viel zu sehr realistisch, hart und in heftigen Situationen unausstehlich werden, dahingegen eine breitere und vollere Behandlungsweise immer eine gewisse Ruhe und Gemüthlichkeit, auch in den gewaltsamsten Zuständen die man schildert, hervorbringt.
Richter war dieser Tage hier, er ließ sich aber zu einer ungeschickten Stunde bei mir melden daß ich ihn nicht annahm. Matthisson, dem ich vor einigen Wochen etwas schönes über seine Beiträge und deren Anzahl sagte, hat mir wieder ein Gedicht geschickt; so wächst der Almanach nach und nach zu der gebührenden Größe an. Auch Gries hat einiges, an kleinen Sachen, gesendet, was sich brauchen läßt. Göpferdt ist noch nicht über den zweiten Bogen.
Leben Sie recht wohl; vielleicht komme ich nächste Woche auf einen Tag, und sehe dann vielleicht auch das theatralische Bauwesen. Wenn Sie wieder kommen, finden Sie auch mein Häuschen in Ordnung, das wir morgen einweihen werden. Damit geht mir auch eine ruhigere Epoche an.
Meine Frau grüßt Sie bestens, sie hat sich gefreut, Sie neulich doch einen Augenblick zu sehen.
Sch.