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535. An Goethe, 9. November 1798

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Jena den 9. November 1798.

Ich bin seit gestern endlich an den poetisch wichtigsten, bis jetzt immer aufgesparten Theil des Wallensteins gegangen, der der Liebe gewidmet ist, und sich seiner frei menschlichen Natur nach von dem geschäftigen Wesen der übrigen Staatsaction völlig trennt, ja demselben, dem Geist nach, entgegensetzt. Nun erst, da ich diesem letztern die mir mögliche Gestalt gegeben, kann ich mir ihn aus dem Sinne schlagen und eine ganz verschiedene Stimmung in mir aufkommen lassen; und ich werde einige Zeit damit zuzubringen haben, ihn wirklich zu vergessen. Was ich nun am meisten zu fürchten habe ist, daß das überwiegende menschliche Interesse dieser großen Episode an der schon feststehenden ausgeführten Handlung leicht etwas verrücken möchte: denn ihrer Natur nach gebührt ihr die Herrschaft, und je mehr mir die Ausführung derselben gelingen sollte, desto mehr möchte die übrige Handlung dabei ins Gedränge kommen. Denn es ist weit schwerer ein Interesse für das Gefühl als eins für den Verstand aufzugeben.

Vor der Hand ist nun mein Geschäft, mich aller Motive, die im ganzen Umkreis meines Stücks für diese Episode und in ihr selbst liegen zu bemächtigen, und so, wenn es auch langsam geht, die rechte Stimmung in mir reifen zu lassen. Ich glaube mich schon auf dem eigentlichen rechten Weg zu finden und hoffe daher keine verlorene frais zu machen.

So viel muß ich aber vorher sagen, daß der Piccolomini nicht eher aus meiner Hand in die der Schauspieler kommen kann und darf, als bis wirklich auch das dritte Stück, die letzte Hand abgerechnet, ganz aus der Feder ist. Und so wünsche ich nur, daß mir Apollo gnädig sein möchte, um in den nächsten sechs Wochen meinen Weg zurückzulegen.

Damit mir meine bisherige Arbeit aus den Augen komme, sende ich sie Ihnen gleich jetzt. Es sind nur eigentlich zwei kleine Lücken geblieben, die eine betrifft die geheime mystische Geschichte zwischen Octavio und Wallenstein, und die andre die Präsentation Questenbergs an die Generale, welche mir in der ersten Ausführung noch etwas steifes hatte, und wo mir die rechte Wendung noch nicht einfiel. Die zwei ersten und die zwei letzten Acte sind sonst fertig, wie Sie sehen, und der Anfang des dritten ist auch abgeschrieben.

Vielleicht hätte ich mir’s ersparen können, Ihnen das Manuscript nach Weimar zu schicken, da ich Sie, nach Ihrem letzten Brief, jeden Tag erwarten kann.

Zu den Farbenuntersuchungen wünsche ich Ihnen ernstlich Glück, denn es wird sehr viel gewonnen sein, wenn Sie diese Last sich vom Herzen gewälzt haben, und da der Winter Sie so nicht zum produktiven stimmt, so können Sie ihn nicht besser anwenden, als wenn Sie, neben der Sorge für die Propyläen, dieser Arbeit sich widmen.

Was von Decken und Kupfern fertig ist, bitte mir mit der Botenfrau zu senden. Von den Kupfern brauche ich 115 weniger als bestellt sind, denn so viel fanden sich zufälligerweise noch. Ich ersuche Meyern diese abzustellen , wenn’s noch Zeit ist.

Daß mir Iffland noch nicht geantwortet, kommt mir bedenklich vor, denn er pressirte mich selbst so sehr, und es ist sein Interesse das Stück bald zu haben, wenn er es ernstlich will.

Leben Sie nun recht wohl. Mein Aufenthalt in der Stadt ist mir bisher ganz gut bekommen. Meine Frau grüßt.

Sch.