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559. An Goethe, 31. Dezember 1798

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Jena den 31. December 1798.

Der Herzogin Rolle hab‘ ich Ihnen gestern durch Wolzogen geschickt. Hier erhalten Sie die Piccolomini ganz, aber wie Sie sehen ganz erschrecklich gestrichen. Ich dachte schon genug davon weggeschnitten zu haben, als ich aber vorgestern zum erstenmal das Ganze hinter einander vorlas, nach der bereits verkürzten Edition, und mit dem dritten Akt schon die dritte Stunde zu Ende ging, so erschrak ich so, daß ich mich gestern nochmals hinsetzte, und noch etwa 400 Jamben aus dem Ganzen herauswarf. Sehr lang wird es auch jetzt noch spielen, aber doch nicht über die vierte Stunde, und wenn man Schlag halb Sechs anfängt, so kommt das Publicum noch vor 10 Uhr nach Hause.

Haben Sie die Güte den zweiten Akt den ich Ihnen doppelt schicke in beiden Gestalten zu lesen. Er enthält die neuen Scenen der Thekla, und es würde Sie stören, wenn Sie bei diesen Scenen, die Sie zum erstenmal lesen, auch nur durch das Auge an die Verstümmelung erinnert würden und den Text auf dem Papiere mühsam zusammensuchen müßten.

An Iffland sende ich mit heutiger Post diese neuesten Verkürzungen nach, denn die große Länge des Stücks wird ihn nicht wenig in Verlegenheit setzen.

Die bedeutende Aeußerung Wallensteins über Buttlern (IV. Aufzug, 3. Scene), die hier weggestrichen, findet im dritten Stück einen schicklichern Platz.

Bei der Rollenbesetzung habe ich darauf gerechnet, daß die Thekla durch die Jagemann gespielt wird, und ihr etwas zu singen gegeben. So bliebe freilich die Gräfin der Slanzovsky, es wäre denn, daß Sie die neu erwartete Mutter dazu passender fänden; denn an der Gräfin liegt freilich viel, und sie hat, wie Sie sehen werden, auch in den neuen Scenen des zweiten Akts bedeutende Dinge zu sagen. Da man sie noch älter annehmen darf als selbst die Herzogin (indem sie den König von Böhmen vor sechzehn Jahren hat machen helfen), so kann sich die andere nicht beklagen.

Beim Wrangel habe ich auf Hunnius gerechnet.

Und so lege ich denn das Stück in Ihre Hände. Ich habe jetzt schlechterdings kein Urtheil mehr darüber, ja manchmal möchte ich an der theatralischen Tauglichkeit ganz verzweifeln. Möchte es eine solche Wirkung auf Sie thun, daß Sie mir Muth und Hoffnung geben können, denn Die brauche ich.

Leben Sie recht wohl. Der Bote wird um 3 Uhr expedirt.

Sch.