HomeBriefwechsel Schiller-Goethe1799637. An Schiller, 10. August 1799

637. An Schiller, 10. August 1799

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Nachdem ich diese Woche ziemlich in der Einsamkeit meines Gartens zugebracht, habe ich mich wieder auf einen Tag in die Stadt begeben und zuerst das Schloß besucht, wo es sehr lebhaft zugeht. Es sind hundert und sechzig Arbeiter angestellt, und ich wünschte daß Sie einmal die mannigfaltigen Handwerker in so einem kleinen Raume beisammen arbeiten sähen. Wenn man mit einiger Reflexion zusieht, so wird es sehr interessant die verschiedensten Kunstfertigkeiten, von der gröbsten bis zur feinsten, wirken zu sehen. Jeder thut nach Grundsätzen und aus Uebung das seinige. Wäre nur immer die Vorschrift, wornach gearbeitet wird, die beste; denn leider kann auf diesem Wege ein geschmackvolles Werk, so gut als eine barbarische Grille zu Stande kommen.

An den Gedichten wird immer ein wenig weiter gearbeitet und abgeschrieben.

Durch das Steinische Spiegelteleskop habe ich einen Besuch im Monde gemacht. Die Klarheit mit welcher man die Theile sieht ist unglaublich; man muß ihn im wachsen und abnehmen beobachten , wodurch das Relief sehr deutlich wird. Sonst habe ich noch mancherlei gelesen und getrieben. Denn in einer so absoluten Einsamkeit, wo man durch gar nichts zerstreut und auf sich selbst gestellt ist, fühlt man erst recht und lernt begreifen wie lang ein Tag sei.

Es ist keine Frage daß Sie unendlich gewinnen würden wenn Sie eine Zeit lang in der Nähe eines Theaters sein könnten. In der Einsamkeit steckt man diese Zwecke immer zu weit hinaus. Wir wollen gerne das unsrige dazu beitragen um das Vorhaben zu erleichtern. Die größte Schwierigkeit ist wegen eines Quartiers. Da Thouret wahrscheinlich erst zu Ende des Septembers kommt, so wird man ihn wohl den Winter über festhalten. Das wegen Gespenstern berüchtigte Gräflich Wertherische Haus, das für jemanden, der das Schauspiel fleißig besuchen will bequem genug liegt, ist so viel ich weiß zu vermiethen; es wäre wohl der Mühe werth das Gebäude zu entzaubern.

Lassen Sie uns der Sache weiter nachdenken. Leben Sie indessen recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau.

Weimar am 10. August 1799.

G.