HomeBriefwechsel Schiller-Goethe1800737. An Schiller, 4. Mai 1800

737. An Schiller, 4. Mai 1800

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Nach meiner langen Einsamkeit macht mir der Gegensatz viel Vergnügen. Ich gedenke auch noch die nächste Woche hier zu bleiben.

So eine Messe ist wirklich die Welt in einer Nuß, wo man das Gewerb der Menschen, das auf lauter mechanischen Fertigkeiten ruht, recht klar anschaut. Im ganzen ist übrigens so wenig, was man Geist nennen möchte, daß alles vielmehr einem sogenannten thierischen Kunsttrieb ähnlich sieht.

Von dem, was man eigentlich Kunst nennt findet sich, man darf dreist sagen, in dem was der Moment producirt, keine Spur.

Von Gemälden, Kupfern und dergleichen findet sich manches Gute, aber aus vergangenen Zeiten.

Ein Porträt von einem Maler, der sich jetzt in Hamburg aufhält, das bei Bausen steht, ist von einem unglaublichen Effect; aber auch gleichsam der letzte Schaum, den der scheidende Geist in den Kunststoffen erregt. Eine Wolke für eine Juno.

In dem Theater wünschte ich Sie nur bei Einer Repräsentation. Der Naturalism und ein loses, unüberdachtes Betragen, im Ganzen wie im Einzelnen, kann nicht weiter gehen. Von Kunst und Anstand keine Spur. Eine Wiener Dame sagte sehr treffend: die Schauspieler thäten auch nicht im geringsten als wenn Zuschauer gegenwärtig wären. Bei der Recitation und Declamation der meisten bemerkt man nicht die geringste Absicht verstanden zu werden. Des Rückenwendens, nach dem Grunde Sprechens ist kein Ende, so geht’s mit der sogenannten Natur fort, bis sie bei bedeutenden Stellen gleich in die übertriebenste Manier fallen.

Dem Publikum hingegen muß ich in seiner Art Gerechtigkeit widerfahren lassen, es ist äußerst aufmerksam, man findet keine Spur von Vorliebe für einen Schauspieler, das aber auch schwer wäre. Man applaudirt öfters den Verfasser, oder vielmehr den Stoff, den er behandelt und der Schauspieler erhält gewöhnlich nur beim Uebertriebenen lauten Beifall. Dieß sind, wie Sie sehen, alles Symptome eines zwar unverdorbenen, aber auch ungebildeten Publikums, wie es eine Messe zusammen kehrt.

Nun leben Sie wohl und gedenken mein. Mündlich noch gar manches.

Leipzig den 4. Mai 1800.

G.