HomeBriefwechsel Schiller-Goethe1802854. An Schiller, 7. Mai 1802

854. An Schiller, 7. Mai 1802

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Madame Bürger hat uns bis jetzt noch verschont, wenn sie nicht etwa morgen noch kommt und auf eine SonntagsDeclamation Anspruch macht. Auf alle Fälle werde ich mich in eine Ecke des Saals, nicht weit von der Thüre, setzen und nach Beschaffenheit der Umstände aushalten oder auf und davon gehen.

Was Sie mir von Iphigenie sagen ist mir erfreulich. Könnten und möchten Sie das Werk bis zur Aufführung treiben, ohne daß ich eine Probe sähe und es Sonnabend den 15ten geben, so bliebe ich noch eine Woche hier und brächte manches vor und hinter mich.

Wie ich höre geht der Theaterbau zu Lauchstädt recht gut von Statten. Ich bin recht neugierig wie dieser Pilz aus der Erde wachsen wird.

Wenn Sie eine Leseprobe von Alarkos gehalten haben, so sagen Sie mir doch ein Wort davon.

Es ist mir diese Tage ein anderes neues dramatisches Product zugeschickt worden, das mir, ich mag wohl so sagen, Kummer macht. Ein unverkennbares Talent, sorgfältiges Nachdenken, Studien der Alten, recht hübsche Einsicht, brauchbare Theile und im Ganzen unzulänglich, indem es weder vor- noch rückwärts Face macht. Den zehenten Theil davon hätte man vielleicht produciren können, aber, so wie es liegt ist es ganz und gar unmöglich. Wie ich zurückkomme sollen Sie es sehen und werden wahrscheinlich noch größere Klagelieder anstimmen. Sagen Sie aber niemand nichts davon, auch nichts von meiner vorläufigen Anzeige; denn wir müssen es unter uns, in der Stille, zurecht legen.

Das Bibliothekswesen construirt sich nach und nach, obgleich noch immer langsam genug. Ich halte meine Taktik und suche nun immer, von Epoche zu Epoche, vorzurücken.

Irgend eine poetische Stunde und sonst ein wissenschaftlicher Gewinn fällt auch mit ab.

Leben Sie recht wohl und richten sich recht behaglich ein.

Jena am 7. Mai 1802.

G.