HomeBriefwechsel Schiller-Goethe1803880. An Goethe, 26. Januar 1803

880. An Goethe, 26. Januar 1803

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(Weimar, 26. Januar 1803.)

Gegen die reiche Abwechslung Ihrer Beschäftigungen sticht meine auf einen einzigen Punkt gerichtete Thätigkeit sehr dürftig ab, auch kann ich Ihnen das Resultat meiner Einsamkeit nur durch die That beurkunden. Ich habe ein mißliches und nicht erfreuliches Geschäft, nämlich die Ausfüllung der vielen zurückgelassenen Lücken in den vier ersten Akten nun beendigt, und sehe auf diese Weise wenigstens fünf Sechstheile des Ganzen fertig und säuberlich hinter mir, und das letzte Sechstheil, welches sonst immer das wahre Festmahl der Tragödiendichter ist, gewinnt auch einen guten Fortgang. Es kommt dieser letzten Handlung sehr zu statten, daß ich das Begräbniß des Bruders von dem Selbstmord des andern jetzt ganz getrennt habe, daß dieser jenen Actus vorher rein beendigt als ein Geschäft, dem er vollkommen abwartet, und erst nach Endigung desselben, über dem Grabe des Bruders, geschieht die letzte Handlung, nämlich die Versuche des Chors, der Mutter und der Schwester, den D. Cesar zu erhalten, und ihr vereitelter Erfolg. So wird alle Verwirrung und vorzüglich alle bedenkliche Vermischung der theatralischen Ceremonie mit dem Ernst der Handlung vermieden.

Uebrigens haben sich im Lauf meines bisherigen Geschäfts noch verschiedene bedeutende Motive hervorgethan, die dem Ganzen sehr dienen.

Schwerlich aber werde ich mich vor vierzehn Tagen am Ziel meiner Arbeit sehen, so gern ich gewünscht hätte das Werk noch auf den achten Februar, als den Geburtstag des Archichancelier fertig zu bringen, um ihm, der sich mit einem schönen Neujahrspräsent eingestellt hat, meine Aufmerksamkeit zu bezeugen.

Sonst haben mich die neuesten französischen Theatralia aus der Bibliothek beschäftigt, die der Herzog wollte, daß ich sie lesen sollte. Noch habe ich nichts darunter gefunden, das mich erfreut hätte, oder das sich nur irgend zu einem Gebrauch qualificirte. Aber eine französische Übersetzung von Alfieri habe ich zu lesen angefangen, worüber ich aber jetzt noch nichts sagen mag. Aufmerksamkeit verdient übrigens diese Erscheinung, und ich freue mich, wenn ich mich durch die ein und zwanzig Stücke hindurchgelesen habe, diese Angelegenheit mit Ihnen zu verhandeln. Ein Verdienst muß ich ihm auf jeden Fall zugestehen, welches aber freilich zugleich einen Tadel enthält. Er weiß einem den Gegenstand zu einem poetischen Gebrauch zuzubringen, und erweckt die Lust, ihn zu bearbeiten: ein Beweis zwar, daß er selbst nicht befriedigt, aber doch ein Zeichen, daß er ihn aus der Prosa und Geschichte glücklich herausgewunden hat.

Wenn Sie Ihre Quarantäne zu brechen versucht werden können, so kommen Sie doch auf morgen Abend zu uns und lassen mich morgen Vormittag es wissen.

Den Chladni werde ich Nachmittags mit Vergnügen sehen.

Leben Sie recht wohl.

Sch.