Charakterisierung der Beatrice, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Beatrice, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Braut von Messina, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Beatrice, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Braut von Messina“, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung der Beatrice

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Dass der Instinkt des dichterischen Genie ihn allemal richtiger geleitet habe als sein theoretisches Räsonnement‚ war eine Behauptung, die wir schon in den erläuternden Worten zu Schillers Bildnis ausgesprochen haben. Die „Braut von Messina“ ist vielleicht der stärkste Beweis für dieselbe, da hier der Dichter den Höhepunkt seiner Leistungen zu erreichen glaubte, indem er, sich dem Ideal der griechischen Kunstform aufs Genaueste anschließend, ihm die hellenische Anschauung des Schicksals, das den Menschen auch ohne sein Verschulden dem Untergang weiht, zur Grundlage gab, — eine Anschauung, die allen unsern Vorstellungen von poetischer und göttlicher Gerechtigkeit widerspricht. Die Folge war aber, dass das Publikum es hauptsächlich da, wo sein Genie ihn seiner Theorie untreu werden ließ, bewunderte, während es auf die Künstler sehr verderblich wirkte, da alle jene „Schicksalsdramen“, mit denen wir von Müllner, Werner u. a. Jahrzehnte lang heimgesucht wurden, auf Schillers glänzendem Vorgange beruhten. Es wurde mit dieser fatalistischen Theorie der Vorherbestimmung, wie sie in dem Stück entwickelt wird, ein grausamer Missbrauch getrieben, und so alle unsere modernen sittlichen Begriffe verwirrt, die doch lediglich in der freien Selbstbestimmung des Menschen ihre Basis haben, eine Basis, die bei oberflächlicher Betrachtung in der Entfaltung des Geschicks der messinesischen Fürstenfamilie aufgehoben schien. Allerdings ist dies wohl in der griechischen Tragödie, in unserm Stücke aber keineswegs konsequent festgehalten; wie das Schicksal der Menschen überhaupt aus Freiheit und Notwendigkeit zusammengesetzt ist, so geht auch das der feindlichen Brüder wie ihrer unglückseligen Mutter mindestens ebenso sehr aus der Maßlosigkeit, der unbegrenzten Leidenschaftlichkeit ihres Charakters hervor, und die äußern Anlässe, das Verhängnis gibt bloß den Anstoß zu dem, was innerlich schon fertig ist und früher oder später Wenigstens ähnlich eintreten müsste. Das Schicksal tut im Grunde nichts, als was der Chor ausspricht, wenn er sagt:

Ja, es hat nicht gut begonnen,
Glaubt mir, und es endet nicht gut;
Denn gebüsst wird unter der Sonnen
Jede That der verblendeten Wuth.

Man hat vielleicht die Quelle jenes Missverständnisses, das Schillers Nachahmer durchweg beherrscht. vorzugsweise in der Gestalt der Beatrice zu suchen, deren Lebensglück trotz ihrer anscheinenden Schuldlosigkeit aufs furchtbarste zerstört wird, dem biblischen Spruche gemäß, dass die Sünde der Ältern an den Kindern gestraft werde bis ins zehnte Glied. Diese Sünde besteht hier nächst dem am eigenen Vater begangenen Raub‘ der Isabella, dem fluchbeladenen Ursprung alles Unglücks, in der Herzlosigkeit, mit der der Räuber der Mutter einem finstern Aberglauben sein eigenes Kind opfert. Fast ebenso groß ist die Härte jener, die erst den Gatten betrügt und sich dann doch ihres Kindes eine Reihe von Jahren lang kaum mehr weiter annimmt, selbst drei Monate nach jenes Tod noch desselben vergisst. Führt dies allerdings das Schicksal herbei, so hat doch der Dichter dafür gesorgt, auch in Beatrice, sowenig er sonst diese Gestalt individualisiert hat, die Tochter ihrer Mutter zu zeigen, indem sie sich doppelten Ungehorsams schuldig macht, sich aus dem Kloster entführen lasst, also mit derselben Blindheit der Leidenschaft der Erkennung ihrer Mutter aus dem Wege geht, und vorher schon, dem. Gebot derselben wie des Geliebten entgegen, dem Begräbnis des unbekannten Vaters beiwohnt, also immerhin eine Schuld auf sich ladet. Das Rührende und Tragische liegt dann allerdings in der durch die Verkettung der Umstände herbeigeführten unverhältnismäßigen Härte der Strafe, dem Verluste des Geliebten.

Dieser Eindruck des Tragischen wird erhöht durch die hohe Anmut, welche Schiller über das Bild der Beatrice ausgegossen hat, in den flüchtigen Pinselstrichen, die er ihm widmet, da ihr eigentlich nur eine einzige Szene gegönnt ist, um sich auszusprechen, ihr inneres Leben uns zu zeigen. Der Maler hat sie demnach gerade in dieser aufgefasst, in der sie, den Geliebten erwartend, sich ihres Fehls mit den Worten bewusst wird:

Den Schleier zerriss ich
Jungfräulicher Zucht;
Die Pforten durchbrach ich der heiligen Zelle!
Umstrickte mich blendend ein Zauber der Hölle?
Dem Manne folgt’ ich,
Dem kühnen Entführer, in sträflicher Flucht —

und in der rührendsten Weise sie dadurch motiviert:

Und sollt’ ich mich dem Manne nicht ergeben,
Der in der Welt allein sich an mich schloss?
Denn ausgesetzt ward ich ins fremde Leben,
Und frühe schon hat mich ein strenges Los
(Ich darf den dunkeln Schleier nicht erheben)
Gerissen von dem mütterlichen Schos —

sich dann bei der Mutter in Gedanken entschuldigt:

Vergib, du Herrliche, die mich geboren,
Dass ich, vorgreifend den verhängten Stunden,
Mir eigenmächtig mein Geschick erkoren.
Nicht frei erwählt’ ich’s; es hat mich gefunden.

Freilich bricht auch sofort die ganze südliche Glut der Leidenschaft heraus, wenn sie fortführt:

Nicht kenn’ ich sie und will sie nimmer kennen,
Die sich die Stifter meiner Tage nennen,
Wenn sie von dir mich, mein Geliebter, trennen.
Ein ewig Räthsel bleiben will ich mir;
Ich weiss genug: ich lebe dir! —

und sie für diese erneuerte Schuld sofort das Geschick durch das Erscheinen Don Cesars trifft.
Das heiße Blut ihres Geschlechts zeigt sich ebenso bei der Leiche Don Manuels, wo die aus der Ohnmacht Erwachende der Mutter ihre Erhaltung verwirft:

O Mutter! Mutter! Warum hast du mich
Gerettet! Warum warfst du mich nicht hin
Dem Fluch, der, eh’ ich war, mich schon verfolgte? …
Dir selbst und mir, uns allen zum Verderben
Hast du den Todesgöttern ihren Raub,
Den sie gefordert, frevelnd vorenthalten! —

wobei zugleich die seltsame Vermengung von christlichen und heidnischen Vorstellungen besonders hervortritt, die durch das ganze Stück zieht und unser sittliches Gefühl so oft irre macht, trotz allen wunderbaren Glanzes der Sprache, der oft eine wahrhaft berauschende Wirkung ausübt, und Schillers Meinung, dass er hier das Höchste geleistet, wenigstens in dieser Beziehung rechtfertigt. Diese technische Meisterschaft aber, so unentbehrlich sie auch jedem klassischen Kunstwerke ist und in so großem Masse sie sich auch hier vorfindet, genügt doch niemals allein, um einem Kunstwerk den ersten Platz anzuweisen, und auch bei der „Braut von Messina“ muss man sich gestehen, dass Schiller mit andern Stücken dem Herzen der Nation näher getreten ist, bildender und erhebender auf sie eingewirkt hat als durch dieses, trotz seiner Formvollendung.