Charakterisierung des Don Cesar, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Don Cesar, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Braut von Messina, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Don Cesar, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Braut von Messina“, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung des Don Cesar

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Zweck jedes Kunstwerks ist: uns zu erheben und zu befreien, der der Tragödie insbesondere: uns zu rühren und zu erschüttern; wenn die „Braut von Messina“ nun unstreitig den erstern glänzend erreicht, so muss man sich doch gestehen, dass sie dem zweiten doch nicht so vollständig als die übrigen Stücke des großen Dichters Genüge leistet. Dass dies nicht geschieht, ist hauptsächlich jener in Bezug auf unser Drama schon erwähnten falschen Theorie zuzuschreiben, mit welcher der Dichter uns die Personen derselben soviel als möglich von allen individuellen, lokalen und uns verwandten Beziehungen losgelöst, sie in eine ideale Welt gestellt hat. Wenn das Los der Maria Stuart, der Thekla oder Luise Miller uns tiefer ergreift, ihre Gestalten unserm Herzen teurerer werden, so geht das eben aus der Menge individueller Züge hervor, mit denen sie der Dichter ausgestattet, und die er der Isabella wie der Beatrice versagt hat; aus der Bekanntschaft mit ihrer Zeit, deren Sitten, ja ihrer Umgebung sogar.

Man liebt überhaupt ganz und gar nicht das in seiner Art Fertige und Vollkommene, das heißt das Ideale — sondern das Unfertige, Unvollkommene oder Individuelle. Das Vollkommene entfernt uns, nur das Individuelle ist uns nahe und deshalb verwandt und verständlich.

Es hat diese Erscheinung noch einen weitern Grund. Wie man nur teilnimmt an dem, was man versteht, und die schönsten Verse in einer fremden Sprache uns nicht ergreifen können — so liebt man auch nur, was lebendig ist. In eine gemalte Frau hat sich noch niemand verliebt, trotz der entgegenstehenden Behauptungen aller Romane!

Lebendig ist aber nur das Individuelle, die geheime Ahnung ihrer Lebensunfähigkeit lasst uns daher für rein ideale Figuren nie jene Teilnahme empfinden, die wir den individuellen so leicht zuwenden. Flössen uns z. B. die Gestalten des Rafael das wärmste Interesse ein, während uns die des vielleicht noch größeren Michel Angelo ewig fern bleiben, uns nur mit scheuer Ehrfurcht erfüllen, so hat dies keine andere Ursache, als weil jenen eine individuelle Anschauung zu Grunde liegt, während wir bei diesen sofort empfinden, dass sie lediglich Schöpfungen der Phantasie sind.
So nehmen wir denn auch an Don Cesar gerade so viel Anteil als er individuelle Züge zeigt, und jedenfalls mehr als an Don Manuel, weil er deren mehrere besitzt, uns lebendiger wird. Wie der Jüngere, ist er auch der Glühendere, Heftigere der beiden Brüder, vielleicht auch der Edlere und Großmütigere, wenigstens ist er es, der den ersten Schritt zur Versöhnung tut; stolzer und feuriger, ist er auch schneller gewonnen, wie er durch die Worte zeigt:

Denkst du von deinem Bruder nicht geringer? —

und:

Hätt’ ich dich früher so gerecht erkannt,
Es wäre vieles ungeschehn geblieben.

Obgleich gewalttätig wie das ganze Geschlecht, hasst er doch mit der Geradheit eines edeln ritterlichen Herzens alle Hinterlist, und bestraft den Verräter, der um Lohn seinen Bruder meuchlings ermorden will. Sein erster Gedanke, da er den Bruder wiedergewonnen, ist: ihm das Liebste zu schenken; noch starker als sein Hass wird auch sofort seine Liebe zu dem Neugewonnenen:

Mehr als ich sagen kann,
Freut mich dein Anblick — ja, mir ahnet schon,
Wir werden uns wie Herzensfreunde lieben —

und so möchte er ihm denn auch sofort die neue Hoffnung, die ihm emporblüht, vertrauen, während der Bruder weder ebenso weit geht noch das Geständnis annimmt:

Lass mir dein Herz! Dir bleibe dein Geheimniss.

Nur in eine solche glühende, jedem Eindruck offene Natur kann die Liebe wie ein Blitzstrahl fallen, ein Augenblick über das ganze Leben entscheiden; doppelt empfänglich muss sie gerade ihre Unberührtheit machen. Don Cesar aber sagt selbst wenig galant, als ihn die Mutter auffordert, ihr die Geschichte seiner Liebe zu erzählen:

Gleichgültig war und nichtsbedeutend mir
Der Frauen leer geschwätziges Geschlecht:
Denn eine zweite sah ich nicht, wie dich,
Die ich gleich wie ein Götterbild verehre. …
Und diesen festlich ernsten Augenblick
Erwählte sich der Lenker meines Lebens,
Mich zu berühren mit der Liebe Strahl.
Wie es geschah, frag’ ich mich selbst vergebens. …
Fremd war sie mir und innig doch vertraut,
Und klar auf einmal fühlt’ ich’s in mir werden:
Die ist es oder keine sonst auf Erden!

Die innige Zärtlichkeit für die Mutter, ein so schöner Zug bei beiden Brüdern, der vom Dichter fein erfunden ist, um dem Rohen ihres gegenseitigen Hasses als Gegengewicht zu dienen, tritt bei Don Cesar besonders überall rührend hervor, so besonders wo er trotz seiner Leidenschaft dennoch erst gehen will, um die Schwester zu suchen, ehe er die Braut der Mutter zuführt, und sich erst später auf die Notwendigkeit des letztem besinnt.
Dass er an Beatrice und ihre Liebe glaubt, ohne nur eine Zusage von ihr zu haben, ja ihre Unruhe, ihren Schrecken zu seinen Gunsten deutet, zeigt uns nur aufs neue die stürmische Erregtheit seines Innern, und so ist denn bei solchen Charakteren allenfalls wohl zu erklären, dass, als er die Geliebte in des Bruders Arm findet, all der alte Zorn in ihm wieder erwacht und ihn zur unglückseligen Tat treibt, da er sich hintergangen glaubt.
Um so furchtbarer trifft ihn, der sich im Recht meint, der Blitz der Wahrheit, und er flucht in wilder Wut dem Schoß, der ihn geboren; ja selbst der alte Dämon der Eifersucht gewinnt trotz des furchtbaren Geschicks seine Herrschaft wieder über ihn, nachdem er sieht, dass Mutter und Schwester dem Hingeschiedenen den Vorzug geben; nicht sein Verbrechen ist anfänglich sein höchster Schmerz, sondern der Besitz des Herzens der Geliebten durch den Bruder:

Wein’ um den Bruder, ich will mit dir weinen,
Und — mehr noch — rächen will ich ihn! Doch nicht
Um den Geliebten weine! …
Dich liebt’ ich, wie ich nichts zuvor geliebt,
Da du noch eine Fremde für mich warst.
Weil ich dich liebte über alle Grenzen,
Trag’ ich den schweren Fluch des Brudermords;
Liebe zu dir war meine ganze Schuld.

Es ist aber der Charakter großer Naturen, dass sie durch schwere Schicksale nicht zerschmettert und erdrückt, sondern gereinigt und geläutert werden: so ist auch Don Cesar keinen Augenblick im Zweifel, dass er eine Sühne schuldig ist, dass er sich selbst der beleidigten Gerechtigkeit zum Opfer darbringen muss, um den Fluch zu entwaffnen‚ der auf seinem Hause liegt. Dieser heroische Charakter gibt ihm die Energie, nicht nur dem Flehen der Mutter zu widerstehen:

Ein mächtiger Vermittler ist der Tod.
Da löschen alle Zornesflammen aus….
Drum, Mutter, wehre du mir nicht, dass ich
Hinuntersteige und den Fluch versöhne. . . .
Wohl lässt der Pfeil sich aus dem Herzen ziehn,
Doch nie wird das Verletzte mehr gesunden.
Lebe, wer’s kann, ein Leben der Zerknirschung,
Mit strengen Busskasteiungen allmählich
Abschöpfend eine ew’ge Schuld — ich kann
Nicht leben, Mutter, mit gebrochnem Herzen —

sondern endlich auch bei dem der geliebten Schwester standhaft zu bleiben: die lauternde Flamme der Liebe verleiht ihm erst die rechte Kraft zur Ausführung seines Vorsatzes:

Nein, Bruder! Nicht dein Opfer will ich dir
Entziehen — deine Stimme aus dem Sarg
Ruft mäch‘ger dringend als der Mutter Thränen
Und mächt‘ger als der Liebe Flehn. — Ich halte
In meinen Armen, was das ird’sche Leben
Zu einem Los der Götter machen kann —
Doch ich, der Mörder, sollte glücklich sein,
Und deine heil’ge Unschuld ungerächet.
Im tiefen Grabe liegen? …