Charakterisierung des Don Manuel, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Don Manuel, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Braut von Messina, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Don Manuel, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Braut von Messina“, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung des Don Manuel

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Führen wir zunächst einige Sätze aus Schillers merkwürdiger Einleitung zur „Braut von Messina“ dem Leser vor: es werden diese uns die Anschauung am besten zeigen, von der er bei seiner Produktion ausgeht, und die gewiss die echte, allen Kunstwerken zu Grunde liegende ist.

„Die wahre Kunst hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen: es ist ihr Ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der Tat frei zu machen, und dieses dadurch, dass sie eine Kraft in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinnliche Welt, die sonst nur als ein roher Stoff auf uns lastet, als eine blinde Macht auf uns drückt, in eine objektive Ferne zu rücken, in ein freies Werk unsers Geistes zu verwandeln und das Materielle durch Ideen zu beherrschen.

Und eben darum, weil die wahre Kunst etwas Reelles und Objektives will, so kann sie sich nicht bloß mit dem Schein der Wahrheit begnügen: auf der Wahrheit selbst, auf dem festen und tiefen Grunde der Natur errichtet sie ihr ideales Gebäude.“

Während der Dichter hier also nur fordert, dass der Künstler die Natur durchaus idealisiere, in eine freie Tat seines Geistes verwandle, mit andern Worten: von ihr alles das, was nicht zur Idee seines Kunstwerks gehört, weglasse, alles das aber, was ihr fehlt, dazutue, — so ist also vorausgesagt, dass er, wie beim Ganzen, so auch bei jeder einzelnen Figur von einer bestimmten individuellen Naturanschauung ausgehe und sie bloß durch das Medium des dichterischen Geistes verschont und erhöht Wiedergebe. In der „Braut von Messina“ selbst aber geht er einen großen Schritt nicht nur über diese Theorie, sondern auch die Praxis seiner übrigen Stücke hinaus, wie er das auch gleich im nächsten Satze andeutet:

„Wie aber nun die Kunst zugleich ganz ideell und doch im tiefsten Sinne reell sein — wie sie das Wirkliche ganz verlassen und doch aufs genaueste mit der Natur übereinstimmen soll und kann, das ist es, was wenige fassen.“

Um diese Aufgabe zu lösen, substituiert er hier der Naturanschauung, die zum Ideal erhoben wird, ein Ideal, dem bloß die Formen und der Organismus der Natur verliehen werden: das heißt er schlagt eine ganz neue ihm sonst fremde Richtung ein, denn allen seinen sonstigen Figuren, vom Fiesco oder Wallenstein bis zur Gustel, liegen sehr bestimmte Originale aus der Natur zu Grunde, den Personen der „Braut von Messina“ aber offenbar nicht. Am meisten tritt dies bei Beatrice und Don Manuel hervor, welch letzterer in seiner wenig individuellen Fassung eine schwere Aufgabe für die bildende Kunst ward.

Der Künstler hat beide Brüder dargestellt, wie sie in Gegenwart der Mutter sich stumm und trotzig gegenüberstehen, die wilden Banden des Gefolges hinter sich. Beiden ist feurige Jugendkraft verliehen, gepaart mit fürstlicher Hoheit:

Donna Isabella (zu Don Cesar).
Sieh dich umher in dieser ganzen Schar,
Wo ist ein edler Bild als deines Bruders?
(Zu Don Manuel.)

Wer unter diesen, die du Freunde nennst,
Darf deinem Bruder sich zur Seite stellen?
Ein jeder ist ein Muster seines Alters,
Und keiner gleicht, und keiner weicht dem andern.

Auch entspricht der Brüder, speziell Don Manuels Denkungsart dieser Schilderung seiner Mutter:

Don Cesar (ohne Don Manuel anzusehen).
Du bist der altre Bruder, rede du!
Dem Erstgebornen weich’ ich ohne Schande.

Don Manuel (in derselben Stellung).
Sag’ etwas Gutes, und ich folge gern
Dem edeln Beispiel, das der Jüngre gibt.

Don Cesar.
Nicht, weil ich für den Schuldigeren mich
Erkenne oder schwächer gar mich fühle —

Don Manuel.
Nicht Kleinmuths zeiht Don Cesarn, wer ihn kennt:
Fühlt’ er sich schwächer, würd’ er stolzer reden.

Don Cesar.
Denkst du von deinem Bruder nicht geringer?

Don Manuel.
Du bist zu stolz zur Demuth, ich zur Lüge. . . .

Don Cesar.
Hätt’ ich dich früher so gerecht erkannt,
Es wäre vieles ungeschehn geblieben.

Don Manuel.
Und hätt’ ich dir ein so versöhnlich Herz
Gewusst, viel Mühe spart’ ich dann der Mutter. …

Don Cesar.
So will ich diese Bruderhand ergreifen —
(Er reicht ihm die Hand hin.)

Don Manuel (ergreift sie lebhaft).
Die mir die nächste ist auf dieser Welt. …
Wir sind nicht mehr getrennt, wir sind vereinigt.
(Er eilt in seine Arme.)

Die Liebe hat ihm die Versöhnung so leicht gemacht, sie hat des Hasses Flamme in ihm ausgelöscht. Doch ist er, wie der ältere, so der gehaltenere der beiden Brüder, was wir aus seinen Worten sehen :

Geflügelt ist das Glück und schwer zu binden:
Nur in verschlossner Lade wird’s bewahrt.
Das Schweigen ist zum Hüter ihm gesetzt,
Und rasch entfliegt es, wenn Geschwätzigkeit
Voreilig wagt, die Decke zu erheben —

sowenig auch er vor plötzlichem Erfasstwerden durch die gewaltigste Leidenschaft gesichert ist, wie sein ganzes Geschlecht, und wie es uns die Geschichte seiner Liebe zeigt, wo er rasch zur Gewalt greift und die Geliebte raubt, ehe er auch nur weiß, ob es überhaupt notwendig wäre. Er ist in allem ein großer Herr, freigebig‚ prachtliebend‚ — ja er beweist gar feinen Geschmack in der Auswahl der Toilette seiner Braut! „Schön wie ein Gott, und männlich wie ein Held“ nennt ihn die Geliebte, stolz und fürstlich kennen wir ihn, und so hat er sich denn unsere volle Bewunderung errungen, als ihn das Geschick in unglückseliger Folge des langen Streits ereilt, der zu tiefe Spuren in der Seele des Bruders zurückgelassen, als dass sie nicht beim mindesten Anlass dem Argwohn und der Wut verfallen sollte:

Und zu schwere Thaten sind geschehn,
Die sich nie vergeben und vergessen —

sagt der Chor in Ahnung des kommenden Geschicks mit jener machtvollen Hoheit und Würde der Sprache, die dem ganzen Stücke einen so merkwürdigen Zauber verleiht, die, selbst wenn wir von dem Gange der Handlung ganz absehen, dennoch eine hinreißende Wirkung auf uns ausübt. Wir fühlen uns überall herrlich erhoben und geblendet von der Großartigkeit der Gedanken des Dichters mehr noch, als von dem Geschick, welches sich vor unsern Augen erfüllt. Wir fühlen uns befreit, weil wir ihn so hoch und erhaben über alles Niedrige, Kleine und Gemeine sehen: — glauben wir nicht oder verstehen wir nicht die Fügungen des Schicksals, so glauben wir umso fester an ihn!