Charakterisierung der Donna Isabella, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Donna Isabella, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Braut von Messina, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Donna Isabella, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Braut von Messina“, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung der Donna Isabella

aus der „SChiller-Galerie“, 1859



Alle Kunst soll eine nationale sein, ihre Werke müssen den Sitten und Vorstellungen, dem Charakter des Volks, aus dem sie hervorgehen, entsprechen, ihn in seiner Individualität, wenn auch noch so veredelt in Form und Inhalt, widerspiegeln, wenn sie die volle Wirkung haben, Gemeingut dieses Volkes werden sollen. Von diesem Erfahrungssatze ausgehend, wird man leicht erklären können, warum die „Braut von Messina“ unter allen Schiller’schen Stücken trotz der wunderbaren Schönheit ihrer Diktion, trotz der aufs höchste gesteigerten Würde und Erhabenheit des Gedankengehalts, sich doch bei uns fast am wenigsten Wirksam erwiesen und eingebürgert hat. Es ist das Fremdartige der Form wie des Ideengangs, was einem dies Stück immer als eine mehr oder minder doch exotische Pflanze erscheinen lässt. Wenn man sich heute über den Weg, den Schiller in demselben eingeschlagen, mit Recht wundert, so darf man doch nicht vergessen, dass er und Goethe bei ihrem Auftreten weder in der Nation eine fertige Bildung, einen festgestellten Geschmack, noch ein irgend der Rede wertes Repertoire antrafen, wenn man die paar Stücke Lessings abrechnet. Sie waren also auf Versuche angewiesen, als sie beides schufen, und gingen daher bekanntlich von der Nachahmung Shakespeares allmählich zu der der griechischen Tragödie über, ein Weg, den wohl jeder Gebildete einmal durchmacht, um dann wieder zu jenem zurückzukehren.

Die größte der Neuerungen und die gewagteste, die Schiller in der „Braut von Messina“ versucht, war die Einführung des moralisierenden Chors, als einer Art personifizierter öffentlicher Meinung; aber gerade sie will uns kaum recht verständlich werden, obwohl Schiller dadurch, dass er ihn in zwei Theile spaltet und diesen wieder mehrere Stimmführer gibt, dem modernen Geschmack doch schon bedeutende Zugeständnisse macht. Schiller wollte seinem eigenen Geständnis nach die Fabel seines Stücks in eine ideale Zeit und in die einfachste Form des Lebens zurückversetzen, um bloß das rein Menschliche geben zu dürfen, er glaubte dadurch die Tragödie in eine höhere Sphäre zu heben, indem er ihr jene griechische Form gab, die ihm als die reinste und idealste erschien. Die griechische Kunst aber ist im Gegenteil die nationalste von allen, und eben deshalb sind ihre Formen einer so ganz andern Zeit, einer so ganz andern Welt als der unserigen nie vollkommen verständlich. Er war also von vornherein genötigt, unserer Empfindungsweise Konzessionen zu machen, wie wir beim Chor gesehen, und auch die Figuren doch mit einzelnen Zügen auszustatten, die nicht einer allgemeinen, sondern einer ganz bestimmten Periode angehören.

Es sind die normannischen Eroberer Siziliens, an die der Dichter wohl jedenfalls gedacht hat, als er seine Königsfamilie schuf, deren gewaltige Leidenschaften zu einem so verhängnisvollen Ende führen. Die Fingerzeige darauf kehren so häufig in dem Stück wieder, dass kaum ein Zweifel daran sein kann. Sagt doch Isabella zum Beispiel zu ihren Söhnen gleich bei der ersten Zusammenkunft von ihrem Gefolge:

Wie könnten sie’s von Herzen mit euch meinen,
Den Fremdlingen, dem eingedrungnen Stamm,
Der aus dem eignen Erbe sie vertrieben,
Sich über sie der Herrschaft angemasst?

Der Künstler hat demnach das Kostüm des 11. Jahrhunderts, die Blütezeit des romanisch-byzantinischen Stils gewählt, der in Sizilien eine so eigentümliche Ausbildung durch die starke Beimischung sarazenischer Elemente erhielt, die von den frühern Herrschern dieses Landes übrig geblieben waren. Schiller betont diese starken maurischen Bestandteile Messinas, noch mehr aber die Reste alter heidnischer Vorstellungen überall mit besonderm Akzent: man spricht von den Göttern ebenso viel als von der Kirche, es spielt der muselmanische Fatumsglaube wie die paganistische Orakelwelt durch die christlichen Traditionen.

Auf diesem Hintergrund nun tritt uns zunächst die imponierende Gestalt der Donna Isabella entgegen in der Heiligung des tiefen Schmerzes um den dahingeschiedenen heldenhaften Gatten. Der dunkle Schleier eines schweren Kummers auf der schönen Gestalt lässt aber die Hoheit des Sinnes, die sie überall zeigt, nur um so ergreifender hervortreten, eine Erhabenheit und Schärfe des Geistes, die der Chor mit den Worten malt:

Ja, es ist etwas Grosses, ich muss es verehren,
Um einer Herrscherin fürstlichen Sinn:
Ueber der Menschen Thun und Verkehren
Blickt sie mit ruhiger Klarheit hin.

Diese Vornehmheit ist überall das zunächst in die Augen Fallende, aber nicht minder malt sich der Herrscherinstinkt, der sie die erste Pflicht, die Erhaltung des Reichs für ihr Geschlecht, keinen Moment aus den Augen verlieren lässt, in der Art wie sie den Chor behandelt.
Schiller ist unser einziger Dichter, der seinen Figuren überall, sobald er es will, den Charakter der Größe und Hoheit, das Siegel der Macht aufzudrücken vermag. Diese schwerste künstlerische Aufgabe weiß er überall zu lösen, und so finden wir denn jene Eigenschaften auch bei Donna Isabella wieder, wie wir sie an Wallenstein, Elisabeth von England, Maria Stuart, Philipp II. u. a. bewundern. Die Art, wie die geängstigte Mutter die Söhne auf ihre gleiche Vortrefflichkeit aufmerksam macht, wie sie ihnen dann das Schreckbild der notwendigen Wirkungen ihrer Zwietracht verhält, zeigt uns neben der Größe noch die dämonische Leidenschaftlichkeit des Sinnes, der nacheinander alle Glieder dieses Hauses zum Opfer fallen, und von dem auch sie ihr Teil hat, wie uns jenes Übermaß von Stolz lehrt, wenn sie, unterrichtet von ihrer Söhne Liebe, ausruft:

Die Mutter zeige sich, die glückliche
Von allen Weibern, die geboren haben,
Die sich mit mir an Herrlichkeit vergleicht!

Der Chor ruft solcher Überschwänglichkeit an der verdeckten Leiche Don Manuels mit wunderbarer poetischer Kraft und gehaltenem Wesen warnend entgegen:

Aber auch aus entwölkter Höhe
Kann der zündende Donner schlagen.
Darum in deinen fröhlichen Tagen
Fürchte des Unglücks tückische Nähe!
Nicht an die Güter hänge dein Herz,
Die das Leben vergänglich zieren!
Wer besitzt, der lerne verlieren;
Wer im Glück ist, der lerne den Schmerz!

Fruchtlos! Denn an dieser Leiche verflucht sie sofort im Ausbruch — ihrer maßlosen Leidenschaft seines Mörders ganzes Geschlecht, und wendet sich zürnend selbst gegen den Himmel:

So haltet ihr mir Wort, ihr Himmelsmächte?
Das, das ist eure Wahrheit? Wehe dem,
Der euch vertraut mit redlichem Gemüth! .
Warum besuchen wir die heil‘gen Häuser
Und heben zu dem Himmel fromme Hände?
Gutmüth’ge Thoren, was gewinnen wir
Mit unserm Glauben? …
Nicht Sinn ist in dem Buche der Natur:
Die Traumkunst träumt, und alle Zeichen trugen —

ja in ihrer höchsten Verzweiflung selbst spricht sich immer noch der starre unbeugsame Sinn aus, der die Grundursache des Zusammensturzes des ganzen königlichen Hauses ist:

Was kümmert’s mich noch, ob die Götter sich
Als Lügner zeigen oder sich als wahr
Bestätigen? Mir haben sie das Aergste
Gethan. — Trotz hielt’ ich ihnen, mich noch härter
Zu treffen, als sie trafen. — Wer für nichts mehr
Zu zittern hat, der fürchtet sie nicht mehr.