HomeDie Horen1796 - Stück 2IV. Der Ritter von Tourville. [J. F. Gerber]

IV. Der Ritter von Tourville. [J. F. Gerber]

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Annas Hilarion von Cortentin und Tourville stammte aus einem alten, berühmten, in der Normandie angeseßenen Hause ab, das den gräflichen Titel führte, und dem Vaterlande seit mehrern Jahrhunderten viele wichtige Dienste geleistet hatte. Schon in seinem vierten Jahre ward ihm durch die Sorge seines Vaters, des Grafen Cesar von Tourville eine Laufbahn eröfnet, die glücklicherweise seinen Neigungen und Talenten angemessen war, und ihn nachher zu einem glänzenden Ziele führte; er erhielt das Kreutz des Maltheser Ordens. Der Tod seines Vaters überließ die Erziehung des jungen Ritters, der Gräfinn von Tourville. Die Lieblichkeit seiner Gestalt, sein freyer, heitrer Blick, die Sanftheit seiner kindischen Sitten, nahmen auf den ersten Anblick für ihn ein. Sein sanftes, blaues, dennoch blitzendes Auge schien der Wiederschein einer reinen und muthigen Seele; die Rosen der Jugend blühten auf seinen Wangen; eine immer freundliche Miene bürgte für die Güte seines Herzens; und ein vollendeter Körperbau verbunden mit den Grazien der Leichtigkeit und Gewandheit, machten ihn zu einem der schönsten Jünglinge seiner Zeit.

Ungeachtet dieser Bildung, die ihn mehr zu einem Helden der Liebe zu bestimmen schien, entdeckte sich bald die herrschende Neigung des Ritters für den Krieg. Die Spielwerke des Knaben waren Waffen, Schlachten sein Lieblingsgedanke, und mit einer ungewöhnlichen Aufmerksamkeit horchte er auf die Erzählungen alter Krieger von den Thaten ihrer jungen Jahre. Die Gräfinn war weit entfernt, diese Neigung ihres Sohnes zu unterdrücken. Sie sandte den Liebling ihres Herzens in seinem sechzehnten Jahre nach Paris, wo ein naher Verwandter, der Herr de la Rochefoucault die fernere Sorge für seine Erziehung nahm. Das Institut des Herrn von Renocour stand damals in dem grösten Rufe, und der Ritter von Tourville zeichnete sich durch die günstigsten Anlagen für die körperlichen Übungen, und durch seinen Fleiß und Eifer in den Wissenschaften sehr bald vor allein seinen Kameraden aus.

Drey Jahre hatte er in diesem Institute zugebracht, und sein Lehrer hielt ihn für geschickt genug, um die Ausübung der erlernten Grundsätze im Dienste des Königs versuchen zu dürfen. Diese günstige Meinung traf mit seinen brennenden Wünschen zusammen; aber die Bemühungen des Herrn de la Rochefoucault, ihm in den Armeen des Königs eine Stelle zu verschaffen, waren vergebens. Die Vermählung des Königs mit einer spanischen Infantinn hatte dem Reiche den Friedengegeben; viele Offiziere waren verabschiedet worden; und diese hatten bey einer neuen Formirung des Heeres einen gegründeten Anspruch auf den Dienst. Schon verlor der Ritter von Tourville alle Hofnung, seiner herrschenden Neigung folgen zu können, und war im Begriff, sich in der Einsamkeit seines väterlichen Wohnsitzes zu begraben. Als das Gerücht von einer SeeRüstung, die der Ritter von Hocquincour auf eigne Kosten in dem Hafen von Marseille veranstalte, seinen Wünschen neues Leben gab.

Dieser merkwürdige Mann spielte eine zu wichtige Rolle in der Geschichte des Ritters von Tourville, dessen Lehrer, Freund und Gefährte er war, als daß eine kurze Nachricht von ihm, hier am unrechten Orte stehen sollte. Als der jüngere Sohn seines Vaters des Marschall von Hocquincour, hatte auch er im Kriege sein Glück gesucht, und in den letztern Feldzügen mit vielem Ruhme gedient. Die rauhen Sitten seines Standes hatten keinen Einfluß auf sein Betragen in der Gesellschaft gehabt; bey einem geraden Sinn besaß er alles gefällige des Umgangs, ohne die Manieren eines Höflings anzunehmen; immer bey gleicher Laune hat niemand mehr Freunde gehabt, als er. Wer ihn sah, liebte ihn, wer ihn kennen lernte, opferte sich für ihn auf. Der Friede hatte ihn an den Hof geführt, wo man ihn schätzte; aber das müssige Leben am Hofe war nicht nach seinem Geschmack, und der Donner einer Batterie ergötzte ihn mehr, als der glänzende Zirkel in den Zimmern des Monarchen von Frankreich. Als Maltheser-Ritter hatte er schon in seinen jüngern Jahren seinen Nahmen, auf den Kreutzzügen dieses Ordens gegen die Seeräuber und Türken, in den Gewässern des Archipel furchtbar gemacht. Er entschloß sich jetzt, einen solchen Kreutzzug auf seine eigne Hand zu unternehmen, gieng heimlich nach Marseille, und rüstete eine Fregatte von 36 Kanonen aus; das geschickteste Fahrzeug für eine Expedition dieser Art. Die Equipage war sorgfältig ausgewählt, das Schiff mit allem versehen, was es bedurfte, und Hocquincour gieng wieder nach Paris zurück, um seine häuslichen Geschäfte in Ordnung zu bringen. Man sprach bey Hofe von nichts als dem Unternehmen des Ritters von Hocquincour; man bewunderte seinen Muth, seinen Rittergeist. Eine große Anzahl von Jünglingen aus den ersten Häusern, die das romantische dieses seltenen Einfalls reizte, erwarteten mit Ungeduld seine Ankunst, um ihm ihre Dienste anzubieten, und unter seiner Anführung zu lernen, der Gefahr zu trotzen. Er schränkte sich auf zwölf ein, die er doch in der Folge bis auf zwanzig zu vermehren, nicht umhin konnte.

Tourvilles feuriger Geist brannte vor Begierde, diesen Kreutzzug mitzumachen; die erste Nachricht, die er davon hörte, entschied auf immer seine Neigung für den Seedienst; er eilte zu seinem Oheim; er bat ihn, sich bey seinem alten Freunde Hocquincour für ihn zu verwenden. Rochefoucault entzückt über den Eifer seines jungen Neffen – geht noch an demselben Tage zu Hocquincour; er entwirft ihm ein so vortheilhaftes Bild von Tourville, daß dieser einen so seltenen Jüngling kennen zu lernen wünscht. Tourville wird ihm vorgestellt; die Schönheit des jungen Ritters und sein zartes weiches Ansehn, das nicht gemacht zu seyn schien, die zahllosen Beschwerden eines Seezugs ertragen zu können, waren keine Empfehlung für ihn. Ungeachtet alles dessen, was Rochefoucault von seinen körperlichen Kräften sprach, von seinem Muth, von den Beweisen, die er davon schon in der Akademie gegeben hatte, schien der Ritter von Hocquincour zu befürchten, daß er ihm nur eine unnütze Last seyn, und mehr versprechenden Jünglingen den Platz benehmen möchte. Er sagte ihm das alles selbst, er entwarf ihm ein so treues aber zugleich so wenig einladendes Gemälde der anstrengenden Arbeit, des Mangels an aller gewohnten Bequemlichkeit, der täglichen Gefahren, denen ein Zögling des Seekrieges auf den Schiffen der Maltheser, die gegen die Türken kreutzen, ausgesetzt ist, daß wahrscheinlich ein jeder andere, von minder festem Charakter gewankt haben würde. Aber Tourville antwortete dem alten Ritter mit ofner Stirne und von Muth blitzenden Augen: „Ich kenne freylich weder das Meer, noch den Krieg auf dem Meer; aber ich bin doch alt genug, um einzusehen, daß er mit Gefahren verknüpft ist; und Gefahren sinds eben was ich suche.“ – Eine so feste Antwort überraschte den Ritter von Hocquincour. Er umarmte den kühnen Jüngling, nahm ihn unter seine Gefährten auf, und befahl ihm, sich innerhalb acht Tagen zur Abreise bereit zu machen.

Der Ritter von Hocquincour fand bey seiner Ankunft in Marseille seine Fregatte schon fast seegelfertig auf der Rhede liegen; es bedurfte nur noch einiger Anordnungen, und in wenig Tagen konnte er schon die Küsten von Frankreich verlassen. Diese wenigen Tagen wurden von den jungen Leuten seines Gefolges dem Genuß des Lebens, unter dem schönen Himmel der Provence gewidmet, wo die lieblichste Natur in ewig jungem Glanze erscheint; bald wurden sie alle in den Taumel einer allgemeinen Freude hineingezogen; nur erschien unter ihnen nirgends der Ritter von Tourville. Er war gleich bey ihrer Ankunft in Marseille verschwunden, und niemand hatte sich um ihn bekümmert. Hocquincour, der schon nicht wenig Vergnügen an seiner Unterhaltung fand, bemerkte seine Abwesenheit sehr bald, der seine Kameraden eben nicht die günstigste Auslegung gaben; er erkundigte sich genauer, und erfuhr, daß Tourville beständig am Bord der Fregatte sey, sich von frühen Morgen biß in die späte Nacht in den Manövren eines gemeinen Matrosen übe, die Schiffsoffiziere um alles befrage, was die Construktion eines Schiffes, das Tauwerk, die Behandlung der Seegel, kurz die ganze Nautik angehe; daß er alle Arbeiten der Matrosen mit einer bewunderungswürdigen Leichtigkeit und Geschicklichkeit nachmache, keine Mühe scheue, und den Gedanken an das Land ganz und gar vergessen zu haben scheine.

Eine solche Aufführung muste dem Ritter von Hocquincour eine hohe Idee von seinem Zöglinge beybringen; aber zugleich konnte ein so seltenes, wiewohl ruhmwürdiges Benehmen, den Neid der andern Freywilligen erwecken, und die Einigkeit untergraben, die bey einer so großen Anzahl junger Leute auf einem Schiffe, so höchst nothwendig ist. Hocquincour, der überdiß der Meinung war, einem Jünglinge schade ein übel angebrachter Fleiß, der oft in eine pedantische Sonderbarkeit ausarten könne, zuweilen mehr, als er ihm nütze, hielt daher fürs beste, demselben Grenzen zu setzen.

Tourville gehorchte den Befehlen seines Capitains, und kam ans Land. Marseille war damals voll schöner Weiber. Hocquincour, der den Geschmack an den Weibern noch nicht verlohren hatte, war durch die Reize einer jungen Dame gefesselt worden, die das allgemeine Urtheil für die schönste Marseillerin erklärte. „Kommen Sie, mein lieber Ritter, rief er dem zu ihm eintretenden Tourville entgegen, wir werden auf dem Meere Zeit genug haben zu studiren, lassen Sie zu einem Corsaren führen, der fürchterlicher ist als die von Algier, und dem Sie schwerlich widerstehen werden.“ – „Solche Feinde fürchte ich am wenigsten, Herr Ritter, antwortete Tourville.“ In dem Augenblicke trat jemand ins Zimmer, der mit dem Capitain von Geschäften zu sprechen hatte, und Tourville empfahl sich, um in der Kirche der großen Augustiner die Messe zu hören. Es war gerade ein Sonntag. Beym Herausgehen aus der Kirche, und im Gedränge des strömenden Volkes verwirrt sich der Degen des Ritters in dem Spitzenbesatz einer reichgekleideten jungen Dame. Unter den Bemühungen sich los zu machen wird die Verwickelung immer größer. Er hält es für Pflicht, bey der Dame seine Unachtsamkeit zu entschuldigen; ihn frappirt ihre blendende Schönheit, und des Mädchens Wangen färbt eine höhere Röthe. Die Vorbeygehenden scherzen über den schönen Jüngling, der an ein schönes Mädchen gefesselt ist, und beyde werden von dem lebhaften Volke mit Schmeicheleyen überschüttet.

Tourville erzählte dem Commandeur bey seiner Zurückkunft, daß es ihm beynahe vorkäme, als wenn er, oder vielmehr sein Degen, in die Schlingen der reizenden Geliebten des Ritters von Hocquincour gefallen wäre. „Das werd’ ich Nachmittag erfahren, lieber Ritter, erwiederte der Capitain, und heute Abend sollen sei Nachricht haben.“ Er hatte der jungen Dame schon längst von seinem schönen Freywilligen mit besonderm Enthusiasmus gesprochen, und sie um die Erlaubniß gebeten, ihn bey ihr einführen zu dürfen. Jetzt verlangte ihn zu wissen, ob die Bekanntschaft vielleicht schon ohne sein Zuthun gemacht sey. Es bedurfte keiner weitläuftigen Worte, als er zur Dame kam; sie rief ihm entgegen: „ich müste mich sehr irren, Herr Ritter, wenn nicht ihr schöner Freywilliger mir heute in der Augustiner Kirche das Kleid zerrissen hat“ – Hocquincour fand es etwas auffallend, daß Tourville und das Mädchen sich gleich auf den ersten Anblick, blos nach seiner Schilderung erkannt hatten; ihm ahnete etwas, das seine sonst immer heitere Stirne in Falten zog. Er äuserte diese Ahnung vielleicht nicht auf die delikateste Art; das Mädchen ward darüber launisch, sie sagte ihm gerade zu, daß sei sich gar nicht irren könne, er habe ihr ja selbst den Ritter von Tourville als den schönsten Jüngling beschrieben, und sie müste aufrichtig gestehn, nie einen schönern Mann gesehen zu haben. Hocquincour schlich davon; unzufrieden mit seiner Dame, unzufrieden mit sich selbst. An das Versprechen, dem Ritter von Tourville diesen Abend Aufklärung über den Vorfall in der Augustiner Kirche zu geben, wurde nicht weiter gedacht; noch weniger daran, ihn bey der Dame einzuführen. Tourville selbst hatte vielleicht die ganze Geschichte schon wieder vergessen; immer in Gedanken auf die Fregatte, bemerkte er nicht einmal die Veränderung, die mit seinem Capitain vorgegangen war.

Da ihn in Marseille nichts fesselte, so kehrte er schon am andern Morgen ganz frühe auf die Fregatte zurück. Hocquincour, dem es herzlich lieb war, einen so gefährlichen Nebenbuhler los geworden zu seyn, eilte wie gewöhnlich um eilf Uhr zu seiner Geliebten; aber er fand Niemanden. Mutter, Tochter, das ganze Haus waren aufs Land verreiset, und man zweifelte an ihrer baldigen Zurückkunft. Eine so geheimgehaltene Reise befremdet ihn; er wirft sich gleich nach Tische auf ein Pferd, und fliegt nach dem Landhause der Familie. Man sitzt bey der Tafel. Unangemeldet, tritt er in den Speisesaal, und sieht – den Ritter von Tourville neben der jungen Marquise sitzen. Diesmal war das Vergnügen der Überraschung nicht auf seiner Seite. Denn obgleich ein froher Zuruf der ganzen Gesellschaft ihm entgegenschallte, und Tourville selbst ihm mit der herzlichsten Freude entgegensprang, und ihm seine schöne Stelle anbot, so stand doch Hocquincour wie zu Eis geworden da. Ein unfreundlicher Blick auf den Ritter von Tourville geworfen, ließ diesen befürchten, daß sein Capitain diese Lustparthie als abgeredet ansehn möchte, und zum erstenmale fiel es ihm ein, daß er vielleicht unschuldigerweise die Eifersucht seines Befehlshabers gereizt haben könnte.

Nicht wenig kränkte es ihn, seinem Capitain durch einen blos Zufall eine so unangenehme Stunde verursacht zu haben. Als er nehmlich am frühen Morgen mit seiner Schaluppe den Hafen von Marseille verlassen wollte, ward er gezwungen, am Eingange des Hafens zu halten, um ein Schiff vorbeypassiren zu lassen. Mehrere kleine Fahrzeuge hatten ein gleiches Schicksal. Auf einem, ihm ganz nahe liegenden Boote bemerkte er eine Gesellschaft sauber gekleideter Herren und Damen, und unter diesen seine schöne Unbekannte aus der Augustiner Kirche. In dem Augenblick ward auch er von ihr erkant. Ein verbindlicher Gruß von seiner Seite spann eine Unterhaltung an. Man frug ihn, wohin er gedächte? – „Auf meine Fregatte, die bey der Insel Chateau d’If liegt.“ – Mutter und Tochter baten ihn nunmehr, zwey oder drey Stunden dem Vergnügen zu widmen, und mit ihnen nach ihrem nahe am Seeufer gelegenen Landhause zu kommen, zumal ihn das von seinem Wege nicht ableiten würde. So vieler Höflichkeit konnte der Ritter nicht widerstehen; er folgte ihnen, und schikte bey seiner Ankunft auf dem Landhause, die Schaluppe mit dem Befehl zurück, ihn um drey oder vier Uhr Nachmittags abzuhohlen.

Der Ritter von Hocquincour hatte sich aus Eingebungen von Eifersucht gegen die junge Dame eine Schilderung des Ritters von Tourville erlaubt, die mit dem Original nicht die geringste Ähnlichkeit hatte. Bey aller gefälligen Außenseite seines Körpers, schrieb er ihm einen störrischen, des gesellschaftlichen Umgangs ganz unfähigen Sinn, und einen erklärten Widerwillen gegen das weibliche Geschlecht zu; wenige Augenblicke, die der Ritter unter den Damen auf dem Landhaus zugebracht hatte, reichten hin, diese Anschuldigung zu widerlegen. Man fand ihn sanft und zuvorkommend in seinem Betragen, geistvoll und lebhaft in seiner Unterhaltung. Sie konnten ihm nicht verhehlen, daß sie lange die Hofnung genährt hatten, ihn bey sich zu sehen, und daß sie jetzt äuserst zufrieden wären, die Erfüllung ihrer Wünsche dem Zufall, und nicht der Vermittelung gewißer Personen schuldig zu seyn. Tourville verstand was man sagen wollte, und auf wen man deutete; er fühlte sich verbunden, seinen Capitain zu vertheidigen, und versicherte die Damen, daß es sein eigner freyer Wille gewesen sey, in den wenigen Tagen seines Aufenthalts in Marseille allen Umgang zu meiden. Dieß veranlaßte Vorwürfe über seinen Hang zur Einsamkeit, und gab dem Witze der schönen Provenzalerinn freyes Spiel. Der Ritter vertheidigte sich mit vieler Geschicklichkeit und wußte das Gespräch auf den Commandeur zu lenken, dessen Lob verschwenderisch von seinen Lippen strömte. Man gab nicht acht auf seine Reden, unterbrach ihn öfters, und der witzigen Provenzalerinn entwischte die Bemerkung, daß wer so geschickt zu seyn schiene, die Hauptrolle zu spielen, wie Er, sich selbst beleidige, wenn er die undankbare Nebenrolle eines Vertrauten sich aufbürden lasse. Eine so deutliche Erklärung war dem Ritter nicht lieb, zumal die Dame diesen für sie so rechhaltigen Text auf eine Art zu kommentiren anfieng, die ihn am Ende, wider seinen Willen zu einer bestimmten Antwort würde gezwungen haben. Der Ruf zur Tafel befreyte ihn von seiner Verlegenheit. Man weiß ihm den vorzüglichsten Platz zwischen der schönen Marquise und ihrer Mutter an, und war unerschöpflich in Erfindungen, ihm zu gefallen. Tourville erwiederte diese Höflichkeit, und man befand sich eben in der vorzüglichsten Laune von der Welt, als der Commandeur erschien, und durch seine zu wenig verhehlte Eifersucht der allgemeinen Freude ein Ende machte. Man trennte sich daher bald, und Hocquincour, des Aufenthalts in einer Stadt überdrüssig, wo er sein voriges Glück bey dem schönen Geschlecht hatte scheitern sehen, rief am andern Tage alle seine Freywilligen an Bord, und verließ die Rhede von Marseille.

Mit Hülfe eines günstigen Windes gleitete die Fregatte sanft über die Wellen des mittelländischen Meeres, und am vierten Tage entdeckte man die Insel Maltha, wo der Ritter von Hocquincour seiner Pflicht gemäß einzulaufen, und sich von dem Großmeister die Ordensflagge zu erbitten, verbunden war. In den ersten Tagen schien eine trübe Laune den Mund des sonst so gesprächigen Mannes versiegelt zu haben; aber je deutlicher sich die Ufer von Maltha aus den Nebeln des Meers vor ihm entwickelten, je mehr erheiterte sich seine Stirne. Seine Unterhaltungen mit den Freywilligen waren nicht mehr so abgekürzt; sie wurden nach und nach vertrauter, obgleich sein Benehmen gegen den Ritter von Tourville, so gefällig es auch war, dennoch immer etwas gezwungenes behielt.

So standen die Sachen auf der Fregatte, als sie im Hafen la Valetta die Anker warf. Die Ankunft des Ritters von Hocquincour in diesem Hauptsitz des Ordens verursachte eine allgemeine Freude. Die angesehensten Ritter, alle seine Freunde und Bewunderer, eilten am frühen Morgen an Bord, um ihn zu bewillkommen. Von ihnen und seinen Freywilligen begleitet zog er nach dem Pallaste des Großmeisters, und seit langer Zeit hatte man auf dieser Insel keinen schönern Zug gesehn. Die Freywilligen wurden dem Großmeister vorgestellt, und der Beyfall, den er ihrem Entschluß gab, unter den Flaggen des Ordens den Seekrieg zu erlernen, schmeichelte ihnen nicht wenig. Ganz Maltha beeyferte sich, dem Ritter von Hocquincour und seinem Gefolge zu zeigen, wie lieb man ihn hielt. Frohe Feste wechselten mit frohen Festen ab. Hier aber war keine Marseillerinn, die den Capitain fesselte; nur der Krieg war sein Gedanke. Mehrere Ritter boten sich ihm zu Begleitern auf seinem Zuge an; und wiewohl ihm der geringe Umfang seines Schiffes nicht erlaubte, die Zahl seiner Mitstreiter zu sehr zu vermehren, so stand er doch nicht an, fünf bis sechs der erfahrensten aufzunehmen, um seinen Zöglingen wahre Vorbilder des Muthes und der Geschicklichkeit aufstellen zu können. Mehr aber als das erfreute ihn das Anerbieten eines alten, in den Gewässern der Levante sehr bekannten Kreuzfahres Cruvillier, der im Hafen von la Valette eine Fregatte von vier und zwanzig Kanonen seegelfertig liegen hatte, und unter dem Ritter von Hocquincour den Seezug mitzumachen, bereit war. Hocquincour säumte keinen Augenblick, sich mit einem so erfahrenen und kühnen Manne zu verbinden, und sie wurden beyde in kurzem über die Bedingungen einig.

In dem Hafen des Ordens hatte vielleicht nie eine schönere Escadre gelegen. Zwey feste, dauerhafte, mit allem nothwendigen überflüßig versehene Fregatten; zwey berühmte, tapfre Anführer und eine Equipage, die an Muth und gutem Willen ihres gleichen suchte. Aber die Gefälligkeit und Freundschaft der Ritter hatte die Zöglinge des Seewesens in einen Wirbel von Zerstreuungen und Lebensgenuß gezogen, der zu allerley kleinen Ausschweifungen Anlaß gab, und den Commandeur nöthigte, diesem gefährlichen Müssiggange ein Ende zu machen. Auch hier war der Ritter von Tourville seinen Grundsätzen treu geblieben. Den rauschenden Festen, die in den Hotels der verschiedenen Zungen des Ordens gegeben wurden, hatte er selten beygewohnt. Die Verfassung des Ordens, seine Geschichte, und die Pflichten eines Ritters des heiligen Johannes von Jerusalem, waren sein Studium gewesen, indeß seine Kameraden einer zügellosen Freude opferten; und seine Aufmerksamkeit auf den Großmeister, dem er täglich aufzuwarten nicht unterließ, hatte ihm die Gunst dieses Fürsten erworben. Glücklicherweise erfuhr Cruvillier durch einige aus der Levante kommende Fahrzeuge, daß zwey tripolitanische Schiffe im Archipel viel Unheil anrichteten; und folglich entschloß sich Hocquincour, sie aufzusuchen: Habsucht füllte die Seele dieser beyden Helden nicht; sie würden sonst lieber über wehrlose aber reiche türkische Kauffahrer hergefallen seyn. Ehre war ihr Ziel, und der Ruf ihres Nahmens ihr Endzweck. Man gab daher sogleich das Signal an Bord zu kommen, ließ die Equipage die Musterung passiren, hob die Anker, und seegelte ins Meer.

Ein günstiger Wind, ein liebliches Wetter, und die Sicherheit des Meeres an den Küsten von Italien, gab den Maltheser-Rittern und den Freywilligen Muße genug, die Frölichkeit, und gute Laune, die sie noch aus la Valetta mit an Bord genommen hatten, gegeneinander auszutauschen; wiewohl bey diesem Austausch die letztern nicht selten verloren. Die alten Seemänner von Maltha hielten sich für berechtigt, die jungen Neulinge, die noch nie das Meer gesehn hatten, auf mancherley Art zu neken; eine Sitte, die mehr oder minder bey allen Seefahrenden Nationen herrscht, aber deswegen um nichts gescheuter ist. Vorzüglich schienen sie den Ritter von Tourville zum Gegenstande ihrer Spöttereyen gemacht zu haben. Beständig auf die Arbeiten der Steuermänner und Matrosen aufmerksam, und Tag und Nacht bereit, ihnen zur Hand zu gehen, versuchte er dennoch ins einer Kleidung eine Reinlichkeit und Nettigkeit zu beobachten, die man nur auf dem Lande gelten lassen wollte, und die auf den Schiffen der Maltheser etwas ungewohntes war. Es schien den Rittern eine übel angebrachte Künsteley zu seyn, und sie trauten ihm wegen dieses Scheines von Delikatesse wenig Kraft und Muth zu. Tourville ergrif die bestmöglichste Parthie, bey allen diesen Neckereyen; er schwieg. Indessen wurde der Witz eines dieser Herren doch zuweilen zu beissend, als daß er nicht eine kleine Beschämung verdient hätte. Tourville wartete nur auf eine Gelegenheit, und sie zeigte sich bald.

Der Wind ward heftiger, und mehrere Anzeigen eines nahen Sturmes machten die Einziehung der Seegel nothwendig. Tourville wandte sich and en Witzling, und bot ihm eine Wette an, wer von beyden schneller auf der großen Mars-Raa seyn würde. Der Maltheser versicherte aber, zu sehr sein Freund zu seyn, als daß er ihn einer Gefahr aussetzen sollte, die ihm leicht den Hals kosten könnte. In dem Augenblick wird das Signal gegeben; in dem Augenblicke ruft ihm Tourville zu: „Folgen Sie mir, alter Seemann, wenn Sie können;“ in dem Augenblicke wirft er sich auf die Wand des großen Mastes, ersteigt mit einer bewundernswürdigen Schnelligkeit und Leichtigkeit die große Mars-Raa, und hilft den Matrosen das Seegel einziehen, als wenn er dieser Arbeiten schon lange gewohnt gewesen wäre. Ein belohnender und aufmunternder Zuruf des Capitains, der laute Beyfall seiner Kameraden empfangen ihn, wie er sich ohne die Wand des Mastes zu berühren, an einem Tau herunterlässt. Seitdem hörten auch die Neckereyen auf, und Tourville konnte ungestört sich mit den Manövern beschäftigen.

Die Fregatten waren indeß in minder sichere Gegenden des mittelländischen Meeres gekommen. Jedes Cap, das sie umseegelten, und deren es in diesen Gewässern so viele giebt, war ein Schlupfwinkel für die türkischen und afrikanischen Corsaren, aus dem sie plötzlich über ihre Beute herzufallen gewohnt waren. Man muste daher beständig auf seiner Hut seyn. Auf der Insel Zante, bey der sie Anker warfen, um von den beyden tripolitanischen Schiffen, die sie aufsuchten, Nachrichten einzuziehen, erfuhren sie, daß man diese Seeräuber vor einigen Tagen bey den Starivalischen Eylanden gesehen hätte, daß der eine mit einer Admiralsflagge, zwey und vierzig und der andre, vier und dreyßig Kanonen führte, und daß sie der Macht der Maltheser weit überlegen wären. Das beugte den Muth der Helden nicht; sie giengen wieder in See, durchseegelten das Meer um die Inseln Sapienra, Carrera und Venetica, und fanden überall nichts; als am fünften Tage, auf der Höhe des Golfo von Corona, der Capitain Cruvillier, der die Avant-Garde machte, das Signal zweyer erscheinender Seegel gab, und zugleich, um den Ritter von Hocquincour zu erwarten, beylegte.

Auf dieses Signal bereitete man sich zum Gefecht; ein Theil der Seegel wurde eingezogen, jedem sein Posten angewiesen, und der Gleichmuth und die Kaltblütigkeit der jungen Freywilligen zum erstenmale auf die Probe gestellt. Tourville, auf den in diesem feyerlichen Momente Hocquincour sein ganzes Augenmerk gerichtet hatte, empfand indessen nichts als den flüchtigen Schauer, dessen sich auch der Held in dem ernsten Moment der Prüfung nicht erwehren kann, und der Mensch nicht zu schämen hat; die Natur hatte ihn zum Helden bestimmt, und ein ernsterer, wenn gleich fester Blick, ein stilles Zurückziehen in sich selbst, war alles, was seine Offiziere an der gefährlichen Stelle, an der er stand, an ihm gewahr werden konnten. Mit sechs andern Freywilligen und zwey Maltheserrittern war ihm die Vertheidigung des Verdeks gegen das, den Türken so gewöhnliche und ihnen oft so günstige, Entern anbefohlen worden.

Indessen hatten mit stolzen, von einem günstigen Winde aufgeschwollenen Seegeln die feindlichen Schiffe sich genähert. Es waren zwey Algierer, wenig an Größe von den Tripolitanern unterschieden, die man aufsuchte. In einer Entfernung von zwey Kabellängen öfnen sich ihre Feuerschlünde, auf den Spizen der Wellen leuchten die schnellen Blitze; undurchdringlich scheinende Rauchwolken wälzen sich schwer und furchtbar über die Fluten hin, an den fernen Ufern hallen dreyfach die Donner wieder; ringsum die Schiffe der Maltheser tanzen zischende Kugeln auf den Wogen des Meeres, und hundert Springbrunnen spritzen einen weißen Schaum empor. Die tapfern Capitaine erwiedern diesen Angriff nicht; mit kalter Ruhe warten sie den Augenblick ab, der die feindlichen Schiffe ihnen näher bringt, und nun schleudern auch sie Tod und Verderben mit ununterbrochenem Feuer auf die Fregatten der Seeräuber. Eine dicke Hülle von Dampf umgiebt die Kämpfer, ein hartnäckiges Gefecht beginnt, und bald weicht die minder schnell und sicher bediente Artillerie der Algierer, der Übermacht der christlichen. Ihr Tauwerk ist zerrissen; von dem Blute ihrer Streiter das Meer gefärbt, und Unordnung, Unentschlüßigkeit und Schwanken in ihren Manövern sichtbar. Plötzlich benutzen sie den ihnen so günstigen Wind, und, dem Kugelregen von den Batterien der Maltheser trotzend, versuchen sie zu entern. Dreymal scheitert ihr Vorsatz, aber nicht ihr Muth; und es gelingt ihnen, sich an das Schiff des Ritters von Hocquincour zu hängen. Wüthend stürzen sie sich auf sein Verdeck, und der Säbel soll nun entscheiden, was die Kanonen nicht konnten. Die Gefahr ist dringend, zwischen Tod oder Sieg keine Wahl. Eine kühne Verzweiflung scheint den Armen der Christen ungewohnte Kräfte zu leihen; mit ihrem Leben büßen die tapfern Muselmänner für den Entschluß ihres Anführers. Das malthesische Schiff wird von dem Algierer getrennt, seine Bewegungen verrathen eine nahe Flucht; einen zweystündigen Kampf scheint ein gewisser Sieg belohnen zu wollen; als unerwartet ein verdoppelt Geschrey der Feinde, ein mörderisches Feuer ihrer Batterien, die Erscheinung zweyer Corsaren verkündigt, die von der Gegend des Cap de Matapa der Szene des Gefechtes zueilen. Es sind die Tripolitaner. In solchen Lagen findet nur ein wahrer Held neue Quellen des Muthes und der Unerschrockenheit in sich selbst. Mit ruhigem und festen Blick durchfliegt Hocquincour sein Schiff, ermuntert den Wankenden, unterstütz den Müden, bläßt den erlöschenden Eifer zu neuen Flammen auf, und wagts, frische, noch unermüdete Feinde anzugreifen. Die Geschichte des kleinen Seekrieges in den Gewässern der Levante kennt kein schrecklicheres Gefecht. Nach dreyen Stunden ist Hocquincours Fregatte ohne Segel, ohne Tauwerk, ohne Maste; die eine Hälfte seiner Equipage dahin, oder verwundet, die andre Hälfte ohne Kraft; und dennoch streicht er nicht, und dennoch, – da eine sichtbare Unordnung auf den Tripolitanern ihn ahnen läßt, daß der Capitain vielleicht getödtet worden – ruft er plötzlich seinen Freunden zu: „Meine Brüder! Sieg oder Tod! Der Muth hat, der folge mir! Wir entern!“ – Es glückt; der verwundete Tourville springt mit sechs und dreyßig seiner tapfern Kameraden, die die Kühnheit ihres Anführers beseelt, auf das feindlichen Schiff, das eines solchen Entschlusses sich gar nicht versehend, von wilder Verzweiflung ergriffen, mit unerhörter Wuth kämpft. Aber selbst mehr als zweyhundert wehrhafte Türken, können der Gewalt der Christen nicht widerstehen, und diese wenigen Jünglinge erobern in einer halben Stunde ein Schiff, auf dem sie nichts gewissers als ihren Tod zu finden geglaubt hatten. Die Flagge der Maltheser, die von dem tripolitanischen Schiffe als ein schönes Siegeszeichen weht, belehrt die Feinde von dem Unglück ihrer Brüder. Außer Stand, die gekränkte Ehre des halben Mondes zu rächen, setzen zwey von ihnen alle ihre Seegel bey, und suchen in dem weiten Meere ihre Sicherheit; nur dem einen Algierer ist diese Rettung versagt; entmastet, und ohne Steuer, und dennoch zu stolz sich zu ergeben, kämpft er einige Minuten lang gegen Cruvilliers Schiff, und sinkt endlich in die Fluten des Meeres hinab.

So endigte sich ein Gefecht, das freylich mit dem Leben einer blühenden Jugend erkauft, doch dem Nahmen der Maltheser einen neuen Glanz gab, und ihrer Flagge in dem Archipel eine gegründete Achtung erwarb. Der Ritter von Tourville hatte die Hofnungen erfüllt, die die Lehrer seiner Jugend von ihm zu fassen sich veranlaßt hielten, er hatte bewiesen, daß das Heldendiplom, das ihm die Natur gegeben, ächt und unverfälscht sey. Der Sieg schien an seiner Seite zu stehen, und wo er sich zeigte, sank alles. Diesen Ruhm konnten ihm selbst seine Feinde nicht versagen. Bey der Untersuchung des gewonnenen Schiffes entdeckte man einen französischen Renegaten, der in Tripoli die Religion seiner Väter verlassen, und als ein geschikter Steuermann bey den Corsaren Dienste genommen hatte. Hocquincour befrug ihn über verschiedenes, und unter andern auch darüber, warum eine so große Menge von Türken so wenigen Christen nur einen so schwachen Widerstand geleistet hätte? – „Gab es nicht einen unter euch, erwiederte der Türke, der schön wie ein Engel, mit unbegreiflicher Kraft und Stärke überall herumflog? der allein mehr leistete, als alle übrigen zusammen? und der entweder ein Gott oder ein Teufel seyn muß, um das gethan zu haben, was er that?“

Der zerrüttete Zustand der Schiffe, und die Menge der Verwundeten, unter denen auch der Ritter von Tourville sich befand, nöthigte die Anführer, so schnell als möglich, einen sichern Hafen zu suchen. Man entschloß sich nach der Insel Siffanto, einer der lieblichsten und gesundesten des Archipels zu seegeln, wo in zehn kleinen Dörfern ein freundliches Völkchen wohnte, und ein vornehmer Athenienser, der durch seltene Unglücksfälle aus seinem Vaterlande gestoßen, seiner Reichthümer beraubt, und gezwungen worden war, durch Ausübung der Arzeneykunde, seine Unterhalt zu erwerben, einen Zufluchtsort gewählt hatte. Seit zwölf Jahren lebte Gianni schon auf dieser Insel, gleich geliebt und geschätzt von Türken und Christen, denen er mit wahrhaft menschenfreundlicher Güte seine Hülfe nie versagte. Cruvillier, der dreyßig Jahre lang in diesen Gewässern herumstrich, kannte ihn genau, und hielt es für nothwendig, den Ritter von Tourville, für dessen Leben man fürchtete, seinen geschikten Händen anzuvertrauen.

Mit vieler Mühe kamen die schadhaften Schiffe am andern Tage auf der Rhede von Siffanto an. Gianni, dessen Haus nahe am Hafen lag, und den der Anblik der Fregatten vermuthen ließ, daß man seiner Hülfe bedürftig sey, war selbst an das Ufer geeilt, um die Verwundeten zu empfangen. Der erste, den man ans Land brachte, war der Ritter von Tourville. Die äuserste Sorgfalt, mit der man ihn behandelte, und die einen Mann von Stande verrieth, seine sanfte Bildung, das gefällige Wesen, das er selbst unter den Schmerzen seiner wunden nicht vergaß, nahmen den Athenienser sogleich für ihn ein; und auf Cruvilliers Bitten, dem Ritter einen bequeme Wohnung zu verschaffen, erbot sich Gianni sogleich, ihn in sein eignes Haus aufzunehmen. Mit Freuden wurde dies Anerbieten aufgenommen, man brachte ihn auf der Stelle hin, und sorgte für die übrigen Verwundeten, so gut man konnte.

Auch die Anführer, und die unverletzt gebliebenen Ritter säumten nicht, einen Boden zu betreten, der ihnen die lang entbehrten Vergnügungen im Übermaaß zu versprechen schien. Häufiges Wild lud sie zur Jagd ein, und eine von den griechischen Kaysern ehemals hier gestiftete Abtey vor Kloster Frauen, deren milde Ordensregel den Umgang mit Männern nicht versagte, bot mancherley Gelegenheit zu feinen Zeitverkürzungen dar. Die Kloster Frauen waren aus den angesehensten griechischen Häusern, verstanden mehrentheils die italiänische Sprache, waren fast alle jung und schön, – welche Anlässe für feurige Franzosen, für kühne Seeleute, den Aufenthalt auf Siffanto bezaubernd zu finden.

Unter diesen Zerstreuungen vergaßen sie doch ihrer kranken Mitbrüder nicht; die beyden Capitains besuchten regelmäßig jeden Tag den Ritter von Tourville, und sein gefälliger Wirth nahm sich seiner mit besonderer Liebe an. Seine Wunden besserten sich augenscheinlich, und die tiefe Kenntniß seines Wirthes trug zu seiner Heilung wenigstens eben so viel bey, als das Übermaaß des Guten, das er in diesem Hause genoß.

Gianni brachte manche Stunden bey seinem lieben Kranken zu. Die edeln Grundsätze, die er in diesen einsamen Unterhaltungen entwickelte, die Leichtigkeit und Grazie, mit der er in italiänischer Sprache sich ausdrückte, der hohe Anstand, die gebildeten Sitten, die ihn so mächtig vor den unterjochten Griechen auszeichneten, ließen den Ritter von Tourville einen angesehenen, vielleicht unglücklichen Mann in seinem Wirthe ahnen. Er ward begierig auf seine Geschichte, und der Athenienser hatte eines Abends die Gefälligkeit, ihn von den sonderbaren Begebenheiten seines Lebens zu unterrichten. Die Unterhaltung hatte biß spät in die Nacht gedauert; aber den Ritter wandelte kein Schlaf an. Das was er so eben gehört hatte, veranlasste mancherley Bemerkungen bey ihm. Die Erzählung zu Folge muste der Grieche eine Tochter haben. Warum hatte der Ritter in einem Zeitraum von zehn Tagen, die er schon in diesem Hause wohnte, sie niemals gesehen? nicht eine Spur von ihr entdeckt? nicht einmal von ihr gehört? und das in einem Lande, wo keine türkische Eifersucht das weibliche Geschlecht in unzugangbare Gefängnisse verschloß, ja wo selbst strenge Kloster Frauen ihre einsamen Zellen den Fremdlingen öfnen durften! Warum hatte Gianni, bey aller Gefälligkeit, die er dem Ritter bewiß, seiner Tochter nie erlaubt, die trüben Stunden des Kranken zu erheitern?

Einsamkeit ist die Mutter der Schwärmerey, und Jugend das Alter der Ideale. Was bedurfte es mehr um die lebhafte Phantasie eines Jünglings rege zu machen, der den möglichen Fall, daß ein schönes Mädchen unter einem Dache mit ihm wohnen könne, bald zur unumstößlichen Gewißheit erhob, und in der unbekannten Griechinn allen Reiz vereinigte, den seine Augen je gesehn hatten. Diese Beschäftigungen waren um so gefährlicher, da, ihm unbewusst, ein mächtiger Instinkt sich mit der Phantasie vereinigte. Fortan floh ihn Ruhe und Schlaf, und sein Zustand ward stündlich peinlicher, zumal er keine Möglichkeit entdeckte, mit guter Art an die Auflösung des Räthsels zu kommen. Sich an Gianni selbst zu wenden, schien aus vielen Ursachen nicht rathsam, und dürfte vielleicht auf einmal alle Hofnungen abgeschnitten haben. Ausser ihm kam sonst niemand von den Hausgenossen in das Zimmer des Ritters. War es ihnen verboten worden, oder hielt sie ein übel angebrachter Respekt zurück? Freylich erschien seit einigen Tagen eine alte häßliche Mohrinn, und brachte dem Kranken Blumen und Früchte; er hatte sonst gar nicht auf sie gemerkt, was ging ihn eine elende Sklavinn an; aber jetzt ward die verachtete Mohrinn plötzlich interessant. Worauf konnten wohl die Zeichen deuten, zu denen dieses Weib, wann sie Blumen und Früchte brachte, ihre Zuflucht nahm, da der Ritter ihre Sprache nicht verstand? Von wem konnten wohl diese in geschmakvollen vergoldeten Körbchen mit sichtbarer Kunst und Sorgfalt geordneten Blumen kommen, diese Orangenblüthen, Rosen, Amaranten, Tausendschönchen und Aurikeln, unter denen die lieblichsten Früchte hervorschimmerten? War es vielleicht die alte Sklavinn selbst? aber dieser leise Anstrich von Grazie in dem Flechtwerk der Blumen, wie ließ sich der mit dem rohen Geschmak einer zurückschrekenden Mohrinn vereinigen? War es vielleicht Gianni, der aus Sorge für das Vergnügen seines Kranken, diese Blumen ihm zu bringen angeordnet hatte? Aber warum erwähnte er niemals etwas davon? und wie sollte der geschäftvolle Mann an solche Kleinigkeiten denken können? – Und woher kam es, daß die Mohrinn, um die Blumenkörbchen zu überreichen, immer die Zeit wählte, wann der Arzt seine Geschäfte außer dem Hause besorgte? O nur zu gewiss war es die schöne Tochter des Hausherrn, deren reitzende Hände diese Blumen Guirlanden geflochten hatten, die, nach der Sitte der phantasiereichen Morgenländer, ein Symbol ihrer geheimsten Empfindungen, aber leider dem unglücklichen Ritter unerklärbar blieben. In einem zauberischen Lichte stand dieser Gedanke vor seiner Seele, und nur die Unmöglichkeit, diese mysteriöse Sprache zu verstehen, beunruhigte ihn.

Der Ritter irrte sich nicht. Von allen Freuden des Lebens, die dem unglücklichen Gianni ehemals geblüht hatten, war ihm nur eine Tochter übrig geblieben. Mit mütterlichem Wohlgefallen hatte unter dem reinen griechischen Himmel die Natur ihr Äuseres gebildet, und eine sorgfältige Erziehung ihren Geist ausgeschmückt. Diese Tochter war das einzige Kleinod des alten Atheniensers. Mit ängstlicher Sorgfalt wachte er über sie; und da ihre ungewöhnliche Schönheit, und die Unschuld ihrer Sitten, bey einem freyen Umgange mit lebhaften, nach Genuß dürstenden Jünglingen sehr gefährlich werden konnten, so hatte er es bey allem Glauben an ihre Tugend doch für das sicherste gehalten, von ihrem Daseyn weder gegen Tourville noch seine Gefährten etwas zu erwähnen, sie während des Aufenthalts der Maltheser auf Siffanto, unter der Aufsicht einer alten mohrischen Skalvinn in ein entferntes Zimmer seines Hauses einzuschließen, und die Anordnung zu treffen, daß durch die übrigen Hausgenossen das Geheimniß ihrer Existenz nicht zu den Ohren des Ritters kommen konnte. Die zärtliche Liebe des Vaters entschuldigte vielleicht diese harten Maasregeln; aber zu viel Vorsicht ist oft gefährlicher als gar keine.

Die häßliche Blumenträgerinn erschien unausgesetzt mit frischen Blumen; jedesmal begleitete sie ihr Geschäft mit allerley unverständlichen Zeichen, und jedesmal nahm sie, um ihre Botschaft auszurichten, der Stunde wahr, in denen der Hausherr seine Krankenbesuche machte. Tourville beobachtete ihre Bewegungen genauer. Er glaubt sie eines Morgens zu verstehen; ihre Winke schienen anzudeuten, daß ihn jemand zu sprechen verlange. Er wirft seine Augen auf die Thüre, denn seine Wunde erlaubte ihm noch nicht, den Sopha zu verlassen; die Mohrinn hebt die Vorhänge vor den Glasfenstern auf, und er sieht jenseits eines dunkeln halb geöffneten Zimmer seine reitzende weibliche Gestalt schweben, gekleidet in eine Gewand von weißen Taffet, um das ein goldfarbener Gürtel nach griechischer Sitte, unter einem leicht verhüllten Busen sich windet; ein heller Sonnenblick, der in dem Moment die Szene erleuchtet, verbreitet ein magisches Licht über die ganze liebliche Erscheinung. Überrascht und zitternd wagt er furchtsam die Bitte, daß sie doch näher treten möchte; eine sanfte melodische Stimme antwortet in italiänischer Sprache: „Man darf nicht!“ plötzlich verschließt sich jenes Zimmer, der Vorhang der Thüre wird wieder niedergelassen, und alles ist verschwunden.

Ein Theil des Geheimnisses war nun entschleyert, die italiänischen Laute ließen die Möglichkeit näherer Aufklärung hoffen, und die alte Blumenträgerinn schien die geschikteste Mittelsperson zu seyn. Ein Goldstück, das der Ritter ihr in die Hand drückte, die eine solche Münze in ihrem Leben nie gesehen hatte, setze sie vor Freuden außer sich; taumelnd vor Vergnügen flog sie zu ihrer jungen Gebieterinn, zeigte ihren Schatz, und quälte solche, um einen neuen Strauß für den Kranken.

Die junge Dame befürchtete nicht ohne Grund, der Franke möchte, hingerissen von der Gesprächigkeit seiner Nation, und in einem Anfall von muntrer Laune, dem Gianni erzählen, daß er seine Tochter, wiewohl nur einen Augenblick und in der Thüre ihres Zimmers gesehen, und sie um ihren Besuch gebeten hätte. Das würde ihr wahrscheinlich eine engere Gefangenschaft zugezogen und ihr ein Vergnügen geraubt haben, das in ihren Augen das unschuldigste von der Welt war. Ein paar Worte, unter frischen Blumen begraben, waren im Stande, alle dem Unheil vorzubeugen.

Sie schrieb, ohne daß die Mohrinn es bemerkte, ein Billet, und schikte sie mit einem neuen Strauß, in das Zimmer des Ritters. Tourville, der diese Blumen für nichts anders als eine Spekulation der Sklavinn auf mehrere Goldstücke hielt, wolle sie ihr gleichgültig aus der Hand nehmen; in dem Augenblicke aber bemerkte er das Hervorschimmern eines Papiers unter den Orangenblüthen und Rosen; es war ein Billet in italiänischer Sprache: „Nicht überal erlaubt der Wohlstand einem Mädchen, das Zimmer eines jungen Mannes zu besuchen. Man begnügt sich also an dem Vergnügen, Sie zu sehen, das freylich ein Geheimniß blieben muß, obgleich die Tugend eines Mädchens bey einer solchen Unterhaltung keine Gefahr laufen kann. Man würde sehr unglücklich seyn, wenn man sich so schuldlose Freuden versagen sollte. Verlust genug, sich nur zu sehn; oder nur zu sehen, ohne gesehen zu werden. Männer haben die Gesetze gemacht; schwache Weiber müssen gehorchen. Wir leiden, aber die Männer gewiss noch mehr.“ Andronica.

Der Geist, den diese wenigen Zeilen blicken ließen, entzückte den Ritter noch mehr, als die Zaubergestalt der Griechinn. Sein erster Gedanke war eine Antwort; aber er hatte kein Papier. In dieser Verlegenheit bediente er sich eines Taschenbuchs, am folgenden Zeilen hineinzuschreiben.

„Was kann die schöne Andronica bey mir befürchten? das tugendhafteste Mädchen darf mein Zimmer betreten, ohne die Gesetze des Wohlstandes zu verletzen. Welchen Bewegungsgrund würde man einem solchen Besuche geben können, als das Mitleid? Andre Empfindungen bin ich einzuflößen nicht im Stande; man sehe mich nur, um sich davon zu überzeugen. Übrigens kann das Geheimniß nur durch Sie selbst verrathen werden. Bewilligen Sie diese Gunst, die durchaus von keinen Folgen ist, einem Ritter, dem unter allen Umständen die Tugend einer Dame heilige seyn muß.“ Der Ritter von Tourville.

Er hatte kaum seinen Nahmen unterschrieben, so war die Mohrinn auch schon da. Ihre Gebieterinn hatte sie geschikt, die der Sklavinn, als sie den letzten Blumenstrauß hinüber trug, gefolgt war, um durch die Vorhänge der Thüre zu beobachten, ob ihr Billet würde gefunden werden. Sie sah, daß es entdeckt und gelesen wurde, und daß der schöne Corsar, wie sie den Ritter nannte, ein kleines Buch aus der Tasche zog, um hineinzuschreiben. Ihre Ungeduld nach einer Antwort trieb die Mohrinn in das Zimmer des Ritters, der anfangs aus Furcht, einen Mißverstand zu veranlassen, Anstand nahm, ihr das Taschenbuch zu überliefern. Der Nahme Andronica schien ihm indeß der beste Wegweiser für sein Billet zu seyn; die Mohrinn machte ein Zeichen, daß sie ihn verstehe, eilte hinaus, und übergab das Taschenbuch ihrer Gebieterinn, die entzückt über den glücklichen Ausgang ihrer Unternehmung in ihr Cabinet zurückeilte.

(Die Fortsetzung folgt.)

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