HomeDie Horen1797 - Stück 6III. Briefe von Amanda und Eduard. [Sophie Mereau]

III. Briefe von Amanda und Eduard. [Sophie Mereau]

Bewertung:
(Stimmen: 0 Durchschnitt: 0)

Erster Brief.

Eduard an Barton.

Seit du mich verlassen, mein Barton, habe ich schon oft die Höhe erstiegen, wo ich zum letzten Mal deines vertrautesten, freundschaftlichen Umgangs genoß. Du warst damals in einer ungewöhnlichen, feierlichen Stimmung, dein Auge schaute, voll tiefer Rührung umher in die heitere, weit um uns verbreitete Welt. Welches Leben, welche Wirksamkeit in der ganzen Natur! sagtest du. Ewige Umschaffung, Verarbeitung, Veränderung und eine Kraft, die immer bleibt: denn nur das Bleibende kann sich verändern. Aber was sie ist, sie, welche die Räder des Ganzen zusammenhält, daß kein Theil sich aus seinen Fugen herausreißen darf, die den flüchtigen Geist mit Formen bekleidet und das Aufgelösete, nach Ruhe strebende, zu neuem Leben, neuer Thätigkeit zwingt? – Nur das, was sich verändert, können wir wahrnehmen, und das Bleibende müssen wir suchen, wie wir uns selbst finden, in seinen Wirkungen. In uns ist es das Gesetz, was ewig bleibt, aber es bedarf, um erkannt zu werden, des Stoffes, woran es sich übt. Wir erweitern unser innres Leben, je wirksamer wir in dem äusern sind. Laß uns Eduard, fuhrst du fort, und drücktest mir die Hand, dem großen guten All aus innigste angehören und unser Selbst nur in dem Ganzen wieder finden. Der Mensch fängt damit an, Alles von andern zu erwarten, und soll damit enden, Andern, so viel er kann zu gewähren. Es giebt eine Zeit, wo er sich unglücklich fühlt, wenn andre ihm nichts seyn wollen, und wieder eine andre, wo es ihm Bedürfniß ist, der Welt etwas zu seyn. Du hast den Weg bis dahin, natürlich und gut vollendet; ich gebe dich mit frohem Muth der Welt; und verlasse dich, weil du es werth bist, allein zu stehen. – Dies und noch vieles andre fällt mir ein, so oft ich den Berg besteige und ich liebe diese Erinnerung. – O! ich begreife dich wohl, edler Mensch! du sahest meine heiße Anhänglichkeit an dich, die hohe Bewundrung deiner seltnen Eigenschaften, und du glaubtest meine Eigenthümlichkeit könnte darunter leiden, das Lebendige, Wahre in mir könnte zu einer künstlichen nachgeahmten Tugend herabsinken, die immer unfruchtbar bleibt, so vortreflich auch ihr Vorbild seyn mag. Deshalb hättest du mich verlassen, auch wenn kein andrer Wirkungskreis deine Gegenwart verlangt hätte. Aber dein Bild wird nie aus dem Kreise meiner Ideen weichen, und in den Stunden des Sturms so wie in den Stunden der Weihe wird es wie ein freundlicher Genius vor meine Seele treten. Ja, du hast mich der Welt gegeben; ein heitres gutgebildetes Wesen steh ich vor ihr, und blicke mit Lust in die weite lebensvolle Sphäre hin, wo auch ich mitwirken soll und will. Eindrücke aller Art strömen mit Macht an mein Herz und ich schmachte vor Verlangen, dem großen ganzen durch Wort und That etwas von dem wieder zu geben, was es so wohlthätig in mir erweckte. Ich kann dir nicht beschrieben, Barton, wie sehr mich ein gewisses Selbstgefühl oft emporhebt und glücklich macht. So war ich gestern Abend in einer Gesellschaft junger Männer, die sich versammelt hatten, um fröhlich zu seyn. Wir hatten Musik, tranken, und die herrschende Idee eines jeden mahlte sich bald lebendiger und stärker im freien Gespräch. Barton! hier fühlte ich recht meine Werth! ich fühlte mich so voll innrer Kraft, reich an Erfindung eine ganze Welt zu beglücken, stark an Entschließung, trotz allen Verhältnissen, der Natur getreu zu leben. Ich sah um mich her – die meisten schienen mir kraftlos, künstlich, verstimmt – nicht Einer, der sich zu meinen Gefühlen hätte emporheben können. Mitleid und Stolz bestürmten mich wechselsweis; ich konnte es nicht aushalten. Hinaus in die freundliche Abendwelt lief ich, und an den feuchten Ufern des Stroms, wo nur die Abendwinde mitgeistigen Stimmen mich umsäuselten, da fand ich mich inniger, glücklicher wieder. Ich sank auf die Knie und küßte die Blumen und die Erde mit unendlicher Liebe und Seligkeit. – O! was sind alle Genüsse der Sinne gegen das Entzücken eines solchen Augenblicks! – Das Schicksal wollte mir für diesen Abend noch eine Freude gönnen. Ein dumpfes, unterbrochnes Geräusch störte meine Begeisterung. Es kam aus dem Wasser und ich entdeckt bald durch die Gesträuche etwas Lebendiges in dem Strom. Ein Knabe war es, der noch spät am Ufer geangelt hatte und unvorsichtig in die Flut hinabgegleitet war. Er kämpfte noch matt gegen die Wellen. Ich sprang sogleich hinein und brachte ihn, ohne Gefahr, leicht und glücklich ans Ufer. Seine Besinnung kehrte auf meine Bemühungen bald zurück und ich führte ihn zu seinen um ihn besorgten Ältern, deren Wohnung er mir beschrieb. Das Kind hatte ein interessantes Gesicht und selbst die Kühnheit, womit er sich heimlich an den Fluß geschlichen hatte, gefiel mir. Es freute mich doppelt, ihn gerettet zu haben. Hierauf gieng ich wieder an den Strom, entkleidete mich und tauchte von neuem in die kühle Flut. Der gewölbte Himmel mit Mond und allen leuchtenden Sternen stand in unermeslicher Tiefe unter mir im Wasser. Ich durchkreuzte die Fluren des Himmels und verwirrte der Sterne ewige Bahnen. Über mir, unter mir und in mir war Himmel.

Ein einziges thut mir weh, Barton, daß sich mein Vater so lange von mir trennt, daß ich in solchen Augenblicken nicht zu ihm eilen kann, zu ihm, dem ich mein ganzes Glück verdanke, und dem mein Anblick süsse Belohnung seyn müßte. – Jetzt erst fange ich an zu begreifen, wie er auf mich gewirkt hat. In vielem, wo ich sonst nur das planlose Spiel des Zufalls fand, ohne ich jetzt die unsichtbare Hand eines vernünftigen heitern Geistes, der die Umstände für mich so zusammenreihte. Mein Vater lehrte mich selten, er hielt mir nie langweilige Vorstellungen meiner Pflichten, die nur den Verstand berühren und das Herz unbewegt lassen. Nur durch Eindrücke suchte er mich zu bilden, und die Eigenthümlichkeit und Freiheit meines Gemüths blieb bei diesem Verfahren ungekränkt. Wenn ich in die Zeiten meiner Kindheit zurückgehe, welch’ eine lachende Welt mich von der Wiege an umfieng. Der heitre, glückliche Himmel, unter welchem ich gebohren ward, die frische, lebensvolle Gegend, die muntern fröhlichen Gesichter, die mich wie freundliche Genien schon im Flügelkleid umgaben – alles dieß hat eine Heiterkeit, einen Quell von Lebenslust in meine Brust gesenkt, die, wie ich hoffe, unversiegbar seyn werden. – Selbst das Zimmer, worinn ich lebte, der erste Schauplatz meiner Spiele und meiner Erfahrungen hat ein angenehmes Bild von Harmonie und Fröhlichkeit in mir zurückgelassen, und ich weiß noch sehr genau, welche Gemälde, welche Farben es zierten, welche Aussicht es gewährte. Mein Auge gewöhnte sich an heitre liebliche Formen und mein kindisches Herz war mit unsichtbarer Gewalt an das Schöne gebunden; ich unterließ das Schlechte, nicht weil es bös, sondern weil es häßlich war. So ward die Sinnlichkeit zuerst in mir gebildet und mir eine Freundin an ihr erzogen, bis ich älter ward und mein Verstand erwachte. Nur eine einzige Gestalt ragt mir aus jener Zeit zwar schön aber dunkel und unbefriedigend hervor. Es ist die Gestalt meiner Mutter, von der mir nichts als die Vorstellung einer erhabenschönen, großen Frau zurückgeblieben ist. Sie selbst verschwand mir in den ersten Jahren des Lebens, und bei aller Herzlichkeit, allem Vertrauen, das zwischen meinem Vater und mir herrscht, hat mir, so oft ich daran dachte, ihn hierüber um Aufschluß zu bitten, ein unbegreifliches Etwas die Zunge gebunden; und einen andern habe ich nie darum fragen mögen. Damals kümmerte mich ihr Verschwinden wenig. Von dem glücklichen Wahn erfüllt, daß man Alles lernen, Alles bezweifeln könne, war ich unerschöpflich in Fragen, und vielleicht ward meine Neugierde noch geflissentlich gereitzt. So lernte ich Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaft, Geschichte, mit unermüdeter Lust und dankbarem Gefühl, und der Baum der Erkenntniß schien mir nur süsse, liebliche Früchte zu tragen, bis ein reiferes Alter mir mit dem Gefühl meines beschränkten Wissens auch die bittern darreichte. Aber jetzt sollte ein neues Leben für mich anbrechen. Mein Vater, hieß es, müßte eine Reise in verschiedne Gegenden Europas thun und ich sollte ihn begleiten. Ich eilte froh in die Wirklichkeit zurück. Das große Bild menschlicher Thätigkeit wuchs vor meinen Augen immer mehr, wie der Raum um mich her. Unter der Menge neuer lebendiger Begriffe und Bilder verlohr ich das Andenken an mich selbst und suchte die Überzeugung meines Daseyns nur von fremden Wesen zu erfahren. Meine erwachende Phantasie umgab die Wirklichkeit mit ätherischem Licht; die Natur war mir hold; die Stralen der Kunst durchflogen meine Seele mit heiliger Ahnung, und eine neue Welt von Gestalten und Schöpfungen bildete sich in meinem Busen aus. Ich dachte nur so viel als nöthig war, um meine Freuden süsser und schmakhafter zu machen. So genoß ich, Glücklicher! alle Freuden der Jugend, von Phantasie, Geschmak und Gefühl zu allen Genüssen begleitet, und nur dann verlohren sie ihren Reiz für mich, wenn die Grazien sich von ihnen weggewandt hatten! – Freilich bin ich stolz geworden. Diesen Nacken hat noch kein Unglück gebeugt, immer hat ein günstiger Zufall mir, wenn ich nicht sorgte, die Hand geboten, und selten habe ich noch einen Wunsch verfehlt. Ja, ich traue mir Kraft genug zu, die Erfüllung meiner Wünsche, so hoch sie fliegen mögen, der Welt abzuzwingen, und mit dem Schicksal über meinen Beruf zum Glücke zu rechten. Aber Barton, mein Gefühl ist lebendig und gut; Menschen, die ich hasse, könnt eich beglücken du ich bedaure die, die ich verachten muß. Meine Leidenschaften sind heftig, ich weiß es, aber sie brechen sich in sanfte Farben, wie Regentropfen im Sonnenstral, vor dem allmächtigen Schönheitssinn, der mein ganzes Wesen durchdringt und emporhebt. – Und ist nicht dieser Sinn, wenn wir frei genug sind, ihn aufs Ganze zu verbreiten, und bis an seine Quellen zu verfolgen, das größte, heiligste in uns? – wie weit erhebt er uns über jene engherzige Sinnlichkeit! Diese schließt nur einen kleinen Zirkel um uns, wählt wankelmüthig bald dies, bald jenes, und alles Interesse, das sie an andre bindet, wird durch den Tod zerrissen. Aber jenes Gefühl, dessen heilige Rührung durch die ganze Gattung gefühlt wird, durch welches eine wahrhaft schöne Handlung, eine grosse Empfindung, die vor Jahrhunderten verübt und gefühlt wurde, und auf unser Wohl und Weh keinen Einfluß hat, göttliche Thränen des reinsten Wohlgefallens in unser Auge lockt – dies Gefühl entstand mit der Menschheit, erhielt sich und dauert fort.

Du siehst, mein Lieber, daß ich diene Auffoderung, dir viel, und viel von mir selbst zu schreiben, treulich in Erfüllung setze. Ich habe jetzt mehr als gewöhnlich über mich nachgedacht, und ich hoffe dies soll auch für andre nicht ohne Nutzen gewesen seyn. Ja, Barton, ich erwarte viel von mir selbst. In dieser jugendlichen Frohheit keimen gute Entschlüsse, und das Leben, das ich in mir fühle, soll eine wohlthätige Erscheinung werden und die Fackel der Thätigkeit auch in andern Wesen anzünden. Das Lebendige, wirkliche, dies seltsame unbegreifliche Etwas, ohne welches die edelsten Gesinnungen unfruchtbar bleiben und alle Kraft des Gedankens verschwindet, reitzt meine Sehnsucht und ich brenne vor Lust, mein eignes Daseyn durch That und Wort beglaubigt zu sehen.

Leb wohl, mein Freund, und laß mich bald von dir hören.

Zweiter Brief.

Eduard an Barton.

Ist es meine gegenwärtige Stimmung, oder der Reiz der Gegend, was mir diese Stadt so angenehm macht, daß ich sie ungern verlassen würde, selbst dann, wenn mir auch der genauere Umgang des vorteflichen Mannes, dem ich empfohlen bin, nicht so viel wahren Nutzen verschaffte? Ein unbeschreiblich glückliches Gefühl steht mit mir auf, winkt mir ins Freie, belebt mir jede Aussicht. Ich überlasse mich ganz meinen heitern geöfneten Sinnen. Das sprossende Gebüsch, die laue Luft, der muntre Vogel, der in den zarten Schatten fröhlich umher hüpft, alles hebt mein Herz höher und freudiger. Die meisten von den Stunden, die nicht wissenschaftliche Übungen einnehmen, sind der Tonkunst geweiht. Die Mitternacht findet mich oft im Genuß dieser bezauberten Welt und bin ich des Morgens wach, so locken mich die Töne meines Flügels oder meiner Laute, bald wieder zu neuen Harmonien hin.

Seit einigen Wochen ist auch Nanette Sensy hier angekommen. Sie hatte meine Anwesenheit sogleich erfahren und kam, anstatt mich zu sich rufen zu lassen, selbst zu mir. Wir waren seit mehrern Jahren getrennt gewesen, und unser Wiedersehen war so fröhlich, so herzlich, so kindlich, als du dir nur denken magst. Erinnerungen an das väterliche Haus, an unsre Jugendspiele, und eine lustige Verwunderung über jede kleine Veränderung, die wir an uns bemerkten, erfüllten die ersten Stunden, und seitdem vergeht kein Tag, wo wir nicht, allein oder in Gesellschaft, zusammen sind. Ich finde sie allerliebst und es ist mir herzlich wohl bey ihr. Sie ist, wo möglich, noch heitrer, muthwilliger, unbefangner geworden, als sie vor ihrer Verheurathung war. Da sie hier mehrere Verwandte hat, und ihr die Gegend gefällt, so gedenkt sie lange hier zu blieben, und will, wie sie sagt, ein Haus machen. Ihr einziges Kind, ein süßes Mädchen von sechs Jahren, ist bei ihr, und bei ihrem leichten Sinn und Liebe zum Genuß überrascht und freut es mich, daß sie das Kind so gern und so oft um sich hat. – Gestern hatten wir ganz in der Frühe, noch mit einigen Andern, eine Wallfahrt in ein ziemlich fern gelegnes Dorf gethan, dessen Lage sehr romantisch beschrieben wurde und es auch wirklich war. Nanette war sehr ermüdet und wollte sie noch übrigen Stunden des Tags allein seyn. Ich hingegen fühlte mich noch sehr munter, und da der Abend schön war, ließ ich mein Pferd satteln und suchte das Freie. Eine sanfte Sehnsucht nach menschlichem Anblick lockte mich auf die Landstraße, wo ich in jeden wagen, der mir begegnete, neugierig hineinsah, und aus den Mienen der Reisenden lustige Muthmaßungen auf ihren Stand, Charakter und Vorhaben wagte. In dem letzten, den ich sah – denn für die folgenden hatte ich kein Auge mehr – schlummerte in einer Ecke des Wagens eins der schönsten weiblichen Gesichter, die mir je vor Augen gekommen sind. Du weißt, wie ich mich von Schönheit allenthalben, wo und wie ich sie auch finde, unwiderstehlich angezogen fühle – wie mußte sie hier auf mich wirken, da sie mich für jeden Eindruck so offen fand! Ich wandte mein Pferd, der Wagen fuhr langsam und ich hatte Zeit, sie ruhig zu betrachten. Der Schlaf goß eine liebliche Unbestimmtheit über die zarten Züge, in denen kein herrschender Ausdruck sichtbar war, und mich dünkte, ein wahrhaft schönes Gesicht dürfe, wenn es nicht interessant werden soll, auch keinen anderen Ausdruck haben, als den von hoher Harmonie, welchen es von der Natur empfängt. – Die schöne Schläferinn erwachte endlich und mit ihr wandten meine Blicke sich unwillkührlich zu ihrem Begleiter hin, auf den ich zuvor gar nicht geachtet hatte. Es war ein schöner, obgleich älternder Mann. Sein Gesicht war wunderbar anziehend und zurückstossend. Ein milder Gram schien um die Augen zu schweben und flößte Zutrauen ein, während ein kaltes verächtliches Lächeln den Mund bewachte, und jenen Eindruck wieder zerstörte. Die Stirne sprach gebietende Hoheit und das Auge schien gewöhnt, in fremden Seelen zu lesen. Meine Blicke waren ihm lästig und ich selbst fühlte nun das Unschickliche meiner Neugierde. Ich nahm einen andern Weg, wo ich noch viel über die beiden träumte. Nie schienen mir zwei Geschöpfe so wenig zusammen zu passen wie diese, und der Gedanke, daß sie verheurathet seyn könnten, machte mich einige Augenblicke lang traurig. Aber der holde Eindruck des Schönen herrschte bald wieder rein und ungetrübt. – Schönheit gleicht in gewisser Beziehung dem Genie. Auch sie ist etwas Göttliches, und als ein reines Geschenk der Natur hat der freie Wille des Menschen keinen Theil daran. Was selbsterworbner Reitz des Betragnes nur langsam hervorbringt, ist bei ihr das Werk eines Augenblicks. Die angenehme Rührung, die mein Herz empfand, goß sich aus meinem Herzen über die ganze Natur. Die Abendsonne beglänzte mit unbeschreiblicher Klarheit die Wipfel der Bäume. Die ländlichen Häuser, die fröhlich durch die Büsche hervorsahen – die frischen Wiesen mit ihrem lebendigen Gewühl von Menschen und Thieren – die zarten Zweige der Birken, die langsam im Abendwind wehten, alles gab mir das Bild von Harmonie und Ruhe zurück, und athmete süsse Bedeutung. Ich kam nach Hause und wäre gern noch zu Nanetten geeilt, aber es war spät geworden, und wer weiß auch, ob sie mich diesmal verstanden hätte. Wie wohl war mir, daß ich in dir ein Wesen kannte, das mich immer versteht und verstehen will. – Ich bin so glücklich, mein Freund! – Mein einziger Wunsch ist, daß ich tausend Leben habe, alle Formen beleben, alle Verhältnisse durchirren, alle mögliche süsse Empfindungen geniessen könnte, und meine einzige Sorge, daß irgend eine Kraft ungeweckt in meiner Seele schlummere, irgend eine Lust ungenossen vor mir vorüber rauschen möchte!

Dritter Brief.

Amanda an Julien.

Ich bin dir nun wieder um vieles näher, meine Julie; ich habe den vaterländischen Boden wieder betreten. Auch mein Herz schlägt lebhafter für dich, seit es weiß, daß es nun bald in deiner Umarmung schlagen kann. Wen mehr als hundert Meilen trennten, dem scheint eine Entfernung von zwanzig nur ein unbedeutender Zwischenraum zu seyn, wenn auch nicht selten größere Schwierigkeiten sich hier in den Weg stellen, als bei jenem. – Ich freue mich darauf, dir, da ich hier sehr ruhig zu leben gedenke, von Zeit zu Zeit manches aus der Geschichte dieser letzten, wunderbar verflossnen Jahre nachholen zu können. Meine bisherigen flüchtigen Briefe müssen dir nur einen sehr unvollkommnen Abriß davon gegeben haben. Alles war mir neu, Gegend, Menschen, Verhältnisse, und ich gestehe dir, daß ich mich oft mit geheimem Vergnügen selbst daran erinnerte: ich stehe nun wirklich auf dem Schauplatz der Welt, den ich mir sonst in mancher stillen Jugendphantasie verworren geträumt hatte. Ja zuweilen schien das Gewühl von Menschen und der glänzende Schein, der mich umgab, meine Selbstheit ganz verschlungen zu haben und es kostete mir beinah Mühe zu glauben, daß ich jenes stille häuslich erzogene Mädchen sey, welches die Welt und die Menschen nur aus ihren Büchern kannte. Mein ganzes voriges Leben wich immer mehr in einen neblichten Hintergrund zurück, und selbst du, meine Julie, scheinst mir weniger unentbehrlich geworden zu seyn. Aber dann kam ein Brief von dir; du warst noch immer die Alte. Ganz und in Allem deinen vorigen Ideen getreu, lebtest du noch ungestört in jenem glücklichen Ländchen, das mir immer mehr zu verschwinden drohte. Mit dir erschienen die Geister aller vergangnen lieblichen Jugendscenen, und so waren deine Briefe das Band, das über Länder und Meer zu mir reichte, und mich an seidnen Fäden zu einem unversiegbaren Quell von Ruhe und milder Besonnenheit zurückführte. – Ach! ich hatte oft nöthig daraus zu schöpfen, wenn ich nicht unter den wechselnden Eindrücken von Lust und Schmerz, Neigung und Widerwillen, mich selbst und alle innre Harmonie auf ewig verlieren wollte. – Der erste Eintritt in das Haus meines Mannes, als wir unsre Reise vollendet hatten, überraschte mich auf das angenehmste. Der Glanz, den ich dort allenthalben herrschen sah, war mir neu und berauschte mich mit Vergnügen. Ich wiegte mich mit Lust auf den seidnen schwellenden Polstern, ich strich gern vor den Spiegelwänden vorüber, ich horchte mit Aufmerksamkeit auf das melodische Spiel einer Flötenuhr, welches die Stunden angenehm bezeichnete. Sobald auch die Lebhaftigkeit dieses Eindrucks verlosch, – denn das Auge gewöhnt sich an nichts so schnell als an Pracht, und nichts ermüdet so leicht als Bewundrung – so wußte doch Albret ihn durch Neuheit und Abwechselung immer wieder aufzufrischen. Er führte mich in eine Welt voll glänzenden Scheins, und munterte mich unaufhörlich auf, hier alle andre zu verdunkeln. Die Art, wie ich mich auf seine Bitten allenthalben zeigen mußte, war mir oft lästig, so sehr sie auch dem Geschmack und der Eitelkeit schmeichelt. Überall wo ich erschien, zog ich die Blicke der Neugierde auf mich, öfterer folgten selbst Frauen mir nach; besonders gab es Einige, die mich mit einer sonderbaren geheimnisvollen Theilnahme beobachteten. Einst, als wir aus einem glänzenden Zirkel zurückgekommen waren, wo diese mir, oder dem mich umgebenden Schimmer geweihte Aufmerksamkeit, ihren höchsten Gipfel erreicht zu haben schien, fiel mir Albret mit Zärtlichkeit um den Hals: „Süsses Weib, rief er mit Entzücken aus, wie sehr hast du mich zu deinem Schuldner gemacht! ich sehe es, ich bin durch dich gerächt!“ Diese Äuserung freute und betrübte mich. ich fühlte, daß ich sie nicht mir selbst, sondern einer geheimen, zufälligen Ursache zu danken hatte, und doch rührte es mich, ihn endlich einmal herzlich mit mir sprechen zu hören. „Lieber Albret, sagte ich und schmiegte mich sanft an seine Brust, wolltest du mich nur erst näher kennen lernen, so würdest du, wie ich hoffe, ganz andre Ursachen finden, mit mir zufrieden zu seyn, als diese, wovon ich mir nichts zueignen kann.“ –

Er sah mich einige Augenblicke lang mit zweifelhaftem Ausdruck an, und schien bewegt. Aber bald war es, als schämte er sich der menschlichen Regung, er verließ mich und blieb so verschlossen, wie vorher. Ach! Julie, wenn ich diesen sonderbaren Mann zuweilen Sätze aufstellen hörte, die meiner wohlwollenden Vorstellungsweise von Welt und Menschen Hohn sprachen, wenn ich sein kränkendes Mistrauen in die Menschen vergebens zu mildern versuchte und vor diesem verschloßnen Herzen ewig ohne Erhöhrung stand, dann ward mir meine Lage oft unerträglich und die Erinnerung an das Gute, das ich ihm verdankte, sank wie eine quälende Last auf mich! Freilich habe ich dies oft genug vergessen. Da meine Wünsche nie eigensinnig an einen einzigen Gegenstand gebunden, meine Sinne jedem Eindruck offen sind, so konnte es mir in meiner Lage an Zerstreuungen nicht fehlen. Nur das Verlangen, mich einer vertrauten Seele zu öffnen und mit ihr, in näherm Umgang, die eingesammelten Schätze gegenseitig umtauschen zu können, ließ sich nicht immer unterdrücken.

Und wo hätte ich dies Glück eher erwarten sollen, als bei Albret? – Aber ach! meine Julie, an welches unerklärliche furchtbare Wesen hat mich das Schicksal gebunden! – Du scheinst hiervon weniger überzeugt zu seyn, und eine schon oft geäuserte Vermuthung, daß meine Klagen über diese wenige Übereinstimmung mit Albret wohl überspannt seyn möchten, zwingt mich, die ein Geheimniß zu entdecken, das vielleicht bei mir auf ewig vergraben bleiben sollte. So bist das einzige Wesen auf der Welt, dem ich es anvertraue, das einzige, bei dem ich alle meine Sorgen niederlege.

Wie ich glaube, habe ich Dir in einem meiner vorigen Briefe von einem gewissen Markese geschrieben, der meine nähere Bekanntschaft sehr eifrig zu suchen schien. Bei dem zerstreuten und glänzenden Leben, das wir führten, ward es ihm nicht schwer, Zutritt zu finden und mich fast täglich zu sehen. Bald kam es zu einer Liebeserklärung, die in jenem feurigen Clima sehr schnell zur Reife zu kommen pflegen. Ich hörte sie ohne Entrüstung und ohne Vergnügen an. Ich schätze den Markese; seine Unterhaltung war mir, besonders seiner vielen Kenntnisse wegen, von grossem Werth; doch lieben konnte ich ihn nicht. Ich sagte ihm dies, er aber schien es nur halb zu glauben. „O! Sie werden mich lieben, rief er mit Innigkeit aus, meine Beharrlichkeit soll sie dazu zwingen. Die Natur will mein Leben, meine Erhaltung; ohne Liebe sterbe ich, und ich kann niemand lieben, als Sie.“ So viel ich auch dagegen einwandte, so überzeugte es ihn doch für den Augenblick nicht, und nur die Folge bewies zu seinem Schmerz die Gründlichkeit meiner Einwendungen. Ich gestehe Dir, daß ich mich selbst im Stillen über den Eigensinn meines Herzens wunderte. Der Markese war, dem allgemeinen Urtheil nach, ein schöner Mann, ich glaubte oft ein unverdorbnes, tiefes Gefühl bei ihm wahrzunehmen; und gleichwohl fehlte jener geheimnisvolle, harmonische Zug, ohne welchen mir jede Liebe gemein vorkam. Unser Umgang, den jedermann für ein Liebesverständniß hielt, dauerte auf diese Weise fort, ohne daß unser Glück sehr dabei gewonnen hätte. Die Wahrheit, mit der ich meinem Freund den Zustand meines Herzens mittheilte, schien ihn nur fester an mich zu binden. Er zerriß, zu seinem Nachtheil manches andre Verhältniß und fuhr fort, mir mit einer hartnäckigen Anhänglichkeit ergeben zu seyn. Albret schien von allem nichts zu wissen, er beschränkte unsern Umgang nicht legte durchaus keine Spuren seines Misfallens an den Tag.

Einst an einem lauen Abend war ich mit dem Markese allein im Garten, der unser Haus umgab. Der Mondschein und die laue Luft bewegten mein Herz auf eine sonderbare Weise. Was ich fühlte, war nicht Sehnsucht nach Vergangnem; es war eine Ahnung, Sehnsucht nach etwas Unbekanntem, etwas Unnennbares. Es schien mir, als müßte ich die ganze Welt mit Innbrunst, mit Liebe umfassen; nur das Nahe, Gegenwärtige war mir fremd. Auch der Markese war ungewöhnlich erschüttert, jedoch von ganz andern Gefühlen als ich. Wir giengen schweigend und unruhig durch die duftenden, sanft erhellten Hallen. „Wenn Sie nur liebten, rief er endlich mit schmerzlichem Ausdruck, wenn auch nicht mich! – aber Sie lieben nicht und werden ewig nicht glücklich seyn! – O! der bangende Schmerz diese Blume, die schönste, welche je die Natur hervorbrachte, ungenossen verblühen, dies vollendete Geschöpf in den Armen eines Mannes vergehen zu sehen, der kein Herz für seine Vortreflichkeit hat! – Die zarten Sprossen Deines Gefühls, fuhr er fort, und drückte mir schmerzlich die Hand, was ärndtest du anders von ihnen als Quaalen? Die sanften Flüge Deiner Phantasie – führen sie nicht treulos, an keinem Gegenstand haftend, Deine Lebenskraft mit sich hinweg? – und o! daß eine Zeit kommen wird, wo Du dies alles lebhafter, aber vergebens, mit ewiger Reue empfinden wirst!“ – Mir schauderte, indem er so sprach. Ich fühlte, daß eine Wahrheit in seinem Äuserungen lag, die ach! nur zu sehr mit meinen Eignen Empfindungen zusammentraf. Meine Gedanken strebten weit hinweg, und überall fanden sie eine unendliche Leere und kehrten quälender zurück. Ich träumte ohne Gegenstand und wußte es kaum, daß wir in einer Laube uns niedergesetzt hatten, und daß der Markese, von seinem Herzen überwältigt, vor mir niedergesunken war, und mich mit einem Arm umschlungen hielt. In diesem Augenblick trat Albret vor uns hin. Er fuhr zurück, doch war er bald gefaßt. „Gut, sagte er, mit kaltem aber schneidendem Ton, ich habe es erwartet.“ Und hierauf, als wäre nichts geschehen, verschwand er in einem Seitengang. Der Markese sprang auf; er drückte mich noch einmal mit Heftigkeit an sich; dann trennten wir uns schweigend und beängstigt. Ich suchte Albret auf seinem Zimmer; ich wünschte so sehnlich, ihm den wahren Zusammenhang entdecken zu können. Er war nicht da, und als ich ihn am andern Morgen wieder sah, blickte er mich so kalt und entfernend an, daß es unmöglich war, diese Scheidewand hinwegzuschieben. Ich war noch bei ihm, als man uns die Nachricht brachte, daß der Markese den vorigen Abend, nicht weit von unserm Garten, noch mit dem Dolch im Busen todtgefunden worden sey. Todesschauer überfiel mich bei dieser Nachricht und ein gräßlicher Argwohn zuckte mir wie ein Dolchstich durch die Seele. Albret, rief ich aus mit leichenblassem Gesicht und bebender Stimme. Mein Mann heftete einen langen festen Blick auf mich, und schien den schrecklichen Gedanken ohne große Befremdung in meiner Seele zu lesen. Es lag etwas furchtbares in seinem Blick, aber auch eine gewisse Hoheit, der ich nicht wiederstehen konnte. Unsre Abreise erfolgte bald darauf, und ich bleib in dieser schauderhaften Ungewissheit, deren Qualen nur durch die Veränderung der Gegenstände, durch meine leichte Sinnesart und daß keine von Albrets nachherigen Handlungen diesen Verdacht bestätigt hat, gemildert worden sind. Doch, ich frage Dich selbst, ob mir nicht, wenn ich darüber nachdenke, immer Gründe genug zu ängstlichen, entfernenden Zweifeln in Albrets Charakter übrig bleiben? – Was soll ich von diesem geheimnisvollen Wesen denken? Ist vielleicht diese erhabne in allen Fällen bewiesene Haltung, ein Beweis, daß ihm seine schrecklichen Grundsätze zur Natur geworden sind?

Ich verlasse Dich, um mich zu zerstreuen, und will diese Gedanken so viel als möglich aus meiner Seele zu verbannen streben. Wollte ich ihnen nachhängen, so könnte alle Ruhe und aller Glaube an die Menschheit leicht auf ewig daraus scheiden.

(Die Fortsetzung folgt.)

"]"]