HomeDie Horen1795 - Stück 2I. Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. Fortsetzung. [Johann Wolfgang von Goethe]

I. Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. Fortsetzung. [Johann Wolfgang von Goethe]

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Fortsetzung.

Abends nach Tische als die Baronesse zeitig in ihr Zimmer gegangen war, blieben die übrigen beysammen, und sprachen über mancherley Nachrichten, die eben einliefen, über Gerüchte, die sich verbreiteten. Man war dabey, wie es gewöhnlich in solchen Augenblicken zu geschehen pflegt, in Zweifel was man glauben und was man verwerfen sollte.

Der alte Hausfreund sagte darauf: ich finde am bequemsten, daß wir dasjenige glauben, was uns angenehm ist, ohne Umstände das verwerfen, was uns unangenehm wäre, und daß wir übrigens wahr seyn lassen, was wahr sein kann.

Man machte die Bemerkung, daß der Mensch auch gewöhnlich so verfahre, und durch einige Wendung des Gesprächs kam man auf die entschiedene Neigung unsrer Natur das Wunderbare zu glauben; man redete vom Romanhaften, vom Geisterhaften und als der Alte einige gute Geschichten dieser Art künftig zu erzählen versprach, versetzte Fräulein Luise: Sie wären recht artig und würden vielen Dank verdienen, wenn Sie uns gleich, da wir eben in der rechten Stimmung beysammen sind, eine solche Geschichte vortrügen, wir würden aufmerksam zuhören und Ihnen dankbar seyn.

Ohne sich lange bitten zu lassen, fing der Geistliche darauf mit folgenden Worten an:

Als ich mich in Neapel aufhielt, begegnete daselbst eine Geschichte, die großes Aufsehen erregte, und worüber die Urtheile sehr verschieden waren. Die einen behaupteten, sie sey völlig ersonnen, die andern, sie sey wahr, aber es stecke ein Betrug dahinter. Diese Parthey war wieder unter einander selbst uneinig; sie stritten wer dabey betrogen haben könnte; andere behaupteten: es sey keineswegs ausgemacht, daß geistige Naturen nicht sollten auf Elemente und Körper wirken können, und man müsse nicht jede wunderbare Begebenheit ausschließlich entweder für Lüge oder Trug erklären. Nun zur Geschichte selbst.

Eine Sängerin, Antonelli genannt, war zu meiner Zeit der Liebling des neapolitanischen Publikums. In der Blüte ihrer Jahre, ihrer Figur, ihrer Talente fehlte ihr nichts, wodurch ein Frauenzimmer die Menge reitzt und lockt, und eine kleine Anzahl Freunde entzückt und glücklich macht. Sie war nicht unempfindlich gegen Lob und Liebe; allein von Natur mäßig und verständig wußte sie die Freuden zu genießen, die beyde gewähren, ohne daß sie dabey aus der Fassung kam, die ihr in ihrer Lage so nöthig war. Alle jungen, vornehmen, reichen Leute drängten sich zu ihr, nur wenige nahm sie auf; und wenn sie bey der Wahl ihrer Liebhaber meist ihren Augen und ihrem Herzen folgte, so zeigte sie doch bey allen kleinen Abentheuern einen festen, sichern Charakter, der jeden genauen Beobachter für sie einnehmen mußte. Ich hatte Gelegenheit, sie einige Zeit zu sehen, indem ich mit einem ihrer Begünstigten in nahem Verhältnisse stand.

Verschiedne Jahre waren hingegangen, sie hatte Männer genug kennen gelernt und unter ihnen viele Gecken, schwache und unzuverläßige Menschen. Sie glaubte bemerkt zu haben, daß ein Liebhaber, der in einem gewissen Sinne dem Weibe alles ist, gerade da, wo sie eines Beystandes am nöthigsten bedürfte, bey Vorfällen des Lebens, häuslichen Angelegenheiten, bey augenblicklichen Entschließungen meistentheils zu nichts wird, wenn er nicht gar seiner Geliebten, indem er nur an sich selbst denkt, schadet, und aus Eigenliebe ihr das Schlimmste zu rathen, und sie zu den gefährlichsten Schritten zu verleiten sich gedrungen fühlt.

Bey ihren bisherigen Verbindungen war ihr Geist meistentheils unbeschäftigt geblieben; auch dieser verlangte Nahrung. Sie wollte endlich einen Freund haben und kaum hatte sie dieses Bedürfniß gefühlt, so fand sich unter denen, die sich ihr zu nähern suchten, ein junger Mann, auf den sie ihr Zutrauen warf, und der es in jedem Sinne zu verdienen schien.

Es war ein Genueser, der sich um diese Zeit, einiger wichtigen Geschäfte seines Hauses wegen, in Neapel aufhielt. Bey einem sehr glücklichen Naturell hatte er die sorgfältigste Erziehung genossen. Seine Kenntnisse waren ausgebreitet, sein Geist wie sein Körper vollkommen ausgebildet; sein Betragen konnte für ein Muster gelten, wie einer, der sich keinen Augenblick vergißt, sich doch immer in andern zu vergessen scheint. Der Handelsgeist seiner Geburtsstadt ruhete auf ihm; er sah das, was zu tun war, im Großen an. Doch war seine Lage nicht die glücklichste; sein Haus hatte sich in einige höchst gefährliche Spekulationen eingelassen, und war in gefährliche Prozesse verwickelt. Die Angelegenheiten verwirrten sich mit der Zeit noch mehr, und die Sorge, die er darüber empfand, gab ihm einen äußern Anstrich von Traurigkeit, der ihm sehr wohl anstand, und der unserm jungen Frauenzimmer noch mehr Muth machte, seine Freundschaft zu suchen, weil sie zu fühlen glaubte, daß er selbst einer Freundin bedürfe.

Er hatte sie nur bisher an öffentlichen Orten und bey Gelegenheit gesehen; sie vergönnte ihm nunmehr auf seine erste Anfrage den Zutritt in ihrem Hause, ja sie lud ihn recht dringend ein und er verfehlte nicht zu kommen.

Sie versäumte keine Zeit, ihm ihr Zutrauen und ihren Wunsch zu entdecken. Er war verwundert und erfreut über ihren Antrag. Sie bat ihn inständig ihr Freund zu bleiben, und keine Anforderungen eines Liebhabers zu machen. Sie eröffnete ihm eine Verlegenheit, in der sie sich eben befand, und worüber er bey seinen mancherley Verhältnissen den besten Rath geben, und die schleunigste Einleitung zu ihrem Vortheil machen konnte. Er vertraute ihr dagegen seine Lage, und indem sie ihn zu erheitern und zu trösten wußte, indem sich in ihrer Gegenwart manches entwickelte, was sonst bey ihm nicht so früh erwacht wäre, schien sie auch seine Rathgeberin zu seyn, und eine wechselseitige auf die edelste Achtung, auf das schönste Bedürfniß gegründete Freundschaft hatte sich in kurzem zwischen ihnen befestigt.

Nur leider überlegt man bey Bedingungen die man eingeht, nicht immer, ob sie möglich sind. Er hatte versprochen nur Freund zu seyn, keine Ansprüche auf die Stelle eines Liebhabers zu machen, und doch konnte er sich nicht läugnen, daß ihm die von ihr begünstigten Liebhaber überall im Wege, höchst zuwider, ja ganz und gar unerträglich waren. Besonders fiel es ihm höchst schmerzlich auf, wenn ihn seine Freundin von den guten und bösen Eigenschaften eines solchen Mannes oft launig unterhielt, alle Fehler des Begünstigten genau zu kennen schien, und doch noch vielleicht selbigen Abend, gleichsam zum Spott des werthgeschäzten Freundes, in den Armen eines Unwürdigen ausruhte.

Glücklicher oder unglücklicher Weise geschah es bald; daß das Herz der Schönen frey wurde. Ihr Freund bemerkte es mit Vergnügen, und suchte ihr vorzustellen, daß der erledigte Platz ihm vor allen andern gebühre. Nicht ohne Widerstand und Widerwillen gab sie seinen Wünschen Gehör; ich fürchte, sagte sie, daß ich über dieser Nachgiebigkeit das Schätzbarste auf der Welt, einen Freund verliere. Sie hatte richtig geweissagt; denn kaum hatte er eine Zeitlang in seiner doppelten Eigenschaft bey ihr gegolten, so fingen seine Launen an, beschwerlicher zu werden; als Freund forderte er ihre ganze Achtung, als Liebhaber ihre ganze Neigung und als ein verständiger und angenehmer Mann unausgesetzte Unterhaltung. Dieß aber war keineswegs nach dem Sinne des lebhaften Mädchens; sie konnte sich in keine Aufopferung finden, und hatte nicht Lust irgend jemand ausschließliche Rechte zuzugestehen. Sie suchte daher auf eine zarte Weise seine Besuche nach und nach zu verringern, ihn seltner zu sehen und ihn fühlen zu lassen, daß sie um keinen Preis der Welt ihre Freyheit weggebe.

Sobald er es merkte, fühlte er sich vom größten Unglück betroffen und leider befiehl ihn dieses Unheil nicht allein: seine häuslichen Angelegenheiten fingen an äußerst schlimm zu werden. Er hatte sich dabey den Vorwurf zu machen, daß er von früher Jugend an sein Vermögen als eine unerschöpfliche Quelle angesehen, daß er seine Handelsangelegenheiten versäumt, um auf Reisen und in der großen Welt eine vornehmere und reichere Figur zu spielen, als ihm seine Geburt und sein Einkommen gestatteten. Die Prozesse, auf die er seine Hoffnung setzte, gingen langsam und waren kostspielig. Er musste deshalb einigemal nach Palermo und während seiner letzten Reise machte das kluge Mädchen verschiedene Einrichtungen, um ihrer Haushaltung eine andere Wendung zu geben, und ihn nach und nach von sich zu entfernen. Er kam zurück, und fand sie in einer andern Wohnung, entfernt von der seinigen, und sah den Markese von S. der damals auf die öffentlichen Lustbarkeiten und Schauspiele großen Einfluss hatte, vertraulich bey ihr aus und eingehen. Dieß überwältigte ihn, und er fiel in eine schwere Krankheit. Als die Nachricht davon zu seiner Freundin gelangte, eilte sie zu ihm, sorgte für ihn, richtete seine Aufwartung ein, und als ihr nicht verborgen blieb, daß seine Casse nicht zum besten bestellt war, ließ sie eine ansehnliche Summe zurück, die hinreichend war ihn auf einige Zeit zu beruhigen.

Durch die Anmaßung ihre Freyheit einzuschränken hatte der Freund schon viel in ihren Augen verloren, und wie ihre Neigung zu ihm abnahm, hatte ihre Aufmerksamkeit auf ihn zugenommen, und die Entdeckung, daß er in seinen eigenen Angelegenheiten so unklug gehandelt habe, gab ihr nicht die günstigsten Begriffe von seinem Verstande und seinem Charakter. Indessen bemerkte er die große Veränderung nicht, die in ihr vorgegangen war, vielmehr schien ihre Sorgfalt für seine Genesung, die Treue, womit sie halbe Tage lang an seinem Lager aushielt, mehr ein Zeichen ihrer Freundschaft und Liebe als ihres Mitleids zu seyn und er hofte nach seiner Genesung in alle Rechte wieder eingesetzt zu werden.

Wie sehr irr’te er sich! In der Maße, wie seine Gesundheit wieder kam und seine Kräfte sich erneuerten, verschwand bey ihr jede Art von Neigung und Zutrauen, ja er schien ihr so lästig, als er ihr sonst angenehm gewesen war. Auch war seine Laune, ohne daß er es selbst bemerkte, während dieser Begebenheiten höchst bitter und verdrießlich geworden; alle Schuld, die er an seinem Schicksal haben konnte, warf er auf andere und wußte sich in allem völlig zu rechtfertigen. Er sah in sich nur einen unschuldig verfolgten, gekränkten, betrübten Mann und hoffte völlige Entschädigung alles Übels und aller Leiden von einer vollkommenen Ergebenheit seiner Geliebten.

Mit diesen Anforderungen trat er gleich in den ersten Tagen hervor, als er wieder ausgehen und sie besuchen konnte. Er verlangte nichts weniger, als daß sie sich ihm ganz ergeben, ihre übrigen Freunde und Bekannten verabschieden, das Theater verlassen, und ganz allein mit ihm und für ihn leben sollte. Sie zeigte ihm die Unmöglichkeit seine Forderungen zu bewilligen, erst auf eine scherzhafte, dann auf eine ernsthafte Weise und war leider endlich genöthigt ihm die traurige Wahrheit, daß ihr Verhältniß gänzlich vernichtet sey, zu gestehen. Er verließ sie um sie nicht wieder zu sehen.

Er lebte noch einige Jahre in einem sehr eingeschränkten Kreise, oder vielmehr blos in der Gesellschaft einer alten, frommen Dame, die mit ihm in einem Hause wohnte, und sich von wenigen Renten erhielt. In dieser Zeit gewann er den einen Prozeß und bald darauf den andern; allein seine Gesundheit war untergraben und das Glück seines Lebens verloren. Bey einem geringen Anlaß fiel er abermals in eine schwere Krankheit; der Arzt kündigte ihm den Tod an. Er vernahm sein Urtheil ohne Widerwillen, nur wünschte er seine schöne Freundin noch Einmal zu sehen. Er schickte seinen Bedienten zu ihr, der sonst in glücklichern Zeiten manche günstige Antwort gebracht hatte. Er ließ sie bitten; sie schlug es ab. Er schickte zum zweytenmal und ließ sie beschwören; sie beharrte auf ihrem Sinne. Endlich, es war schon tief in der Nacht, sendete er zum drittenmal; sie ward bewegt und vertraute mir ihre Verlegenheit, denn ich war eben mit dem Markese und einigen andern Freunden bey ihr zum Abendessen. Ich rieth ihr und bat sie dem Freunde den letzten Liebesdienst zu erzeigen; sie schien unentschlossen, aber nach einigem Nachdenken nahm sie sich zusammen. Sie schickte den Bedienten mit einer abschläglichen Antwort weg und er kam nicht wieder.

Wir saßen nach Tische in einem vertrauten Gespräch und waren alle heiter und guten Muths. Es war gegen Mitternacht, als sich auf einmal, mitten unter uns, eine klägliche, durchdringende, ängstliche und lange nachtönende Stimme hören ließ. Wir fuhren zusammen, sahen einander an und sahen uns um, was aus diesem Abentheuer werden sollte. Die Stimme schien an den Wänden zu verklingen, wie sie aus der Mitte des Zimmers hervorgedrungen war. Der Markese stand auf und sprang ans Fenster, und wir andern bemühten uns um die Schöne, welche ohnmächtig da lag. Sie kam erst langsam zu sich selbst. Der eifersüchtige und heftige Italiener sah kaum ihre wieder aufgeschlagenen Augen, als er ihr bittre Vorwürfe machte. Wenn Sie mit Ihren Freunden Zeichen verabreden, sagte er, so lassen Sie doch solche weniger auffallend und heftig seyn. Sie antwortete ihm mit ihrer gewöhnlichen Gegenwart des Geistes, daß, da sie jedermann und zu jeder Zeit bey sich zu sehen das Recht habe, sie wohl schwerlich solche traurige und schreckliche Töne zur Vorbereitung angenehmer Stunden wählen würde.

Und gewiß, der Ton hatte etwas unglaublich schreckhaftes. Seine langen nachdröhnenden Schwingungen waren uns allen in den Ohren, ja in den Gliedern geblieben. Sie war blaß, entstellt und immer der Ohnmacht nahe; wir mussten die halbe Nacht bey ihr bleiben. Es ließ sich nichts weiter hören. Die andere Nacht dieselbe Gesellschaft, nicht so heiter als Tags vorher, aber doch gefaßt genug, und – um dieselbige Zeit derselbe gewaltsame, fürchterliche Ton.

Wir hatten indessen über die Art des Schreyes und wo er herkommen möchte, unzählige Urtheile gefällt, und unsre Vermuthungen erschöpft. Was soll ich weitläuftig seyn? So oft sie zu Hause aß, ließ er sich um dieselbige Zeit vernehmen und zwar, wie man bemerken wollte, manchmal stärker, manchmal schwächer. Ganz Neapel sprach von diesem Vorfall. Alle Leute des Hauses, alle Freunde und Bekannte nahmen den lebhaftesten Theil daran, ja die Polizey ward aufgerufen. Man stellte Spione und Beobachter aus. Denen auf der Gasse schien der Klang aus der freyen Luft zu entspringen, und in dem Zimmer hörte man ihn auf das deutlichste. So oft sie auswärts aß, vernahm man nichts; so oft sie zu Hause war, ließ sich der Ton hören.

Aber auch außer dem Haus blieb sie nicht ganz von diesem bösen Begleiter verschont. Ihre Anmuth hatte ihr den Zutritt in die ersten Häuser geöffnet. Sie war als eine gute Gesellschafterin überall willkommen und sie hatte sich, um dem bösen Gaste zu entgehen, angewöhnt, die Abende außer dem Hause zu seyn.

Ein Mann, durch sein Alter und seine Stelle ehrwürdig, führte sie eines Abends in seinem Wagen nach Hause. Als sie vor ihrer Thüre von ihm Abschied nimmt, entsteht der Klang zwischen ihnen beyden, und man hebt diesen Mann, der so gut wie tausend andere die Geschichte wußte, mehr tot als lebendig in seinen Wagen.

Ein andermal fährt ein junger Tenor, den sie wohl leiden konnte, mit ihr Abends durch die Stadt eine Freundin zu besuchen. Er hatte von diesem seltsamen Phänomen reden hören und zweifelte, als ein muntrer Knabe, an einem solchen Wunder. Sie sprachen von der Begebenheit. Ich wünschte doch auch, sagte er, die Stimme Ihres unsichtbaren Begleiters zu hören: rufen Sie ihn doch auf, wir sind ja zu Zweyen, und werden uns nicht fürchten. Leichtsinn oder Kühnheit, ich weiß nicht, was sie vermochte, genug sie ruft dem Geiste, und in dem Augenblicke entsteht mitten im Wagen der schmetternde Ton, läßt sich dreymal schnell hinter einander gewaltsam hören und verschwindet mit einem bänglichen Nachklang. Vor dem Hause ihrer Freundin fand man beyde ohnmächtig im Wagen, nur mit Mühe brachte man sie wieder zu sich, und vernahm, was ihnen begegnet sey.

Die Schöne brauchte einige Zeit sich zu erholen. Dieser immer erneuerte Schrecken griff ihre Gesundheit an und das klingende Gespenst schien ihr einige Frist zu verstatten, ja sie hofte sogar, weil es sich lange nicht wieder hören ließ, endlich völlig davon befreyt zu seyn. Allein diese Hoffnung war zu frühzeitig.

Nach geendigtem Carneval unternahm sie mit einer Freundin und einem Kammermädchen eine kleine Lustreise. Sie wollte einen Besuch auf dem Lande machen; es war Nacht ehe sie ihren Weg vollenden konnten, und da noch am Fuhrwerk etwas zerbrach, mußten sie in einem schlechten Wirthshaus übernachten und sich so gut als möglich einrichten.

Schon hatte die Freundin sich niedergelegt und das Kammermädchen, nachdem sie das Nachtlicht angezündet hatte, wollte eben zu ihrer Gebieterin ins andre Bett steigen, als diese scherzend zu ihr sagte: wir sind hier am Ende der Welt und das Wetter ist abscheulich; sollte er uns wohl hier finden können? Im Augenblick ließ er sich hören, stärker und fürchterlicher als jemals. Die Freundin glaubte nicht anders als die Hölle sey im Zimmer, sprang aus dem Bette, lief wie sie war, die Treppe hinunter und rief das ganze Haus zusammen. Niemand that diese Nacht ein Auge zu. Allein es war auch das letztemal daß sich der Ton hören ließ, nur hatte der ungebetene Gast bald eine andere lästigere Weise seine Gegenwart anzuzeigen.

Einige Zeit hatte er Ruhe gehalten als auf einmal Abends zur gewöhnlichen Stunde, da sie mit ihrer Gesellschaft zu Tische saß, ein Schuß, wie aus einer Flinte oder stark geladenen Pistole, zum Fenster herein fiel. Alle hörten den Knall, alle sahen das Feuer, aber bey näherer Untersuchung fand man die Scheibe ohne die mindeste Verletzung. Demohngeachtet nahm die Gesellschaft den Vorfall sehr ernsthaft, und alle glaubten, daß man der Schönen nach dem Leben stehe. Man eilt nach der Polizey, man untersucht die benachbarten Häuser und da man nichts verdächtiges findet, stellt man darin den andern Tag Schildwachen von oben bis unten. Man durchsucht genau das Haus worinn sie wohnt, man vertheilt Spione auf der Straße.

Alle diese Vorsicht war vergebens. Drey Monate hinter einander fiel in demselbigen Augenblicke der Schluß durch dieselbe Fensterscheibe, ohne das Glas zu verletzen, und, was merkwürdig war, immer genau eine Stunde vor Mitternacht, da doch gewöhnlich in Neapel nach der italienischen Uhr gezählt wird und Mitternacht daselbst eigentlich keine Epoke macht.

Man gewöhnte sich endlich an diese Erscheinung wie an die vorige, und rechnete dem Geiste seine unschädliche Tücke nicht hoch an. Der Schluß fiel manchmal ohne die Gesellschaft zu erschrecken, oder sie in ihrem Gespräch zu unterbrechen.

Eines Abends, nach einem sehr warmen Tage, öffnete die Schöne, ohne an die Stunde zu denken, das bewußte Fenster und trat mit dem Markese auf den Balkon. Kaum standen sie einige Minuten draussen, als der Schluß zwischen ihnen beyden durchfiel und sie mit Gewalt rückwärts in das Zimmer schleuderte, wo sie ohnmächtig auf den Boden taumelten. Als sie sich wieder erholt hatten, fühlte er auf der linken, sie aber auf der rechten Wange den Schmerz einer tüchtigen Ohrfeige und da man sich weiter nicht verletzt fand, gab der Vorfall zu mancherley scherzhaften Bemerkungen Anlaß.

Von der Zeit an ließ sich dieser Schall im Hause nicht wieder hören und sie glaubte nun endlich ganz von ihrem unsichtbaren Verfolger befreyt zu seyn, als auf einem Wege, den sie Abends zu einer Freundin machte, ein unvermuthetes Abentheuer sie nochmals auf das gewaltsamste erschreckte. Ihr Weg ging durch die Chiaia, wo ehemals der geliebte genuesische Freund gewohnt hatte. Es war heller Mondschein. Eine Dame, die bey ihr saß, fragte: ist das nicht das Haus, in welchem der Herr * gestorben ist? Es ist eins von diesen beyden, so viel ich weiß, sagte die Schöne, und in dem Augenblick fiel aus einem dieser beyden Häuser der Schluß und drang durch den Wagen durch. Der Kutscher glaubte angegriffen zu seyn und fuhr mit aller möglichen Geschwindigkeit fort. An dem Orte ihrer Bestimmung hob man die beyden Frauen für todt aus dem Wagen.

Aber dieser Schrecken war auch der letzte. Der unsichtbare Begleiter änderte seine Methode und nach einigen Abenden erklang vor ihren Fenstern ein lautes Händeklatschen. Sie war als beliebte Sängerin und Schauspielerin diesen Schall schon mehr gewohnt. Er hatte an sich nichts schreckliches und man konnte ihn eher einem ihrer Bewunderer zuschreiben. Sie gab wenig darauf acht. Ihre Freunde waren aufmerksamer und stellten, wie das vorigemal, Posten aus. Sie hörten den Schall, sahen aber vor wie nach niemand, und die meisten hofften nun bald auf ein völliges Ende dieser Erscheinungen.

Nach einiger Zeit verlohr sich auch dieser Klang und verwandelte sich in angenehmere Töne. Sie waren zwar nicht eigentlich melodisch, aber unglaublich angenehm und lieblich. Sie schienen den genauesten Beobachtern von der Ecke einer Querstraße her zu kommen, im leeren Luftraume bis unter das Fenster hinzuschweben und dann dort auf das Sanfteste zu verklingen. Es war als wenn ein himmlischer Geist durch ein schönes Präludium aufmerksam auf eine Melodie machen wollte, die er eben vorzutragen im Begriff sey. Auch dieser Ton verschwand endlich und ließ sich nicht mehr hören, nachdem die ganze wunderbare Geschichte etwa anderthalb Jahre gedauert hatte.

Als der Erzähler einen Augenblick inne hielt, fing die Gesellschaft an ihre Gedanken und Zweifel über diese Geschichte zu äussern, ob sie wahr sey, ob sie auch wahr seyn könne?

Der Alte behauptete, sie müsse wahr seyn, wenn sie interessant seyn solle: denn für eine erfundene Geschichte habe sie wenig Verdienst. Jemand bemerkte darauf: es scheine sonderbar, daß man sich nicht nach dem abgeschiedenen Freunde und nach den Umständen seines Todes erkundigt, weil doch daraus vielleicht einiges zur Aufklärung der Geschichte hätte genommen werden können.

Auch dieses ist geschehen, versetzte der Alte: ich war selbst neugierig genug gleich nach der ersten Erscheinung in sein Haus zu gehen, und unter einem Vorwand die Dame zu besuchen, welche zuletzt recht mütterlich für ihn gesorgt hatte. Sie erzählte mir, daß ihr Freund eine unglaubliche Leidenschaft für das Frauenzimmer gehegt habe, daß er die letzte Zeit seines Lebens fast allein von ihr gesprochen und sie bald als einen Engel, bald als einen Teufel vorgestellt habe.

Als seine Krankheit überhand genommen, habe er nichts gewünscht als sie vor seinem Ende noch einmal zu sehen, wahrscheinlich in der Hoffnung, nur noch eine zärtliche Äusserung, eine Reue oder sonst irgend ein Zeichen der Liebe und Freundschaft von ihr zu erzwingen. Desto schrecklicher sey ihm ihre anhaltende Weigerung gewesen und sichtbar habe die letzte entscheidende abschlägliche Antwort sein Ende beschleunigt. Verzweifelnd habe er ausgerufen: nein, es soll ihr nichts helfen! Sie vermeidet mich; aber auch nach meinem Tod soll sie keine Ruhe vor mir haben. Mit dieser Heftigkeit verschied er und nur zu sehr mußten wir erfahren, daß man auch jenseits des Grabes Wort halten könne.

Die Gesellschaft fing aufs neue an über die Geschichte zu meynen und zu urtheilen. Zuletzt sagte der Bruder Fritz: ich habe einen Verdacht, den ich aber nicht eher äussern will, als bis ich nochmals alle Umstände in mein Gedächtniß zurück gerufen und meine Combinationen besser geprüft habe.

Als man lebhafter in ihn drang, suchte er einer Antwort dadurch auszuweichen, daß er sich erbot, gleichfalls eine Geschichte zu erzählen, die zwar der vorigen an Interesse nicht gleiche, aber doch auch von der Art sey, daß man sie niemals mit völliger Gewißheit habe erklären können.

Bey einem wackern Edelmann, meinem Freunde, der ein altes Schloß mit einer starken Familie bewohnte, war eine Waise erzogen worden, die, als sie herangewachsen und vierzehn Jahr alt war, meist um die Dame vom Hause sich beschäftigte und die nächsten Dienste ihrer Person verrichtete. Man war mit ihr wohl zufrieden und sie schien nichts weiter zu wünschen, als durch Aufmerksamkeit und Treue ihren Wohlthätern dankbar zu seyn. Sie war wohlgebildet, und es fanden sich einige Freyer um sie ein. Man glaubte nicht, daß eine dieser Verbindungen zu ihrem Glück gereichen würde, und sie zeigte auch nicht das mindeste Verlangen ihren Zustand zu ändern.

Auf einmal begab sich’s, daß man, wenn das Mädchen in dem Hause Geschäfts halber herumging, unter ihr, hier und da, pochen hörte. Anfangs schien es zufällig, aber da das Klopfen nicht aufhörte und beynahe jeden ihrer Schritte bezeichnete, ward sie ängstlich und traute sich kaum, aus dem Zimmer der gnädigen Frau heraus zu gehen, als in welchem sie allein Ruhe hatte.

Diesen Pochen ward von jedermann vernommen, der mit ihr ging oder nicht weit von ihr stand. Anfangs scherzte man darüber, endlich aber fing die Sache an unangenehm zu werden. Der Herr vom Hause, der von einem lebhaften Geist war, untersuchte nun selbst die Umstände. Man hörte das Pochen nicht eher, als bis das Mädchen ging, und nicht sowohl indem sie den Fuß aufsetzte, als indem sie ihn zum Weiterschreiten aufhob. Doch fielen die Schläge manchmal unregelmäßig und besonders waren sie sehr stark wenn sie quer über einen großen Saal den Weg nahm.

Der Hausvater hatte eines Tages Handwerksleute in der Nähe und ließ, da das Pochen am heftigsten war, gleich hinter ihr einige Dielen aufreissen. Es fand sich nichts, ausser daß bey dieser Gelegenheit ein paar grosse Ratten zum Vorschein kamen, deren Jagd viel Lerm im Hause verursachte.

Entrüstet über diese Begebenheit und Verwirrung griff der Hausherr zu einem strengen Mittel, nahm seine gröste Hetzpeitsche von der Wand und schwur, daß er das Mädchen bis auf den Tod prügeln wolle, wenn sich noch ein einzigmal das Pochen hören liesse. Von der Zeit an ging sie ohne Anfechtung im ganzen Hause herum, und man vernahm von dem Pochen nichts weiter.

Woraus man denn deutlich sieht, fiel Luise ein, daß das schöne Kind sein eignes Gespenst war und aus irgend einer Ursache sich diesen Spaß gemacht und seine Herrschaft zum Besten gehabt hatte.

Keineswegs, versetzte Fritz: denn diejenigen, welche diese Wirkung einem Geiste zuschreiben, glaubten, ein Schutzgeist wolle zwar das Mädchen aus dem Hause haben, aber ihr doch kein Leids zufügen lassen. Andere nahmen es näher und hielten dafür, daß einer ihrer Liebhaber die Wissenschaft oder das Geschick gehabt habe, diese Töne zu erregen, um das Mädchen aus dem Hause in seine Arme zu nöthigen. Dem sey, wie ihm wolle, das gute Kind zehrte sich über diesen Vorfall beynah völlig ab und schien einem traurigen Geiste gleich, da sie vorher frisch, munter und die Heiterste im ganzen Hause gewesen. Aber auch eine solche körperliche Abnahme läßt sich auf mehr als eine Weise deuten.

Es ist Schade, versetzte Karl, daß man solche Vorfälle nicht genau untersucht, und daß man bey Beurtheilung der Begebenheiten, die uns so sehr interessieren, immer zwischen verschiedenen Wahrscheinlichkeiten schwanken muß, weil die Umstände, unter welchen solche Wunder geschehen, nicht alle bemerkt sind.

Wenn es nur nicht überhaupt so schwer wäre zu untersuchen, sagte der Alte, und in dem Augenblicke, wo etwas dergleichen begegnet, die Punkte und Momente alle gegenwärtig zu haben, worauf es eigentlich ankommt, damit man nichts entwischen lasse, worin Betrug und Irrthum sich verstecken könne. Vermag man denn einem Taschenspieler so leicht auf die Sprünge zu kommen, von dem wir doch wissen, daß er uns zum Besten hat?

Kaum hatte er ausgeredet, als in der Ecke des Zimmers auf einmal ein sehr starker Knall sich hören ließ. Alle fuhren auf, und Karl sagte scherzend: es wird sich doch kein sterbender Liebhaber hören lassen.

Er hätte gewünscht seine Worte wieder zurück zu nehmen, denn Luise ward bleich und gestand, daß sie für das Leben ihres Bräutigams zittere.

Fritz, um sie zu zerstreuen, nahm das Licht und ging nach dem Schreibtische, der in der Ecke stand. Die gewölbte Decke desselben war quer völlig durchgerissen; man hatte also die Ursache des Klanges; aber demohngeachtet fiel es ihnen auf, daß dieser Schreibtisch von Rautchens bester Arbeit, der schon mehrere Jahre an demselben Platz stand, in diesem Augenblicke zufällig gerissen seyn sollte. Man hatte ihn oft als Muster einer vortrefflichen und dauerhaften Tischlerarbeit gerühmt und vorgezeigt, und nun sollte er auf einmal reissen, ohne daß in der Luft die mindeste Veränderung zu spüren war.

Geschwind, sagte Karl, laßt uns zuerst diesen Umstand berichtigen und nach dem Barometer sehen.

Das Quecksilber hatte seinen Stand vollkommen, wie seit einigen Tagen; das Thermometer selbst war nicht mehr gefallen, als die Veränderung von Tag auf Nacht natürlich mit sich brachte.

Schade, daß wir nicht einen Hygrometer bey der Hand haben, rief er aus: gerade das Instrument wäre das nöthigste!

Es scheint, sagte der Alte, daß uns immer die nöthigsten Instrumente abgehen, wenn wir Versuche auf Geister anstellen wollen.

Sie wurden in ihren Betrachtungen durch einen Bedienten unterbrochen, der mit Hast herein kam und meldete, daß man ein starkes Feuer am Himmel sehe, man könne aber nicht wissen, ob es in der Stadt oder in der Gegend sey.

Da man durch das Vorhergehende schon empfänglicher für den Schrecken geworden war, so wurden alle mehr, als es vielleicht sonst geschehen seyn würde, von der Nachricht betroffen. Fritz eilte auf das Belvedere des Hauses, wo auf einer grossen horizontalen Scheibe die Karte des Landes ausführlich gezeichnet war, durch deren Hülfe man auch bey Nacht die verschiedenen Lagen der Orte ziemlich genau bestimmen konnte. Die andern blieben, nicht ohne Sorgen und Bewegung, bey einander.

Fritz kam zurück und sagte: ich bringe keine gute Nachricht. Denn höchst wahrscheinlich ist der Brand nicht in der Stadt, sondern auf dem Guthe unserer Tante. Ich kenne die Richtung sehr genau und fürchte mich nicht zu irren. Man bedauerte die schönen Gebäude und überrechnete den Verlust. Indessen, sagte Fritz, ist mir ein wunderlicher Gedanke eingekommen, der uns wenigstens über das sonderbare Anzeichen des Schreibtisches beruhigen kann. Vor allen Dingen wollen wir die Minute berichtigen, in der wir den Klang gehört haben. Sie rechneten zurück und es konnte etwa halb Zwölfe gewesen seyn.

Nun, ihr mögt lachen oder nicht, fuhr Fritz fort, will ich euch meine Muthmaßung erzählen. Ihr wißt, daß unsre Mutter schon vor mehreren Jahren einen ähnlichen, ja man möchte sagen einen gleichen Schreibtisch an unsre Tante geschenkt hat. Beyde waren zu Einer Zeit aus Einem Holze mit der größten Sorgfalt von Einem Meister verfertigt; beyde haben sich bisher trefflich gehalten und ich wollte wetten, daß in diesem Augenblicke mit dem Lusthause unsrer Tante der zweyte Schreibtisch verbrennt, und daß sein Zwillingsbruder auch davon leidet. Ich will mich morgen selbst aufmachen und dieses seltsame Faktum so gut als möglich zu berichtigen suchen.

Ob Friedrich wirklich diese Meynung hegte, oder ob der Wunsch, seine Schwester zu beruhigen, ihm zu diesem Einfall geholfen, wollen wir nicht entscheiden; genug sie ergriffen die Gelegenheit über manche unleugbare Sympathien zu sprechen und fanden am Ende eine Sympathie zwischen Hölzern die auf Einem Stamm erzeugt worden, zwischen Werken die Ein Künstler verfertigt, noch ziemlich wahrscheinlich. Ja sie wurden einig, dergleichen Phänomene eben so gut für Naturphänomene gelten zu lassen, als andre, welche sich öfter wiederhohlen, die wir mit Händen greifen und doch nicht erklären können.

Überhaupt, sagte Karl: scheint mir: daß jedes Phänomen, so wie jedes Factum an sich eigentlich das Interessante sey. Wer es erklärt oder mit andern Begebenheiten zusammenhängt, macht sich gewöhnlich eigentlich nur einen Spaß, und hat uns zum besten, wie z.B. der Naturforscher und Historienschreiber. Aber eine einzelne Handlung oder Begebenheit ist interessant, nicht weil sie erklärbar oder wahrscheinlich, sondern weil sie wahr ist. Wenn gegen Mitternacht die Flamme den Schreibtisch der Tante verzehrt hat, so ist das sonderbare Reissen des unsern zu gleicher Zeit für uns eine wahre Begebenheit, sie mag übrigens erklärbar seyn und zusammenhängen mit was sie will.

So tief es auch schon in der Nacht war, fühlte niemand eine Neigung zu Bette zu gehen und Karl erbot sich gleichfalls eine Geschichte zu erzählen, die nicht minder interessant sey, ob sie sich gleich vielleicht eher erklären und begreifen lasse, als die vorigen.

Der Marschall von Bassompierre, sagte er, erzählt sie in seinen Memoiren; es sey mir erlaubt in seinem Namen zu reden.

Seit fünf oder sechs Monaten hatte ich bemerkt, so oft ich über die kleine Brücke ging, (denn zu der Zeit war der Pont neuf noch nicht erbaut), daß eine schöne Krämerin, deren Laden an einem Schilde mit zwey Engeln kenntlich war, sich tief und wiederholt vor mir neigte und mir so weit nachsah, als sie nur konnte. Ihr Betragen fiel mir auf, ich sah sie gleichfalls an und dankte ihr sorgfältig. Einst ritt ich von Fontainebleau nach Paris, und als ich wieder die kleine Brücke herauf kam, trat sie an ihre Ladenthüre und sagte zu mir, indem ich vorbeiritt: mein Herr, Ihre Dienerin! Ich erwiederte ihren Gruß und indem ich mich von Zeit zu Zeit umsah, hatte sie sich weiter vorgelehnt, um mir so weit als möglich nachzusehen.

Ein Bedienter nebst einem Postillon folgten mir, die ich noch diesen Abend mit Briefen an einige Damen nach Fontainebleau zurück schicken wollte. Auf meinen Befehl stieg der Bediente ab und ging zu der jungen Frau ihr in meinem Namen zu sagen, daß ich ihre Neigung mich zu sehen und zu grüßen bemerkt hätte, ich wollte, wenn sie wünschte mich näher kennen zu lernen, sie aufsuchen, wo sie verlangte.

Sie antwortete dem Bedienten: er hätte ihr keine bessere Neuigkeit bringen können, sie wolle kommen, wohin ich sie bestellte, nur mit der Bedingung, daß sie eine Nacht mit mir unter Einer Decke zubringen dürfte.

Ich nahm den Vorschlag an und fragte den Bedienten, ob er nicht etwa einen Ort kenne, wo wir zusammen kommen könnten? Er antwortete, dass er sie zu einer gewissen Kupplerin führen wollte; rathe mir aber, weil die Pest sich hier und da zeige, Matratzen, Decken und Leintücher aus meinem Hause hinbringen zu lassen. Ich nahm den Vorschlag an und er versprach mir ein gutes Bett zu bereiten.

Des Abends ging ich hin und fand eine sehr schöne Frau von ohngefähr zwanzig Jahren, mit einer zierlichen Nachtmütze, einem sehr feinen Hemde, einem kurzen Unterrocke von grün wollenem Zeuge. Sie hatte Pantoffeln an den Füßen und eine Art von Pudermantel übergeworfen. Sie gefiel mir ausserordentlich, und da ich mir einige Freyheiten herausnehmen wollte, lehnte sie meine Liebkosungen mit sehr guter Art ab und verlangte mit mir zwischen zwey Leintüchern zu seyn. Ich erfüllte ihr Begehren und kann sagen, daß ich niemals ein zierlicheres Weib gekannt, noch von irgend einer mehr Vergnügen genossen hätte. Den andern Morgen fragte ich sie: ob ich sie nicht noch einmal sehen könnte, ich verreise erst Sonntag, und wir hatten die Nacht vom Donnerstag auf den Freytag mit einander zugebracht.

Sie antwortete mir: daß sie es gewiß lebhafter wünsche als ich; wenn ich aber nicht den ganzen Sonntag bliebe, sey es ihr unmöglich, denn nur in der Nacht vom Sonntag auf den Montag könne sie mich wieder sehen. Als ich einige Schwierigkeiten machte, sagte sie: Ihr seyd wohl meiner in diesem Augenblicke schon überdrüßig und wollt nun Sonntags verreisen; aber Ihr werdet bald wieder an mich denken und gewiß noch einen Tag zugeben, um eine Nacht mit mir zuzubringen.

Ich war leicht zu überreden, versprach ihr den Sonntag zu bleiben und die Nacht auf den Montag mich wieder an dem nemlichen Orte einzufinden. Darauf antwortete sie mir: ich weiß recht gut, mein Herr, daß ich in ein schändliches Haus um Ihrentwillen gekommen bin; aber ich habe es freywillig gethan, und ich hatte ein so unüberwindliches Verlangen mit Ihnen zu seyn, daß ich jede Bedingung eingegangen wäre. Aus Leidenschaft bin ich an diesen abscheulichen Ort gekommen, aber ich würde mich für eine feile Dirne halten, wenn ich zum zweytenmal dahin zurückkehren könnte. Möge ich eines elenden Todes sterben, wenn ich außer meinem Mann und Euch irgend jemand zu Willen gewesen bin, und nach irgend einem andern verlange. Aber was thäte man nicht für eine Person, die man liebt und für einen Bassompierre? Um seinetwillen bin ich in das Haus gekommen, um eines Mannes willen, der durch seine Gegenwart diesen Ort ehrbar gemacht hat. Wollt Ihr mich noch einmal sehen, so will ich Euch bey meiner Tante einlassen.

Sie beschrieb mir das Haus aufs genaueste und fuhr fort: ich will Euch von zehn Uhr bis Mitternacht erwarten, ja noch später, die Thüre soll offen seyn. Erst findet Ihr einen kleinen Gang, in dem haltet Euch nicht auf, denn die Thüre meiner Tante geht da heraus. Dann stößt euch eine Treppe sogleich entgegen, die Euch ins erste Geschoß führt, wo ich Euch mit offnen Armen empfangen werde.

Ich machte meine Einrichtung, ließ meine Leute und meine Sachen vorausgehen und erwartete mit Ungeduld die Sonntags Nacht, in der ich das schöne Weibchen wieder sehen sollte. Um zehn Uhr war ich schon am bestimmten Orte. Ich fand die Thüre, die sie mir bezeichnet hatte, sogleich, aber verschlossen und im ganzen Hause Licht, das sogar von Zeit zu Zeit wie eine Flamme aufzulodern schien. Ungeduldig fing ich an zu klopfen, um meine Ankunft zu melden; aber ich hörte eine Mannsstimme, die mich fragte, wer draußen sey?

Ich ging zurück und einige Straßen auf und ab. Endlich zog mich das Verlangen wieder nach der Thüre. Ich fand sie offen und eilte durch den Gang die Treppe hinauf. Aber wie erstaunt war ich, als ich in dem Zimmer ein paar Leute fand, welche Bettstroh verbrannten, und bey der Flamme, die das ganze Zimmer erleuchtete, zwei nackte Körper auf dem Tische ausgestreckt sahe. Ich zog mich eilig zurück und stieß im Hinausgehen auf ein paar Todtengräber, die mich fragten, was ich suchte? Ich zog den Degen, um sie mir vom Leibe zu halten und kam nicht unbewegt von diesem seltsamen Anblick nach Hause. Ich trank sogleich drei bis vier Gläser Wein, ein Mittel gegen die pestilenzialischen Einflüsse, das man in Deutschland sehr bewährt hält, und trat, nachdem ich ausgeruhet, den andern Tag meine Reise nach Lothringen an.

Alle Mühe, die ich mir nach meiner Rückkunft gegeben, irgend etwas von dieser Frau zu erfahren, war vergeblich. Ich ging sogar nach dem Laden der zwey Engel; allein die Mietleute wußten nicht, wer vor ihnen darin gesessen hatte.

Dieses Abentheuer begegnete mir mit einer Person vom geringen Stande, aber ich versichere, daß ohne den unangenehmen Ausgang es eins der reizendsten gewesen wäre, deren ich mich erinnere, und dass ich niemals ohne Sehnsucht an das schöne Weibchen habe denken können.

Auch dieses Räthsel, versetzte Fritz, ist so leicht nicht zu lösen. Denn es bleibt zweifelhaft, ob das artige Weibchen in dem Hause mit an der Pest gestorben, oder ob sie es nur dieses Umstands wegen vermieden habe.

Hätte sie gelebt, versetzte Karl, so hätte sie ihren Geliebten gewiß auf der Gasse erwartet, und keine Gefahr hätte sie abgehalten, ihn wieder aufzusuchen. Ich fürchte immer sie hat mit auf dem Tische gelegen.

Schweigt, sagte Luise: die Geschichte ist gar zu schrecklich! Was wird das für eine Nacht werden, wenn wir uns mit solchen Bildern zu Bette legen.

Es fällt mir noch eine Geschichte ein, sagte Karl, die artiger ist und die Bassompierre von einem seiner Vorfahren erzählt.

Eine schöne Frau, die den Anherrn ausserordentlich liebte, besuchte ihn alle Montage auf seinem Sommerhause, wo er die Nacht mit ihr zubrachte, indem er seine Frau glauben ließ, daß er diese Zeit zu einer Jagdparthie bestimmt habe.

Zwey Jahre hatten sie sich ununterbrochen auf diese Weise gesehen, als seine Frau einigen Verdacht schöpfte, sich eines Morgens nach dem Sommerhause schlich und ihren Gemahl mit der Schönen in tiefem Schlafe antraf. Sie hatte weder Muth noch Willen sie aufzuwecken, nahm aber ihren Schleyer vom Kopfe und deckte ihn über die Füße der Schlafenden.

Als das Frauenzimmer erwachte und den Schleyer erblickte, that sie einen hellen Schrey, brach in laute Klage aus und jammerte, daß sie ihren Geliebten nicht mehr wieder sehen, ja daß sie sich ihm auf hundert Meilen nicht nähern dürfe. Sie verließ ihn, nachdem sie ihm drey Geschenke, ein kleines Fruchtmaaß, einen Ring und einen Becher für seine drei rechtmäßigen Töchter verehrt und ihm die größte Sorgfalt für diese Gaben anbefohlen hatte. Man hob sie sorgfältig auf und die Abkömmlinge dieser drey Töchter glaubten die Ursache manches glücklichen Ereignisses in dem Besitz dieser Gabe zu finden.

Das sieht nun schon eher dem Mährchen der schönen Melusine und andern dergleichen Feengeschichten ähnlich, sagte Luise.

Und doch hat sich eine solche Tradition, versetzte Friedrich: und ein ähnlicher Talisman in unserm Hause erhalten.

Wie wäre denn das? fragte Karl.

Es ist ein Geheimniß, versetzte jener: nur der älteste Sohn darf es allenfalls bey Lebzeiten des Vaters erfahren, und nach seinem Tode das Kleinod besitzen.

Du hast es also in Verwahrung? fragte Luise.

Ich habe wohl schon zuviel gesagt, versetzte Friedrich, indem er das Licht anzündete, um sich hinweg zu begeben.

Die Fortsetzung folgt.

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