HomeDie Horen1795 - Stück 2II. Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst. [Heinrich Meyer]

II. Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst. [Heinrich Meyer]

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Erstes Stück.

Es gehört zu den Vorzügen unserer Zeit, daß die Alterthumskunde und besonders die Geschichte der Kunst, durch verschiedener vortrefflicher Männer und vorzüglich Winkelmann’s Bemühungen von manchem Irrthum und von der unnützen Pedanterey, wodurch sie sonst entstellt war, gereinigt, und zu einer nicht weniger angenehmen als nützlichen Wissenschaft gebildet worden ist. Auch ist nicht zu verkennen, daß dadurch das Interesse für die antiken Kunstwerke allgemeiner geworden, und der Geschmack selbst bey vielen eine bessere Richtung erhalten hat. Wie vieler Unrichtigkeiten man auch jenen Schriftsteller mit Recht beschuldigen dürfte, so ist er es doch vorzugsweise, dem der Dank für jene Vortheile gebührt. Aber seit dem Tode dieses, um Kunst und Wissenschaft so verdienten, Mannes sind wir dem Ziele nicht viel näher gekommen, obgleich eine Menge wichtiger und belehrender Monumente entdeckt worden, welche gehörig benutzt über manches Licht geben könnten, und die Gelehrten es keineswegs an Schriften über diesen Gegenstand haben fehlen lassen. Um einen gewissen Grad von Vollkommenheit darinn möglich zu machen, müssen Wissenschaft und Kunst einander nothwendig die Hände reichen. Unter welchen Umständen und durch welche Mittel dieser Zweck erreicht werden könnte, wird aus dem Fortgang dieser Bemerkungen erhellen, wo man versuchen wird aus der ganzen Masse bekannter Alterthümer die merkwürdigsten auszuheben, und in eine solche Ordnung zu stellen, die den Gang, welchen die Kunst bey den Griechen von ihren frühesten Zeiten her genommen hat, überschauen läßt.

Als erster Versuch in dieser Art kann eine solche Unternehmung nicht wohl anders als mangelhaft ausfallen, und sie muß es um so mehr, da die unmittelbare Anschauung der Monumente fehlt, auf die doch alles muß gegründet werden. Aber sie ist auch bloß dazu bestimmt, zu beweisen, daß, wenn man einstens dazu gelangen sollte, eine solche Reyhenfolge wohlgeprüft und verglichen aufzustellen, eben dadurch das wichtigste Stück zur Erklärung und Ordnung aller vorhandener und noch zu entdeckender Monument gethan seyn würde. Wenn dann in dieser Reyhenfolge noch diejenigen Reste aufgenommen würden, deren Herkunft und Alterthum ausser Zweifel sind, so könnte von diesen aus, als wie von vesten Punkten, hinauf und hinunter sicher und leicht auf die andern geschlossen, und so die Geschichte der Kunst in einen Zustand der Richtigkeit und Klarheit gebracht werden, von welchem sie jetzt freylich noch sehr weit entfernt ist.

Indem wir von der ältesten griechischen Kunst zu handeln gedenken, bietet sich uns gleich zuerst die Bemerkung dar, daß man sehr unrecht gethan und sehr wenig Scharfsinn bewiesen hat, dieselbe von den Egyptiern, und zuweilen wohl gar von den Indiern ableiten zu wollen. Daß der Mensch, schon seiner Natur nach, eben so gut zu der bildenden Kunst als zur Musik und Dichtkunst getrieben werde, lehrt die Erfahrung aller Zeiten, indem kaum ein Volk auf der Erde ist, bey welchem sich nicht, nach dem Grade seiner übrigen Kultur mehr oder minder rohe Versuche bildender Kunst gefunden hätten. Um so weniger glaublich ist es, daß ein so allgemeiner Nachahmungstrieb gerade bey den Griechen, einem von der Natur so sehr begünstigten Volk, auf fremde Anregung und auswärtige Muster gewartet haben sollte.

Ein Basrelief in der Villa Albani, welches die Erziehung des Bachus vorstellt, ist wahrscheinlich das älteste griechische Werk in Marmor, von dem wir genaue Kenntniß haben. Es scheint aus den Zeiten der Kindheit ihrer Kunst herzustammen, als sie im Nachahmungs-Vermögen noch von den Egyptiern sehr übertroffen wurden, und kaum mit den heutigen Indianern, Chinesen und Japanern die Vergleichung aushalten durften. Wiewohl es aber diesem Werk an aller speciellen Erkenntniß des Schönen durchgängig mangelt, so strahlt dennoch aus aller Unförmlichkeit der Gestalten der Schimmer eines gewissen Geschmackes durch, der ihm, so wie seine große Simplicität, etwas zugleich Solides und Gefälliges mittheilt, was den rohen Arbeiten anderer Völker fehlt, und, wie uns dünkt, der ächte Stempel des griechischen Genius ist.

Fast nach gleichen Begriffen in Formen und Meinen und Arbeit ist eine Statue der Minerva in eben dieser Villa gebildet, welche daher mit jenem Basrelief von gleichem Alter oder doch nur um weniges jünger seyn möchte. Wenn dieselbe, wie man bemerkt haben will, einen mühsamern Fleiß verräth, und weniger Gefälliges zeigt, so läßt sich dieser Unterschied zum Theil aus dem ernstern Gegenstand, zum Theil aus der ernstern Bestimmung des leztern Bildes erklären, indem es wahrscheinlich in einem Tempel der Göttinn zum Gegenstand der allgemeinen Verehrung, jenes Basrelief aber nur zur Verzierung irgend eines offentlichen Platzes gedient haben mag.1

Die weitern Fortschritte der Kunst lassen sich an dem Cippus mit den Figuren des Merkur, Apollo und der Diana, im Capitolinischen Musäum; noch auffallender aber, an dem dreyeckigten Altar in der Villa Borghese bemerken. Beyde geben zu erkennen, wie damahls das Wissenschaftliche gesucht und geliebt wurde. Die Künstler dieser Werke hatten sich Kenntnisse der Anatomie erworben, wodurch sie sich in den Stand gesetzt sahen, die Natur genauer als ihre Vorgänger nachzuahmen. Zu sublimen Ideen scheint sich die damalige Kunst noch nicht erhoben zu haben; Richtigkeit und Deutlichkeit in Nachahmung allgemeiner Formen der Natur war das Höchste, wornach sie strebte. Indem man aber mit ängstlicher Sorgfalt alles auszudrücken suchte, mußte man unvermeidlich in’s Übertriebene verfallen. Es begegnete den damaligen Künstlern, was zum Theil noch manchem unter den neuern begegnet. Sie machten zu viel, weil sie befürchteten, zu wenig zu machen.

Dieser Styl, welchen wir den alten, oder zum bessern Unterschied der gleich darauf folgenden Werke, den ältesten nennen möchten, dauerte wahrscheinlich eine ziemlich lange Zeit; denn aus einer Menge sowohl der grössern, daß die Mühe und das Bestreben vieler Generationen nöthig war, um der Kunst Feinheit in der Ausarbeitung, und einige Leichtigkeit, Zierlichkeit und Richtigkeit zu verschaffen.

Die bildende Kunst hatte also in dieser ihrer ersten Periode, so wie man von allen ihren Schwestern wenigstens bedingungsweise behaupten kann, mehr den mechanischen als geistigen Theil zu entwickeln angefangen; nicht anders hat die Baukunst erst für Obdach und Schutz gegen Nässe und Kälte sorgen müssen, ehe sie Säulenordnungen, Glieder, schöne Verhältnisse erfand. Indem man aber mehr darauf geachtet zu haben scheint, wie, als was man arbeitete, so wurde das Glatte und Mühsame klein und ängstlich, die Leichtigkeit wurde mager, und aus einer gesuchten Richtigkeit entstand Härte, Manier und Einförmigkeit. Daher sind alle Figuren auf ebendieselbe Weise gebildet, und ohne einen merklichen Unterschied des Alters, der Würde und Verrichtung bloß durch die ihnen beygelegten Zeichen kennbar. Merkur wäre ohne Schlangenstab dem Herkules ähnlich und dieser dem Apoll, wenn man ihm die Löwenhaut nähme. Juno und Venus, Diana und Pallas sind ebenfalls einander gleich. Merkwürdig ist es, daß die anfangende und abnehmende Kunst auf dieser Stelle wieder zusammen treffen. Der Begriff des schönen und des Mannichfaltigen fängt an, an dem Basreliefs, die den Bogen des Septimius Severus zieren, zu verschwinden, und in den barbarischen Arbeiten am Bogen des Constantin ist auch nicht eine Spur mehr davon übrig. Die nemliche Figur ist in ihrer Unförmlichkeit, in ihren Falten, in ihrer Stellung hundertmahl wiederhohlt.

Nachdem endlich die Schwierigkeiten der Behandlung überwunden, und der Stoff dem Willen unterworfen war, so eröffnete sich bald eine schönere Epoche, und der geistige Theil der Kunst fing an sich zu bilden. Einem Basrelief in der Villa Albani, wo die neun Gottheiten vorgestellt sind, und welches dem ersten Ansehn nach den vorhergehenden ziemlich gleich ist, merkt man bey genauerer Untersuchung das Streben des Künstlers an, den Figuren mehr Größe und Schlankheit zu geben, und die Verschiedenheit der Charaktere durch Varietät der Gestalten und Gesichtszüge auszudrücken. Dieses Werk ist daher für unsern gegenwärtigen Zweck von ungemein grossem Gewichte, da es gleichsam den Keim und Anfang aller derjenigen Bildungen zeigt, die in den folgenden Zeiten so herrlich vollendet wurden. Es läßt uns die Majestät des Jupiters, die Weichheit des Bachus, den Stolz und Troz der Juno, aber nur wie ein verwischtes Bild auf bewegtem Wasser oder im düstern Spiegel mehr errathen als sehen, und gibt mehr zu vermuthen als den Sinnen offenbar wird.

Man rechne hieher noch ein dreyseitiges Werk in der Sammlung von Alterthümern zu Dresden, welches dem Anschein nach ehedem der Fuß eines dem Apollo geweyhten grossen Leuchters gewesen, indem die Basreliefs und übrigen Zierrathen aller drey Seiten sich auf diesen Gott und den Dienst desselben beziehn. Das Hauptstück stellt denselben vor, wie er den Herkules verfolgt, der ihm den Dreyfuß genommen. Obgleich beyde Figuren ziemlich hager und steif gezeichnet sind, auch die Arbeit ängstlich und mühsam ist, so wußte doch der Künstler sein Werk durch einen Charakter-Ausdruck zu adeln. Apollo und Herkules unterscheiden sich wenigstens in ihren Gesichtszügen, richtig und treffend von einander, und den Köpfen, besonders der männlichen Figuren auf den Basreliefs der zwey übrigen Seiten wußte der Künstler viele Würde, ja sogar eine gewiße Zierlichkeit, Anmuth und Natürlichkeit mitzutheilen. Die Schnörkel, das Laubwerk und dergleichen, die das Werk zieren, sind der Betrachtung werth, da sie sich hier noch in ihrer alten etwas rohen Gestalt zeigen, mit Frazen vermischt, welche der gefällige Geschmack der spätern Kunst nachher verschönert hat.

Da wir der Kunst auf ihrem Gange folgen, so treten wir nun auf einmal als aus einem engen Thale auf die weite Ebne hervor, wo die gränzenlose Aussicht in unabsehlicher Ferne sich gleichsam mit dem Himmel zu mischen scheint.

Der Grund zu allem Erhabenen, Schönen, Mannichfaltigen und Bedeutungsvollen war jetzt gelegt, und die Ideen dazu, wenn gleich nicht deutlich gedacht, doch in dunkler Ahnung empfunden. Es bedurfte auch wahrscheinlich keine kleine Zeit, vielmehr unzählige Versuche und Erfahrungen, ehe sie sich soviel consolidirt hatten, daß man nur die ersten einfachsten Regeln und Theorien darauf zu gründen wagte. Sehr zu wünschen wäre es, daß bald alle Monumente solcher Art möchten gesammlet werden, um diese so interessante Periode der Kunst und ihres Fortgangs näher zu beleuchten.

Indem sich die bildende Kunst in Charakteristischen mehr empor hob und bildete, scheint sie sich in Rücksicht auf Geschmack nicht in demselben grade verbessert zu haben. Wir bemerken noch immer sowohl an dem runden Werk mit den zwölf Gottheiten als an dem Basrelief des Callimachus im Capitol, welches doch allem Anschein nach spätere Arbeiten sind, fast dieselbe Hagerkeit und Dürre wie bey den Werken des ältesten Styls. Dieselbe kleine, gerade oder scharfgebrochne Falten, dieselbe scharfe und eckigte Härte des Umrisses, dieselbe Steifigkeit und eben das Manierirte in der Bewegung der Glieder, besonders der Finger, alles beynah noch eben so wie wir es an den Figuren jenes dreyeckigten Altars in der Villa Borghese und des Cippus im Capitol gesehn. Zu einem Beyspiel wie weit man es in Absicht auf Varietät und Andeutung des Charakters schon damals gebracht hatte, kann der Faun in gemeldetem Basrelief des Callimachus dienen, der das Ideal dieses Begriffs so glücklich und in allen seinen Theilen übereinstimmend darstellt, daß hernach auch die schönsten Zeiten der Kunst ihn nie anders als in diesem Sinne, nur freylich mit mehr Grazie und Schönheit, gebildet haben.

Noch dürften hier die bekannte Justinianische Vestalin und zwey andere männliche unbekleidete Statuen, welche vormals im Pallast Farnese gestanden und nunmehr nach Neapel gebracht worden, ihren Platz erhalten, obgleich wir eingestehen müssen, daß sie nicht mehr die Hagerkeit zeigen, welche wir sonst als ein besonderes Kennzeichen dieser Epoche angegeben haben, vielmehr in ihren Formen weit mehr viereckigt und breit gehalten sind. Aber die Härte der Manier, der kleinliche Geist und ängstliche Fleiß im Detail, und der noch so unvollkommene Begriff der Schönheit berechtigen uns, sie den übrigen anzureyhen, und den Unterschied der Formen dahin zu erklären, daß sie wirklich jünger als die andern, mithin den folgenden Werken des hohen Styls schon näher verwandt sind, und als eine der Stuffen betrachtet werden müssen, über welche wir allmählig zu dem letztern hinan steigen.

Hieher würde noch der Sturz einer Bildsäule der Pallas zu rechnen seyn, der sich unter den Alterthümern zu Dresden befindet; ein sehr schätzbares Stück für die Alterthumskunde, und ohne Widerspruch eins der unterrichtendsten Denkmahle der ältern griechischen Kunst. Denn da dieses Werk mit ungemeinem, fast über alle Vorstellung gehenden Fleiß ausgearbeitet ist, so dürfen wir solches mit Grund für eines der vorzüglichsten Stücke jenes ältern Styls halten, ja zum Maaßstab desselben nehmen. Da indessen der Kopf viel jünger ist, und gar nicht zum Sturz gehört, so läßt sich über die Bildung und den Charakter des Gesichts nicht urtheilen; aber aus den sehr breiten Schultern, aus der Brust und aus den schmalen engen Hüften läßt sich schliessen, daß man in dem eben bemerkten Sinne fortgearbeitet hatte, und weiter gekommen war. Die Falten des Gewandes liegen sehr nahe an, sind häufig und kleinlicht, noch ganz auf die Weise wie im obigen Barelief der neun Gottheiten in der Villa Albani, und in dem Basrelief des Callimachus im Capitolium; jedoch ungleich vorzüglicher an Genauigkeit, Feinheit und Sorgfalt der Zeichnung und der Ausführung. Von der Brust bis zu den Füßen hinunter geht über das Gewand ein gerader in Felder eingetheilter Streifen, mit vielen kleinen Figuren in halberhabener Arbeit geziert, welche kriegerische Thaten der Göttin vorstellen. Diese kommen in Rücksicht des Styls, so viel uns erinnerlich ist, mit den Arbeiten des Herkules auf dem bekannten Altar im Capitolinischen Musäum überein, so wie diese wieder in dem Viereckigen und Gedrungenen ihrer Bildung, den beyden angezeigten Statuen im Pallast Farnese gleichen. Es bildet sich hierdurch der glücklichste Zusammenhang unter diesen Werken, der uns den Übergang des ältern Kunst-Styls in den großen Styl anschaulich machen hilft.

Wir haben nunmehr die Werke der ältesten griechischen Kunst durchgegangen, und gesehn mit welcher beharrlichen Mühe, Unverdrossenheit und Anstrengung, Schwierigkeiten überwunden, Versuche angestellt und Entdeckungen gemacht werden mußten, biß man das Vermögen erwarb, die Formen der Natur nachzuahmen, auf Begriffe zu bringen und zuletzt ihren Geist zu ergreifen. Allein die Künstler wurden noch immer von dem Gewicht der Materie niedergezogen, und die Schwierigkeiten der Ausführung beschäftigten sie noch viel zu sehr, als daß sie sich zu Gedanken erheben, und dem Fluge ihrer Einbildungskraft frey überlassen konnten. Nachdem sie aber endlich Raum und Freyheit gewonnen, sich von der Kleinlichkeit und Gebundenheit es alten Styls loszumachen, da erhuben sich ihre entfesselten Kräfte mit einem kühneren Schwung, und der hohe Styl nahm seinen Anfang: die herrlichste Kraftäusserung des menschlichen Geistes, durch die er sich ein unvergängliches Denkmahl errichtete.

Zweytes Stück.

Für den Übergang der Kunst aus dem alten zum hohen Styl und für das Mittel zwischen Beyden geben wir die Minerva in Marmor, welche auf der Treppe zum Musäum in Portici steht. Wir bemerken an ihr schönere Züge, edlere Formen und Verhältnisse, zugleich mehr Wahl und Geschmack in den Falten, als in allen vorhergehenden Werken. Jedoch war die Lehre von den Proportionen noch zu unvollkommen, als daß man fähig gewesen wäre, derselben einen wahrhaft göttlichen, über alle menschliche Dürftigkeit und Schwäche erhabenen Charakter zu geben. Daher thut auch das rasche, freye und fast gewaltsame der Stellung und Bewegung weit weniger Wirkung, und erregt nicht den Begriff von zerstörender Kraft, den der Künstler vermuthlich beabsichtigt hatte; indem er, nach dem Geiste seiner Zeit, deren körperliche Stärke und Tapferkeit für die vornehmste Tugenden galten, die Göttinn als das Symbol derselben vorstellen wollte. Man bemerke hier, daß alle jüngere Bildsäulen derselben fast ohne Ausnahme sie ruhiger und sanfter, als Vorsteherin der Wissenschaften und Künste abbilden.

Der colossalische Sturz einer Minerva in der Villa Medicis verdient als das älteste von den uns bekannten Werken des hohen Styls betrachtet zu werden. Es ist dasselbe in einem hohen tragischen Sinne, groß, majestätisch, und wenn man so sagen darf, fürchterlich erhaben gedacht und gebildet. Selbst die Manier der alten Kunst scheint an derselben zum Ausdruck und Zweck mitzuwirken, indem das Eckigte und Steife der Figur einen Zusatz von Würde und Festigkeit gibt, und die gerade herunterfallenden Falten mit ihren tiefen Einschnitten dazu beytragen, die mächtigen Glieder noch größer erscheinen zu lassen. Es ist ein Verlust sowohl für die Kunst als für die Alterthumskunde, daß sich der Kopf zu dieser Figur nicht erhalten hat, welches auch wahrscheinlich die Ursache seyn mag, daß solche biß jetzt unbekannt geblieben, und nirgends auch nur mit einem Worte Erwähnung davon geschehen ist.

Ohngefähr von gleichem Alter, oder nur um weniges jünger mag die Barbarinische Muse seyn, welche schon durch Winkelmanns Beschreibung, auf die wir uns berufen, bekannt ist. Der wohl erhaltene Kopf dieser Figur könnte zum Theil die Idee der vorhergehenden ergänzen; denn wenn man die etwas freyere Ausführung derselben abrechnet, so herrscht in beyden derselbe hohe Riesengeist, nur nach dem Verhältniß der Göttinn und der Muse verschieden.

Eine Minerva über Lebensgröße in der Sammlung von Alterthümern in Dresden wird ohne Zweifel auch in diese Periode gesetzt werden müssen. Wiewohl das Ganze sehr beschädigt ist, so hat sich doch glücklicher weise noch das Gesicht erhalten. Streng und dabey regelmäßig, mehr mächtig und groß als schön sind die Züge desselben, und in diesem Charakter ist die ganze Figur gebildet. Man bemerkt, daß die Falten derselben etwas breiter und beßer variert sind, als an den vorher beschriebenen Werken, welches vermuthen läßt, daß der Geschmack nunmehr angefangen habe, auch von Nebenwerken Nutzen zu ziehen, und dieselbe mit dem Zweck und dem Charakter des Ganzen mehr in Verbindung zu bringen.

Bei aller Großheit, Hoheit und Vortreflichkeit dieser Werke mangelt denselben noch immer eine gewiße Freyheit und Leichtigkeit der Bewegung und der Behandlung. Das Erhabene daran nähert sich dem Ungeheuern, und steht in allzu ungleichem Verhältniß mit unserer Natur, daher sie geschickter sind, die Sinne zu überraschen, als das Herz zu rühren. Aber in derjenigen Figur auf dem Monte Cavallo, welche den Nahmen des Phidias führt, ist das noch fehlende hinzu gethan, und das überflüssige hinweggelassen worden. Haben wir in den bißher angezeigten Werken Stärke und Kühnheit, und die rohen Züge von Erhabenheit und Schönheit entdeckt, so finden wir sie hier entwickelt, ausgebildet und zum ewigen Gesetze aufgestellt. Ja, wenn von dem menschlichen Geiste je etwas Großes erdacht und erschaffen worden ist, so sind es diese Proportionen, die zwar allerdings im Einzelnen der Natur in ihren glücklichsten Formen abgelernt worden, aber von dem Verstande im Ganzen geordnet, und nach ihrer Kraft und Wirkung zu einander und gegen einander mit dem höchsten Kunstsinn berechnet sind.

In der Fülle jugendlichen Muths und jugendlicher Kraft, unternehmend, thätig, vermögend sehen wir den Helden und Halbgott vorgestellt; dagegen zeigt sich uns die Minerva im Pallast Justiniani als eine Göttinn, ewig ruhig über alles Bedürfniß und über alle Leidenschaft erhaben. In sich selbst gesammelt, sich selbst genugsam, voll eigner innerer Kraft steht sie da in himmlischer Schöne, zu hoch und zu ernst zur Vertraulichkeit oder Liebe, bändigt und erstickt sie alle Begierde und allen Muthwillen, allen Leichtsinn in der Brust des Betrachters. Es athmet aus ihr, es umgibt sie ein göttlicher Geist, der Ehrfurcht und Unterwürfigkeit fordert, von jedem der sich dem Bilde naht. Die Statue der Göttin zu Portici sollte nach dem Sinne des Künstlers Schrecken erregen, und der Sturz desselben in der Villa Medicis erweckt unsre Furcht; diese hingegen will in ihrer stillen Hoheit verehrt und angebetet seyn.

Nicht weniger vortrefflich und wohl erhalten ist ein Kopf des Apollo in eben demselben Pallast und verdient daher als ein würdiger Gegenstand zur Minerva hier angezeigt zu werden. Es ist derselbe für unsern besondern Zweck noch um so viel merkwürdiger, da er in Vergleichung mit dem vatikanischen Apollo, gewissermaßen als das Urbild desselben erscheint, und ihn an Ernst und Hoheit sehr übertrift; dahingegen dieser von dem Geist und der Kunst seiner Zeit die gefällige Grazie, Rundung und Weichheit erhalten hat.

Die Niobe mit ihren Kindern folgt jetzt in der Reyhe von den Werken des hohen Styls. Da Beschreibungen und Abgüße derselben schon in den Händen aller Liebhaber sich befinden, so halten wir die bloße Anzeige zu unserer dermaligen Absicht für hinreichend. Doch müssen wir hiebey noch erinnern, daß nur die Mutter und zwey von den Töchtern, wahrscheinlich Originale, die übrigen Figuren aber weit geringer an Werth und nur mehr oder weniger gute Copien von verlohren gegangenen beßeren Werken zu seyn scheinen. Auch muß noch bemerkt werden, daß in dem Wurfe der Falten, eine von andern Werken dieser Kunst und Zeit etwas verschiedene Manier herrscht. Da aber weder die Köpfe noch die Formen der Glieder noch der Geist in welchem alles gedacht ist, noch die Arbeit der originalen Stücke, einigen Zweifel oder Vermuthung zulassen, daß das Werk vielleicht jünger seyn möchte, so bleibt hierüber kein anderer Ausweg übrig, als den Grund dieses Unterschieds in der Eigenthümlichkeit entweder des Meisters oder der Schule, zu welcher er gehört haben mag, zu suchen.

Da der geringste Überrest dieser edeln Art als ein kostbares Kleinod der Kunst zu betrachten ist, so sind wir schuldig auch noch eines coloßalischen Brustbildes der Minerva und einer Statue derselben etwas über Lebensgröße, beyde in der Villa Albani befindlich, hier Meldung zu thun – welche wenn auch schon der Justinianischen Bildsäule der Vorzug über sie gebührt, doch nach gleichen Ideen und Gesetzen, und also wahrscheinlich auch mit derselben zu einer Zeit verfertigt worden sind. Eben so gedenken wir auch des großen Löwens vor dem Arsenal zu Venedig, der zwar so sehr beschädigt ist, daß sich von der Arbeit und Ausführung wenig mehr erkennen läßt, doch auch noch in diesem abgestoßenen verstümmelten Klumpen die Gestalt des Königs der Thiere in ihrer ganzen Größe, Macht und Herrlichkeit zeigt. Hieher ist noch die Figur eines schönen Jünglings zu rechnen, die sich im Musäum zu Dresden befindet und wahrscheinlich aus dieser Zeit ist.

Mit der Amazone im Clementinischen Musäum beschließt sich die Reyhe derjenigen Monumente, welche dem hohen Styl anzugehören scheinen. Diese Figur hat noch alle Kennzeichen desselben, nehmlich die dratartigen Haare, den Saum um die Lippen, scharfangedeutete Augknochen und das Strenge des Contours überhaupt. Dennoch bricht in derselben schon ein Schimmer von der Eleganz, dem Zärtlichen und Gefälligen der folgenden Zeit hindurch, und mit dem Ernst ist zugleich die Absicht zu ergötzen verbunden.

Erstaunt verlieren wir uns in heiliger Bewunderung beym Anschaun dieser Werke, welche uns gleichsam mit sich, über uns selbst, über die Welt und das Vergängliche erheben. Damals waren die Heldenzeiten der Kunst, als sie den Göttern und dem Vaterlande geweyhet solche Gestalten nach den reinsten Gesetzen der höchsten Schönheit bildete, nur rühren wollte, nicht zu gefallen suchte, und zu reitzen verschmähte.

Drittes Stück.

So wie wir den alten Styl nicht durch einen Sprung, sondern allmählig und Stufenweise, in den hohen übergehen sahen, eben so werden wir auch von dem hohen Style zu dem gefälligen durch verschiedene Monumente geleitet, welche die Eigenschaften beyder in sich vereinigen, und so zu einem Verbindungsmittel zwischen beyden Epochen dienen.

Unter diesen möchte wohl die große Ludevisische Juno unsere Aufmerksamkeit zuerst verdienen; indem sie die meiste Verwandtschaft mit den Denkmählern der vorhergehenden Periode zu haben scheint. Denn so wie die Amazone, wegen ihrer größern Annäherung zum hohen Styl, noch zu jenen gezählt werden mußte; so ist diese Juno mit der Hoheit und Würde der einen, und mit der Anmuth der andern, insofern sie vereinbar waren, zugleich geziert. Die ganze Ausführung ist lieblicher und weicher, das Haar mehr in Locken gelegt, auch selbst der Augenknochen weniger scharf und schneidend angegeben, als an der Justinianischen Minerva, Niobe oder Amazone, ob sie gleich als ein colossalisches Werk mehr aus der Ferne angesehen werden muß. Es würde uns von unserm eigentlichen Zwecke zu weit entfernen, wenn wir uns über die erstaunenswürdige Präzision und Weisheit, die in den Verhältnissen dieses herrlichen Kopfes herrscht, umständlich verbreiten wollten. Dem Wißbegierigen und Selbstforschenden wird es genug seyn zu vernehmen, daß der ganze summarische Begriff des speculativsten Theils der Kunst in diesem Kopfe enthalten ist.

Der Farnesische Stier, die Flora und der Borghesische Gladiator werden nun wahrscheinlich in der Reyhe folgen, denn an diesen Figuren sieht man den großen Sinn mit dem weichen und fließenden und mit der Anwendung der Massen verbunden, welche das beständige und untrügliche Merkzeichen oder vielmehr das Wesen des gefälligen Styls ausmachen. Dürften wir unsern Beobachtungen und den daraus gezogenen Schlüssen trauen, so müßten der Stier und die Flora älter als der Gladiator seyn, indem die Kunst, welche sich sonst über die Natur in das Reich der Möglichkeiten erhoben hatte, bey dem letztern wieder mehr in die Gränzen des Wirklichen und der Nachahmung zurück tritt.2

An den Ringern zu Florenz, an der sogenannten Zingara, dem Sturz einer Muse in der Villa Borghese, am Sturz des Bachus zu Neapel, sogar an dem berühmten nie genug zu lobenden Torso vom Belvedere bemerkt man, wie die Kunst immer mehr von ihrer Größe und Erhabenheit ablegt, sich unserer eignen Vorstellung und Faßungskraft mehr nähert, und in demselben Maaße an Reiz gewinnt. So wurden nach und nach die Werke vorbereitet, welche wir die Blume der Kunst und den Triumph der gefälligen Grazien nennen möchten, wo das Erhabene, ja die Schönheit selbst, dem Lieblichen untergeordnet und nur insoweit angewandt ist, als der Zweck des Reizes und der Anmuth dadurch befördert werden konnte. Von der zärtesten Empfindung erzeugt und mit dem feinsten Verstand ausgebildet, sprechen diese Werke unmittelbar zum Herzen und legen sich gleichsam warm und schmeichelnd an den Busen. Es ist der Ludovisische Bachus, der stehende Hermaphrodit in der Villa Borghese, der Flötenspieler und die Bachantin eben daselbst, das Kind mit dem Vogel in der Gallerie Borghese, und Ganymed im Clementinischen Musäum, welche wir als die vorzüglichsten Reste dieser Art anführen können. Bescheiden und weise hat sich in denselben die Kunst zu verstecken bemüht, damit der Verstand auf keinen einzelnen Theil geheftet, der Genuß durch keinen Begriff gestört, und die liebliche Einheit des Ganzen ungeschwächt und rein zu dem Gefühl sprechen möchte. Dagegen läßt sich am Laokoon, am Barbarinischen Faun, am tanzenden Faun zu Florenz etc. schon ein gewißer Anspruch, und ein Verlangen des Künstlers bemerken, seine Kunst sehen zu lassen, und die große Keckheit und Sicherheit, mit der er den Meißel zu führen wußte, soll uns, wie es scheint überreden, daß er sein Werk mit geringem Aufwand von Zeit und Mühe verfertigt habe.

Wir glauben im Borghesischen Centauren, im Silen, welcher den Bachus trägt, und im Vatikanischen Apollo die Stuffen wenigstens zu ahnen, auf welchen sich der Geist der Kunst zu der Üppigkeit, Weichheit und Zartheit ausbildete, von welcher der sogenannte Antinous im Belvedere, der Apollino zu Florenz, die Venus mit dem Nahmen der Bupalus, die Venus Callipygis und der Kopf der Ariadne im Capitolium zeugen. Hier ist in der Ausführung und Anlage, in dem Umriß und in der Grundlinie des Ganzen, den wallenden Linien des Reizes schon der äußerste Schwung und die höchste Biegung gegeben, alle Ecken oder Winkel sind sorgfältig vermieden und abgeründet, ohne Aufenthalt, ohne Mühe gleitet das Auge darüber hin, und findet nicht so wohl Beschäftigung als Ruhe und unersättliche Lust im wiederholten Anblick derselben. Aber hier scheint die Kunst auch ihre Gränzen gefunden zu haben; denn sobald sie in ihrem weitern Fortgange dieses Ziel überschritten hatte, so gerieht sie auf Abwege, und ihr Fall kündigt sich dadurch an, daß die einfachen Grundsätze sowohl des Reitzenden als des schönen vergessen, wenigstens vernachläßigt wurden. Denn an der so genannten Cleopatra, an der Gruppe von Elektra und Orest in der Villa Ludovisi, an der Juno von Porphyr in der Villa Borghese, am Sturz von Porphyr auf der Treppe zum Capitolium, an einer Muse zu Venedig, an den so genannten Vestalinnen zu Dresden u. a. m. (welche alle aus Gründen, die an einem andern Ort entwickelt werden sollen, für Werke aus den Zeiten der Ptolomäer zu halten sind) nimmt man etwas Überladenes wahr; die Massen fangen immer mehr an, unterbrochen zu werden, und besonders sind die kleinlichen und gehäuften Falten nicht selten bis auf die höchsten Stellen der Glieder gezogen.

Weiter wollen wir unsere Betrachtungen nicht fortsetzen, weil nach dieser Zeit die Kunst nicht mehr die Natur allein zum Muster nahm, und dieselbe auf eine eigenthümliche Weise nachahmte, sondern meistens aus den Werken der ältern Kunst schöpfte; und obgleich die spätern Werke in andrer Rücksicht noch immer sehr schäzbar sind, so wäre es doch überflüßig, hier weitläuftig von ihnen zu handeln, da wir der Geschichte der Kunst, so wie sie in die Zeiten der Römischen Monarchie fällt, hinlänglich kundig sind.

1 Hieher gehören wahrscheinlich auch verschiedene bemahlte Gefässe in gebrannter Erde von uraltem Styl, deren Figuren zuweilen noch roher und unförmlicher sind, und eben deßwegen sogar noch für älter gehalten werden könnten. Allein es läßt sich erwarten, daß von den alten Künstlern mehr Fleiß und Sorgfalt an Werke in Marmor, als an dergleichen Gefässe verschwendet worden sey, deren Mahlerey offenbar Skizzenmäßig und flüchtig ist. Übrigens führen wir dieß nur im Vorbeygehn und zur Erinnerung an; denn unsre Absicht ist keineswegs im Fortgang dieser Untersuchungen, von Vasen oder Gemmen oder kleinen Bronzen Beyspiele oder Beweise herzunehmen. Vielmehr werden wir uns, um sicherer zu gehen, hauptsächlich an diejenigen beträchtlichen Werke halten, die vermöge ihrer ersten Bestimmung, ihrer Größe, und darauf verwandten Mühe einen so viel möglich vollständigen Begriff von dem Geist und der Kunst ihrer Zeit zu geben im Stande sind. Dieses geschieht nicht aus Geringschätzung der kleinern Monumente, deren mehrere selbst in Privat-Sammlungen sehr merkwürdig sind und in der Folge mit Nutzen zu diesem Zweck könnten angewendet werden. Hier aber ist es bloß darum zu thun, die wesentlichsten Züge einer Kunstgeschichte zu entwerfen, deren Vollendung vielleicht erst künftigen Zeiten aufgehoben ist. ^
2 Daß man aber auch schon früher nicht verschmahte, die Natur genau nachzuahmen, wenn nehmlich kein höherer Zweck die Anwendung des Ideal-Schönen erforderte, zeigt uns eine sehr wohl erhaltene Statue in der Sammlung zu Dresden. Es ist das Bildniß eines Knaben, an der Gränze des Jünglings-Alters, vielleicht eines, der in den Spielen gesiegt hatte. Bey aller Wohlgestalt und Schönheit der Bildung im Allgemeinen bemerkt man viel gewissenhafte Treue in Nachahmung des Eigenthümlichen einzelner Theile und Glieder. Übrigens aber ist die Arbeit und Behandlung an diesem Werk genau eben so, wie an allen andern Monumenten aus der spätern Zeit des hohen Styls.

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