HomeDie Horen1795 - Stück 7II. Dante’s Hölle. [Wilhelm Schlegel]

II. Dante’s Hölle. [Wilhelm Schlegel]

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Fortsetzung.
(Man sehe das vierte Stück der Horen.)

Wer vom epischen Dichter nicht bloß in seinem eignen Vortrage, auch in den Reden und Handlungen aller aufgeführten Personen Anstand und Würde verlangt, wird unfehlbar die hier beschriebene, mit furchtbarer Lebendigkeit, ohne alle Schonung für schwache Nerven dramatisirte Teufelhetze sehr tadelhaft finden. Dante aber argwohnte nicht, daß er eine Epopöe schriebe; alles irgend Darstellbare hielt er sich befugt, darzustellen, und es war seiner Phantasie eigen, sich keinem wirklichen oder möglichen Gegenstande, wie hoch oder tief er auch liegen mochte, zu entziehen. Tief liegen nun allerdings die gemeinen Volksbegriffe von bösen Geistern, denen der Ton jener Schilderungen entspricht; doch enthalten sie das Wahre, daß sittliche Ausartung sich immer in Häßlichkeit und Unadel offenbart. Selbst die menschliche Gestalt, unter der wir uns natürlicher Weise alle Wirksamkeit der Geister versinnlichen, ist dem Erzfeinde der Menschen nicht ohne entstellende Zusätze gegönnt worden.

Unsre Einbildungskraft, wenn sie außerirdische Wesen schafft, kann dieselben zwar mit physischen Vorzügen wunderbar ausrüsten; sie kann ihnen auch in unbestimmten Angaben ein übermenschliches Maaß geistiger Kräfte leihen; aber zu den wesentlichen Bestandtheilen unsrer innern Natur kann sie durchaus nichts hinzufügen, und folglich auch, sobald es zur näheren Ausführung kömmt, keinen Gedanken, keine Empfindung eines guten oder bösen Engels erfinden, dessen ein Mensch, das Zufällige abgerechnet, nicht ebenfalls fähig wäre. Da wir also den Teufel nicht über die menschliche Natur erheben können, so erfordert es das Interesse unsrer Ehre, ihn unter sie hinabzustossen. Dieß geschieht, wenn die Vorstellungen von Vernunft und Freyheit, und aus ihrem Misbrauch entsprungener Verderbniß entfernt, und an ihre Stelle wilde Thierheit, ursprüngliche Bösartigkeit gesetzt wird, wie Dante bey Barbariccio’s Rotte gethan hat. Man kann dabey unmöglich an gefallne Engel denken; diese Geister sind zu unsauber, als daß sie nicht in jedem, noch so weit von ihrem jetzigen verschiednen Zustande den Himmel sollten verunziert haben: es sind gebohrne Teufel.

Wie es dem Dichter gelingen mag, die Theologie mit dieser Vorstellungsart auszusöhnen, das kümmert uns hier nicht: aus der Naturgeschichte liesse sich manches für sie anführen. Es giebt unedle oder feindselige Eigenschaft des Menschen, von der die Natur nicht an irgend einem Thiergeschlechte eine instinktmäßige Nachahmung lieferte; wie zum Beyspiele die menschenähnlichsten Thiere, die Affen, gleichsam als thierische Schauspieler der menschlichen Narrheit, recht uns zum Spotte in die Welt gesetzt scheinen. Auch hat ein allgemeiner Gebrauch viele Laster (freylich auch viele Tugenden) mit irgend einem Thiernahmen beynah sprichwörtlich verknüpft. Indessen unterscheidet unser Gefühl den Instinkt auch in seinen widrigsten oder schrecklichsten Äusserungen sehr wesentlich von dem empörenden Eindrucke grober Unsittlichkeit. Jener bleibt immer eine unterhaltende Naturerscheinung; in seiner Unfehlbarkeit ist Übereinstimmung des Mittels mit dem Zweck, also Vollkommenheit, sichtbar; und seine schädliche Macht wendet sich nie nach innen gegen das Daseyn, dem er zur Beschützung gegebne ist. Hingegen an dem tugendfähigen, aber entarteten, Geschöpfe ist alles Verzerrung, innerliche Zwietracht, unselige Verworrenheit. Es bestätigt die Richtigkeit des vorhin angegebenen Gesichtspunktes, daß man solche innre Qual und Selbstverdammniß an den Malebranche durchaus nicht wahrnimmt, daß sie vielmehr ihre Henkersrolle mit rohem zügellosem Behagen spielen.

Spätere Dichter haben versucht, wo nicht den Pöbel der Höllengeister, von welchem hier die Rede ist, doch wenigstens den obersten Dämon, trotz seiner uralten Widerspenstigkeit, zur heroischen Person heraufzuadeln und zu idealisiren . Im befreyten Jerusalem erscheint er in grauser Hoheit und mit kunstvoller Rhetorik, neben welcher zwar die großen Hörner, die noch nicht von seiner großen Stirn weggeräumt sind, eine etwas abstechende Wirkung thun. Milton ist in diesem Stücke dem Tadel der Kunstrichter glücklich ausgewichen. Die Bildung seines Satans ist gigantisch, aber durchaus edel. Auch spricht er in der That wie ein Cato: wer könnte seinem Heldenmuthe, seiner Standhaftigkeit im Unglück, seiner innern Unabhängigkeit von der äußern Lage Beyfall und Bewunderung versagen? Der Dichter selbst verräth ganz offenherzig den Kunstgriff, wodurch er die Bewohner der Hölle, die sonst aus der Poesie eben sowohl wie aus dem Himmel verbannt seyn müßten, einer schönen Darstellung fähiger gemacht hat. Die verworfnen Geister, sagt er, verlieren ihre Tugend nicht ganz: eine Behausung, die nothwendig mehr oder weniger auffallende Inkonsistenzen mit sich führt, die indessen auch Dante stillschweigend auf die verdammten Menschenseelen angewandt hat. Die Charaktere Satans und Adramelechs im Messias nähern sich weit mehr dem Begriffe ächter Teufeley, aber ihre Unglaublichkeit steigt in eben dem Grade. Wenn reine unbedingte Bosheit, die Gesinnung eines Wesens, welches nicht nur uneigennützig, sondern allem Eigennutze entgegen, ja mit der gewissen Aussicht auf ewiges Elend zum Lohne, alles Böse liebt und verrichtet, und dieß bey einem ursprünglich freyem Willen, nicht im Wahnsinne, sondern bey voller Besonnenheit; wenn solch eine Gesinnung nicht ganz undenkbar ist, so findet ihre Wahrheit wenigstens in unserm Innern nicht die geringste Beglaubigung: denn sie widerspricht sowohl der Sinnlichkeit als der Vernunft; allen Trieben wie allen Grundsätzen.

Virgil und Dante (hier verliessen wir die Geschichte) retten sich eilig vor den Unholden, die, ergrimmt über den durch sie veranlaßten Unfall, ihnen nachsetzen, sobald sie ihre Gefährten aus dem Pfuhle gezogen; indem jener seinen Freund in die Arme schließt, und an der steilen Felsenwand in den nächsten Bezirk hinabgleitet. Hier schleichen die Heuchler unter dem Druck bleyerner, von außen vergoldeter Mäntel und Kappen mühselig einher. Von ihnen erfahren sie Malacoda’s Betrug, und sind genöthigt bey der nächsten, aber hier wie alle übrigen unterbrochnen Brückenreihe über die zertrümmerten Felsen hinaufzuklettern.

Die siebente Vertiefung, die Wohnung der Diebe und solcher Räuber, die List mit Gewalt verbunden, bietet ein entsetzliches Schauspiel dar. Unzählige Drachen und Schlangen, die alle Geburten der Wüsten Lybiens an Mannichfaltigkeit und giftiger Art weit hinter sich lassen, verfolgen die Verdammten, umschlingen ihre Glieder, peinigen sie mit Bissen. Hier büßt Cacus seinen Diebstahl an den Heerden des Herkules. Die beyden Dichter sehen ihn als Centauren: tausend Nattern auf dem Pferderücken; im Nacken einen flammenhauchenden Drachen. Ein andrer Verbrecher zerlodert durch einen Schlangenstich in Asche, aus welcher sein voriger Körper sogleich wieder ersteht. Nichts beharrt hier in eigner Form: Schlangenbildungen, worein sich oft die Seelen Verdammter kleiden, werden mit menschlichen, diese wieder mit jenen vertauscht. In der abentheuerlichen Willkühr, womit diese Verwandlungen zu erfolgen scheinen, waltet dennoch ein furchtbares Gesetz, welches die Schrecken der Hölle ewig wechseln, aber nie sich verringern läßt.

Bist du, o Leser! auf mein Wort zu bauen
Jetzt ungeneigt, so wird’s kein Wunder seyn.
Ich, der es sah, mag kaum mir selbst vertrauen.
Als so mein Aug’ auf sie erhoben war,
Da schleudert, sieh! ein Drache mit sechs Füßen
Sich vorn dem Einen an, und packt ihn gar.
Derweil den Leib die Mittelfüß’ umfangen,
Greift er die Arme mit den Vordern ihm;
Dann schlägt er ihm die Zähn’ in beyde Wangen.
Die Hinterpfoten schmiegen ausgestreckt
Sich um die Schenkel, zwischen die sich windend
Sein Schweif hinauf sich an den Nieren reckt.
Kein Efeu rankte je so drang und feste
Sich um den Baum, als dieser grimme Wurm
Des Mannes Glieder rings mit seinen preßte.
Als ob ihr Leib von heißem Wachse war’,
Verschmolzen sie und mischten ihre Farben:
Noch der, noch jener schien derselbe mehr.
So sieht man von der Glut Papier sich färben
Und vor ihr her, so wie sie weiter greift,
Eh sich’s vollkommen schwärzt, das Weiß ersterben.
„Weh! wie verwandelt, Angelo, wirst du!
„Schon bist du nicht mehr Zwey und auch nicht Einer!“
So rufend schauten jene Beyden zu.
Die beyden Köpfe drängten sich in Einen;
In einem Antlitz sahen wir nunmehr
Zwey neue Zwitterbildungen erscheinen.
Mit Streifen zeichneten die Arme sich,
Und Bauch und Brust und ein und Schenkel wurden
Zu Gliedern, denen nie noch etwas glich.
Vom vor’gen Scheine wurd’ ich nichts mehr innen;
Zwey und auch keiner schien das Misgebild,
Und wandte so den trägen Schritt von hinnen.
So wie, gegeisselt von des Hundsterns Hitze,
Die Eidechs, die den dürren Zaun verläßt,
Den Weg hinüberfährt gleich einem Blitze:
So kam ein Lindwurm, heiß entglüht von Zorn,
Dem Bauch der beyden Andern angesprungen,
Verschrumpft und schwärzlich wie ein Pfefferkorn.
Die Stelle, wo zuerst in unsre Glieder
Die Nahrung dringt, bohrt’ er dem einen durch;
Dann fiel er ihm gestreckt zu Füßen nieder.
Stillschweigend starrt’ auf ihn der, den er traf,
That weiter keinen Schritt und gähnte so,
Als überfiel ihn Fieber oder Schlaf.
Er sah den Drachen an, der ihn dagegen:
Dem dampfte stark die Wunde, dem der Schlund,
Und hier und dort kam sich der Dampf entgegen.
Nun schweige nun Lucan, da, wo er lehrt
Was einst Sabellus und Nasidius litten:
Denn seine Wunder sind nicht diese werth.
Vom Kadmus schweig’ Ovid, und Arethusen!
Es regt sich mir, wenn er in Schlange den,
In Quelle die verkehrt, kein Neid im Busen:
Denn so verschuf er zwey Naturen nie,
Daß Bildung, gegen Bildung umgewandelt,
Den Stoff einander wechselnd nahm und lieh. –
Sie hielten Ebenmaaß im Umgestalten.
Des Menschen Fersen zogen sich in eins,
Der Schweif des Drachen wurde zwiegespalten.
Die Beine samt den Schenkeln wuchsen so
Dem Sünder in einander, daß dazwischen
Die Fuge bald dem Auge ganz entfloh.
Dem Doppelschweif ward die Gestalt gegeben,
Die dort verschwand, und rauhe Schuppenhaut
Erstarrte dort, und ward hier weich und eben.
Und wie sich, in die Achseln eingedrängt,
Die Arme kürzten, wurd’ in gleichem Maaße
Der Vorderfüße Paar dem Thier verlängt.
Die hintern Klauen wurden dann verschlungen,
Den Theil zu bilden, den der Mensch verhehlt,
Indessen dort zween Füße draus entsprungen.
Indem der Dampf in Wirbeln um sie schwimmt,
In fremde Farbe den und jenen hüllend,
Hier Haare pflanzt und dort hinweg sie nimmt,
Steht dieser auf, der Andre fällt zur Erden;
Der Augen Schalkheit funkelt unverwandt,
Obschon vertauscht die beyden Köpfe werden.
Die Schnauze dessen, der erstanden war,
Zog sich zum Schlaf zurück; und von dem Stoffe,
Der dort sich häuft’, erwuchs ein Ohrenpaar.
Ein Theil davon ward nicht zurückgeschoben,
Wovon die Nas’ hervor ins Antlitz trat,
Und um den Mund die Lippen sich erhoben.
Gebiß und Mund des Hingefallnen reckt
Zum Drachenmaul sich aus; die Ohren werden
Wie Schneckenhörner in den Kopf versteckt.
Die Doppelzunge wird in eins verbunden;
Die, so zuvor der Rede fähig war,
Zerspaltet sich; auch ist der Dampf verschwunden.
Der Schatte, der zum wilden Thier nunmehr
Geworden ist, flieht zischend durch die Klüfte,
Und jener speyt und redet hinterher.
Dann kehrt er ihm den Rücken, spricht zum Andern,
Der bey ihm steht: Ha! nun mag Buoso auch,
Wie ich, auf seinem Bauch das Thal durchwandern. –

Es giebt Verwandlungen, die nur eine flüchtige Erwähnung leiden, weil man die Phantasie mit ihnen überraschen muß, wenn sie sich nicht, sobald sie bey mehrerer Muse den Abstand der Gestalten unermeßlich, und die Schwierigkeiten ihres Übergangs unübersteiglich findet, gegen die Zumuthung, die ihr geschieht, auflehnen soll. Dahin gehört es zum Beyspiele, wenn aus einem Riesen ein Berg, wenn aus Schiffen Nympfen werden. Hier, wo der Formenwechsel sich auf den Kreis analogisch organisirter Körper beschränkt, brauchte der Dichter keinen raschen Zauberschlag, um seine Wunder vor der Prüfung zu retten. Er durfte sie dem Auge nahe rücken, und durch die Ausführlichkeit seiner Beschreibung den allmähligen Gang bezeichnen und nachahmen, womit sich Metamorphosen in der wirklichen Natur entwickeln. Was hierinn die täuschende Kunst vermag, hat er geleistet, ohne doch weder ins Kleinliche noch ins Weitschweifige zu fallen. Allein der eigentliche Nachdruck der Stelle beruht auf etwas mehr, als auf der Anschaulichkeit oder Neuheit des sinnlichen Schauspiels, wie sehr auch diese dem Dichter selbst gefallen mag, der sich in ihr des unabhängigen Reichthums seiner Einbildungskraft bewußt wird. Der ganze Vorgang, besonders bey dem letzten Gestaltentausch, hat ein Ansehen von schwarzer, feindseliger Zauberey. Ob sich gleich die Umstände, die zu allegorischer Deutung gleichsam einladen, nicht mit Sicherheit deuten lassen, so wirken sie doch eben dadurch als Mysterien der Hölle. Zugleich ahnet man etwas peinlich Zweydeutiges in dem Zustande der Seelen, die an den Körpern oder Schatten ihrer Mitverdammten wüste Willkühr verüben, und im nächsten Augenblicke zu ohnmächtig sind, sich im Besitz ihres eignen gegen ähnlichen Raub zu schützen.

Über den Umstand, daß die fünf zuletzt erblickten Schatten allesamt Florentiner, und zwar aus angesehenen Geschlechtern sind, bricht Dante in eine sarkastische Lobrede aus:

Freu dich, Florenz! denn du bist hoch und hehr.
Du regst die Flügel über See und Land,
Und in der Hölle prangt dein Nahme sehr.
Von deinen Bürgern fand ich fünf der größten
Beym Räubervolk: daß ich erröthen muß,
Und deinem Ruhm gereicht es nicht zum besten. –

Darauf sieht er in dem achten Theile keine Bewohner, sondern nur eine Menge irrender Feuer, deren jedes einen Arglistigen einschließt und versteckt. Diomedes und Ulysses brennen, weil sie ihre schlauen Anschläge, besonders die Entwendung des Palladium, gemeinschaftlich vollführt, in einer einzigen Flamme, die sich aber nach oben zu theilt und zwey Gipfel bildet, wie jene, welche einst vom Scheiterhaufen des Eteokles und Polynikes emporstieg. Virgil befragt den Ulysses über seinen Tod.

Der Flamme größ’res Horn begonnte nun
Mit Murmeln sich zu neigen und zu schwingen,
So wie vom Wind geschürte Flammen thun.
Es wägte sich die Zunge hin und her,
Aus der vernehmlich diese Worte kamen,
Als ob’s die Zunge eines Menschen wär’:
Kaum daß mich Circe’s Macht nicht länger bannte,
Die mich ein Jahr lang bey Cajeta hielt,
Eh noch Äneas so den Ort benannte:
So konnte nicht das Sehnen nach dem Sohn,
Des alten Vaters Gram, die stete Liebe
Penelope’s und ihr verdienter Lohn,
In mir die heisse Leidenschaft besiegen,
Des Menschen Thun und Tichten zu erschaun,
Und alle Länder forschend zu durchfliegen;
So daß ich kühn ins weite Meer mich trieb,
Mit Einem Schiff und kleiner Zahl Gefährten,
Die mir, allein aus vielen, treu verblieb.
Nun fuhr ich an des Mittelmeers Gestaden
Bis Spanien und bis Marokko hin,
Und wo die Fluten Sardo’s Insel baden.
Ich und mein Volk, wir waren alt und grau,
Eh wir die Enge sahn, wo Herkul’s Hände
Ein Denkmahl aufgestellt zu ew’ger Schau,
Daß Menschen nie sich fürder wagen möchten. –
Zur linken Hand blieb Ceuta schon zurück;
Jetzt liessen wir Sevilla uns zur Rechten.
„O Brüder!“ sagt’ ich, „die zum fernen West
„Sich hingekämpft durch tausend Abentheuer!
„Weil das Geschick so wen’ge Tag’ euch läßt,
„Auf! leidet nicht, daß sie vergebens fliehen!
„Gönnt eurem Geist die Lust, der Sonne nach
„Zum unbewohnten Theil der Welt zu ziehen
„Seyd eingedenk, zu welchem End’ ihr lebt!
„Das sondert euch von unvernünft’gen Thieren,
„Wenn ihr nach Tugend und Erkenntniß strebt.“
Ich spornte so zur Reise die Genossen
Durch diesen kurzen Ruf: hätt’ ich nachher
Auch nicht gewollt, sie blieben doch entschlossen.
Das Steuer ward dem Osten zugewandt;
Dann schwangen wir zum tollen Flug die Ruder,
Doch lenkten wir ihn stets zur linken Hand.
Ich sah bey Nacht des andern Pols Gestirne
Schon insgesamt, und unser Angelstern
Enthob dem Ozean nicht mehr die Stirne.
Nun war des Mondes untre Scheib in Schatten
Fünfmahl erloschen, fünfmahl neu entglüht,
Seit wir die große Fahrt begonnen hatten.
Da schien sich fern am blauen Rand der See
Ein dämmernd grauer Berg empor zu thürmen;
Von solcher Höhe sahn wir keinen je.
Wir jubelten, doch Wehe folgte bald.
Ein Wirbelwind blies von dem neuen Lande,
Und traf das Schiff mit brausender Gewalt.
Er trieb es dreymahl um mit allen Wogen.
Da schlug es über sich; sein Schnabel schoß
Tief in den Grund, von höh’rer Macht gezogen,
Bis über uns das Meer sich wieder schloß.

Vermuthlich ist es mehr eine beabsichtete Ergänzung der alten Fabel, die Dante aus einigen Römischen Dichtern nicht vollständig lernen konnte, als eine wissentliche Abweichung von ihr, daß er den Helden von Ithaka nicht heimkehren, sondern auf dem Ozean den Tod eines Weltumseglers finden läßt. Er kannte Homers Gedichte nicht; dieser kurze Abriß einer Odyssee ist von seiner eignen Erfindung gleichsam eine Weißsagung von den Unternehmungen künftiger Seefahrer. Wenn Colombo sie jemahls las, so mochte er daraus für sich dasjenige nehmen, wozu ihn sein Bewußtseyn berechtigte: den hohen Muth, die Standhaftigkeit, die edlen Triebfedern jenes fabelhaften Helden. Sollte die Katastrofe ihn geschreckt haben?

Die Erzählung steht im Zusammenhange mit andern Dichtungen der göttlichen Komödie, für die sie vorbereitende Winke giebt; denn die Szene des ganzen zweyten Theils liegt eben auf dieser unzugänglichen Insel, auf dieser Atlantis, vor welcher Ulysses durch eine Anstalt der Vorsehung Schiffbruch litt, damit nicht die Scheidewand zwischen Lebenden und Todten eingerissen, und die Wohnung frommer, sich reinigender Seelen von einem Sterblichen erforscht würde.

Noch bleiben uns die zwey letzten Abtheilungen des Kreises zu durchlaufen übrig. Eine davon ist den Zwietrachtstiftern, besonders auch den Schismatikern, bestimmt, unter denen (seltsame Klassifikazion!) Mahomet vor allen bemerkt wird. Wie sie lebend die Gesinnungen andrer Menschen zu trennen und zu zerreißen gesucht haben, so wird in der Hölle ihr Leib von grausamen Wunden aller Art, die stets wieder zuheilen, unaufhörlich zerfleischt. Die andre Vertiefung gleicht einem Siechhause, einem Sammelplatze der ärgsten Krankheiten und Plagen, mit denen die Verfälscher behaftet sind; ein Nahme, welchen der Dichter braucht, um sehr ungleichartige Verbrecher: falsche Münzer, Alchemisten (angebliche), und solche Betrüger, die eine fremde Person gespielt, zusammenzuordnen. Dante hat, auch in der Darstellung so widriger Gegenstände, seinen Charakter nicht verleugnet. Nur zu oft giebt er dem Leser Gelegenheit, die ergreifende Wahrheit, die unwiderstehliche Kraft, wodurch er anderswo entzückt, hier wegzuwünschen.

Jetzt lassen die Reisenden das innwendige Ufer der letzten Vertiefung hinter sich, und durchwandern den noch zum achten Kreise gehörigen Raum von da bis an den senkrechten Abhang des engsten und tiefsten Abgrundes der Hölle.

Hier war ein Zwielicht, weder Tag noch Nacht,
So daß nicht weit mein Auge tragen konnte;
Doch plötzlich scholl ein Horn mit großer Macht.
Deß Klang, vor welchem Donner würden schweigen,
Trieb mich alsbald, den angespannten Blick
Des Weges, wo er herkam, hinzuneigen.
An jenem Schreckenstag’, als Karl dem großen
Die heil’ge Fahrt mislang, hat Roland einst
So furchtbar laut nicht in sein Horn gestoßen.
Das Haupt empor gewendet, schritt ich fort;
Da schien mir’s bald, ich säh viel hoher Thürme,
Und sprach: O Meister! welche Stadt liegt dort?

Die vermeynten Thürme sind Riesen, die auf dem Boden des neunten Kreises, und zwar in bestimmten Entfernungen von einander stehen, und nur mit dem Oberleibe über den Rand des achten hinausragen. Hier sehen die beyden Dichter, neben den Giganten der Fabelwelt, den Nimrod mit einem grossen von der Schulter herabhängenden Horne, wohl demselben, welches eben ihre Ankunft verkündigt hat. Gelegentlich läßt er sie eine kleine Probe von der Babylonischen Verwirrung der Sprachen hören; doch unterhalten sie sich nicht sonderlich mit ihm: „Denn,“ sagt Virgil, „es ergeht ihm mit den Sprachen Andrer, wie Andern mit der seinigen, welche kein Mensch versteht.“ Dante sieht mit Entsetzen den Ephialtes seine Ketten schütteln, die ihm, zur Strafe dafür, daß er einst den Himmel zu erstürmen versucht, Brust und Arme fünffach umwinden. Anteus, weniger wild, versteht sich auf Virgils ziemlich schmeichelhafte Anrede zu der verlangten Dienstleistung. Dieser schließt also seinen Freund in die Arme, der Riese fasst beyde mit den Händen, und setzt sie unversehrt zu seinen Füßen nieder, obgleich Dante unterwegs eine andre Art zu reisen wohl vorgezogen hätte.

Der Boden, worauf er nunmehr steht, ist ein mit Eis bedeckter oder ganz daraus bestehender See, Cocytus genannt, der zwar eine ununterbrochene Fläche ausmacht, aber doch nach den Unterarten von Verbrechern, welche verschiedne Theile desselben einnehmen, vier verschiedne Nahmen trägt. Beym Eintritt in diese kalte Region, in die Tiefen der Tiefen, wo man nur Heulen und Zähnklappern vernimmt, befällt den Dichter ein ungewohnter Schauder: denn der Anblick der hier vor ihm liegenden Qual, ist grade der einzige erdenkliche, welcher ihm nach allem, was er schon gesehen, noch neu und unerhört scheinen kann. Der äußerste Raum, von Verräthern ihrer Verwandten bewohnt, heißt nach dem Nahmen des ersten Brudermörders Caina. Darauf folgt nach innen zu Antenora, wo die Verräther des Vaterlandes ihre Strafe finden: Antenor soll nehmlich treulos an Troja gehandelt haben. Beyde Ordnungen von Verdammten sind mit dem ganzen Rumpfe im Eise festgefroren. Nur die Köpfe erheben sich über die Fläche des Sees; ihre Blicke sind gesenkt; die Thränen, welche sie vergiesen, gefrieren ihnen zwischen den Wimpern. Die meisten Verbrecher des zweyten Bezirkes, welche Dante bemerkt, gehören in die Geschichte der Fehden zwischen Guelfen und Gibellinen: sehr natürlich, weil ja eben die damalige Partheyenwuth politsche Verräthereyen so häufig in der Wirklichkeit veranlaßte, oder in der Meynung erschuf. Dieß gilt auch Ugolino und Ruggieri.

Die Fortsetzung folgt.

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