HomeDie Horen1796 - Stück 12I. Reise von Grottaferrata nach dem Fucinischen See und Monte Cassino, im October 1794. [A. Hirt]

I. Reise von Grottaferrata nach dem Fucinischen See und Monte Cassino, im October 1794. [A. Hirt]

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Fortsetzung.

Bau des Emissärs.

Die Alten geben die Länge des Kanals zwischen dem See Fucinus und dem Flusse Liris auf 3000 Schritte an: allein Fabretti, mit dem auch die neuesten Maaße übereinkommen, fand, daß er 500 Schritte mehr hat. Die Leitung gehet von dem See nach dem Flusse westwärts, anfänglich in einer geraden Linie über 2000 Schritte; dann macht sie eine Wendung, und endlich eine kürzere zweyte nahe an dem Ausflusse, wo sie sich in den Liris, dessen Bett noch 60 Fuß tiefer liegt, verliert. Vom See an erhebt sich das Erdreich etwa 700 Schritte weit, bis an den Fuß des Berges Malleanus allmählig: der Durchschnitt des Berges selbst beträgt auch ungefähr 700 Schritte. Jenseit des Berges tritt man die Palentinischen Gefilde ein, unter welchen der Kanal fortgeführt ist, bis zum Ausflusse, nahe bey dem jetzigen Orte Capistrello, das am Ende genannter Gefilde über dem Abhange, wo man in das Liristhal hinabsteigt, erbaut ist. Die Leitung scheinet diese zwey Wendungen deßwegen zu machen, um dem zur rechten Seite liegenden Gebirge auszuweichen.

Dieses Werk, das größte in seiner Art, das wir in der Geschichte kennen, ist besonders durch die Weise merkwürdig, wie es angegriffen, und vollendet wurde. Nicht allein war der Berg Malleanus durchgebrochen, sondern die ganze Länge des Kanals durch einen harten Kalkfelsen tief unter der Erde durchgebohrt. Nur an dieser und jener Stelle fanden sich Zwischenlagen von festem Lehm, welche ausgemauert werden mußten. Diese ganz unterirdische Arbeit erweckt billig das Erstaunen eines jeden, der es sieht; 30,000 Mann arbeiteten eilf Jahre hindurch ohne Unterlaß daran.

Wie konnten aber so viele Menschen durch so lange Zeit auf einmal und ohne Unterlaß an einem unterirdischen Kanale beschäftiget seyn? Wie hatte man in eine so tiefliegenden, und langen Kanal Luft zum Athmen und Licht zu erhalten hineingebracht? Wie fieng man es an, die abgehauenen Felsensplitter herauszubringen? wie verkürzte man sich die Wege, wie den Zu- und Ausgang? – Ein Blick auf das Werk selbst wird die ganze Aufgabe lösen.

Erstlich grub man an der ganzen Länge des Kanals hin von Distanz zu Distanz vierekige senkrechte Vertiefungen, gleich Cisternen. Diese sind beynahe so tief, wie das Bette des Kanals und laufen an der Seite desselben hin. Diese Vertiefungen heissen jetzt noch bey den Einwohnern Pozzi, welche Benennung wir auch zum bessern Verständniß beybehalten wollen. Die Distanz, in der man einen Pozzo von dem andern gegraben hat, ist ungleich, und eben so ihre Tiefe: die grössern haben nahe an 300 Fuß. Ihr Quadrat hat im Durchschnitt eilf bis zwölf Fuß: nur die beyden nächsten an den beyden Seiten des Berges sind ein paar Fuß weiter. Von unten ist der Zwischenraum, oder Wand zwischen jedem Pozzo, und dem Kanal in Form einer Bogenthüre durchgehauen; der Kanal ist um drey Fuß tiefer. Durch den Berg selbst sind diese senkrechten Vertiefungen nicht gebohrt, weil sie gar zu hoch würden geworden seyn, ausser in der Mitte von den zwey grossen Cuniculis sieht man zwey herabgegraben. Von oben sind dieselben mit einer starken Brustwehr von Backsteinen ummauert.

Zweytens sind neben der Linie des Kanals, ganz auf der Linie der Pozzi, schief abwärts laufende Eingänge mit bequemen Stufen in den Felsen gehauen. Sie gehen eben so tief wie die Pozzi, und haben einen etwas kleinern Eingang in den Kanal. Man nennet diese Zugänge Cuniculi. Meistens durchschneiden sie mehrere Pozzi, und damit die Eingehenden nicht in diese senkrechten Vertiefungen fallen, mußten Planken, gleich einer Brücke, übergelegt werden. Nur bey den zwey grössern Pozzi sieht man einen vier Fuß breiten Seitenweg umhergehauen, daß man dieser temporären Bretterbrücke nicht bedurfte. Die Höhe der Cuniculi hat gewöhnlich acht, und die Breite fünf Fuß. Von beyden Seiten des Berges sind die zwey größten Cuniculi angelegt, welche in der Mitte desselben nahe auf einander stossen. Ein jeder dieser beyden theilet sich im Innern des Berges in zwey Gänge, nebst einer dritten Vertiefung, gleich einem Pozzo. Der Eingang dieser Cuniculi ist nahe an 70 Fuß hoch: welche Höhe aber allmählig abnimmt, bis zu der gewöhnlichen Höhe von 8 Fuß.

In allen Cuniculis sieht man an den Seiten her vertiefte Nischen eingehauen, theils, daß sich die Begegnenden leichter ausweichen könnten, theils, um das zum Graben nöthige Werkzeug, und Vorrath hineinzulegen. Auch nimmt man in kleinen Zwischenräumen kleine Nischen wahr, um Lampen hineinzustellen. Der Eingang jedes Cuniculus ist mit einem gemauerten Bogen versehen, den man mit einer Thüre schliessen konnte. Die zwey grossen Cuniculi haben drey solcher Bogen in Absätzen am Eingange übereinander. Wie ich schon bemerkte, sind die Cuniculi und Pozzi durch den harten Kalkfelsen, wie der Kanal gehauen, nur an wenigen Stellen finden sich Schichten von festem Lehm, welche zur Vorsorge ausgemauert sind.

Erst nachdem die Pozzi und Cunniculi gemacht waren, scheinet man angefangen zu haben, an dem Kanale selbst zu arbeiten. Derselbe ist neunzehn Fuß hoch und neun Fuß breit, nebst einer schmälern grössern Vertiefung von zwey und einem halben Fuß, und eben so viel in der Breite. Diese Vertiefung scheinet diejenige zu seyn, welche Claudius das zweytemal graben ließ. Von oben ist der Kanal in Form eines Halbzirkels gehauen. Man sieht an den Wänden auch, wie in den Cuniculis, kleine Nischen zur Stellung der Lampen angebracht. Der Fall der ganzen Länge des Kanals wird von Fabretti – nach dem Kalkul des Falles, den er bey den Aquädukten der Alten beobachtete – auf zwanzig und einen halben Fuß angegeben. Francesco Lolli glaubet denselben ungleich stärker, obwohl noch keine genaue Nivellirung vorgenommen worden ist.

Wir sind nun dahin gekommen, um deutlich wahrzunehmen, wozu die Pozzi und Cuniculi dienten. Durch die letztern nämlich fanden die Arbeiter einen bequemern Zu- und Ausgang: durch die erstern wurden die von Felsen abgeschlagene Splittersteine, und ausgegrabene Erde herausgewunden. Beyde gaben einen Schein von Licht in das Innere; hauptsächlich aber die für die Arbeiter nöthige Luft. Zugleich wird klar, wie auf einmal eine so grosse Menge Menschen konnten angestellt werden: anfänglich um so viele Pozzi, und Cuniculi zu graben; und dann, wie diese fertig waren, wurde der Kanal seiner ganzen Länge nach auf einmal angegriffen, indem zwischen jedem Pozzo Menschen arbeiteten, wovon sich ein Theil ostwärts, der andere westwärts richtete. Da der Kanal sehr hoch gemacht wurde, so scheinet es, daß drey Mann, in eben so vielen Absätzen übereinander, und drey Mann neben einander, also neun Mann zugleich an der nämlichen Stelle vom Felsen abhacken konnten. Andere waren mit Wegnehmen der abgeschlagenen Stücke, andere mit Füllung der Körbe, oder Schubkarren, andere mit Wegbringen, und andere mit Aufwinden derselben beschäftiget.

Daß man wirklich in Absätzen übereinander arbeitete, scheinet daraus richtig, weil, wenn die Arbeiter die Direktion der Linie zuweilen in etwas verfehlten, man immer wahrnimmt, daß der Fehler von oben anfieng.

Die Pozzi und Cuniculi dienten auch zur leichten Reinigung, wenn der Kanal in der Folge sich verschlammen, oder sonst etwas einstürzen, oder verdorben werden sollte. Die Römer bauten auf die Dauer, nichts war bey ihnen nur halb, langsam, auf den Schein, und für den Augenblick gemacht. Alle ihre Gebäude, besonders die öffentlichen und nützlichen, als Kloaken, Heerstrassen, Wasserleitungen u. s. w. tragen alle diesen Karakter, als den ächten Stempel wahrer Kraft und Grösse.

Doch nicht allein im Baue der beschriebenen Theile, als der Pozzi, Cuniculi, und des Kanals erscheinet die reifeste Besonnenheit: einer besondern Sorgfalt bedurfte die Construktion an dem Einflusse des Sees in den Kanal.

Der natürliche und gewöhnliche Umfang des Sees scheinet in den ältern Zeiten gerade der nämliche gewesen zu seyn, wie wir denselben bey unserer Anwesenheit sahen. Die Stelle des ehemaligen Einflusses des Sees in den Kanal ist jetzt verschlammt, und gleich dem andern Erdreich umher erhoben. Indessen sind von den Linien des Mauerwerks, das theils über der Oberfläche des Seeufers, theils der Wasserfläche erscheinet, noch hinreichende Spuren vorhanden, um die ehemalige Gestalt im Ganzen ziemlich deutlich wahrzunehmen.

Erstlich sieht man zwey Linien Mauerwerk von gehauenen Steinen, welche von dem Ufer in den See, zwey ausgebreiteten Armen gleich, hineintreten. Die eine Linie ist ganz gerade, die andere rundet sich in einen gedrückten Halbzirkel. Diese Verschiedenheit scheinet deswegen gemacht worden zu seyn, damit das Wasser, welches von der Seite der geraden Linie einlief, seine Gewalt zuerst an dem halbzirklichten Arme brechen, und auf diese Weise sanfter in den Kanal einfliessen möchte. Am Einflusse selbst sind Spuren von zwey nebeneinander angelegten Schleussen. Hinter diesen ward ein Kessel im gleichen Achteck nahe an 100 Fuß im Durchmesser angelegt; diese Form läßt sich durch die über das aufgeschüttete Erdreich vorragenden Linien von Quadern nicht verkennen. Man hat aber bis jetzt noch keinen Versuch gemacht, um seine Tiefe gegen das Bette sowohl des einfliessenden Sees, als des dahinter fortlaufenden Kanals einzusehen. Doch glaube ich mich nicht zu betrügen, wenn ich annehme, daß dieser grosse Wasserbehälter tiefer, als der Kanal selbst angelegt worden sey. So bekam das Wasser gleich bey seinem Einfliessen durch die beyden Schleussen einen Fall, um den Schlamm und Sand, was die Welle aus dem See mit sich fortführen mochte, abzusetzen, und sich auf diese Art von seinen schwerern Theilen zu reinigen.

An der Stelle, wo das Wasser sich weiterhin aus dem Kessel in den Kanal ergoß, nimmt man die Spuren von drey Bogen gewahr, welche eben so viele Einflüsse in den Kanal bildeten. Hatte dann das in dem Behälter gereinigte Wasser die Höhe des fortgehenden Kanals erreicht, so machte es seinen Lauf, ohne den Kanal zu verschlammen, nach dem Liris zu. Der Behälter selbst, wenn er anfieng, mit Sand und Schlamm überfüllt zu werden, konnte dann mit leichter Mühe und wenigen Unkosten gereiniget werden, indem man den Einfluß des Wassers am Anfange des Werkes durch die zwey Schleussen hemmte.

Der Dienst dieser zwey Schleussen war aber vorzüglich, um den Ablauf des Wassers in Rücksicht auf die Quantität zu reguliren. Es geschieht nämlich nicht selten, daß der Liris durch häufige Regen und durch Schmelzen des Schnees von den Gebirgen stark anläuft, und folglich an verschiedenen Orten, die er vorbeyfließt, besonders in den schönen und fruchtbaren Ebenen von Sora Überschwemmungen verursachet. Daher war es natürlich, darauf bedacht zu seyn, bey solchen eintretenden Fällen seine Masse Wassers nicht durch einen neuen und künstlichen Zufluß zu vermehren. Man ließ also die Schleussen am See Fucinus fallen, bis das Wasser im Liris wieder in seine gewöhnlichen Grenzen getreten war, und dann zog man sie wieder, um das Wasser vom See allmählig ablaufen zu lassen. Auf diese Art vermied man, durch Überschwemmungen der am Liris gelegenen Orte vielleicht eben so viel zu verlieren, als die Einwohner um den See durch den Ablauf des Wassers an Fruchtbringenden Feldern gewonnen hatten.

Das Bette des Liris liegt da, wo sich die Leitung endiget, und das Wasser sich in den Fluß ergoß, noch bey 60 Fuß niedriger, als der Kanal selbst. Das Wasser floss nicht in einer geraden, sondern in einer schiefen Richtung in den Fluß ein. Die Ansicht dieser Stelle ist sehr mahlerisch; grosse Felsenparthien und alte Eichen umkränzen und beschatten die grosse Bogenöfnung des Kanals, die mit einem schönen Opus reticulatum ummauert ist. Die Phantasie, um das Bild zu vollenden, mahlet sich leicht das ehedem davon herabstürzende Wasser hinzu, welches jetzt durch die Verstopfung des Kanals mangelt, und wovon die Wiederherstellung noch lange ein frommer Wunsch bleiben wird.

Anhang über den Ablaß des Sees Velinus im Sabinerlande.

Es möchte nicht am unrechten Orte seyn, hier einige Nachrichten über den wenig bekannten Ablaß des Sees Velinus beyzufügen. Es ist eine Arbeit, welche unter die frühern Unternehmungen der Römer in dieser Art gehört. Nach Cicero war es M. Curius, der den Ablauf dieses Sees in den Fluß Nar veranstaltete. Wer dieser M. Curius gewesen sey, läßt uns zum Theil Servius errathen, indem er nach Varro berichtet: „daß der See Velinus durch einen gewissen Consul in den Nar wäre geleitet worden.“ Die wahrscheinlichste Vermuthung fällt also auf den M. Curius, welcher den Beynamen Dentatus führte, und sein Consulat im Jahre der Stadt 464 verwaltete. Er triumphirte über die Samniten, und bezwang die rebellischen Sabiner, deren Gebiet er für die Republik eroberte. Wahrscheinlich bediente er sich zur Ableitung des Sees Velinus der Arme der Überwundenen selbst, welche jetzt für ihre Herrn ein Land als Knechte verbessern und cultivieren mußten, das sie vorher als Eigenthum besessen hatten.

Ehedem schon hatten die Römer ähnliche und selbst grössere Werke ausgeführt, als den Ablauf des Sees Albanus während dem Kriege gegen die Vejenter. Der Kanal ist ganz unterirdisch durch den lebendigen Felsen gebohrt. Die Arbeit am See Velinus bestund hingegen bloß in Durchhauung eines offenen Kanals, und in der grössern Vertiefung des Bettes für den Fluß gleiches Namens. Der See, welcher jetzt Lago die Pie di Luco genannt wird, liegt zwischen Rieti, dem alten Reate in Sabina, und Terni, dem ehemaligen Interamnium in Umbria. Die Gegend um Rieti hat mehrere kleine Seen, wovon der Velinus der ansehnlichste ist. Der Fluß Velino, vermehrt durch die beyden Flüsse Salto und Turano, durchkreuzet das Gebiet, und nachdem er das überfliessende Wasser genannten Sees in das durch Kunst gemachte Bette aufgenommen, stürzet er sich eine kurze Strecke darauf in die Nera, ehedem Nar genannt. Dieser Sturz bildet den berühmten Wasserfall, welcher unter dem Namen La Cascata delle marmore, oder di terni bekannt ist; und kein Reisender, der in diese Gegend kommt, wird den kleinen Umweg bereuen, ein so prachtvolles Schauspiel der Natur zu sehen. Die Nera durchziehet dann weiter das Gebiet von Terni und Narni, und ergießt sich unweit Orte, etwa 50 Meilen von Rom, in den Tiber.

Der See, ehe der Kanal gezogen war, hatte einen grössern Umfang, und verursachte durch Bergströme bey grossen Regen, und Abgang des Schnees häufige und schädliche Überschwemmungen, welche das Gebiet der Reatiner zu einem förmlichen Sumpf machten. Der Endzweck es curius dentatus war also, durch eine künstliche Leitung die Gegend vor fernern Überschwemmungen zu sichern, und so viele vortrefliche Felder für einen ergiebigen Anbau zu gewinnen.

Ich gebe hier die Stelle, worin Cicero dieses Ablasses gegen seinen Freund Atticus gedenket, in der Übersetzung: „die Reatiner führten mich zu ihrem Tempe, damit ich ihren Rechtshandel gegen die Interamnaten vor einem Consul und zehn Abgeordneten übernehmen möchte: weil der See Velinus, nachdem er von M. Curius vermittelst eines zwischen Felsen durchgehauenen Kanals ist abgeleitet worden, in den Nar fließt; daher jene Rosea jetzt troken, und nur von einem leichten Thaue feucht ist.“

Cicero nennet diese Gegend ein Tempe nach dem berühmten Thale dieses Namens in Thessalien, und will dadurch die natürliche Annehmlichkeit derselben bezeichnen. Ihr eigener Namen war aber Rosea, weil die Felder um den See her immer, wie mit einem leichten Nebelschelyer bedeckt, und vom Thaue feucht sind. Nach Plinius erscheinen daher fast täglich Regenbogen über dem See Velinus und von den Sabinern sagt er, daß sie die Velinische Seen auf bethauten Hügeln bewohnen. Auch bey Varro kommen diese Felder unter dem Namen Rosea vor. Virgil nennet sie Rosea rura Velini, und sein Ausleger Servius bey dem nämlichen Verse Rosalanus ager. Der fette und schnelle Graswuchs dieser Rosea war daher vor allen übrigen in Italien berühmt.

Von welcher Natur war aber die in der Stelle des Cicero angezogene Streitigkeit zwischen den Interannaten und Reatinern?

Hierauf läßt sich mit Bestimmtheit antworten, daß sie eben den durch M. Curius für den Ablauf des Sees Velinus geführten Kanal betraf. Das Gebiet der Reatiner war nemlich durch diesen Ablauf aus einem Sumpf in ein wahres Tempe, wie es Cicero nennet, verwandelt worden. Allein dieß konnte, wie die Folgen zeigten, nicht ohne Nachtheil der Interamnaten geschehen, weil durch diese Vermehrung des Wassers, welche der Fluß Nar erhielt, ihr Gebiet jetzt mehr in Gefahr war, schädlichen Uiberschwemmungen ausgesetzt zu seyn. Die Klage also welche zwar in Cicero’s Zeiten schon alt seyn mochte, scheinet von Seiten der Intermnaten geführt worden zu seyn: damit der Kanal, der zuviel Wasser auf ihr Gebiet leitete, entweder möchte verstopft, oder aber doch Mittel ausgefunden werden, den Ablauf unschädlicher für ihr Gebiet zu machen. Der Senat in Rom scheinet auch damals eine ernstliche Untersuchung hierüber angestellt zu haben, indem er einem Ausschusse von zehn unter dem Vorsitz eines der Consuln auftrug, hierüber auszusprechen. In Varro lernen wir den Appius Clandius, damals Augur, als einen der Abgeordneten kennen, welcher wegen dieses Streits beyder benachbarten Städte die Gegend um den See Velinus in Augenschein nehmen mußte. Nach einer andern Stelle des Varro ist dieser berühmte Handel auch vor das Tribunal der Censoren gekommen, wobey Cäsar Vopiscus als einer der Sachwalter für die Reatiner aufgetreten zu seyn scheinet.

Eine Stelle des Tacitus mag über die Natur dieses Rechtshandels noch mehr Licht verbreiten, da späterhin wirklich die Rede war, den Kanal des Sees zu verstopfen. Dieser Chroniker meldet uns, daß in dem zweyten Jahre der Regierung des Tiberius der Fluß Tiber durch lang anhaltendes Regnen austrat, und in der Stadt den Umsturz vieler Gebäude, und den Tod einer großen Menge Menschen verursachte. Daher Arruntius und Atejus den Auftrag bekamen, Mittel zu treffen, wie der Fluß zu beschränken sey. Diese beyden referirten also im Senat: „ob man nicht, um die Überschwemmungen des Tibers unschädlicher zu machen, die Flüsse und Seen, wodurch er anschwillt, ableiten sollte.“ Die Abgeordneten der Municipal- und Colonialstädte wurden darauf vorgerufen: wobey die Florentiner baten, daß man doch die Clanis nicht aus ihrem alten Bette in den Arno leiten möchte, weil sie allzu großen Schaden dadurch leiden würden. Auf gleiche Weise sprachen die Juteramnaen, daß nemlich die fruchtbarsten Felder Italiens dem Verderben würden Preis gegeben seyn, wenn der Fluß Nar, wie der Vorschlag war, in kleine Kanäle und Teiche vertheilt würde, wodurch nothwendig Sümpfe entstehen müßten. Auch die Reatiner redeten, und wollten nicht, daß der Ablauf des Sees Velinus, da wo er sich in den Nar ergießt, verstopft werde, indem er sich dann über die umliegenden Gegenden ergiessen würde. Überhaupt habe die Natur am besten für die menschlichen Anliegen gesorgt, indem sie den Flüssen ihre Ufer, wie ihren Lauf, ihren Ursprung, wie ihren Ausfluß bezeichnete. Auch wäre Rücksicht auf die Religion selbst zu nehmen, indem die Verbündeten den einheimischen Flüssen, Tempel, Altäre und Wälder geheiligt hätten: ja der Tiber selbst würde von der Größe seines Namens verliehren, wenn die benachbarten Flüsse von ihm abgeschnitten würden. Endlich blieb es bey dem Ausspruche des Piso, welcher vorschlug, keine Veränderung vorzunehmen, sey es daß das Bitten der Kolonien, oder die Schwierigkeit der Ausführung, oder die Schwierigkeit der Ausführung, oder der religiöse Aberglaube soviel vermochte.

Aus dieser Stelle, besonders aus dem, was der Autor von dem Velinus beybringet, erhellet deutlich, daß man den Ablauf desselben nicht bloß als gefährlich für das Gebiet der Interamnaten, sondern für die Hauptstadt selbst ansah. Auch sollte man nach ihm vermuthen, daß in Tiberius Zeiten weiter keine Vorkehrungen, die Überschwemmungen des Tibers zu beschränken, getroffen worden wären. Indessen findet sich eine Stelle in Dion, welche, wenn sie nicht geradezu das Gegentheil beweiset, doch eine starke Modification zulässt. Nachdem er von den nämlichen Überschwemmungen, deren Tacitus gedenket, gesprochen hat, füget er bey: „Tiberius gab Befehl, daß zu jeder Zeit fünf Senatoren, welche das Loos zu einem solchen Amte bestimmen würde, Sorge tragen sollten, daß das Wasser in dem Tiber des Sommers nicht zu seicht seyn, und im Winter nicht zu sehr anschwellen, sondern so viel möglich immer gleich fließen möchte.“ Diese Vorschrift des Kaisers zielet auf bestimmte Vorkehrungen, zwar so viel möglich ohne Nachtheil der Colonialstädte. Unter diese möchte ich gerne eine Anstalt zählen, welche heut zu Tage noch im Gange ist: obwohl es anderseits nicht auszumachen ist, ob dieselbe nicht schon seit Curius selbst, oder in Cicero’s Zeiten zum Theil existirt habe.

Diese Vorsorge bestand darin. Man baute eine Brücke über den Hauptkanal des Velinus, nicht bloß zum Übergange, sondern hauptsächlich um bey großem Anlaufe den Strom anzuhalten, und nur soviel Wasser durchzulassen, als der Bogen der Brücke geöffnet ist. Sie ist bey 70 Palm breit: der Bogen ist tief über den Kanal gesprengt, und so fest gebaut, daß sie jeder Gewalt des Wassers widerstehen kann. Ihr jeziger Name Ponte regolatore bezeichnet noch ihre ursprüngliche Bestimmung. Da also hiedurch die Masse Wasser, welches abfließen konnte, regulirt war, so erhielt die Nera keine nachtheilige Vermehrung weiter. Damit aber auch das überfließende Wasser des Velinus nicht anderwärts ausbreche, und Verheerungen verursache, so ward eine zweyte Anstalt getroffen. Diese war, daß man das Ufer des Hauptkanals von der Seite durchschnitt, und vermittelst eines NebenCanals das überfliessende Wasser in mehrere große und kleinere Teiche leitete, welche zu diesem Zweck zur Seite des Flussbettes gegraben worden waren. Diese Teiche existiren zum Theil noch, und der größte davon führet noch heute den Namen Fossa Tiberiana: eine Tradition, welche den Text des Tacitus modificirt, und denjenigen des Dion rechtfertiget. Alle diese Teiche wurden durch Zwischenkanäle miteinander verbunden, und dann durch einen gemeinschaftlichen größern Kanal wieder ausgeleeret. Allein da alle diese Vorkehrungen getroffen wurden, damit das Wasser nicht so bald wieder daraus abflöße, so ward eine zweyte Brüke, Ponte regolatore, über diesen zweyten Kanal gebaut. Die Spuren davon existiren noch: sie hatte zwey Bogen, an welchen vermuthlich Schleußen angebracht waren, um das Wasser in den Teichen so lange aufzuhalten, als man wollte, und eben so allmählig wieder daraus abfliessen zu lassen.

Um nun den Nutzen und Endzweck dieser Anstalt ganz zu begreifen, ist noch nöthig zu wissen, daß der hohe Anlauf des Wassers periodisch ist, im Spätjahre nemlich bey anhaltendem Regen, und im Frühling, wenn der Schnee von den Gebirgen schmilzt. Das Anschwellen der Flüsse sowohl, als des Sees ist nie von langer Dauer, und hält höchstens einige Tage an. Fieng nun das Wasser an, in dem großen Kanal des Hauptbettes merklich abzunehmen, so konnte man die Schleußen des zweyten Kanals ohne Gefahr öfnen, um die Teiche allmählig wieder auszuleeren. Die ganze Masse Wasser also, welche der Fluß und der See zum Beispiel in Zeit von vier Tagen herbeyführten, und ohne diese Brüken, Teiche und Schleußen in eben dieser Zeit in die Nera und folglich auch in den Tiber ausgeleert hätten, lief vermittelst dieser Anstalt anstatt in vier, nun in sieben oder acht Tagen ab. Folglich ward der Endzweck, das Gebiet an dem Nera, so wie dasjenige an dem Tiber vor schädlichen Überschwemmungen, von dieser Seite wenigstens, zu schützen, erreicht. Auch litt das Erdreich, worin die großen Teiche, um das überfließende Wasser aufzunehmen, gegraben wurden, keinen Schaden; weil das Wasser wieder ganz daraus abfloß, und keinen Sumpf zurückließ. Vielmehr ward der Boden durch die schleimigten Theile, welche das Wasser absetzte, fetter gemacht. Der Anpflanzung schadete es auch nicht, weil entweder das hohe Wasser gegen den späten Herbst eintritt, wo die Ärndte schon lange vorüber ist, oder aber im Frühjahr, das heißt in den Monaten Merz und April, wo dann noch volle Zeit vorhanden ist, eine nützliche Anpflanzung vorzunehmen.

In neuern Zeiten ließ man es sich zu verschiedenen Malen angelegen seyn, diese vortrefliche Anstalt der Alten wiederherzustellen.

Braccio Fortebracci ließ im Jahre 1417 den ganzen Kanal, Reatino genannt, ziehen, und die durch Jahrhunderte verschlammten Teiche zum Theil wieder aufgraben. Paul III stellte im Jahre 1546 den Kanal der Alten wieder her, der auch jetzt noch im Gange ist: dadurch ward aber der Reatino unnütz, und ist jezt wieder troken. Auch Gregorius XIII machte Verbesserungen, und Clemens VIII ließ die Brücke über den HauptKanal des Curius wiederherstellen. Vor wenigen Jahren ist eine neue große Arbeit an der Stelle selbst, wo sich der Veliono in die Nera stürzet, ausgeführt worden. Durch die Länge der Zeit hatte die Gewalt des fallenden Wassers die Felsen so abgeschliffen, und die Natur des Falles so geändert, daß der Velino sich nicht mehr schief, sondern ganz senkrecht in die Nera stürzte. Dieß hielt bey einem etwas starken Anlauf der Gewässer den Strom der Nera auf, wodurch dann abwärts sehr nachtheilige Überschwemmungen veranlaßt wurden. Die neuerlich vorgenommenen Arbeiten bestunden also darin, daß durch Abgraben und Sprengen großer Felsenparthien dem Falle des Velino wieder eine schiefe Richtung – nach dem natürlichen Lupfe der Nera – gegeben wurde.

Die dieser Beschreibung beygegebene Karte ist von einer größern kopirt, welche der für jeden Zweig der Gelehrsamkeit so wachsame Kardinal Borgia im Jahre 1779, als er noch Sekretär der Propaganda war, aufnehmen und stechen ließ.
Erklärung der Risse von dem Emissär des Fucinischen See’s.

Fig. I. Grundriß des ganzen Kanals. a) Einfluß des Sees. b) Ausfluß in den Liris.

Fig. II. Durchschnitt des Kanals mit Ein- und Ausfluß, Pozzi und Cuniculi.

Fig. III. Grundriß von einem Theil des Kanals. a) Kanal. b) Pozzi. c) Cuniculi.

Fig. IV. Doppelter Durchschnitt von O bis P der Pozzi und Cuniculi von P bis Q des Kanals. a) Grosser Cuniculus. b) Kleinere. c) Pozzi. d) Nischen in den Cuniculi. e) Theilung des grossen Cuniculus in zwey kleinere. f) Kanal. g) Eingang der Pozzi. h) Eingang der Cuniculi in den Kanal. l) Stück im Kanal um die Weise des Grabens anzuzeigen. m) Umgang des Cuniculus um den Pozzo.

Fig. V. Durchschnitt der Cuniculi und des Canals; genommen von der punktirten Linie z. a) Cuniculi. b) Eingang in den Kanal. c) Tiefer Graben desselben.

Fig. VI. Durchschnitt eines Pozzo. a) Pozzo und Eingang in den Kanal. b) Durchschneidung des Pozzo durch die Cuniculi.

Fig. VII. Weise, wie in dem Kanal gearbeitet ward.

Fig. VIII. Plan des Einflusses in den Kanal. a) Mauer in den See hineingebaut. b) Zwey Schleussen. c) Wasserbehälter. d) drey Bogen in den Kanal.

Fig. IX. Durchschnitt des vorigen. a) EinfassungsMauer. b) Schleusse. c) Tiefe des Behälters. d) Einfluß in den Kanal.

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