HomeDie Horen1797 - Stück 2III. Agnes von Lilien. [Caroline von Wolzogen]

III. Agnes von Lilien. [Caroline von Wolzogen]

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Fortsetzung.

Bettina benutzte einen günstigen Augenblick, wo sie mich allein im Garten fand. „Ich habe eine Bitte an Sie, sagte sie mir leise. O bewegen Sie Herrn von Nordheim und die Gräfin, daß ich Sie in die Stadt begleiten darf! Ich weiß nicht wie mich Ihr Anschaun so verwandelt hat, meine sonst so geliebte Einsamkeit scheint mir ein Grab. Ich fühle, wie wenig ich bin, aber zugleich den Muth noch mehr zu werden. In welch kindischer Gedankenlosigkeit verstrichen meine Tage! Jetzt weiß ich, was ich werden möchte. Ein andres Dasein steht mir so klar hier, (sie deutete mit den Finger auf ihre Stirn) als wie die Gestalt dieser Blume vor mir steht, ob sie gleich jetzt noch in der schwellenden grünen Knospe verborgen liegt. O zeihen Sie mich in Ihr Dasein hinüber!“ sagte sie mit dem sanftesten Ton.

Als ich Nordheim das Anliegen des guten Kindes vortrug, sagte er freundlich: Sie kommen meinen Wünschen zuvor. Bettina hat das Alter erreicht, in welchem nur der vertraute Umgang einer schönen weiblichen Seele ihre Bildung vollenden kann, den sie hat nicht Kraft genug, durch sich selbst das rechte Gleichgewicht zu finden, aus welchem sich eine schöne Form zu entwickeln vermöchte. Die Mutter hat nur einzig in ihrem Talent und in ihren Reitzen gelebt; seitdem sie mit der Jugend diese Existenz verlohren, ist sie in jene Erschlaffung und Dumpfheit versunken, mit der eine leere Seele immer in sich selbst zurückkehrt. Sie hat sich in ihrem Wahn, dem Himmel, aber eigentlich den Träumen ihrer führen Kinder-Einbildung zugewendet. Die todten Formen blieben in ihr liegen, weil keine Vernunft sie belebte oder hinwegräumte und geben jetzt einen matten Trost. Beinah scheint mir die Furcht vor jeder Art von Gesellschaft, bey dieser Frau noch auf etwas mehr verschobenes im Gemüth zu deuten, als einzig auf das peinigende Gefühl der kleinen Eitelkeit, eine kleine Existenz überlebt zu haben. Sie sehen aus diesem allen, fuhr er fort, daß Sie mir durch Ihre Güte für Bettina eine Sorge vom Herzen nehmen, ich will dem guten Geschöpfe herzlich wohl. Wie gern, beste Agnes, verdanke ich Ihnen dieses! Wie gern verdankte ich Ihnen alles! Er faßte meine Hand heftig, ließ sie aber im Augenblick wieder los, und entfernte sich.

Die Gräfin willigte sogleich in unsern Vorschlag wegen Bettina ein, und die Mutter wurde nunmehr befragt.

Nach einer halben Stunde kam Battista gelaufen, und rief, meine Mutter wünscht die junge fremde Dame zu sprechen, welche so viel Güte gegen ihre Tochter bezeugt.

Das ist höchst sonderbar, sagte Nordheim. Ich folgte Battista durch ein zierliches Blumengärtchen in das kleine Wohnhauß. Eine Frau von großer Gestalt, und sehr feinen Gesichtszügen, in denen aber eine beunruhigende Lebhaftigkeit lag, empfieng mich an der Treppe; sie schien verlegen, suchte dieses aber hinter einem kalten und steifen Anstand zu verbergen. Schweigend führte sie mich ins Zimmer, welches mit Verzierungen überladen war, und mehr für Nordheims Freigebigkeit, als für den guten Geschmack der Bewohnerin zeugte. Die Mutter befahl Battista, uns zu verlassen. Als wir allein waren, faßte sie meine beiden Hände, sah mir starr doch freudig ins Gesicht, und rief: Ja, das ist sie! das ist die Gestalt, die du mir als meine Beschützerin zeigtest, heilige Jungfrau! so schwebte sie aus goldnen Wolken zu mir hernieder; das sind dieselben blonden Locken, wie sie jenes himmlische Haupt umwallten. Ich erkenne das sanfte Lächeln wieder, welches die Hoheit der verklärten Züge milderte. Ja sie wird, sie muß mir helfen!

Ich war erschrocken, und wußte nichts zu sagen.

Sie faßte sich, saß einige Augenblicke mit beinah geschloßnen Augen neben mir, und fragte dann heftig: Welche von Ihnen beiden ist die Braut unsers guten Herrn, die Gräfin von Wildenfels oder Sie?

Ich antwortete, daß von keiner Heurath des Herrn von Nordheim die Rede sey.

Die Gräfin ist es nicht? rief sie freudig, und Sie können es werden. O schönes gutes Mädchen, wie innig soll es mich freuen, Sie als die Gemahlin meines Beschützers zu verehren! Gewiss Sie machen einen sonderbaren Eindruck auf ihn! Nie sah ich ihn noch so himmlisch heiter, so sanft, so leuchtend mögte ich sagen von Leben und Freude, als wie er gestern neben Ihnen einhergieng. Innigst freute ich mich dieser Erscheinung, aber man sagte mir diesen Morgen, er werde seine Vermählung mit der Gräfin feiern. Es drang ein kalter Schauer durch meine Adern, Sie fühlen ich habe mich noch nicht vom Schrecken erholen können.

Die Reden des Weibes waren mir ein unbegreifliches Räthsel, aber immer bindet es uns mit einer gewissen magischen Gewalt, selbst an das gleichgültigste Geschöpf, wenn wir den liebsten Wunsch unsrer Seele, auch von seinen Lippen vernehmen.

Jetzt nahm sie ein verschloßnes Kästchen aus ihrem Schreibepult, ihre Hände zitterten, mit gen Himmel gerichteten Augen drückte sie das Kästchen an ihre Brust, und rief: Heilige Jungfrau! du selbst gebotest mir, ich folge deinem Wink, er kann mich nicht irre führen!

Starr richtete sich nun ihre Augen auf mich, indem sie fortfuhr. Seit langen Jahren vertraute ich keinem menschlichen Wesen, und seit ich durch das Bekenntnis meiner Schuld von einem frommen Vater Vergebung empfieng, seit dieser Zeit, beschloß ich, mein Geheimnis auf ewig in meiner Brust zu begraben. Gleichwohl drängten sich mancherlei Umstände, und meiner Kinder Schicksal foderte eine schmerzliche Eröfnung meines Herzens. Auf der andern Seite hieß mich auch manches schweigen. So rang ich mehrere Monathe nach einem Entschluß, und lebte im schmerzlichen Kampf. Ich flehte oft zur Mutter Gottes um einen leitenden Wink, endlich erschien sie mir im Traum, heilt eine Heilige an der Hand und sagte zu mir: Dieser vertraue.

Ich fühlte mich beruhigt, und wartete mit stillem Geist auf die Deutung dieses Gesichtes. Beim ersten Blick, den ich auf Sie warf, als Sie durch den Garten mit Herrn von Nordheim kamen, erkannte ich jene himmlische Traumgestalt. Um so mehr erschienen Sei mir als ein hülfreicher Engel zur schlimmsten Stunde der Noth, weil ich die Gräfin neben Ihnen erblickte. Sie werden dieses in der Folge verstehen. Ich fuhr Sie noch oft lange und genau an, ohne von Ihnen bemerkt zu werden, und überzeugte mich ganz, daß ich mich nicht getäuscht hatte, als ich in Ihnen die versprochne Retterin zuerst erkannte. Die schwere Last fiel von meinem Herzen durch diese augenscheinliche Hülfe des Himmels. Nun vertraue ich Ihnen mein und meiner Kinder Schicksal in den Papieren, die dieses Kästchen enthält. Schwören Sie mir, daß unser Herr die Gräfin von Wildenfels nicht zum Altar führen soll, bevor Sie es eröfnet, ihr den Innhalt der Papiere verkündigt, und das Versprechen von ihr empfangen haben, daß Sie für meine Kinder Sorge tragen will. Sind Sie die Braut, so werden Sie die Beschützerin meiner Kinder, und öfnen an Ihrem Hochzeittag das Kästchen. Herr von Nordheim wird dann um Ihrentwillen der Vater meiner Kinder bleiben, wie er es jetzt durch Güte und Sorge ist. Oft fühlte ich den Drang, meine Seele vor ihm aufzuschließen, aber die Ehrfurcht heilt das Vertrauen gebunden.

So glaubte ich mir aus der schmerzlichen Verwirrung geholfen zu haben, fuhr sie fort, nachdem sie wenige Momente in Nachdenken versunken, unbeweglich vor mir stand. Schwören Sie mir nun, sagte sie feierlich, bei allem was Ihnen heilig ist, schwören Sie mir bei dem allwissenden, meine Bitte zu erfüllen, und geben so einer Unglücklichen die Ruhe wieder!

Ihre Augen waren mit wilden schmerzlichen Verlangen auf mich geheftet, alle ihre Züge blieben wie erstarrt, und der Mund halb geöfnet. Ich gelobte die Erfüllung ihrer Bitte, so fern sie in meinen Kräften stünde, indem ich den Allwissenden zum Zeugen anrief. Jetzt fiel sie mir zu Füssen, benezte meine Hände mit Thränen und prieß sich selig von dem bängsten Zustande befreit zu seyn. Ich suchte sie zu den gesunden wahren Gefühlen der Natur zurückzuführen, indem ich von dem Schicksal ihrer Tochter redete, und für sie Sorge zu tragen versprach. Mir dünkte die Einsamkeit sey ihr schädlich, und werde am Ende ihre ganze Existenz ins Phantastische hinüberziehen, so wie dieses vielleicht bey jedem erfolgen muß, der sich nicht durch Beschäftigung des Verstandes im gehörigen Gleichgewicht zu erhalten vermag. Jeder braucht im gewissen Sinn das Leben mit Andern um seiner Selbst gewiss zu werden, aber Menschen von schwachen Fähigkeiten denken allein mit den Worten und Formen, die sie von andern empfangen.

Ich sprach von Entwürfen, auch die arme verstimmte Frau, so wie ihre Tochter, wieder in das gesellige Leben zu verflechten, aber sie sagte traurig lächelnd: Nein, die Nachtigallen sind im Winter unansehnliche lästige Thiere, ich will einsam bleiben, bis ich im Chor der Engel wieder singen kann.

Bettina sollte mir noch denselben Abend das geheimnisvolle Kästchen überliefern, ihre Mutter schien keinen vollkommnen Frieden zu finden, bis sie jedes sinnliche Zeichen ihres schmerzlichen Geheimnisses von sich entfernt hatte.

Ich begegnete Nordheim und Julius als ich durch den Garten zurück gieng. Sie schienen in einem vertraulichen Gespräch begriffen. Nordheim faßte meine Hand, und fragte: wie ich Madame Barsino gefunden?

Mir dünkt, sagte ich, ihr Gemüth bedürfe eines starken äusern Anstoßes, um die tiefen Spuren der Vergangenheit, die es bezeichnen, wieder auf eine leichte Art mit der umgebenden Welt vermischen zu lernen.

Der Rest des Lebens, sagte Nordheim, muß nothwendig schaal seyn, wenn der Anfang nur der einseitigen Kultur eines Talents gewidmet war, dessen wir uns nur durch Andre erfreuen können. Nur Geist und Liebe brechen Blüthen in jeder Region des Lebens.

Wir standen an einer Bank, über welcher sich eine Laube wölbte. Nordheim hieß uns sitzen. Es war etwas zärtlicheres in seinem Betragen, als ich noch je wahrgenommen, und der Ton seiner Stimme wurde weicher und zärter, wenn er mit mir sprach.

Ist es der Wunsch ein angethanes Unrecht vergessend zu machen? Ist es Liebe?

Dieser Zweifel bewegte meine Seele, aber lebendig drang die holde Erscheinung zu meinem Herzen. Julius, Nordheim und ich, waren in der lebhaftesten Stimmung, nur abgebrochne Worte hielten den Faden der Unterhaltung zusammen. Etwas unaussprechliches, unendliches füllte unsere Busen, glänzte in unsern Blicken, arm und leer schien jedes Wort, wir unterhielten uns von den entferntesten Dingen, um nur das nächste Gefühl unsers Herzens nicht zu verrathen. Der Wunsch, mit Nordheim allein zu seyn, wechselte mit einer sonderbaren Furcht vor einem entscheidenden Augenblick, in welchem ich das Geständniß seiner Liebe empfangen sollte, und Julius schien selbst so nach einer Gelegenheit zu suchen, uns mit Anstand zu verlassen, und nur aus Verlegenheit zu bleiben, daß ich nicht unzufrieden mit ihm seyn konnte. Ich wünschte auch eigentlich seine Entfernung nur, weil ich fürchtete, es müsse ihn schmerzen, wenn er den vollen Ausdruck meiner Liebe gegen Nordheim, als Augenzeuge empfände. Ich hätte ihn mit mir an der Brust meines Geliebten gewünscht, selig mit mir im reinsten Genuß an dem liebeschlagenden Herzen.

Unsre lebhafte Stimmung stieg beinah bis zur schmerzlichen Spannung. Es zog sich gleich einer drückenden Gewitterwolke um uns her, die sich nur in Blitzen entlasten konnte.

Julius stand auf, und war im Begriff sich zu entfernen. Die lieblichste heiligste Ahnung einer glücklichen völlig einverstandnen Liebe, bebte durch mein Wesen – aber in dem Augenblick verließ uns Nordheim mit einer flüchtigen Entschuldigung von Geschäften.

Meine Arme erhoben sich unwillkührlich die geliebte Gestalt fest zu halten, mein Herz schlug gewaltig gegen meine Brust, und ein lauter Seufzer verrieth Julus meinen Zustand.

Was habe ich gethan? rief er schmerzlich aus. Warum zögerte ich, mich zu entfernen? Warum muß ich Unseliger immer der Glückseligkeit des liebsten Wesens im Wege stehen?

Seine Verwirrung gab mir meine Faßung wieder.

Lieber Freund, sagte ich ihm, das Schicksal läßt sich die schönsten Blumen des Lebens nicht entreißen, sondern reicht sie nur freiwillig dar. Sollte mir noch gewährt seyn, Nordheims Liebe zu gewinnen? Alles beinahe heißt mich zweiflen.

Ich empfand in diesem Augenblick, wie ich sprach; Furcht und Verlangen halten alle schwankende Gegenstände fest, und erhalten unser Gemüth nothwendig im Irrthum. Nordheim konnte selbst wünschen, mich mit einem andren Manne zu verbinden, wie kann er mich lieben? So schloß ich natürlich in dem Moment einer getäuschten Hofnung.

Julius Blicke ruhten mit der zärtesten Theilnahme auf mir.

Vertrauen Sie meinen Augen, liebste Agnes, sagte er sanft. Sie werden geliebt. Einfacher, klärer, faßt eine weibliche Seele das Gefühl der Liebe; mit mannichfachen, oft streitenden Gestalten, vermischt es sich in der Brust des Mannes. In einer so reichen Natur wie Nordheim, wo so hohe Kräfte existieren und wirken, muß die Liebe eine ganze eigne, neue Gestalt annehmen, die zu mancher Täuschung Anlaß geben kann.

Ich fühlte mich gestärkt und beruhigt, mehr durch das Anschaun von Julius schönem Wesen, das seine Freiheit bei dem lebhaftesten Empfinden so rein zu bewahren vermochte, als durch die Hofnungen, welche er mir einzuflößen strebte.

Wir kehrten noch denselben Abend nach der Stadt zurück. Der Prinz hatte die ganze Gesellschaft dringend eingeladen, sich bey einem Fest einzufinden, welches er seiner Schwester zu Ehren veranstaltet hatte.

Ungern trennte ich mich von dem Wohnort meines Geliebten. Die Gärten, das Haus, die Zimmer und alles was sie enthielten, schienen mir als sein Eigenthum, von seiner Gegenwart belebt und verschönert zu seyn. Ein freundlicher Schimmer erleuchtete alles was mich umgab, so wie ein heitrer Sonnenblick uns alle Formen einer wohlbekannten Gegend, gleichsam erneut, und näher an die Seele bringt.

Die nächsten Tage waren geräuschvoll. Mir war nie wohl unter dem Gewühl einer bunten Menge, sie brachte mich immer in eine Art von Betäubung, in welcher ich den Mangel an innrer Klarheit schmerzlich empfand.

Die Gestalt der Prinzessin ergriff mich mit sonderbarer Gewalt. Sie saß in einem Zirkel von Damen, als ich mich ihr näherte. Ihr Anstand war edel, ihr Putz einfach und geschmackvoll. Ich mußte den Cirkel vermehren, und als ich ihre Gesichtszüge genauer betrachten konnte, fand ich sie alle von dem Ausdruck unaussprechlicher Lieblichkeit belebt.

Nur wenig, und sehr leise wurde von den Damen gesprochen, die Prinzessin schwieg, oder sagte ihren Nachbarinnen ein paar Worte, von denen ich nichts vernehmen konnte. Endlich wendete sie sich mit einer Frage an mich. Der Ton ihrer Stimme durchdrang mein Innres. Meine Nerven bebten. Die Verzierungen des Zimmers, die Personen der Gesellschaft schwankten vor meinen Blicken, mit Mühe hielt ich mich auf meinem Stuhle. Ich saß neben einer gutmüthigen geschäftigen Alten, sie faßte mich bey der Hand und wiederholte mir leise die Frage der Prinzessin. Ich stammelte einige Worte gegen diese. Die gute Alte hielt meinen Zustand für Verlegenheit, und suchte dem armen Landmädchen zu Hülfe zu kommen. Der Prinz näherte sich uns, die Prinzessin sprach viel und lebhaft, ich bekam nach und nach meine Faßung wieder, und schalt mich thöricht, einem ersten Eindruck der Macht eines Tones solche Gewalt über mich gestattet zu haben.

Der Prinz begegnete mir im Angesicht der Gesellschaft, und vorzüglich unter den Augen seines Vaters mit zurückgehaltener Aufmerksamkeit. Dennoch fanden die Hofleute, deren Scharfsinn nur ein einziges Feld, die Schwachheiten ihres Herrn kennt, sehr bald etwas auszeichnendes in dem Betragen des Prinzen gegen mich. Ich mußte manches Lob, und manchen Tadel ertragen, ohne beides zu verdienen.

Ich fühlte, daß Nordheim und Julius über mein Verhältnis mit dem Prinzen wachten; ihre gegenseitige Vertraulichkeit schien täglich inniger zu werden. So sehr es mich freute, zwei mir so werthe Menschen vereinigt zu sehen, so schmerzlich fühlte ich doch die Veränderung in Nordheims Ton gegen mich. Die Güte eines zärtlichen Vaters lag in seinem Blick, so wie in dem Sinn seiner Rede. Täglich sah’ ich ihn, täglich entfaltete sich sein Wesen in neuer Liebenswürdigkeit, und gerade in einer Art der Liebenswürdigkeit, die unsre ganze Weiblichkeit mit Verlangen befängt.

Der Wunsch, Liebe zu gewinnen, anzugehören, ergreift unser Wesen nie stärker und inniger, als wenn wir eine hohe Kraft in Thätigkeit erblicken. In den leichten Verhältnissen der Gesellschaft, war Nordheim hingebend, wohlwollend, voll hinreißender Grazie, aber so bald es ein ernstes Verhältniß galt, stand er mit unerschütterlicher Festigkeit bey seinen Grundsätzen. Voll Muth und Würde glich er einem kräftigen Löwen, der die Insekten großmüthig in seinen Mähnen spielen läßt. Selbst die sinnloseste Menge hat die Ahnung einer unüberwindlichen Kraft und fühlt sich in ihrer ganzen dumpfen Beschränktheit, in ihrer Nähe. Des Prinzen allgemein bekannte Freundschaft für Nordheim gab ihm Einfluß auf den Cirkel der Geschäftsleute, sein heller Verstand war die Freude der Rechtschaffenen, und das Schrecken der Arggesinnten.

In der Einsamkeit meines Zimmers überließ ich mich der Sehnsucht nach den ersten lieblichen Träumen, die mich aus dem frohen Gleichmuth der Kindheit erweckten.

Nordheim liebt mich nicht. – Welchen Ersatz vermag mir das Schicksal für den Verlust dieses einzig schönen Glückes darzubieten?

Nur das Andenken an meinen Vater in Hohenfels, der Wunsch sein Alter zu beglücken, wie er meine Kindheit verschönerte, diese erhielten meinen Lebensmuth.

Die Sorge für Bettina verband sich mit dem Andenken an meinen Vater, um das Gleichgewicht in meinem Gemüth zu erhalten, wenigstens jedes äusere Zeichen des Unmuthes zu unterdrücken. Bettina war viel in meinem Zimmer. So wie ich über den ruhigen Kreislauf ihrer Beschäftigungen wachte, erinnerte ich mich selbst an Arbeiten, die meine Träume unterbrachen. Lust und Reitz war mit der Hofnung der Liebe entflohen, und mein erloschnes Auge kündigte ein Gemüth an, das in sich selbst zurückkehrt, den Muth aufsucht, um den freudenlosen Gang durchs Leben zu vollenden.

Nordheim schien den wahren Zustand meines Innern zu übersehen, oft schien es sogar als hielt er sich an die falsche Seite einer erkünstelten heitern Laune, die ich der Gesellschaft darbot.

Julius kannte mein Herz, und betrug sich mit edler Feinheit. Er vermied, sich mir zu nähern, um allen Anschein von Ansprüchen auszuweichen. Wenn er es irgend konnte, ohne bemerkt zu werden, sagte er mir ein herzliches Wort, das innigen Antheil ohne Leidenschaft verrieth. Ich fühlte den Werth dieses Betragens, und lernte seine gleich schöne und starke Seele täglich mehr schätzen.

Die Gräfin verhielt sich seit der ersten und einzigen Erklärung gegen mich ganz passiv. Die Eröfnung ihres Herzens schien mit einer schmerzlichen Anspannung ihres ganzen Wesens verbunden zu seyn, und sie in einen so gewaltsamen Zustand zu versetzen, den sie wo möglich zu vermeiden suchte. Sie betrug sich mit sanfter schonender Gefälligkeit, als fühlte sie meinen Zustand, aber als habe sie die Pflicht einer Freundin schon gegen mich erfüllt, und müsse mich meinem Schicksal überlassen.

Elise war zart und liebend, aber von zu wenig Energie für solch eine Lage; auch hatte Albans Mistrauen gegen mich die Vertraulichkeit unsers kleinen Zirkels in etwas vermindert.

Der Prinz war nur mit sich beschäftigt, so sehr er auch nur mit mir beschäftigt scheinen wollte, vielleicht es selbst zu seyn wähnte.

So war ich mitten in einem Zirkel treflicher Menschen dennoch einsam und mir selbst überlassen.

Der erste gewaltige Eindruck, welchen die Prinzessin auf mich gemacht hatte, ließ eine Art von Furcht, mich ihr zu nähern, in mir zurück. Gleichwohl zog sie mich gewaltig an, mit einem sonderbaren Vergnügen stand ich hinter ihrem Spieltisch, ihre unbedeutendsten Worte blieben in meinem Gedächtnis, und wenn ich im Vorübergehen ihr Gewand berühren konnte, fühlte ich ein unbegreifliches Vergnügen. Die Prinzessin schien mich ganz zu übersehen, aber zuweilen suchte mich ihr glänzendes Auge in einer Ecke des Saales auf, wo ich es am wenigsten erwartete. Sie ist dir nicht ungeneigt! sagte ich mir mit innigem Vergnügen, und nur meinem ersten kindischen Benehmen schrieb ich es zu, daß sie mir eine neue Verlegenheit ersparen und nicht wieder mit mir sprechen wollte.

In Augenblicken, wo ich es nicht vermeiden konnte, mit dem Prinzen allein zu seyn, sprach er von Leidenschaft. Ich wurde oft unwillig, einen Charakter, der mir anfänglich im schönen Lichte erschienen war, durch solch eine Schwachheit entstellt zu sehen. In seiner Neigung war mehr Begierde als Zärtlichkeit, und, selbst mit einem ganz freien Herzen, hätte ich ihr widerstanden.

Ich stand eines Abends, als Gesellschaft beim Fürsten war, mit einigen jungen Damen in einem Fenster des Saals. Der Prinz wußte sie durch einen Vorwand zu entfernen, und als ich ihnen folgen wollte, hielt er mich mit Gewalt zurück. Agnes! verdien ich diese Kälte? sagte er heftig. Ist es meine Schuld, daß ich gebunden bin durch unleidliche Verhältnisse, daß ich Ihnen jezt nur ein Herz anbieten kann? O ich bin unglücklich genug unter dem Zirkel Hirn- und Herzloser Puppen, die meinem Stand und Reichthum so platt entgegen kommen, ein gutes Herz gefunden zu haben, es mit wahrer Neigung zu umfassen, und von diesem verkannt zu werden. Warum entziehen Sie mir die Blühte Ihrer Schönheit? O wie Fürsten sind Opfer der Verhältnisse! selbst unsre Freunde entfernen sich von unsern ächt menschlichen Gefühlen, und ich rmitleidsvoller Blick wiederholt es – ihr seyd Opfer! Die Stadt lag vor uns am Fuße des Berges, und die Lichter in den Häusern glänzten durch die dunkle Nacht. Ich war gerührt und sagte: Theurer Prinz, es kann nur eine trübe Laune seyn, in welcher Sie Ihre Bestimmung verkennen, die den höchsten menschlichen Kräften die schönste Übung gewährt. Sollte es Ihrem Herzen nichts sagen, wenn Ihr Name in stillen Familienzirkeln als ein guter Genius genannt wird? Wenn aus Ihrem hellen Verstand, aus der Kraft Ihres Herzens der Wohlstand dieser Gegen erblüht?

O meine Agnes, sagte er, Sie entflammen nur das Verlangen nach Ihrem Besitz, indem sich Ihre geistige Schönheit vor mir enthüllt. Ich will streben das zu werden, was Sie wünschen! Nehmen Sie diesen Ring, Geliebte, fuhr er fort, zum Pfand alles Guten, was dieser Augenblick in mir entfaltet. Jene erste glückliche Täuschung, welche ich durch ihn erfuhr, werde ich nie vergessen.

Er verließ mich in heftiger Bewegung, und der Ring blieb an meinem Finger. Es war dasselbe Bild seiner Schwester, welches ich mit so sonderbaren Regungen angesehen hatte.

Als ich wieder ins Gesellschaftszimmer gehen wollte, wickelte sich eine Gestalt aus den Vorhängen des Fensters, welches zunächst an dasjenige stieß, wo ich mit dem Prinzen gestanden. Ich eilte vorbei, aber ich fühlte mich gehalten, und zärtlich umschlungen.

Ich erkannte die Prinzessin. Gutes Kind, sagte sie, ich nehme herzlichen Antheil an Ihnen, kommen Sie, wir schwatzen ein wenig zusammen.

Ihre Stimme zitterte, aus Verlegenheit, wie ich es deutete, mich und ihren Bruder vielleicht gegen ihren Willen belauscht zu haben.

Ich mußte mich neben sie setzen, und sie fuhr fort.

Ich habe Ihre Unterredung mit meinem Bruder gehört. Ob ich zufrieden mit Ihnen bin, fühlen Sie. Ich beklage ihn, und freue mich zugleich, daß er so wählen konnte. Leicht und beweglich wie die Farben der Iris, Kinder aller Elemente sind unsre Neigungen, und wie sie jenen gleich aus Regen und Sonnenschein entstehen, so verkünden sie doch auch nur, wie sie, aufs neue Regen. Ich wünschte Ihnen ein heiteres Dasein unter einem blauen wolkenlosen Himmel. Darf ich einen Mann nennen, neben welchem Sie dieses finden würden?

Ich schwieg bewegt und verlegen.

Darf ich? fragte sie aufs neue. Darf ich Julius von Alban nennen?

Er ist ein edler achtungswerther Mann, sagte ich.

Ich habe den rechten Namen nicht genannt, erwiederte die Prinzessin. Ich muß Ihr Vertrauen erst verdienen lernen, liebste Agnes. Sie hielt meine Hand, ihr Bild fiel ihr in die Augen.

Das ist der Ring meines Bruders.

Trage ich ihn auch mit Ihrer Genehmigung? fragte ich. Ich leugne nicht, ich würde mich nur mit Schmerzen von diesem lieben Ringe trennen. –

Von welchen Erinnerungen sprach mein Bruder?

O von den heiligsten meines Lebens! Sagte ich, mit einer Offenheit, die ich mir selbst im nächsten Moment vorwarf.

Wie das? fragte die Prinzessin heftig.

Ich war verwirrt, und fuhr fort: Er giebt mir die wunderbarste Reminiscenz durch die Ähnlichkeit mit einer sehr geliebten Person.

Lassen Sie uns zur Gesellschaft gehen, sagte sie, indem sie rasch aufstand und mich mit sich in den Saal zog.

(Die Fortsezung folgt.)

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