Charakterisierung der Königin Isabeau, Zeichnung von Friedrich Pecht

Königin Isabeau, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Jungfrau von Orleans, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Königin Isabeau, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Jungfrau von Orleans“, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung der Königin Isabeau

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Um uns zu versinnlichen, in welchem verwilderten zerrütteten Zustande sich das ganze Land befindet, wie alle Bande der Natur im Bürgerkriege aufgelöst sind, ist keine Gestalt des Dramas so geeignet, als die so weit über die Grenzen ihres Geschlechts hinausgetriebene Figur dieser Königin, die in ihrer ganzen furchtbaren Erscheinung den realistischen Gegensatz zur Jungfrau bildet und so sehr geeignet ist, uns auf die Erscheinung des Außerordentlichen vorzubereiten, das nachher in dem begeisterten Mädchen von Orleans auftritt. Wenn diese die weibliche-Natur einer höhern Idee zu Liebe verleugnet, so handelt Isabeau gegen die des Weibes und der Mutter zugleich, getrieben von wilder Leidenschaftlichkeit.

Einen so abnormen psychologischen Prozess aber zu erklären, wie ihn die Königin Isabeau zeigt, dazu bedarf es Wenig mehr als der Weitern Ausführung der Anhaltepunkte, die im Schiller’schen Stück flüchtig skizziert wurden, so musterhaft richtig sind dieselben. Wir sehen anfangs von dieser Frau nichts als den Abscheu und das Entsetzen, das ihr unnatürlicher Kampf gegen den eigenen Sohn nicht nur der Masse einflößt, sondern auch den Widerwillen, den er selbst bei den höhergebildeten Führern erregt, die ihr unumwunden sagen:

Geht! der Soldat verliert den guten Muth,
Wenn er für Eure Sache glaubt zu fechten.

Und doch geben dieselben der Macht ihrer Gründe nach, dem Weltverstand, den ihnen das begabte Weib predigt, und vereinigen sich wieder, nachdem sie sich eben aufs bitterste entzweit! In der kurzen meisterhaften Szene, die ihr zu ihrer Rechtfertigung vergönnt ist, entwickelt sie rasch alle die Eigenschaften, aus denen sich der Künstler ihr Bild entwerfen konnte, der sie daher auch in dieser Situation dargestellt hat. Sie zeigt uns in derselben die hochbegabte, stolze, mächtige Natur mit durchdringendem Verstande und starken, begehrlichen Sinnen, wo die Seite des Gemüts nur eine untergeordnete Rolle zu spielen hat. Hatte diese mutvolle, heroische, zur Königin geborene Frau einen Gatten gefunden, der ihr gleichstand, einen geistig und körperlich gesunden, starken, kurz einen wahrhaften Mann, so wäre sie wahrscheinlich nie aus dem Kreise getreten, den Geschlecht und Sitte ihr anwiesen. So aber wird sie gleich in ihrer Jugend in die unnatürlichsten Verhältnisse, in ein fremdes Land geschleudert, einem Manne vermählt, an dessen Seite sie statt des Entzückens der Liebe bald nur Mitleid oder Entsetzen empfinden kann. Jetzt erst bricht das Unbändige ihres Naturells heraus; sie selber berichtet:

Ich habe Leidenschaften, warmes Blut,
Wie eine andre, und ich kam als Königin
In dieses Land, zu leben, nicht zu scheinen.
Sollt’ ich der Freud’ absterben, weil der Fluch
Des Schicksals meine lebensfrohe Jugend
Zu dem wahnsinn’gen Gatten hat gesellt?
Mehr als das Leben lieb’ ich meine Freiheit,
Und wer mich hier verwundet. …

Ihre angeborene Wahrhaftigkeit:

Die Heuchelei veracht’ ich. Wie ich bin,
So sehe mich das Aug’ der Welt —

wird jetzt Frechheit, wie denn allemal die zum Folgen und sich Anschmiegen, zum Gehorchen bestimmte Natur des Weibes sich ins Gegenteil verkehrt, wenn ihr zur Erfüllung dieser Bestimmung ihrer Existenz die nötigen Bedingungen geraubt werden, wie hier, wo einer jungen und schönen, reichbegabten Fürstin der Herrscher zur Seite entzogen wird, die nur noch Untertanen und Schmeichler um sich sieht. Musste schon diese notwendige Umgebung der Fürsten ihren durchdringenden, energischen Geist mit Unterschätzung der Menschen erfüllen, so musste es noch mehr die Natur des eigenen Sohnes. Sie verachtete in ihm zuerst den Schwächling, den charakterlos hin- und herschwankenden Menschen, der nichts festzuhalten weiß, der weder tief zu hassen noch zu lieben versteht und daher überall falsch Wird, wie wir aus ihren Äußerungen sehen, als sie die Jungfrau gefangen nimmt und von ihr erfährt, dass sie der Dauphin verbannt habe:

Verbannt, weil du vom Abgrund ihn gerettet….
Verbannt! Daran erkenn’ ich meinen Sohn!

Diese wohlmotivierte Verachtung wird denn nach und nach zum glühenden Hass, als dieser Schwächling der ihm an Geistesstärke, Muth und Verstand so unendlich überlegenen Mutter sich zum Herrn und Meister aufwerfen, ihre Sitten richten will, sie in die Verbannung schickt. Da erst in ihrem Innersten beleidigt, bei ihrem leidenschaftlichen, heftigen Temperament vor nichts zurückschaudernd, verflucht sie ihn:

Ihr wisst nicht, schwache Seelen,
Was ein beleidigt Mutterberz vermag.
Ich liebe, wer mir Gutes thut, und hasse,
Wer mich verletzt, und, ist’s der eigne Sohn,
Den ich geboren, desto hassenswerther.
Dem ich das Dasein gab, Will ich es rauben,
Wenn er mit ruchlos frechem Uebermuth
Den eignen Schos verletzt, der ihn getragen.
Ihr, die ihr Krieg führt gegen meinen Sohn,
Ihr habt nicht Recht, noch Grund, ihn zu berauben.
Was hat der Dauphin Schweres gegen euch
Verschuldet? Welche Pflichten brach er euch?
Euch treibt die Ehrsucht, der gemeine Neid;
Ich darf ihn hassen: ich hab’ ihn geboren.

Nachdem sie heldenhaft den Muth nicht sinken lässt bis zum letzten Augenblick, nachdem sie nicht verzagt, als alles um sie schon flieht, hat sie, beharrlich in ihrem Hass, wie sie es unter gleichen Umständen ohne Zweifel auch in der Liebe gewesen Wäre, nichts anderes mehr zu wünschen, als dem Gegenstand desselben nicht als Besiegte zu begegnen:

Jedweder Ort
Gilt gleich, wo ich dem Dauphin nicht begegne —

und scheidet, uns, wenn auch nicht mit Achtung, doch mit Scheu vor ihrer Größe und dem titanenhaft Wilden und Ursprünglichen ihrer Natur, mit einer Mischung von Entsetzen und Bewunderung erfüllend.

Von der merkwürdigen Frau existieren noch mehrere Porträts, deren eines, in der Galerie von Versailles befindlich, vom Künstler bei seiner Arbeit als Grundlage benutzt wurde, da es, obschon sie noch als Braut vorstellend, doch schon die starken und energisch sinnlichen Elemente der großartig angelegten Persönlichkeit wenigstens erraten ließ.