Charakterisierung der Agnes Sorel, Zeichnung von Friedrich Pecht

Agnes Sorel, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Jugnfrau von Orleans, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Agnes Sorel, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Jugnfrau von Orleans“, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung der Agnes Sorel

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Das Genie der Frauen liegt in ihrem Herzen, wenn dieses ganz ausgefüllt wird, lernen wir es nur im Bereiche desselben kennen, wo es uns durch seine Unerschöpflichkeit an rührenden Zügen immer wieder aufs Neue zu überraschen vermag.

Einen solchen Charakter, dem das Glück geworden, ganz in innerer Harmonie mit sich zu bleiben, trotzdem dass er nicht nur mit allen Reizen des Körpers, sondern auch eines hervorragenden Geistes und ungewöhnlicher Bildung geschmückt ist, sehen wir in der Gestalt der berühmten Frau, deren reine und hohe Liebe als ein leuchtendes Beispiel längst mit allem Zauber der Romantik geschmückt, eine rührende Erinnerung für alle gemütvollen Seelen geworden ist, und der auch unser Schiller in seinem Werke ein schönes Denkmal gestiftet hat, als er ihre so sprichwörtlich gewordene Zärtlichkeit mit allem Zauber seiner Poesie umkleidete. Wir lernen sie bei ihm als eine der entschiedensten Priesterinnen der Liebe, der am ausschließlichsten nur ihr lebenden Naturen kennen, die er unter seinen Frauengestalten uns vorführt.

Da die Gesetze der Welt es dem König erschweren, dem Bund, den sein Herz mit ihr geschlossen, die priesterliche Weihe geben zu lassen, er wenigstens, um dies zu tun, eine Stufe herabsteigen, auf legitime Erben verzichten müsste, so nimmt sie dieses Opfer nicht an, obgleich es ihr angetragen wird, und obgleich durch diese ungesetzliche Verbindung ein Makel auf ihr haftet, dessen sie sich wohl bewusst ist, da sie ihm sagt:

Wie? Hab’ ich dir nicht alles froh geopfert,
Was mehr geachtet wird, als Gold und Perlen,
Und sollte jetzt mein Glück für mich behalten?

Sie weiß, dass sie diesen Mangel ihrer Stellung nur durch die grenzenloseste Treue und Hingebung gutmachen kann, und bringt daher nicht nur ohne Zaudern auch das weitere Opfer ihrer Habe, sondern sie verschmäht jeden zeitlichen Vorteil, den sie von des Königs Leidenschaft zu ihr ziehen könnte. Sagt er doch selbst von ihr:

Sie ist edel, wie ich selbst,
Geboren; selbst das königliche Blut
Der Valois ist nicht reiner; zieren wurde sie
Den ersten Thron der Welt — doch sie verschmäht ihn,
Nur meine Liebe will sie sein und heissen.
Erlaubte sie mir jemals ein Geschenk
Von höherm Werth, als eine frühe Blume
Im Winter oder seltne Frucht? Von mir
Nimmt sie kein Opfer an und bringt mir alle,
Wagt ihren ganzen Reichthum und Besitz
Grossmuthig an mein untersinkend Glück.

Will sie also nichts für sich, als das Recht, ihm alles zu opfern, jenes schönste und liebenswürdigste Recht aller zarten Frauenherzen, so wendet sie dagegen alles an, um dem schwachen Mann seine Pflicht als König ins Gedächtnis zu rufen, ihn auf der Höhe seiner Stellung zu erhalten. Sie ruft ihm zu:

Verwandle deinen Hofstaat in Soldaten,
Dein Gold in Eisen! Alles, was du hast,
Wirf es entschlossen hin nach deiner Krone —

und zeigt noch den edelsten Muth, als das Missgeschick aufs höchste gestiegen ist, da er schon kleinmütig verzagen will; sie stützt und trägt ihn mit Heldenmut, da er zusammenbricht:

Das wolle Gott nicht, dass wir, an uns selbst
Verzweifelnd, diesem Reich den Rücken wenden!
Dies Wort kam nicht aus deiner tapfern Brust.
Der Mutter unnatürlich rohe That
Hat meines Königs Heldenherz gebrochen!
Du wirst dich wiederfinden, männlich fassen,
Mit edelm Muth dem Schicksal widerstehen,
Das grimmig dir entgegenkämpft.

Sie offenbart uns so die große edle Seele, die nur der eigene Liebesreichtum über die Schwäche des Geliebten täuscht, welchem ihre Phantasie alle die Vorzüge leiht, deren Mangel ihn eine so haltlose Figur spielen lässt, — sie fühlt richtig, wie nur die Liebe es fühlen mag, dass, wenn nur ein Wunder ihn durch die Strudel des wilden Kampfes tragen kann, er dagegen Wohlwollen und edle Gesinnung genug hätte, um ein befriedigtes Land auch freundlich zu beglücken.

In deiner sanften Seele hat der Himmel
Den Arzt für alle Wunden sich bereitet,
Die der Parteien Wuth dem Lande schlug.
Des Bürgerkrieges Flammen wirst du löschen
Mir sagt’s das Herz, den Frieden wirst du pflanzen,
Des Frankenreiches neuer Stifter sein.

Die Demuth und Bescheidenheit, welche die schöne Frau bei jeder Gelegenheit zeigt, die verschämte Art, mit der sie ihre Schätze opfert, — in welcher Situation sie uns der Künstler verführt —, wie die Verehrung, mit der sie sich vor der Jungfrau in den Staub wirft: in allem malt sich uns das sanfte, liebenswürdige, hingebende Geschöpf, dem die Liebe alles ist. Damm kann sie auch die Jungfrau nicht verstehen, eine Mission nicht begreifen, die sie diesen sanftem Regungen des Herzens noch unzugänglich machen soll, nachdem das Ziel des Kampfes erreicht ist, und sagt ihr daher:

O, könntest du ein Weib sein und empfinden!
Leg’ diese Rüstung ab, kein Krieg ist mehr,
Bekenne dich zum sanfteren Geschlechte!
Mein liebend Herz flieht scheu vor dir zurück,
Solange du der strengen Pallas gleichst —

da sie dieselbe des Entzückens teilhaft sehen möchte, das sie in diesem Augenblick selbst empfindet, und das sie so naiv und menschlich schön ausspricht:

Denn soll ich meine ganze Schwäche dir
Gestehen? Nicht der Ruhm des Vaterlandes,
Nicht der erneute Glanz des Thrones, nicht
Der Völker Hochgefühl und Siegesfreude
Beschäftigt dieses schwache Herz. Es ist
Nur Einer, der es ganz erfüllt; es hat
Nur Raum für dieses einzige Gefühl:
Er ist der Angebetete, ihm jauchzt das Volk,
Ihn segnet es, ihm streut es diese Blumen,
Er ist der Meine, der Geliebte ist’s.

Der historischen Sorel Schicksal war so, wie es sich erwarten ließ, wenn man sein Los an einen so schwachen Charakter gebunden hatte; selbst des Hofes müde, oder überflüssig geworden, hatte sie sich auf ihr Schloss Beauté, von dem sie auch den Namen „Dame de Beauté“ führte, zurückgezogen, besuchte aber auf wiederholte Einladung des Königs und der Königin das Hoflager doch noch einmal wieder, wo sie dann, wie man vermutet an Gift, plötzlich (1450) starb.

Bei dem Bild, das wir von ihr geben, ist ein authentisches Porträt aus ihrer Zeit zu Grunde gelegt worden, da es uns den sanften und hingebenden Charakter der schönen Frau erraten lässt, deren weichem Herzen die Liebe alles zu verleihen, es selbst mit Muth und Entschlossenheit zu stählen vermochte.