Charakterisierung des Talbot, Zeichnung von Friedrich Pecht

Talbot, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Jugnfrau von Orleans, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Talbot, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Jugnfrau von Orleans“, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung des Talbot“

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Sehen wir in der Jungfrau die Macht des Glaubens personifiziert, wie sie siegend alles vor sich niederwirft, wie alle materielle Kraft, alle Mittel des Verstandes, der Kriegs- und Staatskunst nichts gegen dieselbe vermögen und ihre unmessbare, unberechenbare Gewalt, so brauchen doch diese Kräfte des Widerstandes einen Repräsentanten, geeignet, ihre Bedeutung in das hellste Licht zu setzen, um den Triumph der erstem umso glänzender zu machen.
Dieser Gegensatz der Jungfrau ist in Talbot gegeben, der alles das in Fülle hat, was dem unerfahrenen Mädchen fehlt: die reichste Erfahrung, das sichere Selbstbewusstsein eines sieggewohnten Feldherrn, einen wahrhaft großartigen Sinn, unbesiegbaren, trotzigen Löwenmut, unverlierbare Gegenwart des Geistes, und das alles durchdrungen und beseelt von der schneidendsten Schärfe des Verstandes, an dem er alle andern Charaktere des großen Gemäldes weit überragt. Aber gerade diese unerbittliche Logik des Gedankens in der unbeugsamen Heldennatur, die uns so imponiert, ist machtlos gegen den Enthusiasmus des Glaubens; denn während dieser das Disparateste verbindet und die starre Eisrinde spröder Naturen schmelzt mit seiner Glut, kann jene schneidige Schärfe gar oft bloß trennen und also isolieren, anstatt zu verbinden.

Diese verhängnisvolle Wirkung lernen wir denn auch gleich kennen beim ersten Auftreten des Feldherrn: er erklärt den Schreck der Soldaten ganz richtig für Narrheit, beleidigt aber dabei den Alliierten durch das Heraustretenlassen jenes vorherrschenden Charakterzugs, den echt englischen Stolz, die Härte und Schonungslosigkeit. Liest man diese Streitscene mit dem Herzog von Burgund, so werden unsere Gedanken unwillkürlich in viel neuere Zeiten geführt. Nur vom Verstand regiert, müssen aber Verstandesgründe, die bei der Masse so gering Wirken, bei Talbot immer offen Zutritt finden, daher beugt er sich, so widrig auch seiner Natur die Königin Isabeau ist, doch ihrem Geist, und reicht dem Gegner die Hand zur Versöhnung trotz — seines Stolzes. Indessen, während er sich ihrem Räsonnement ergibt, kann er sich für diese Demütigung doch die Genugtuung nicht versagen, ihrer Urheberin Wenigstens ein paar boshafte Seitenhiebe zu versetzen:

Geht, geht mit Gott, Madame! Wir fürchten uns
Vor keinem Teufel mehr, sobald Ihr weg seid —

wie denn das Schwertscharfe seiner Natur in jedem Wort heraustritt —‚ um es so auch mit ihr zu verderben.
Es folgen die beiden Schlachten, deren Beschreibung zu dem Schönsten gehört, was die Pracht und Gewalt der Schiller’schen Muse geschaffen, und wo wir den Helden die härteste Probe bestehen sehen. Dass er allein unbeirrt bleibt in dem allgemeinen Schreckenstaumel ist richtig; seine durchaus verständige Natur verhindert ihn aber auch, denselben nur zu fassen, er begreift die magische Macht nicht, der er gegenübersteht, ihm ist die Jungfrau bloß

Eine Gauklerin‚ die die gelernte Rolle
Der Heldin spielt.

Wir verzeihen ihm diese Einseitigkeit des Verstandes bloß des heroischen Trotzes wegen, mit dem er mitten im allgemeinen Entsetzen schwört:

Den soll dies Schwert durchbohren,
Der mir von Furcht spricht und von feiger Flucht!

Diese Teilnahme für den stolzen Helden steigert sich aber noch, wenn wir ihn zum dritten male wiederfinden. Besiegt und zum Tode getroffen hören wir ihn da mit verzweifeltem Schmerze, gleich dem gefesselten Prometheus, das Geschick, das er als ein ungerechtes empfinden muss, mit einer schauerlichen Energie in den berühmten Worten verwünschen:

Unsinn, du siegst, und ich muss untergehen;
Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.
Erhabene Vernunft, lichthelle Tochter
Des göttlichen Hauptes, weise Gründerin
Des Weltgebäudes, Führerin der Sterne,
Wer bist du denn, wenn du, dem tollen Ross
Des Aberwitzes an den Schweif gebunden,
Unmächtig rufend, mit dem Trunkenen
Dich sehend in den Abgrund stürzen musst!

Diese Blasphemie wirkt umso erschütternder und erhabener auf uns, weil uns das Naturell des Mannes, der sie ausstößt, so klar geworden ist. dass wir gerade diese Empfindung mit Notwendigkeit in seiner Seele entstehen sehen.
Der ganze hohe, stolze Schmerz des überwundenen Genie liegt in seinem Zorn, wenn er fortfahrt:

Verflucht sei, wer sein Leben an das Grosse
Und Würd’ge wendet und bedachte Plane
Mit weisem Geist entwirft! Dem Narrenkönig
Gehört die Welt.

Ja wir können die Berechtigung seines Standpunktes nicht leugnen, wenn er sagt:

Doch solchem groben Gaukelspiel erliegen!
War unser ernstes arbeitvolles Leben
Keines ernsthaftern Ausgangs werth? —

wir bewundern im Gegenteil das Echte, Heldenhafte, Kurze und Nervige dieser Sprache, jene großartige Verachtung alles Pathos, die stolze Bescheidenheit, mit der er sein ruhmgekröntes Leben bloß ein „ernstes, arbeitsvolles“ nennt. Ein echt tragisches Verhängnis ist es daher, dass die Beschränkung, die Phantasielosigkeit seiner Natur ihm hier keine Brücke schlägt ins Jenseits hinüber, welches nur mit dem Gemüt geahnt werden kann, sodass er, der die Welt mit seinem Kriegernamen füllte, als einzige Ausbeute aus dem Kampfe des Lebens wegträgt

Die Einsicht in das Nichts
Und herzliche Verachtung alles dessen,
Was uns erhaben schien und wünschenswerth.

In dieser Kälte der Anschauung durchschauert uns etwas erhaben Großartiges. Trotzdem wir von seinem schweren Irrtum überzeugt sind, vollkommen sehen, dass er mit Recht unterliegen muss, weil er das Herz der Menschen, die unerschöpflichen Quellen des Gemüts, nicht mehr achtet im Stolz auf die eigene Kraft des Geistes und Charakters, verblendet nicht einsieht, dass das, was er frevelnd unternommen, ein Angriff auf die berechtigte Persönlichkeit eines edeln Volks war, vor dessen beleidigtem Stolze zuletzt alle geistige Überlegenheit des einzelnen weichen musste, — trotz all dieses bewundern wir den Helden doch noch.

Es ist etwas Napoleonisches in dieser Natur, in diesem energischen Realismus, der selbst da noch keine idealen Mächte anerkennt, wo er doch bereits von ihnen besiegt am Boden liegt.