Charakterisierung der Julia Imperiali, Zeichnung von Friedrich Pecht

Julia Imperiali, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Julia Imperiali, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung der Julia Imperiali

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Wenn es Schiller gelungen ist, der Gräfin Lavagna allen Schmelz und Reiz einer feingestimmten Seele zu verleihen, so muss man gestehen, dass er die Gräfin Imperiali um so übler behandelt hat. Nicht nur, dass er sie uns in einem Grade grob und impertinent gibt, der selbst bei Damen, die eine sehr viel niedrigere Stufe auf der Leiter der Gesellschaft einnehmen, nicht gewöhnlich ist, — er verleiht ihr außerdem noch eine nicht unbeträchtliche Dosis von mit ziemlicher Stupidität vermischter Gefallsucht, endlich zu guter Letzt auch ein wahres Übermaß von hochmütigem Dünkel.

Dass die Schwester des Gianettino Doria, dieses Urbilds eines brutalen Wüstlings, nicht eben ein Ausbund von Liebenswürdigkeit sein werde, war wohl ziemlich wahrscheinlich, aber ihre Rohheit will uns doch mehr nach stuttgarter als genueser Studien schmecken. Ihre Sprache nimmt sich neben der bewunderungswürdig geschilderten Feinheit des Fiesco aus, wie die eines polternden Corpsburschen, der Skandal in allen Gassen anfängt, neben der Delikatesse eines Diplomaten der alten Schule. Oder ist es etwas anderes, wenn sie zu Fiesco, dessen Gast sie ist, indessen eigenem Hause sagt:

Eifersucht? Eifersucht? Was will denn das Köpfchen? (Vor einem Spiegel gesticulirend.) Ob sie wol eine bessere Fursprache für ihren Geschmack’ zu erwarten hat, als wenn ich ihn für den meinigen erkläre? (Stolz.) Doria und Fiesco? — ob sich die Gräfin von Lavagna nicht geehrt fühlen muss, wenn die Nichte des Herzogs ihre Wahl beneidenswürdig findet?

Wo solcher Übermut von den Repräsentanten der Souveränität zur Schau getragen wird, kann man freilich Aufruhrsgedanken nicht übel nehmen!
Und doch ist dieses so hochmütige Herz der Liebe zugänglich, hatte eine wahre und echte Empfindung, aber wenn die Liebe und das Glück edle Naturen noch großmütiger machen, so haben sie bei gemeinen die Wirkung des Rausches: sie erhöhen die schlechten Eigenschaften. So wird unsere schöne Julia, als sie Fiescos Liebe sicher zu sein glaubt, von einer wahren Wut der Ruhmredigkeit geplagt; rachsüchtig von Haus aus, will sie jetzt ihre Triumphe über die Gegnerin sofort genießen. Es ist eine eigentümliche Erscheinung, dass die Glieder des schönen Geschlechts, so viel Esprit de corps sie auch besitzen, doch im Grunde ganz ausnehmend wenig Wohlwollen füreinander haben und sich in der Regel überraschend richtig beurteilen, soweit dies eben bei so wenig Neigung möglich ist. So findet selbst die rohe Julia bald heraus, dass für den perfiden Fiesco eigentlich eine weniger empfindsame‚ mehr kokette und Witzige Natur noch besser passen würde, worin sie wohl recht haben mag; Leonore findet freilich noch schneller, dass diese Qualitäten in Gräfin Julia keineswegs ihren Kulminationspunkt erreichen. Da die Damen sich einander auch ohne viele Umschweife zu gegenseitigen Vertrauten dieser Reflexionen machen, so ist es natürlich, dass sie mit merklich verminderter Zärtlichkeit voneinander scheiden, jetzt erst recht Todfeindinnen sind. Bei dem heißen Blut einer Italienerin ist’s aber von einer Todfeindschaft gegen die Nebenbuhlerin bis zum Versuche, dieselbe wirklich aus dem Wege zu räumen, keineswegs ein so weiter Weg, und vor dreihundert Jahren, wo das Vergiften ohnehin noch mehr in der Mode war als jetzt, war er noch kürzer. Fiescos Entsetzen, als er diesen Beweis von Julia’s Liebe zu ihm erhält — denn nichts anderes ist es —, däucht uns daher eher ein wenig deutsch. Vielleicht noch mehr ist es die doktrinäre Galanterie, durch die Fiesco die schöne Gräfin bewegt zu ihm zu kommen; diese galante Kasuistik:

Die Sinne müssen immer nur blinde Briefträger sein, und nicht Wissen, was Phantasie und Natur miteinander abzukarten haben —

würde schwerlich irgendeine vornehme oder geringe Dame sehr weit, am wenigsten ins Haus des Redners gebracht haben.

Ebenso ist es ein wenig unwahrscheinlich, dass die erhitzte, sinnenberauschte Julia solche lange Reden über ihren Zustand gehalten haben werde, wie:

Mensch, dein Gesicht brennt fieberisch, wie dein Gespräch! Weh, auch aus dem meinigen, ich fühls, schlägt wildes, frevelndes Feuer. Lass uns das Licht suchen, ich bitte. Die aufgewiegelten Sinne könnten den gefährlichen Wink dieser Finsterniss merken. Geh! diese gährenden Rebellen könnten hinter dem Rücken des verschämten Tags ihre gottlosen Künste treiben. Geh unter Menschen, ich beschwöre dich. ….

…. Wenn ich den Schlüssel zu meinem weiblichen Heiligthum an dich vertändle, womit du mich schamroth machst, wenn du willst? Was hab’ ich weniger zu verlieren als alles? Willst du mehr wissen, Spötter? Das Bekenntniss willst du noch haben, dass die ganze geheime Weisheit unsers Geschlechts nur eine armselige Vorkehrung ist, unsere tödliche Seite zu entsetzen, die doch zuletzt allein von euern Schwüren belagert wird, die — ich gesteh‘ es erröthend ein — so gern erobert sein möchte, so oft beim ersten Seitenblick der Tugend den Feind verrätherisch empfängt?

Durch solche Gedanken in diesem Moment zeigt sie viel mehr Geist und viel weniger Verstand, als eine Italienerin in der Regel entwickeln dürfte, und fallt in die Rolle eines deutschen Professors. Mehr Blut und Wahrheit ist darin, wenn sie sagt:

Fiesco, wir sind Heldinnen, wenn wir unsere Tugend sicher wissen; — wenn wir sie vertheidigen, Kinder! (ihm starr und wild unter die Augen) — Furien, wenn wir sie rächen! — Höre. Wenn du mich kalt würgtest, Fiesco?

Im höchsten Grade unritterlich ist aber die Rache, die letzterer sich ausgedacht. Sie ist von einer widerlichen Rohheit; kein Mann von Ehre, am wenigsten ein italienischer Kavalier, denen bei aller sonstigen Verderbtheit sicherlich Feinheit in diesem Punkt nicht abzusprechen ist, wurde so etwas tun gegen eine Frau, die, wie groß auch sonst immer ihre Schuld sein mag, dieselbe doch lediglich seinethalben, aus Liebe zu ihm auf sich geladen hat Wenn ihr Bruder mehr als ungalant ist und sie „für ein Stück Weiberfleisch, in einen großen — großen Adelsbrief gewickelt“ erklärt, so mag das in der Ordnung sein: die Brüder haben in der ganzen Welt das Recht ungalant zu sein, und man muss gestehen, dass es vollständig motiviert ist, weil sie im besten Falle doch nur als Lückenbüßer dienen; aber der Verehrer, der Mann, der Liebe wenn auch nur geheuchelt hat, ist niemals zu so roher Misshandlung gegen die berechtigt, die am Ende unter allen Umständen doch nur das Opfer» seiner Tücke gewesen wäre. Es zeigt uns die Einmischung dieses Zugs von Rohheit nur die Verwilderung, in der sich Schiller damals selbst befunden, und jenen Mangel an Feinheit der Umgangsformen, der, wie wir schon erwähnt, die Sitten der Schwaben damals und teilweise auch heute noch kennzeichnet, und von dem ein Stück noch unserm jugendlichen Poeten hängen geblieben sein mag, der freilich zu jener Zeit es noch in seinen weiblichen Bekanntschaften nicht weit über die — famose Bäckersfrau gebracht hatte!