Charakterisierung des Andreas Doria, Zeichnung von Friedrich Pecht

Andreas Doria, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Andreas Doria, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung des Andreas Doria

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Die Jugend versteht unter der Freiheit gewöhnlich die Unbegrenztheit, die Maßlosigkeit oder eine Art gemütlicher Anarchie, während sie doch gerade in der Entfernung von aller Willkür, in der freiwilligen Unterwerfung unter die organischen Gesetze, sei’s des Staats, sei’s des Kunstwerks, besteht.

Den Fortschritt, welchen Schiller tat, als er von den ungeheuerlichen Gestalten der „Räuber“ zu einem historischen Gegenstand überging, ist daher unbestreitbar, da dieser ihn nötigte, die fessellos überwuchernde Phantasie durch die bestimmter Zeichnung und lokalisierter Färbung bedürftigen Gestalten eines solchen Vorwurfs in ihre natürlichen Grenzen zurückzuzwingen, und sie so dadurch allmählich zu ihren schönsten Blüten brachte. Allerdings ist dieser erste Versuch, den Schiller im „Fiesco“ machte, sich den Forderungen eines geschichtlichen Stoffs anzubequemen, im ganzen noch nicht gelungen, er zeigt im Gegenteil noch dieselbe, ja vielleicht eine noch größere Verwilderung, als sie uns in den «Räubern» zurückstößt, ohne dieselbe ursprüngliche Kraft in gleichem Masse zu entwickeln. Aus der naturalistischen Rohheit kommen wir zu einer oft hohlen pathetischen Phrase, wie der nachgemachte, angeblich altrömische Republikanismus des Stücks eine ist, der keinen Platz auf dieser Welt schon darum hat, weil kein eigentlicher Inhalt, keine bestimmte Vorstellung darin steckt, weil er keinen Körper hat, sondern nur ein Schemen ist. Sein Vertreter Verrina bleibt eigentlich mit all seiner wilden und echten Energie, aus Mangel an allen positiven Ideen, immer nur bei der Verneinung stehen; er ruft beständig „Freiheit“, gibt uns aber keinerlei Aufklärung über den bestimmten Sinn, den er mit diesem sehr unbestimmten Worte verbinde. Sicherlich zeichnet Verrina’s manieriertes Römertum den damaligen Horizont des feurigen Dichters selber, wie es denn höchst interessant ist, das Form— und Maßlose der politischen Ideen in den drei ersten Stücken, das Fester- und Bestimmterwerden derselben im „Don Carlos“ und endlich die vollständige Sicherheit in deren Entwickelung beim „Teil“ miteinander zu vergleichen. Welcher Unterschied in der Betrachtung, während doch bei allen dasselbe Streben zu Grunde liegt; welche edle Weisheit in den Reden des sterbenden Attinghausen, in den Forderungen der schweizer Landleute, verglichen mit der chaotischen Verwirrung in „Kabale und Liebe“ oder „Fiesco“!

Die Lücke der jugendlichen Bildung, die er später in seinem „Don Carlos“ und „Tell“ so glänzend ausfüllt, einmal zugegeben, werden wir aber auch hier schon teils durch die dramatische Kraft in der Bewegung der ganzen Handlung, die überall herausbricht, schadlos gehalten, teils durch die mächtige Fähigkeit zur großartigen Zeichnung, wie sie sich bei einzelnen Figuren findet. Ein Menschenbild mit Größe der Seele auszustatten und es doch individuell wahr zu schildern, kann nur einem Künstler gelingen, der selber eine geniale Natur ist. Dass Schiller dies in Andreas Doria vermochte, und zwar mit wenigen Meisterstrichen, spricht deutlicher als das ganze übrige Stück für seinen echten Künstlerberuf. Seelengröße aber erkennt man nicht sowohl direkt, sondern vorzugsweise durch Vergleichung mit andern, an der zauberischen Wirkung, die sie auf dieselben ausübt. Diese Wirkung des alten Helden ist aber überall im Stück aufs feinste ausgesprochen, überall treffen wir die Verehrung vor ihm, die Scheu oder die Achtung. So sagt selbst Leonore, dies feine Frauenherz, im Augenblick, da sie den Sturz seines Geschlechts träumt und wünscht, von ihm, es sei eine Wollust, ihm gut zu sein, „denn er ist sanft und so groß zugleich“ — „Donner und Doria“ ist ein Sprichwort geworden — Andreas ist überall der erste Gedanke, der letzte Grund, den jeder hat; ob mit Verehrung oder Hass, immer aber denken sie alle schließlich an ihn. Fiesco nennt seine Sanftmut furchtbarer als des Neffen Trotz, Verrina nennt seine Ketten von Seide und hält ihm damit die glänzendste Lobrede, bezeichnet scharf den Unterschied zwischen dem guten und schlechten Staatswesen, das der Bänder ja unter allen Umständen bedarf. Tritt Doria dann selber auf, so ist sein erster Gedanke der der Gerechtigkeit, der zweite der der Liebe für den Staat. Wenn er seinem Neffen verwirft, diesen zu untergraben, so gibt er ihm in zehn Worten eine sehr gesunde Lektion in der Staatskunst, wenn er uns auch eine Schwache verrät, die wir ihm nicht übel nehmen: die zu große Liebe für seine Verwandten; denn ist sie bei’ Menschen ohne Verdienst widerwärtig, so hat am Ende bei einem alten Helden jeder Beweis von Herzensgüte eher etwas Bestechendes. Heroisch aber erscheint er uns erst recht durch die Art, wie er sich in der Gefahr benimmt und den Gegner durch Großmut zu entwaffnen sucht, wenn er Fiesco schreibt:

Lavagna, Sie haben, däucht mich, Ein Schicksal mit mir — Wohlthaten werden Ihnen mit Undank belohnt. Dieser Mohr warnt. Mich vor einem Complot. Ich sende ihn hier gebunden zurück und werde heute Nacht ohne Leibwache schlafen.

Ist der Aufruhr nun aber doch ausgebrochen und will der Gegner sich nicht übertreffen lassen, sondern warnt ihn, ohne dass Andreas in dem nächtlichen Warner Fiesco selbst ahnt, auf die Flucht zu denken, so antwortet Andreas ihm ruhig:

Fiesco denkt edel. Ich hab’ ihn niemal beleidigt, und Fiesco verräth mich nicht.
Fiesco. Denkt edel, verräth dich , und gab dir Proben von beiden.
Andreas. So steht eine Leibwache da, die kein Fiesco zu Boden wirft, wenn nicht Cherubim unter ihm dienen.
Fiesco (hämisch). Ich möchte sie sprechen, einen Brief in die Ewigkeit zu bestellen.
Andreas (gross). Armer Spötter! hast du nie gehört, dass Andreas Doria Achtzig alt ist, und Genua — glücklich?

Sein großartiges Vertrauen, das aus seinem guten Gewissen stammt, wird nichtsdestoweniger verraten; in seinem Schmerz über die Täuschung bleibt er aber nicht minder imponierend, er erschüttert uns, ob er sich zur deutschen Leibwache wendend sage:

Höret, Ausländer! höret! Das sind die Genueser, deren Joch ich brach. Vergilt man auch so in euerm Lande?. . . . Rettet euch! Lasst mich! Schreckt Nationen mit der Schauerpost: die Genueser erschlagen ihren Vater —

oder ob er, nachdem seine Gegner gesiegt, die Genueser um einen Platz bitten lasst, darauf zu sterben:

Geh! mache bekannt, dass Andreas noch lebe — Andreas, sagst du, ersuche seine Kinder, ihn doch in seinem achtzigsten Jahre nicht zu den Ausländern zu jagen, die dem Andreas den Flor seines Vaterlandes niemals verzeihen wurden. Sag’ ihnen das, und Andreas ersuche seine Kinder um so viel Erde in seinem Vaterlande für so viel Gebeine.

Die Mahnung tut schließlich ihre Wirkung: nicht nur halb Genua lauft wenigstens nach Fiescos Tode wieder dem Andreas zu, sondern auch Verrina selber sieht sich genötigt, nachdem er die Täuschung eingesehen, der er sich über den Charakter seiner Landsleute wie des Fiesco hingegeben, sich Wieder zu ihm, als dem festesten Hort der Freiheit, die für Genua möglich ist, zu wenden.