Charakterisierung des Don Carlos, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Don Carlos, Charakter aus dem Schiller-Drama Don Carlos, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Don Carlos, Charakter aus dem Schiller-Drama „Don Carlos“, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung des Don Carlos

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Carlos’ Naturell musste notwendig aus Philipps Erziehungssystem hervorgehen; denn unter die verderblichsten Wirkungen des Despotismus, in welcher Form er auch auftrete, gehört die, dass sein eiserner Druck jedes selbständige Wachstum zerstört, dass frühzeitig in die vorgeschriebene Form gezwängt, in seiner Sphäre sich kein starker Charakter gesund zu entwickeln vermag. So finden wir denn in dem Schiller’schen Carl — der in manchen nicht unwesentlichen Zügen von dem historischen abweichen durfte — einen liebenswürdigen, hochsinnigen, feinen, reizbaren, eigensinnigen und kapriziösen‚ edlen aber schwachen Menschen, gleich unfähig zum Thun wie zum Lassen, — jetzt verschlossen und misstrauisch, im nächsten Augenblick unvorsichtig und auffahrend, vor allen Dingen aber untätig, improduktiv und apathisch; denn da ihm keine freie Tätigkeit erlaubt ist, so freut ihn bald überhaupt keine mehr.

Das erste Bedürfnis des Mannes, das kräftigste Heilmittel für alle Krankheiten der Seele wie des Leibes ist die Arbeit. Das Ringen mit einer großen selbstgewählten Aufgabe bringt ihn zum Bewusstsein seiner Kraft und stellt das richtige Gleichgewicht der Seele in ihm her. Dieses Heilmittel ist aber dem einstigen Erben zweier Welten versagt, seitdem er von der Hochschule zurückgekehrt ist, und mit ihrer Entbehrung beginnt auch die Verirrung seines Gemüts. Weil seiner Kraft gesunde Aufgaben nicht gestattet sind, so richtet sie sich mit krankhafter Leidenschaft auf die unnatürlichsten Ziele, der Wille wird zur Caprice; denn etwas anderes können wir in dieser Liebe des Königsohns zu der Mutter, die er ja nie nur halbwegs kennen gelernt hat, kaum erblicken. Elisabeth selbst sagt ganz richtig von ihr:

Trotz ist es
Und Bitterkeit und Stolz, was Ihre Wünsche
So wüthend nach der Mutter zieht.

Sie entspringt im Grunde bloß aus der unbewussten Feindschaft gegen den Tyrannen, der ihm die Existenz verkümmert, dessen Vaterrechte ihm ein bloßer abstrakter Begriff sind, welcher freilich keine Macht über seine Seele haben kann. Hören wir ihn selbst:

Kann ich dafür, wenn eine knechtische
Erziehung schon in meinem jungen Herzen
Der Liebe zarten Keim zertrat? Sechs Jahre
Hatt’ ich gelebt, als mir zum ersten mal
Der Fürchterliche, der, wie sie inir sagten,
Mein Vater war, vor Augen kam. Es war
An einem Morgen, wo er steh’nden Fusses
Vier Bluturtheile unterschrieb. Nach diesem
Sah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehen
Bestrafung angekündigt ward.

Wo soll da die Liebe herkommen, die wie jedes andere Gut errungen, gewonnen, verdient werden will? Nächst dem Tätigkeitstrieb ist aber das Bedürfnis nach ihr der mächtigste Faktor im menschlichen Herzen. Man liebt an andern nicht das, was man hat, sondern das, was einem fehlt. Dem kranken Carlos fehlen Seelenstärke und Freiheit, die er beide bei der Königin voraussetzt und bei Posa findet: sie sind’s, die seine schwächere Natur so sehr an beide ketten. Er spricht diesen Grund seiner Neigung selber aus, als er den wiedergefundenen Freund an die Jugendzeit erinnert, da

Kein Schmerz mich drückte, als von deinem Geiste
So sehr verdunkelt mich zu sehn — ich endlich
Mich kühn entschloss, dich grenzenlos zu lieben,
Weil mich der Muth verliess, dir gleich zu sein.

So edel diese Empfindung ist, so zeigt sie doch eigentlich eine weibliche Natur. Die Neigung männlicher Gemüter richtet sich mehr auf das Allgemeine, auf die Ideen und Dinge, die der weiblichen aufs Individuelle, auf die Personen.

Carlos liebt die Freiheit, solange ihm Posa davon spricht; da ihm der Vermittler fehlt, so sinkt er in jenen Zustand zurück, den er mit den Worten malt:

Auch mir hat einst von einem Carl geträumt,
Dem’s feurig durch die Wangen lief, wenn man
Von Freiheit sprach — doch der ist lang’ begraben.
Den du hier siehst, das ist der Carl nicht mehr,
Der in Alcala von dir Abschied nahm,
Der sich vermass in süsser Trunkenheit
Der Schöpfer eines neuen goldnen Alters
In Spanien zu werden. — 0, der Einfall
War kindisch, aber göttlich schön! Vorbei
Sind diese Träume.

Hat er das würdigste Ziel, das er sich stecken kann, für einen Traum angesehen, sobald seine Stütze wegfällt, so charakterisiert es die weibliche Schwäche ebenso gut, wenn er später, da er Posa wiederfindet, ausruft:

Arm in Arm mit dir,
So fordr’ ich mein Jahrhundert. in die Schranken! —

was sicherlich ebenfalls keine männliche Empfindung ist, da ein wirklicher Mann, besonders ein genialer, diese Aufgabe sich jedenfalls selbst vorbehalten hätte, wie das Posa auch wirklich tut! Schwache Menschen haben fast immer Mistrauen und verzweifeln leicht nicht nur an andern, auch an sich: so Carlos„ wie ihn uns der Künstler zeigt in der Szene, da er nach Lermas Eröffnungen über Posas Handeln sich von diesem verraten glaubt und in die Worte ausbricht:

Ich hab’ ihn
Verloren. 0, jetzt bin ich ganz verlassen! —

und dabei Posa’s Charakter allerdings richtig beurteilt, wenn er sagt:

Soll ihm
Das Vaterland nicht theurer sein als Einer?

Großherzigkeit begreifen und besitzen sind freilich immer noch so gar verschiedene Dinge!

Nicht minder malt sich das Hilfsbedürftige seines Naturells in seinem Verhältnis zu der Königin und der Eboli. Für einen Mann ist die Liebe kein Lebenssiel, nie räumt er ihr den ersten Platz ein: den hat sie nur bei der Frau. Ein wirklicher Mann würde die schöne Eboli nicht umsonst seufzen lassen, und die großartige herrschsüchtige Königin schwerlich geliebt, sondern bloß verehrt haben; im Gegenteil liegt etwas — Knabenhaftes.

Der Gipfel der „Jugendeselei“ — dass wir ein treffendes Heine’sches Wort brauchen — aber ist es, wenn Carlos, nachdem er die schöne Herausforderung der Eboli nicht angenommen, sie noch obendrein zur Vermittlerin machen will. Es ist dies überdies ein ganz deutscher Zug, wie denn der ganze Carlos durchaus nichts Südliches hat, sondern sehr germanisches Wesen in seiner Denkungsart sich ausspricht.

Während Philipp, Alba, Domingo, ja selbst Posa die nationale Färbung mehr oder weniger zeigen, so herrscht in Carlos das Flamändisch-Germanische — das Blonde vor, weshalb ihn der Künstler so hatte darstellen müssen, wenn ihn nicht auch schon die authentischen Bildnisse des historischen Carlos allein dazu berechtigt hatten, in denen das Bübisch-Tückische freilich mehr heraustritt, als hier erlaubt sein konnte.

Erschütternde Schicksale können schwache Menschen wohl zu großen Entschlüssen treiben, nicht aber ihnen die Kräfte zur Ausführung verleihen; wenn wir daher Carlos durch Roderichs Tod zum Verzicht auf seine Liebe und zur Erfassung seiner wahren Aufgabe getrieben sehen, wie er dies zu Elisabeth in den Worten ausspricht:

Es gibt ein höher‘, wünschenswerther Gut,
Als dich besitzen. — Eine kurze Nacht
Hat meiner Jahre trägen Lauf beflügelt,
Frühzeitig mich zum Mann gereift —

so muss gerade diese gewaltsame Veränderung seiner Natur ihn mit Notwendigkeit dem Untergang entgegenführen, da das Tragische eben darin liegt, dass ihm zu seiner Aufgabe zwar nicht der Wille, aber die Kraft fehlt.