Charakterisierung der Elisabeth von Valois, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Elisabeth von Valois, Charakter aus dem Schiller-Drama Don Carlos, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Elisabeth von Valois, Charakter aus dem Schiller-Drama „Don Carlos“, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Zwang entnervt und entmutigt schlafe Gemüter, edle und starke Seelen jedoch werden durch ihn empört und zum Widerstand gereizt; sie lieben dann nur um so reiner und glühender die Freiheit, die ihnen versagt ist.

Dies lehrt uns besonders die majestätische Figur der Elisabeth, welcher vom Dichter eine Feinheit der Charakteristik, ein Reichtum an sicher treffenden Zügen verliehen ist, wie wir ihn bei den frühem Stücken höchstens an dem ganz genreartig gehaltenen Bilde der Geigersfrau in „Kabale und Liebe“ gewahren, während es ihm hier bereits gelingt eine Gestalt voll Hoheit und Seelengröße mit voller Naturwahrheit zu bilden, um so den ganzen Fortschritt zur Reife, die höhere Lebenserfahrung und genauere Kenntnis des menschlichen Herzens zu zeigen, die er bereits, besonders im Umgang mit Charlotte von Kalb, die damals sein Herz fesselte, gewonnen.

Gleich die Eingangsscene in Aranjuez malt uns mit unübertrefflicher Meisterschaft die schwierige Lage der königlichen Frau, wie die Sicherheit, mit der sie sich in ihr bewegt, und welche überall ein so hervorstechendes Moment ihres Charakters bildet. Die erlauchte Tochter des heitern Frankreich, in den humanen Traditionen des aufgeklärten, Künste und Wissenschaften wie jede Freiheit des Geistes ehrenden Regiments Franz I. aufgezogen, kann sich niemals mit der bleiernen Atmosphäre der finstern, bigotten, pedantischen Gravität befreunden, wie sie am Hofe von Madrid jede lebendige Regung erstarren macht, und sehnt sich nach der Luft des Vaterlandes aus diesem eisernen Zwang der Etikette heraus. Während aber selbstische Naturen die Freiheit bloß für sich erobern wollen, so Wünschen hochsinnigere sie den andern zu verschaffen und zu erhalten. Dass Elisabeth zu diesen gehört, sehen wir sofort aus der Art, wie sie sich über die Heirat äußert, die der Eboli aufgedrungen werden soll:

Der Mann, den ich
Mit einer Eboli belohne, muss
Ein würd’ger Mann sein. . . .
Doch
Wir wollen wissen, ob er lieben kann
Und Liebe kann verdienen? . . . .
Es ist
Ein hartes Schicksal, aufgeopfert werden.

Ihre Denkungsart offenbart sich noch mehr, als sie den Marquis Posa empfangt und ihm Glück wünscht, dass er sich selbst zu leben gesonnen sei:

Ein grössrer Fürst in Ihren stillen Mauern,
Als König Philipp auf dem Thron — ein Freier! —

oder da sie ihm später sagt:

Wie sollt’ es
Mich freuen, Marquis, wenn der Freiheit endlich
Noch diese Zuflucht in Europa bliebe!

Das Königliche, die Herrschernatur ihres Wesens veredelt jedes Wort, das sie sagt, zeichnet sich nicht nur in dem Maß und der Würde, die sie überall begleiten, in dem Verständnis, das sie für alle großen Interessen zeigt, sondern auch vorzugsweise in der Bereitwilligkeit, mit der sie ihnen die eigenen persönlichen Wünsche, ja die geheimsten Neigungen ihres Herzens unterordnet. Posa kann daher allerdings mit einiger Wahrscheinlichkeit dem eifersüchtigen Philipp von ihr sagen:

Mit Empfindlichkeit sieht sie
In ihrer stolzen Hoffnung sich getauscht
Und von des Thrones Antheil ausgeschlossen.
Des Prinzen rasche Jugend bot sich ihren —
Weitblickenden Entwürfen dar — ihr Herz —
Ich zweifle, ob sie lieben kann.

Ihr Gefühl für den Infanten ist auch offenbar mehr Mitleid als Liebe; sie nimmt an ihm teil, weil sie ihn leiden sieht, nicht weil er ihr Bewunderung oder Verehrung einflößte. Diese hat sie entschieden aber für Posa. Bei ihm allein fühlt sie, dass sie vollkommen verstanden und gewürdigt wird, zu ihm blickt sie hinauf, zu Carlos herunter, und wenn sie dem Marquis von ihrem Verhältnis zu diesem sagt:

Ihr Freund erfüllte Sie so ganz, dass Sie
Mich über ihm vergassen —

so dürfte dies Geständnis offenbar weit mehr ihm als den Prinzen gelten, was noch mehr aus ihrer Antwort hervorgeht, da er ihr erwidert:

Für alle Weiber, nur für eines nicht.
Auf eines schwör’ ich . . . .
Versprechen Sie mir, ewig ihn zu lieben,
Unwandelbar und ewig ihn zu lieben,
Versprechen Sie mir dieses? . . . .
Königin. Mein Herz,
Versprech’ ich Ihnen, soll allein und ewig
Der Richter meiner Liebe sein —

und fortfährt:

Sie gehen, Marquis — ohne mir zu sagen,
Wann wir — wie bald — uns wiedersehn?
Marquis (das Gesicht abgewendet).
Gewiss!
Wir sehn uns wieder.

Königin. Ich verstand Sie, Posa —
Verstand Sie recht gut. — Warum haben Sie
Mir das gethan?

Marquis. Er oder ich.

Königin. Nein, nein!
Sie stürzten sich in diese That, die Sie
Erhaben nennen. Leugnen Sie nur nicht.
Ich kenne Sie, Sie haben längst danach
Gedürstet. …
Sie haben
Nur um Bewunderung gebuhlt. …
Ist keine Rettung möglich?

Marquis. Keine. …

Königin (verlässt ihn und verhüllt das Gesicht).
Gehen Sie!
Ich schätze keinen Mann mehr.

Marquis (in der heftigsten Bewegung vor ihr niedergeworfen).
Königin!
— O Gott, das Leben ist doch schön!

Wie kühl nimmt sich neben dieser kaum verhüllten Leidenschaft ihr Ton gegen Carlos aus in der letzten Szene:

Wir wollen
Einander nicht erweichen, Carl. …
Er hat sich geopfert
Für Sie! Mit seinem theuern Leben
Hat er das lhrige erkauft. — Und dieses Blut
War’ einem Hirngespinst geflossen? — Carlos!
Ich selber habe gut gesagt für Sie.
Auf meine Bürgschaft schied er freudiger
Von hinnen.

Selbst das Geständnis der Neigung, das sie ihm macht, erscheint doch nur mehr als eine Abfindung und Genugtuung, als die Erfüllung des Vermächtnisses, das ihr der Tode hinterlassen, und kann nicht aufkommen dagegen, dass sie diesen um jeden Preis halten wollte, während sie Carlos fortschickt, und uns gerade dadurch beweist, dass sie eine viel höhere und begabtere Natur ist als dieser, ein echteres Herrscherrecht hat als er.