Charakterisierung des Philipp II., Zeichnung von Arthur von Ramberg

Philipp II., Charakter aus dem Schiller-Drama Don Carlos, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Philipp II., Charakter aus dem Schiller-Drama „Don Carlos“, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung des Phillip II.

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Die deutsche Dichtkunst hat kein Werk, in welchem die Natur des Absolutismus, die unausbleiblichen Wirkungen desselben auf die nächste Umgebung des Herrschers, sowie auf alles, was er überhaupt zu erreichen vermag, mit gleicher oder auch nur annähernder Meisterschaft gezeichnet wäre, als in «Don Carlos». Das charakteristische Moment des Despotismus ist die Unterdrückung aller wahren Produktivität, weil jede Produktion einen Fortschritt bedingt, der Absolutismus aber jeden negiert und negieren muss, weil die Produktion als etwas Organisches sich nach ihren innern Gesetzen entwickelt und daher dem äußern Zwang überall widerstrebt. Die Despotie, in welcher Form sie auch auftrat, als monarchischer, demokratischer oder kirchlicher Absolutismus, ist daher von jeher ihre geschworene Feindin gewesen, hat immer das Streben gezeigt, das Organische zum Mechanischen zu verkehren und herabzuwürdigen.

Dies letztere Moment ist es denn auch, welches Schiller zuerst zeigt, da er uns in das Hof- und Staatsleben von Madrid einführt; es gelingt ihm dadurch leicht, uns mit jenem Schauder und Widerwillen gegen die Tyrannei zu erfüllen, deren Erregung wohl jedenfalls eine Absicht seines Stücks sein musste. Indem wir aber diese kulturfeindliche Wirkung zuerst gewahren, werden wir natürlich gestimmt, die Ursache zu hassen, umso mehr, als uns sofort die herrschende Rechtlosigkeit gezeigt wird. Der Vater hat dem Sohn die geliebte Braut geraubt; der heiligste Anspruch also des nach dem Tyrannen höchstgestellten Hannes im Staat gilt nichts, hier gibt es bloß Recht für den einen, — für alle andern existiert es nicht. Neben dem unterdrückten Sohn sehen wir nun noch die Werkzeuge der Unterdrückung. Da ihnen die Lust des freien Schaffens versagt ist, so kennen sie nur noch Ein Interesse, das eigene. Priester, Feldherren, Würdenträger aller Art, ja die meisten Frauen selbst kennen alle nur dieses Ziel, und der rücksichtsloseste Egoismus lauert überall unter der kalten, glatten, seelenlosen Form höfischer Manieren, höfischer Sprache; dass niemand sich anders äußert, ja anscheinend sogar denkt und empfindet, als offiziell vorgeschrieben ist, zeigt uns am klarsten die Stärke des Drucks, der auf allen lastet; nicht genug, dass die sanfte Mondecar sich freut, dass man ihr ein Auto da Fé versprochen: „Es sind ja Ketzer, die man brennen sieht“, so bebt selbst die leichtsinnige Eboli vor dem Gedanken zurück, dass man sie für eine schlechtere Christin halten könnte, als die Marquisin Mondecar. Diese beiden Züge zeigen uns trefflich, wo wir sind, die gewaltsame Verkehrung der natürlichsten Gefühle bereitet uns am besten auf das Auftreten dessen vor, der der Repräsentant des Absolutismus sein soll. Seine erste Äußerung gilt denn auch der Aufrechthaltung des äußern Anstandes, dessen Strenge bekanntlich überall mit der innern Fäulnis zu wachsen pflegt. Die unverhältnismäßige Harte, mit der Philipp eine leichte Verletzung desselben ahndet, der Holm, mit dem er die Strafe begleitet, zeigen uns sofort das Kalte, Steife, bis zum Übermaß Argwöhnische, sowie endlich das Grausame seines Charakters. Philipp ist nichtsdestoweniger ein König durchaus, man fühlt ihm überall den geborenen Herrscher an, selbst das Gemeine tut er mit einer gewissen Würde, die Majestät, die Gewohnheit des Gebietens, verlässt ihn keinen Augenblick; er zeigt sich aber auch als den pedantischen Träger eines Systems, das zuletzt ihn mit gleicher bleierner Schwere drückt wie die andern. Bleibt er aber, selbst wo er eifersüchtig und neidisch wird, doch immer ein vornehmer Mann, so zeigt mit unnachahmlicher Meisterschaft uns der Dichter bei ihm den Unterschied, welcher zwischen dem bloß Vernehmen und dem wirklich Edeln besteht; letzteres erreicht Philipp nie, wenn er gleich ebenso wenig je trivial wird.

Philipps unfruchtbare Großartigkeit ist durchaus unfähig zu jeder positiven Gestaltung, er kann bloß zerstören durch seinen despotischen Instinkt, welcher nie das Recht der Persönlichkeit achtet, selbst nicht beim Sohn, dem er gleich verwirft:

Mir gefallen
Die Söhne nicht, die bessre Wahlen treffen,
Als ihre Väter.

Philipps Absolutismus ist aber nicht ein Erbstück, das er etwa überkommen und dessen getreuer Bewahrer er nur ist, er hat im Gegenteil seine Quelle lediglich in seinem finstern und grausamen Naturell, für dessen Befriedigung er sich erst dieses System ausgebildet hat, dessen Blutgier überall durchbricht. Er ist durchaus Tigernatur und heuchelt nur die Großmut des Löwen. Jede Nachsicht erscheint ihm als Schwäche, dagegen ist er unerschöpflich in Gründen zur barbarischen Strenge. Das schlechte Gewissen, welches sich nicht durch ein sophistisches System beschwichtigen lässt, das Gefühl des Grauens vor der Mischung von Wollust und Grausamkeit in der eigenen Natur ist denn auch die Quelle seines Argwohns, mit dem er niemand verschont, ja die Nächststehenden am meisten quält, wie er denn gleich zu Carlos sagt:

Mein bestes Kriegsheer deiner Herrschbegierde?
Das Messer meinem Mörder?

Der dem Despoten so notwendige Macchiavellismus zeigt sich ebenso, wenn er gegen Alba äußert:

Gern mag ich hören,
Dass Carlos meine Rathe hasst; doch mit
Yerdruss entdeck’ ich, dass er sie verachtet —

als der Hass gegen die Freiheit überall durchbricht, wie und wo immer sie erscheine. In dieser Beziehung ist wohl einer der feinsten Züge des Stücks, dass er es nicht ertragen kann, den Marquis Posa frei zu sehen, selbst da er ihn eben zu lieben angefangen:

Diesen Stolz
Ertrag’ ich nicht. Ihr seid von heute an
In meinen Diensten. — Keine Einwendung!
Ich will es haben.

Es ist die Strafe aller Despoten, dass sie notwendig früher oder später zur Einsicht kommen müssen, wie sich Liebe und Wärme nur im Sonnenschein der Freiheit entwickeln, sie selbst also, die diese nicht aufkommen lassen, auch jener nie teilhaft werden, sie weder gewinnen noch verdienen können; das Gefühl dieser Isolierung muss mit Naturnotwendigkeit die eigene unerwiderte Neigung bei jeder Wahrnehmung in grenzenlosen Hass umso mehr verkehren, als sie aufrichtig war, muss gerade gegen den Gegenstand derselben türkisch und grausam machen. Es ist dies ein tragisches Verhängnis, dem wir denn auch Philipp endlich erliegen sehen, dessen verratene Liebe zu Posa, der ihn aufgibt, sobald er sein Naturell erkennt, in die fürchterlichste Rachsucht gegen die Menschheit, welche jener ihm vorgezogen, umschlägt.

Der Künstler hat uns im Bild des stolzen Königs vorzugsweise jenes improduktive, bigotte und tückische Wesen gezeigt und es mit der echtesten Vornehmheit zu verbinden gewusst. Seiner Arbeit liegt das berühmte Bild Tizians zu Grunde, eines seiner unübertrefflichsten Porträts, das mit erschütternder Kraft ein Zeugnis von dem Charakter dieses Mannes ablegt, das ihn für alle Ewigkeit ebenso unwiderruflich als unwidersprechlich verdammt.