Charakterisierung des Karl VII., Zeichnung von Friedrich Pecht

Karl VII., Charakter aus dem Schiller-Drama Die Jungfrau von Orleans, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Karl VII., Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Jungfrau von Orleans“, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung des Karl VII.

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Überall ist der Dilettantismus widerwärtig, am verhängnisvollsten aber wird er jedenfalls, wenn ihn ein König auf dem Throne treibt, mitten in wilder schwerer Zeit, die einen ganzen Mann fordert und nun nichts als einen kunstsinnigen Schwächling findet.

Karl VII.‚ wie ihn, streng der Geschichte folgend, Schiller zeichnet, ist ein solcher dilettierender König; sehr anständig und gut erzogen, tut er nie etwas Unschickliches; ganz ausnehmend wohlsprechend, weiß er euch überall vortreffliche geistreiche Reden zu halten, wo man eine Tat braucht; er hat guten Willen zu allem, Kraft zu nichts; wo man ihn anfasst, gibt er nach; er ist wie Schnee, der einem nirgends Stich hält, einem unter den Händen zerrinnt, wenn man ihn zu halten glaubt.

Ist der Mann voll sanfter guter Wünsche, seufzt und klagt er über das Elend seines Landes, so hindert ihn das doch nicht, sich im stillen möglichst gut zu unterhalten, er macht Gedichte, er lässt sich Vorsingen, er liebt die Künstler und hasst die Soldaten. Würde er der Künstler bedürfen, so würde er sicherlich die Soldaten lieben, denn eigentlich ist es der Begriff der Pflicht, der ihm verhasst ist; er will bloß Vergnügen, er möchte auch sein Volk beglücken, aber ohne alle Anstrengung. Wie alle schwachen Naturen hält er sehr auf äußern Anstand: die gemessene Form soll die innere Haltlosigkeit verdecken. Es ist ihm nichts so zuwider, als die rauen Redensarten des Dunois; wäre die Hofetikette nicht längst erfunden, er würde sie jedenfalls neu geschaffen haben, um sich alles vom Leibe zu halten, was seine sentimental-romantisehen Neigungen irgend stören könnte. So ist er gleich im Eingang froh, des Connetable los zu sein, die Freude darüber überwiegt ihm bei weitem die Kränkung und die Schmach, alles Land bis zur Loire preiszugeben. Darum ist ihm auch die Liebe so wichtig und Agnes so teuer; sie stützt ihn, ohne es zu wissen, und er findet es reizend, dass sie ihm alles opfert, sogar ihre Ehre, und nichts von ihm will, als seine Liebe.

Es ist ganz begreiflich, wie ein solcher Charakter an der Spitze einer Nation sie zur vollsten Demoralisation bringen kann, da sie ihn, gutmütig, wie er erscheint, doch nicht fallen lasst, aber weil sie an ihrem Haupt verzweifelt, zuletzt auch nicht mehr an die Kraft der Glieder glaubt, und so in den mut- und ratlosen Zustand gerät, in welchem wir sie zu Anfang des Stücks finden, und aus dem sie durch das Beispiel kühnen Mutes, das ihr Johanna gibt, rasch zu kampflustiger Begeisterung umschlägt. Auch Karl hat ritterliche Anwandelungen, wo sie nicht passen; so fordert er den Herzog von Burgund heraus, — in der sichern Gewissheit, dass letzterer es nicht annehmen werde. Es war aber nur ein romantischer Anflug, denn gleich darauf zeigt er sich, als die Gefahr am höchsten steigt, vollkommen ratlos zusammenbrechend und sich über die eigene Mutlosigkeit mit dem Spruche tröstend:

Ein finster furchtbares Verhängnis waltet
Durch Valois’ Geschlecht; es ist verworfen
Von Gott; der Mutter Lasterthaten führten
Die Furien herein in dieses Haus.

Nach Art solcher Naturen wälzt er also mit raschem und geschicktem Instinkt die eigene Schuld überall auf andere.
Können wir uns aber mit Recht wundern, dass die kräftige Königin Isabeau, das stolze Mannweib, diesen so anständigen, kunstliebenden Sohn verachtet? Sie hat sehr gut die Perfidie herausempfunden, welche die stete Begleiterin solcher schwachen Naturen ist, die nie etwas festzuhalten wissen. Wie wenig Karl dies versteht, sehen wir unter anderm aus der Leichtigkeit, mit der er Orleans aufgeben will, und als ihm Dunois entgegenhält, dass sie alle bereit seien, sich für seine Sache zu erheben, denn

Für seinen König muss das Volk sich opfern,
Das ist das Schicksal und Gesetz der Welt.
Der Franke weiss es nicht und will’s nicht anders —

so gibt er sich doch selber auf, erwidert:

Ich kann nicht mehr —

und tröstet sich als Dilettant, der den Beruf und die Arbeit allemal im Stiche lässt, wenn die Schwierigkeiten kommen:

Ist denn die Krone ein so einzig Gut?
Ist es so bitter schwer, davon zu scheiden?

Ist er als König überall unzulänglich, so kann man ihm dagegen umso weniger viele Tugenden eines Privatmanns streitig machen: er ist gutmütig, freigebig. geistreich ohne blendend oder tief zu sein, er hat viel feines Zartgefühl, was er gleich in der schwierigen Szene mit dem Herzog von Burgund und der zarten Schonung, mit der er alles entfernt, was den Wiedergewonnenen verletzen könnte, beweist. Er zeigt sich liberal leicht versöhnlich, er hält die Rache nicht fest, — freilich weil er überhaupt gar nichts festhielt! Nur die Wohlredenheit bleibt ihm unter allen Umständen. Die Romantiker auf dem Throne wissen bekanntlich immer sehr geistreiche Betrachtungen anzustellen, besonders über alles was abgeschlossen ist, sie sind die wahren Leichenprediger; so zeigt sich denn auch König Karl dieses Amtes Meister, als er den toten Talbot trifft:

Fried’ sei mit seinem Staube!
Ihm soll ein ehrenvolles Denkmal werden.
Mitten in Frankreich, wo er seinen Lauf
Als Held geendet, ruhe sein Gebein!
So weit, als er, drang noch kein feindlich Schwert,
Seine Grabschrift sei der Ort, wo man ihn findet.

Man konnte gewiss nichts Besseres über den Helden sagen, nachdem man ihn so schlecht bekämpft! Weiß er aber den Toten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so versteht er es umso schlechter bei den Lebendigen, wie wir in der Krönungsscene sehen, wo er der Jungfrau, die ihm Krone und Reich erfochten, erst einen Altar errichten, sie dem heiligen Denis gleichsetzen will, und sie dann fünf Minuten nachher, auf die Anklage eines bigotten Bauern hin, nichtsdestoweniger hilflos stehen lasst, ja die Gnade so weit treibt, dass er ihr, der er alles verdankt, durch Du Chatel sagen lässt:

Johanna d’Arc! Der König will erlauben,
Dass Ihr die Stadt verlasset ungekränkt.
Die Thore stehn Euch offen. Fürchtet keine
Beleidigung. Euch schützt des Königs Frieden.

Natürlich lässt sich unser künstlerischer König das Recht nicht nehmen, ihr wieder die Leichenrede zu halten, nachdem sie für ihn gestorben:

Sie ist dahin. — Sie wird nicht mehr erwachen,
Ihr Auge wird das Ird’sche nicht mehr schauen.
Schon schwebt sie drohen, ein verklarter Geist,
Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue —

um uns so das Bild seiner Schwäche zu vervollständigen. Sie ist nicht zu verkennen in dem nach vorhandenen altern Porträts gefertigten Bilde: in dem schmalen Gesicht, den großen schwärmerischen Augen, der langen schmalen Nase, den feinen Lippen und der kleinen Hand, wie der schlanken weichen Gestalt ist sie nur zu deutlich ausgeprägt. Karls Charakter entsprechend, hat ihn der Künstler in der Szene dargestellt, wo er vor dem Erscheinen der Jungfrau ratlos seine Sache aufgibt, seufzend:

G’nug
Des Blutes ist geflossen und vergebens!
Des Himmels schwere Hand ist gegen mich!