Charakterisierung des Ferdinand, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Ferdinand, Charakter aus dem Schiller-Drama Kabale und Liebe, Zeichnung von Arthur Ramberg, 1859

Ferdinand, Charakter aus dem Schiller-Drama „Kabale und Liebe“, Zeichnung von Arthur Ramberg, 1859

Charakterisierung des Ferdinand von Walter

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Nicht nur die Zeit, in der der Künstler lebte und Eindrücke empfing, muss man kennen und berücksichtigen, sondern auch seine persönlichen Verhältnisse und Stimmungen, als er sein Werk schuf, — wenn man es beurteilen will.

Wir haben schon bei Luise auf die erstere hingewiesen, da man ohne jene Erinnerung an die tiefe Fäulnis der sittlichen Zustände und die absolutistische Willkür kleiner Höfe im vorigen Jahrhundert den Grimm in der Schilderung derselben nicht begreift, der sich durch „Kabale und Liebe“ zieht und diesem Stück ein so ungeheueres Echo in der Nation verschaffte. Auch die unsichere und bedrängte Lage des Dichters selbst zu jener Zeit hat man in Rechnung zu ziehen, wenn man es verstehen will. Im Zwang eines Standes entstanden, welcher, der hohen Seele aufgedrungen, als eine widerwärtige Bürde auf ihr lastete, vollendet auf der Flucht vor gefürchteter Verfolgung einer tyrannischen Gewalt, die keine Schranken mehr kannte als die ihrer Macht, musste sich jene tiefe Empörung gegen den politischen Zustand des Vaterlandes erzeugen und geltend machen, die am Ende nur zu gerechtfertigt war, so fremd sie uns heute erscheint.

So sehr uns auch die Wildheit dieses Stücks erschreckt und zurückstößt, so erstaunt man dagegen gerade hier umso mehr über die Macht des Dichters, über die wahrhaft dämonische Glut und Gewalt, mit der er uns fortreißt, uns zwingt, selbst seine Irrtümer zu teilen. Unser Gefühl wird von ihm überwältigt, wenn uns Verstand und Geschmack auch zehnmal die Rohheit seines Gemäldes, den Mangel aller feinen und ausgleichenden Nuancen vorhält. Diese Rohheit hegt aber mehr in der Ausführung, die der junge, wenig erfahrene Feuerkopf nicht künstlerisch genug durcharbeiten konnte, als in der Auffassung der Verhältnisse im großen, die so eminent richtig ist, wie die Umrisse der Personen lebendig; nur der Mangel des feinen Details ist es, das uns die letztem so ungeheuerlich erscheinen lässt, daher sind die Nebenfiguren, die dieses Details weniger bedürfen: der Geiger mit seiner lebhaften Musikantennatur, die dumm geschwätzige Mutter so meisterhaft geraten, weil hier die Skizzierung genügte.

Die eigentümliche Hoheit des Sinnes aber, die überall aus dem Dichter spricht, versöhnt uns selbst mit den obenerwähnten Mängeln, umso mehr, als sie echt nationale sind, uns die schwäbische Stammeseigentümlichkeit Schillers stärker als irgend sonstwo in seinen Werken zeigen. So wortkarg und kurz angebunden der Schwabe auch ist, so leicht findet er, einmal gereizt und genötigt sich zusammenzunehmen, eine gewisse nervige Beredsamkeit. Dieses Element von fanatischer, schwärmerischer, rücksichtsloser Leidenschaft in dem schwäbischen Naturell nicht minder als den starren Eigensinn desselben hat uns der Dichter in seinem Ferdinand ganz vortrefflich geschildert; so oft uns dieses jungen Mannes studentenhafter Schwulst revoltiert, müssen wir uns doch sagen, dass er umso mehr echt charakteristisch ist, als keine Hohlheit dahinter verborgen liegt, sondern die ganze unbändige Glut und Nachhaltigkeit eines Jünglings von tiefer und schwer zugänglicher Empfindung.

Dasselbe verzehrende Feuer, welches er seinem Ferdinand eingoss, durchströmte den Dichter selbst, wie wir leicht aus seinen einzelnen auf uns gekommenen Jugendbriefen ersehen können, wo uns eine Überfülle heißer Leidenschaft entgegentritt, die bei jeder Gelegenheit alle Schranken durchbricht. Hat Goethe in seinem Tasso, Werther, im Clavigo, im Weisslingen sogar einzelne Seiten seines Charakters niedergelegt, so hat dies Schiller beim Ferdinand sicher nicht minder getan. In dieser Natur, den sanftesten und weichsten Regungen so zugänglich und im nächsten Augenblicke wieder aufblitzend wie Pulver, in diesen unbewusst glühenden Sinnen und dieser Reinheit des Herzens, in der ganzen Empfindungsart, der Unmöglichkeit, von irgendeiner Überzeugung etwas abmarkten, von der Welt abschleifen zu lassen, — wer erkennte da nicht den Chirurgus aus der Karlsschule?
Auch das Schneidige, Kampflustige des Charakters ist nicht minder bezeichnend; haben die Goethe’schen Gestalten, die wir eben erwähnt, etwas Weichliches, so erquickt uns bei Schiller der durchweg männliche Nerv, der in Ferdinand allerdings noch sehr an die Studentenzeit und ihre Raufwuth erinnert.

Nirgends mehr aber empört sich diese angeborene Mannhaftigkeit und Tüchtigkeit des Wesens als so einer taffetenen Lumpenseele gegenüber, wie sie der Dichter uns im Hofmarschall Kalb gezeichnet hat. In dieser Situation sehen wir denn den. Major, wie er dem Hofmarschall sagt:

Marschall, dieser Brief muss Ihnen bei der Parade aus der Tasche gefallen sein — und ich war zum Glück noch der Finder. Lesen Sie! Lesen Sie! Bin ich auch schon zum Liebhaber zu schlecht, vielleicht lass’ ich mich desto besser als Kuppler an.

Hofmarschall. Verflucht!

Ferdinand. Geduld, lieber Marschall! Die Zeitungen dünken mich angenehm! Ich will meinen Finderlohn haben! (Hier zeigt er ihm die Pistole.)

So sehr man sich auch gewöhnt hat, über seine Karikierung zu scherzen, konnte der Marschall doch vielleicht kaum meisterhafter skizziert werden, als der Dichter in den paar Szenen ihn malt, und zugleich mit ihm das ganze grenzenlos klägliche und nichtige Treiben jener Klasse, die sich an Fürsten von mittelmäßiger Fähigkeit und despotischem Naturell von jeher so leicht angesammelt hat, wie jeder nur einigermaßen mit solchen Kreisen Vertraute in seiner Erinnerung Beispiele dafür wird zusammenfinden können. Auf einen an sich unbedeutenden Menschen muss die als das Haupterfordernis alles feinen Gesellschaftstons betrachtete Hofgewöhnung, das Banale mit Grazie zu umkleiden und mit affektierter Wichtigkeit zu sagen, das Bedeutende aber mit anscheinender Nachlässigkeit und sorgloser Leichtigkeit zu behandeln, den verflachendsten Einfluss üben; das Produkt dieses Tons sehen wir nun im Hofmarschall, dieser Fliege, die in der Sonne des Hofs mit Redensarten gedankenlos spielt, vor uns, während in Ferdinand eine Natur gezeichnet ist, die erst durch die Leidenschaft zum vollen Leben geweckt wird. Ist doch sein Vater selbst über ihn verwundert, und bricht in die Worte aus:

Wo in aller Welt bringst du das Maul her, Junge?

In ihrer Rücksichtslosigkeit sind sich Vater und Sohn gleich, nur dass, wie man dies so oft frifft, aus Abscheu vor dem intriganten Charakter des Vaters der Sohn im Gegensatze dazu sich gerade die höchste Reinheit und Ehrenhaftigkeit der Gesinnung bewahrt, und sich dadurch eine Teilnahme sofort sichert, die bei edelmütigen Naturen oft zu begeisterter Sympathie sich steigert.

Selbst die genialste Kraft kann sich nicht von allen die Zeit beherrschenden Geschmacksrichtungen vollständig losreißen, und wenn wir also demgemäß Schiller hier auch in die jene Sturm- und Drangperiode beherrschende Manie verfallen sehen, die Leute um so schwarzer zu malen, je höher sie auf der gesellschaftlichen Leiter stehen, so hat er wenigstens die Entschuldigung für ‘sich, dass es damals in Württemberg an Originalen zu dieser Malerei a la Höllenbreughel nicht fehlte. Eigentümlich ist es aber, dass jene Manier, in jedem Minister einen Bösewicht eo ipso zu sehen, sich nur selten zur Person des Regenten selbst verstieg, der man sich höchstens einige schüchterne Seitenhiebe zu versetzen traute, während ein moderner Feuerkopf sicherlich direkt den Serenissimus selbst hätte auftreten lassen.