Charakterisierung der Lady Milford, Zeichnung von Arthur von Ramberg

Lady Milford, Charakter aus dem Schiller-Drama Kabale und Liebe, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Lady Milford, Charakter aus dem Schiller-Drama „Kabale und Liebe“, Zeichnung von Arthur von Ramberg, 1859

Charakterisierung der Lady Milford

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Stellten die Figuren von „Kabale und Liebe“ ihrer stark übertriebenen Zeichnung halber alle dem Maler eine schwere Aufgabe, so gilt dies vielleicht am meisten von der Lady Milford, einem Charakter, den im Bilde zu beleben schon deshalb schwierig sein musste, weil er in der ungenügenden individuellen Motivierung, die ihm der Dichter zu Teil werden ließ, uns auf den ersten Blick ungeheuerlich, ja unmöglich erscheint. Der Künstler hat die Schwierigkeit dadurch zu besiegen gesucht, dass er uns ein reizendes Weib zeigt, der man allenfalls jene leidenschaftliche Denkungsart zutrauen kann, die sie sagen lässt:

Wir Frauenzimmer können nur zwischen Herrschen und Dienen wählen, aber die höchste Wonne der Gewalt ist doch nur ein elender Behelf, wenn uns die grössere Wonne versagt wird, Sklavinnen eines Mannes zu sein, den wir lieben!

Eine feine, geistreiche, nervöse und verwöhnte, schlechten und guten Anwandelungen gleich zugängliche Frau, wie sie eben das Geschenk des Herzogs wegschiebt, entsetzt von dem Gemälde des Elends, das ihr der Überbringer aufrollte. Messen wir der Apologie Glauben bei, die sie mit wunderbarer Geschicklichkeit gegen den unerfahrenen Major versucht, der schnell gerührt, von der tiefsten Verachtung so leicht zur Bewunderung und Verehrung überspringt, so haben ihr Unglück und ihre Schönheit sie in die entehrende Lage geführt, aus der sie sich mit seiner Hilfe zu retten suchen möchte; im Grunde aber ist es eine Schauspielernatur: manieriert, sentimental, betrog sie sich selber, indem sie den großen Flecken ihrer Existenz durch kleines Wohltun abwaschen zu können wähnte, und über den dunkeln Punkt in ihrer Geschichte so leicht wegsprang, während er doch nur entschuldigt werden konnte, wenn sie den Herzog wirklich liebte und ihm treu blieb. Dass dies ihre Ehre just fordert, davon aber hat sie nach echter Maitressenart gar keine Ahnung, wenn sie zu Ferdinand sagt:

Meine Leidenschaft, Walter, weicht meiner Zärtlichkeit für Sie.

Stolz, ehrgeizig und großartiger Auffassung allerdings Wenigstens in leidenschaftlicher Aufwallung zugänglich, ist sie doch schon zu viel Kurtisane, um irgendein wahres Gefühl lange und dauernd zu nähren. Englisch ist an diesem Charakter vor allem der Hochmut, der sich unter keinen Umständen verleugnet, jener rasende Anfall von Spleen, in welchem sie, nachdem ihr das Project auf Ferdinand misslungen und sie beschämt vor Luisen gestanden, ihr ganzes Los mit Füssen tritt, und die Schaubühne verlässt, auf der sie bisher Gebieterin war, vielleicht am allerehesten auch die hartnäckige Laune, mit der sie sich einbildet einen Mann zu lieben, den sie bisher noch nie gesprochen hatte. Dieselbe Willkür der Phantasie, die sie heißt sich dem Unbekannten in die Arme zu werfen, die ihr erlaubt, sich der Hoffnung hinzugeben, ein Mann von Ehre werde ihre frühere Laufbahn vergessen, würde uns auch die geringe Nachhaltigkeit ihrer Caprice verbürgen, wenn solche Frauen nicht oft gerade in der Caprice allein eine eiserne Beharrlichkeit zeigten. Nimmt man sich die Mühe, den Charakter von diesem Standpunkte aus genauer zu betrachten und der geschraubten und pathetischen Dialektik, die ihm der Dichter in den Mund legt, zu entkleiden, in der er uns viel häufiger das mitteilt, was er über den Charakter denkt, als was dieser letztere denken und sagen kann, so wird man immer wieder über die Meisterschaft der Anlage trotz der Mangelhaftigkeit der Ausführung erstaunen, die bei aller Verwilderung, die uns‘ das Schillerische Talent in dieser ersten Periode zeigt, immer durchbricht, uns mit einer Art von Bewunderung und Grauen zugleich erfüllt. Will man die Lady kennen, wie sie sich Schiller wirklich gedacht hat, und nicht wie sie ihm in der Ausführung geworden ist, so muss man sie in ihrer Scene mit Luise betrachten, wo die hochmütige, egoistische, reizbare Natur, ganz besonders aber das Schlangenartige des Wesens, die Raschheit der Wendung trefflich zum Vorschein kommt, und sie sich auch selber das Urteil spricht, wenn sie zu Luise sagt:

Keinen Seitensprung, Lose! — Wenn es nicht die Promessen Ihrer Gestalt sind, was in der Welt könnte Sie abhalten, einen Stand zu erwählen, der der einzige ist, wo Sie Manieren und Welt lernen kann, der einzige ist, wo Sie sich Ihrer bürgerlichen Vorurtheile entledigen kann?

und wenn sie dann später wütend auffahrt:

Ich kann nicht mit ihm glücklich werden, aber du sollst es auch nicht werden. — Wisse das, Elende! Seligkeit zerstören ist auch Seligkeit.

oder gar Luisen zuletzt echt englisch den Mann ihres Herzens abkaufen will:

Wo bin ich? Wo war ich? Was hab’ ich merken lassen? Wem hab’ ich’s merken lassen? — O Luise, edle, grosse, göttliche Seele! Vergib einer Rasenden. — Ich will dir kein Haar kranken, mein Kind! Wünsche! Fordre! Ich will dich auf den Händen tragen, deine Freundin: deine Schwester will ich sein. — Du bist arm — sieh! (einige Brillanten herunternehmend) ich will diesen Schmuck verkaufen —meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen — dein sei alles, aber — entsag’ ihm!

Da ihr dies nicht gelingt, tröstet sie sich schließlich wenigstens mit der Vorstellung, welchen Eclat ihr Entschluss, den Hof zu verlassen, machen werde, und sagt:

Auftaumeln wird sie, die fürstliche Drahtpuppe! Freilich! Der Einfall ist auch drollig genug, so eine durchlauchtige Hirnschale auseinander zu treiben. — Seine Hofschranzen werden wirbeln — das ganze Land wird in Gährung kommen!

Indem sie so zehn Seelenstimmungen in einer Viertelstunde durchläuft, und ebenso viele Seiten ihres Charakters zeigt, die im Grunde doch alle keine rechte Dauer versprechen, berechtigt sie uns zu der Erwartung, dass sie, um den Hof und „die fürstliche Drahtpuppen“ in noch größeres Erstaunen zu setzen, doch wohl, wenn sie heute durchging, am andern Tage wiedergekommen sein werde.