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Iphigenie in Aulis – Fünfter Akt. Dritter Auftritt.

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Iphigenie mit dem kleinen Orestes zu den Vorigen.

Agamemnon.
Was ist dir, Iphigenie? – – – Du weinst?
Du siehst nicht heiter aus – du schlägst die Augen
Zu Boden und verbirgst dich in den Schleier?

Iphigenie.
Ich Unglückselige! Wo fang‘ ich an?
Bei welchem unter allen meinen Leiden?
Verzweiflung, wo ich nur beginnen mag,
Verzweiflung, wo ich enden mag! [Fußnote]

Agamemnon.
Was ist das?
Hat Alles hier zusammen sich verstanden,
Mich zu bestürzen – Kind und Mutter außer sich
Und Unruh‘ im Gesichte –

Klytämnestra.
Mein Gemahl,
Antworte mir auf das, was ich dich frage,
Aufrichtig aber!

Agamemnon.
Braucht’s dazu Ermahnung?
Zur Sache.

Klytämnestra.
Ist’s an dem – willst du sie wirklich
Ermorden, deine Tochter und die meine?

Agamemnon (fährt auf).
Unglückliche! Was für Wort hast du gesprochen!
Was argwöhnst du? – Du sollst es nicht!

Klytämnestra.
Antworte
Auf meine Frage.

Agamemnon.
Frage, was sich ziemt,
So kann ich dir antworten, wie sich’s ziemet.

Klytämnestra.
So frag‘ ich. Sage du mir nur nichts anders.

Agamemnon.
Furchtbare Göttinnen des Glücks und Schicksals
Und du, mein böser Genius!

Klytämnestra.
Und meiner –
Und Dieser hier! Ihn theilen drei Elende!

Agamemnon.
Worüber klagst du?

Klytämnestra.
Dieses fragst du noch?
O dieser List gebricht es an Verstande!

Agamemnon.
Ich bin verloren! Alles ist verrathen!

Klytämnestra.
Ja, Alles ist verrathen. Alles weiß ich,
Und Alles hört‘ ich, was du uns bereitest.
Dies Schweigen, dieses Stöhnen ist Beweises
Genug. Das Reden magst du dir ersparen.

Agamemnon.
Ich schweige. Reden, was nicht wahr ist, hieße
Mein Elend auch durch Frechheit noch erschweren.

Klytämnestra.
Gib mir Gehör. Die räthselhafte Sprache
Bei Seit‘. Ich will jetzt offen mit dir reden.
Erst drangst du dich – das sei mein erster Vorwurf –
Gewaltsam mir zum Gatten auf, entführtest
Mich räuberisch, nachdem du meinen ersten
Gemahl erschlagen, Tantalus – den Säugling
Von seiner Mutter Brust gerissen, mit
Grausamem Wurf am Boden ihn zerschmettert.
Als meine Brüder drauf, die Söhne Zeus‘,
Die Herrlichen, mit Krieg dich überzogen,
Entriß dich Tyndar, unser Vater, den
Du knieen flehtest, ihrem Zorn und gab
Die Rechte meines Gatten dir zurücke.
Seit diesem Tag – kannst du es anders sagen?
Fandst du in mir die lenksamste der Frauen,
Im Hause fromm, im Ehebette keusch,
Untadelhaft im Wandel. Sichtbar wuchs
Der Segen deines Hauses – Lust und Freude,
Wenn du hineintratst! Wenn du öffentlich
Erschienst, der frohe Zuruf aller Menschen!
Solch eine Ehgenossin zu erjagen,
Ist Wenigen beschert. Desto gemeiner sind
Die schlimmen! Ich gebäre dir drei Töchter
Und diesen Sohn – und dieser Töchter eine
Willst du jetzt so unmenschlich mir entreißen!
Fragt man, warum sie sterben soll – was kannst du
Hierauf zur Antwort geben? Sprich! soll ich’s
In deinem Namen thun? Daß Menelaus
Helenen wieder habe, soll sie sterben!
O trefflich! Deine Kinder also sind
Der Preis für eine Buhlerin! Und mit
Dem Theuersten, das wir besitzen, wird
Das Hassenswürdigste erkauft! – Wenn du
Nun fort sein wirst nach Troja, lange, lange,
Ich im Palast indessen einsam sitze,
Leer die Gemächer der Gestorbenen
Und alle jungfräulichen Zimmer öde,
Wie, glaubst du, daß mir da zu Muth sein werde?
Wenn ungetrocknet, unversiegend um
Die Todte meine Thränen rinnen, wenn
Ich ewig, ewig um sie jammre: »Er,
Der dir das Leben gab, gab dir den Tod!
Er selbst, kein Andrer, er mit eignen Händen!«
Sieh zu, daß dir von deinen andern Töchtern,
Von ihrer Mutter, wenn du wiederkehrst,
Nicht ein Empfang dereinst bereitet werde,
Der solcher Thaten würdig ist. O um
Der Götter willen! Zwinge mich nicht, schlimm
An dir zu handeln! Handle du nicht so
An uns! – Du willst sie schlachten! Wie? Und welche
Gebete willst du dann zum Himmel richten?
Was willst du, rauchend von der Tochter Blut,
Von ihm erflehen? Fürchterliche Heimkehr
Von einem schimpflich angetretnen Zuge!
Werd‘ ich für dich um Segen flehen dürfen?
Um Segen für den Kindermörder flehn,
Das hieße Göttern die Vernunft ableugnen!
Und sei’s, daß du nach Argos wiederkehrst,
Denkst du dann deine Kinder zu umarmen?
O, dieses Recht hast du verscherzt! Wie könnten
Sie Dem ins Auge sehn, der ein von ihnen
Mit kaltem Blut erschlug? – Darüber sind
Wir einverstanden – Mußtest du als König,
Als Feldherr dich betragen – kam es dir
Nicht zu, bei den Achivern erst die Sprache
Der Weisheit zu versuchen? »Ihr verlangt
Nach Troja, Griechen? Gut. Das Loos entscheide,
Weß Tochter sterben soll!« Das hätte Einem
Gegolten wie dem Andern. Aber nicht,
Nicht dir von allen Danaern allein
Kam’s zu, dein Kind zum Opfer anzubieten!
Da! deinem Menelaus, dem zu Lieb‘
Ihr streitet, dem hätt‘ es gebührt, sein Kind
Hermione der Mutter aufzuopfern!
Und ich, die immer keusch dein Bett bewahrte,
Soll nun der Tochter mich beraubet sehn,
Wenn jene Lasterhafte, glücklicher
Als ich, nach Sparta heimzieht mit der ihren!
Bestreit‘ mich, wenn ich Unrecht habe! Hab‘
Ich Recht – o, so geh‘ in dich! – bring sie nicht
Ums Leben, deine Tochter und die meine!

Chor.
Laß dich erweichen, Agamemnon! Denk,
Wie schön es ist, sich seines Bluts erbarmen!
Das wird von allen Menschen eingestanden!

Iphigenie.
Mein Vater, hätt‘ ich Orpheus‘ Mund, könnt‘ ich
Durch meiner Stimme Zauber Felsen mir
Zu folgen zwingen und durch meine Rede
Der Menschen Herzen, wie ich wollte, schmelzen,
Jetzt würd‘ ich diese Kunst zu Hilfe rufen.
Doch meine ganze Redekunst sind Thränen,
Die hab‘ ich, und die will ich geben! Sieh,
Statt eines Zweigs der Flehenden leg‘ ich
Mich selbst zu deinen Füßen – Tödte mich
Nicht in der Blüthe! – Diese Sonne ist
So lieblich! Zwinge mich nicht, vor der Zeit
Zu sehen, was hier unten ist! – Ich war’s,
Die dich zum erstenmale Vater nannte,
Die Erste, die du Kind genannt, die Erste,
Die auf dem väterlichen Schooße spielte
Und Küsse gab und Küsse dir entlockte.
Da sagtest du zu mir: »O meine Tochter,
Werd‘ ich dich wohl, wie’s deiner Herkunft ziemt,
Im Hause eines glücklichen Gemahles
Einst glücklich und gesegnet sehn?« – Und ich,
An diese Wangen angedrückt, die flehend
Jetzt meine Hände nur berühren, sprach:
»Werd‘ ich den alten Vater alsdann auch
In meinem Haus mit süßem Gastrecht ehren
Und meiner Jugend sorgenvolle Pflege
Dem Greis mit schöner Dankbarkeit belohnen?«
So sprachen wir. Ich hab’s recht gut behalten.
Du hast’s vergessen, du, und willst mich tödten?
O, nein! bei Pelops, deinem Ahnherrn! nein!
Bei deinem Vater Atreus und bei ihr,
Die mich mit Schmerzen dir gebar und nun
Aufs neue diese Schmerzen um mich leidet!
Was geht mich Paris‘ Hochzeit an? Kam er
Nach Griechenland, mich Arme zu erwürgen?
O gönne mir dein Auge! Gönne mir
Nur einen Kuß, wenn auch nicht mehr Erhörung,
Daß ich ein Denkmal deiner Liebe doch
Mit zu den Todten nehme! Komm, mein Bruder!
Kannst du auch wenig thun für deine Lieben,
Hinknien und weinen kannst du doch. Er soll
Die Schwester nicht ums Leben bringen, sag‘ ihm.
Gewiß! Auch Kinder fühlen Jammer nach.
Sieh, Vater! eine stumme Bitte richtet er
An dich – laß dich erweichen! laß mich leben!
Bei deinen Wangen flehen wir dich an.
Zwei deiner Lieben, der, unmündig noch,
Ich, eben kaum erwachsen! Soll ich dir’s
In ein herzrührend Wort zusammenfassen?
Nichts Süßres gibt es, als der Sonne Licht
Zu schaun! Niemand verlanget nach da unten.
Der raset, der den Tod herbeiwünscht! Besser
In Schande leben, als bewundert sterben!

Chor.
Dein Werk ist dies, verderbenbringende
Helene! Deine Lasterthat empöret
Die Söhne Atreus‘ gegen ihre Kinder.

Agamemnon.
Ich weiß, wo Mitleid gut ist, und wo nicht.
Liebt‘ ich mein eigen Blut nicht, rasen müßt‘ ich.
Entsetzlich ist mir’s, solches zu beschließen,
Entsetzlich, mich ihm zu entziehn – Sein muß es.
Seht dort die Flotte Griechenlandes! Seht!
Wie viele Könige in Erz gewaffnet!
Von diesen allen sieht nicht Einer Troja,
Und nimmer fällt die Burg des Priamus,
Du sterbest denn, wie es der Seher fordert.
Von wüthendem Verlangen brennt das Heer,
Nach Phrygien die Segel auszuspannen
Und der Achiver Gattinnen auf ewig
Von diesem Räuber zu befrein. Umsonst,
Daß ich dem Götterspruch mich widersetze,
Ich – du – und du – und unsre Töchter in
Mycene würden Opfer ihres Grimmes.
Nein, Kind! nicht Menelaus‘ Sklave bin ich,
Nicht Menelaus ist’s, der aus mir handelt.
Dein Vaterland will deinen Tod – ihm muß ich,
Gern oder ungern, dich zum Opfer geben.
Das Vaterland geht vor! – Die Griechen frei
Zu machen, Kind, die Frauen Griechenlandes,
Was an uns ist, vor räubrischen Barbaren
Zu schützen – das ist deine Pflicht und meine. (Er geht ab.)