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Iphigenie in Aulis – Fünfter Akt. Fünfter Auftritt.

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Achilles mit einigen Bewaffneten erscheint in der Ferne. Die Vorigen.

Iphigenie (erschrocken).
O Mutter, Mutter! Eine Schaar von Männern
Kommt auf uns zu.

Klytämnestra.
Der Göttinsohn ist drunter,
Für den ich dich hieher gebracht.

Iphigenie (eilt nach der Thür und ruft ihren Jungfrauen).
Macht auf!
Macht auf die Pforten, daß ich mich verberge!

Klytämnestra.
Was ist dir? Vor wem fliehest du?

Iphigenie.
Vor ihm –
Vor dem Peliden – ich erröthe, ihn
Zu sehn –

Klytämnestra.
Warum erröthen, Kind?

Iphigenie.
Ach, die
Beschämende Entwicklung dieser –

Klytämnestra.
Laß
Die Glücklichen erröthen! – Diese zücht’ge
Bedenklichkeiten jetzt bei Seite, wenn
Wir was vermögen sollen –

Achilles (tritt näher).
Arme Mutter!

Klytämnestra.
Du sagst sehr wahr.

Achilles.
Ein fürchterliches Schreien
Hört man im Lager.

Klytämnestra.
Ueber was? Wem gilt es?

Achilles.
Hier deiner Tochter.

Klytämnestra.
O, das weissagt mir
Nichts Gutes.

Achilles.
Alles dringt aufs Opfer.

Klytämnestra.
Alles?
Und Niemand ist, der sich dagegen setzte?

Achilles.
Ich selbst kam in Gefahr –

Klytämnestra.
Gefahr –

Achilles.
Gesteinigt
Zu werden.

Klytämnestra.
Weil du meine Tochter
Zu retten strebtest?

Achilles.
Eben darum.

Klytämnestra.
Was?
Wer durft‘ es wagen, Hand an dich zu legen?

Achilles.
Die Griechen alle.

Klytämnestra.
Wie? Wo waren denn
Die Schaaren deiner Myrmidonen?

Achilles.
Die
Empörten sich zuerst.

Klytämnestra.
Wehe mir! Wir sind
Verloren, Kind!

Achilles.
Die Hochzeit habe mich
Bethöret, schrien sie.

Klytämnestra.
Und was sagtest du
Darauf?

Achilles.
Man solle Die nicht würgen,
Die zur Gemahlin mir bestimmt gewesen.

Klytämnestra.
Da sagtest du, was wahr ist.

Achilles.
Die der Vater
Mir zugedacht.

Klytämnestra.
Und die er von Mycene
Ausdrücklich darum hatte kommen lassen.

Achilles.
Vergebens! Ich ward überschrien.

Klytämnestra.
Die rohe
Barbar’sche Menge!

Achilles.
Dennoch rechne du
Auf meinen Schutz.

Klytämnestra.
So Vielen willst du’s bieten,
Ein Einziger?

Achilles.
Siehst du die Krieger dort?

Klytämnestra.
O, möge dir’s bei diesem Sinn gelingen!

Achilles.
Es wird.

Klytämnestra.
So wird die Tochter mir nicht sterben?

Achilles.
Solang ich Athem habe, nicht!

Klytämnestra.
Kommt man
Etwa, sie mit Gewalt hinweg zu führen?

Achilles.
Ein ganzes Heer. Ulysses führt es an.

Klytämnestra.
Der Sohn des Sisyphus etwa?

Achilles.
Derselbe.

Klytämnestra.
Führt eigner Antrieb oder Pflicht ihn her?

Achilles.
Die Wahl des Heers, die ihm willkommen war.

Klytämnestra.
Ein traurig Amt, mit Blut sich zu besudeln!

Achilles.
Ich werd‘ ihn zu entfernen wissen.

Klytämnestra.
Sollte
Er wider Willen sie von hinnen reißen?

Achilles.
Er? – Hier, bei diesem blonden Haar!

Klytämnestra.
Was aber
Muß ich dann thun?

Achilles.
Du hältst die Tochter.

Klytämnestra.
Wird
Das hindern können, daß man sie nicht schlachtet?

Achilles.
Das wird dies Schwert alsdann entscheiden! [Fußnote]

Iphigenie.
Höre
Mich an, geliebte Mutter. Hört mich beide.
Was tobst du gegen den Gemahl? Kein Mensch
Muß das Unmögliche erzwingen wollen.
Das größte Lob gebührt dem wohlgemeinten,
Dem schönen Eifer dieses fremden Freundes;
Du aber, Mutter, lade nicht vergeblich
Der Griechen Zorn auf dich und stürze mir
Den großmuthsvollen Mann nicht ins Verderben.
Vernimm jetzt, was ein ruhig Ueberlegen
Mir in die Seele gab. Ich bin entschlossen,
Zu sterben – aber, ohne Widerwillen,
Aus eigner Wahl und ehrenvoll zu sterben!
Hör meine Gründe an und richte selbst!
Das ganze große Griechenland hat jetzt
Die Augen auf mich Einzige gerichtet.
Ich mache seine Flotte frei – durch mich
Wird Phrygien erobert. Wenn fortan
Kein griechisch Weib mehr zittern darf, gewaltsam
Aus Hellas‘ sel’gem Boden weggeschleppt
Zu werden von Barbaren, die nunmehr
Für Paris‘ Frevelthat so fürchterlich
Bezahlen müssen – aller Ruhm davon
Wird mein sein, Mutter! Sterbend schütz‘ ich sie.
Ich werde Griechenland errettet haben,
Und ewig selig wird mein Name strahlen.
Wozu das Leben auch so ängstlich lieben?
Nicht dir allein – du hast mich allen Griechen
Gemeinschaftlich geboren. Sieh dort, sieh
Die Tausende, die ihre Schilde schwenken,
Dort andre Tausende, des Ruders kundig.
Entbrannt von edlem Eifer kommen sie,
Die Schmach des Vaterlands zu rächen, gegen
Den Feind durch tapfre Kriegesthat zu glänzen,
Zu sterben für das Vaterland. Dies alles
Macht‘ ich zu nichte, ich, ein einzig’s Leben?
Wo, Mutter wäre das gerecht? Was kannst
Du hierauf sagen? – Und alsdann – (Sich gegen Achilles wendend.)
Soll Der’s
Mit allen Griechen, eines Weibes wegen,
Aufnehmen und zu Grunde gehn? Nein doch!
Das darf nicht sein! Der einz’ge Mann verdient
Das Leben mehr, als hunderttausend Weiber.
Und will Diana diesen Leib, werd‘ ich,
Die Sterbliche, der Göttin widerstreben?
Umsonst! Ich gebe Griechenland mein Blut.
Man schlachte mich, man schleife Troja’s Feste!
Das soll mein Denkmal sein auf ew’ge Tage,
Das sei mir Hochzeit, Kind, Unsterblichkeit!
So will’s die Ordnung, und so sei’s! Es herrsche
Der Grieche, und es diene der Barbare!
Denn der ist Knecht, und jener frei geboren!

Chor.
Dein großes Herz zeigst du – doch grausam ist
Dein Schicksal, und ein hartes Urtheil sprach Diana.

Achilles.
Wie glücklich machte mich der Gott, der dich
Mir geben wollte, Tochter Agamemnons!
Glücksel’ges Griechenland, so schön errettet!
Glückselig du, durch ein so großes Opfer
Geehrt! Wie edel hast du da gesprochen!
Wie deines Vaterlandes werth! Der starken
Nothwendigkeit willst du nicht widerstreben.
Was einmal sein muß, muß vortrefflich sein.
Je mehr dies schöne Herz sich mir entfaltet,
Ach, desto feuriger lebt’s in mir auf,
Dich als Gemahlin in mein Haus zu führen.
O, sinn‘ ihm nach. So gern thät‘ ich dir Liebes
Und führte dich als Braut in meine Wohnung.
Kann ich im Kampfe mit den Griechen dich
Nicht retten – o, beim Leben meiner Mutter!
Es wird mir schrecklich sein. Erwäg’s genau.
Es ist nichts Kleines um das Sterben!

Iphigenie.
Meinen
Entschluß bringt kein Beweggrund mehr zum Wanken.
Mag Tyndars Tochter, herrlich vor uns allen,
Durch ihre Schönheit Männer gegen Männer
In blut’gem Kampf bewaffnen – meinetwegen
Sollst du nicht sterben, Fremdling! Meinetwegen
Soll Niemand durch dich sterben! Ich vermag’s
Mein Vaterland zu retten. Laß mich’s immer!

Achilles.
Erhabne Seele – Ja! Ist dies dein ernster
Entschluß, ich kann dir nichts darauf erwiedern.
Warum, was Wahrheit ist, nicht eingestehn?
Du hast die Wahl des Edelsten getroffen!
Doch dürfte die gewaltsame Entschließung
Dich noch gereu’n: drum halt‘ ich Wort und werde
Mit meinen Waffenbrüdern am Altar
Dir nahe stehn – Kein müß’ger Zeuge deines Todes,
Dein Helfer vielmehr und dein Schutz. Wer weiß,
Wenn nun der Stahl an deinem Halse blinkt,
Ob dich des Freundes Nähe nicht erfreuet?
Denn nimmer werd‘ ich’s dulden, daß dein Leben
Ein allzurasch gefaßter Vorsatz kürze.
Jetzt führ‘ ich Diese – (auf seine Bewaffneten zeigend)
nach der Göttin Tempel;
Dort findest du mich, wenn du kommst. (Er geht ab.)