Vorstadt von Peckin.
Prospekt eines Stadtthors. Eiserne Stäbe ragen über demselben hervor, worauf mehrere geschorne, mit türkischen Schöpfen versehene Köpfe als Masken und so, daß sie als eine Zierrath erscheinen können, symmetrisch aufgepflanzt sind.
Prinz Kalaf, in tartarischem Geschmack, etwas phantastisch gekleidet, tritt aus einem Hause. Gleich darauf Barak, aus der Stadt kommend.
Kalaf.
Habt Dank, ihr Götter! Auch zu Peckin sollt‘ ich
Eine gute Seele finden!
Barak (in persischer Tracht, tritt auf, erblickt ihn und fährt erstaunt zurück).
Seh‘ ich recht?
Prinz Kalaf! Wie? Er lebt noch!
Kalaf (ernennt ihn).
Barak!
Barak (auf ihn zueilend).
Herr!
Kalaf.
Dich find‘ ich hier?
Barak.
Euch seh‘ ich lebend wieder!
Und hier zu Peckin!
Kalaf.
Schweig! Verrath mich nicht!
Beim großen Lama, sprich! Wie bist du hier?
Barak.
Durch ein Geschick der Götter, muß ich glauben,
Da es mich hier mit Euch zusammenführt.
An jenem Tag des Unglücks, als ich sah,
Daß unsre Völker flohen, der Tyrann
Von Tefflis unaufhaltsam in das Reich
Eindrang, floh ich nach Astrachan zurück,
Bedeckt mit schweren Wunden. Hier vernahm ich,
Daß Ihr und König Timur, Euer Vater,
Im Treffen umgekommen. Meinen Schmerz
Erzähl‘ ich nicht; verloren gab ich Alles,
Und sinnlos eilt‘ ich zum Palaste nun,
Elmazen, Eure königliche Mutter,
Zu retten; doch ich suchte sie vergebens!
Schon zog der Sieger ein zu Astrachan,
Und in Verzweiflung eilt‘ ich aus den Thoren.
Von Land zu Lande irrt‘ ich flüchtig nun
Drei Jahre lang umher, ein Obdach suchend,
Bis ich zuletzt nach Peckin mich gefunden.
Hier unterm Namen Hassan glückte mir’s,
Durch treue Dienste einer Wittwe Gunst
Mir zu erwerben, und sie ward mein Weib.
Sie kennt mich nicht; ein Perser bin ich ihr.
Hier leb‘ ich nun, obwohl gering und arm
Nach meinem vor’gen Loos, doch überreich
In diesem Augenblicke, da ich Euch,
Den Prinzen Kalaf, meines Königs Sohn,
Den ich erzogen, den ich Jahre lang
Für todt beweint, im Leben wieder sehe!
– Wie aber lebend? Wie in Peckin hier?
Kalaf.
Nenne mich nicht. Nach jener unglücksel’gen Schlacht
Bei Astrachan, die uns das Reich gekostet,
Eilt‘ ich mit meinem Vater zum Palast;
Schnell rafften wir das Kostbarste zusammen,
Was sich an Edelsteinen fand , und flohn.
In Bauerntracht verhüllt, durchkreuzten wir,
Der König und Elmaze, meine Mutter,
Die Wüsten und das felsigte Gebirg.
Gott, was erlitten wir nicht da! Am Fuß
Des Kaukasus raubt‘ eine wilde Horde
Von Malandrinen uns die Schätze; nur
Das nackte Leben blieb uns zum Gewinn.
Wir mußten kämpfen mit des Hungers Qualen
Und jedes Elends mannigfacher Noth.
Den Vater trug ich bald und bald die Mutter
Auf meinen Schultern, eine theure Last.
Kaum wehrt‘ ich seiner wüthenden Verzweiflung,
Daß er den Dolch nicht auf sein Leben zuckte;
Die Mutter hielt ich kaum, daß sie, von Gram
Erschöpft, nicht niedersank! So kamen wir
Nach Jaik endlich, der Tartarenstadt,
Und hier, an der Moscheen Thor, mußt‘ ich
Ein Bettler flehen um die magre Kost,
Der theuren Eltern Leben zu erhalten.
– Ein neues Unglück! Unser grimm’ger Feind,
Der Khan von Tefflis, voll Tyrannenfurcht,
Mißtrauend dem Gerücht von unserm Tode,
Er ließ durch alle Länder uns verfolgen.
Vorausgeeilt schon war uns sein Befehl,
Der alle kleinen Könige seiner Herrschaft
Aufbot, uns nachzuspähn. Nur schnelle Flucht
Entzog uns seiner Spürer Wachsamkeit –
Ach, wo verbärg‘ sich ein gefallner König!
Barak.
O, nichts mehr! Eure Worte spalten mir
Das Herz! Ein großer Fürst in solchem Elend!
Doch sagt! Lebt mein Gebieter noch, und lebt
Elmaze, meine Königin?
Kalaf.
Sie leben.
Und wisse, Barak, in der Noth allein
Bewähret sich der Adel großer Seelen.
– Wir kamen in der Karazanen Land;
Dort, in den Gärten König Keicobads,
Mußt‘ ich zu Knechtes Diensten mich bequemen,
Dem bittern Hungertode zu entfliehn.
Mich sah Adelma dort, des Königs Tochter,
Mein Anblick rührte sie, es schien ihr Herz
Von zärtlichern Gefühlen, als des Mitleids,
Sich für den fremden Gärtner zu bewegen.
Scharf sieht die Liebe, nimmer glaubte sie
Mich zu dem Loos, wo sie mich fand, geboren.
– Doch weiß ich nicht, welch bösen Sternes Macht
Der Karazanen König Keicobad
Verblendete, den mächt’gen Altoum,
Den Großkhan der Chinesen, zu bekriegen.
Das Volk erzählte Seltsames davon.
Was ich berichten kann, ist dies: Besiegt
Ward Keicobad, sein ganzer Stamm vertilgt;
Adelma selbst mit sieben andern Töchtern
Des Königs ward ertränkt in einem Strome.
– Wir aber flohen in ein andres Land;
So kamen wir nach langem Irren endlich
Zu Berlas an – Was bleibt mir noch zu sagen?
Vier Jahre lang schafft‘ ich den Eltern Brod,
Daß ich um dürft’ges Taglohn Lasten trug.
Barak.
Nicht weiter, Prinz. Vergessen wir das Elend,
Da ich Euch jetzt in kriegerischem Schmuck
Und Heldenstaat erblicke. Sagt. wie endlich
Das Glück Euch günstig ward?
Kalaf.
Mir günstig! Höre!
Dem Khan von Berlas war ein edler Sperber
Entwischt, den er in hohem Werthe hielt.
Ich fand den Sperber, überbracht‘ ihn selbst
Dem König – Dieser fragt nach meinem Namen;
Ich gebe mich für einen Elenden,
Der seine Eltern nährt mit Lastentragen.
Drauf ließ der Khan den Vater und die Mutter
Im Hospital versorgen. (Er hält inne.) Barak! Dort,
Im Aufenthalt des allerhöchsten Elends,
Dort ist dein König – deine Königin.
Auch dort nicht sicher, dort noch in Gefahr,
Erkannt zu werden und getödtet!
Barak.
Gott!
Kalaf.
Mir ließ der Kaiser diese Börse reichen,
Ein schönes Pferd und dieses Ritterkleid.
Den greisen Eltern sag‘ ich Lebewohl;
Ich gehe, rief ich, mein Geschick zu ändern,
Wo nicht, dies traur’ge Leben zu verlieren!
Was thaten sie nicht, mich zurückzuhalten
Und, da ich standhaft blieb, mich zu begleiten!
Verhüt‘ es Gott, daß sie, von Angst gequält,
Nicht wirklich meinen Spuren nachgefolgt!
Hier bin ich nun, zu Peckin, unerkannt,
Viel hundert Meilen weit von meiner Heimath.
Entschlossen komm‘ ich her, dem großen Khan
Vom Lande China als Soldat zu dienen,
Ob mir vielleicht die Sterne günstig sind,
Durch tapfre That mein Schicksal zu verbessern.
– Ich weiß nicht, welche Festlichkeit die Stadt
Mit Fremden füllt, daß kein Karvanserai
Mich aufnahm – Dort in jener schlechten Hütte
Gab eine Frau aus gutem Herzen mir
Herberge.
Barak.
Prinz, das ist mein Weib.
Kalaf.
Dein Weib?
Preise dein Glück, daß es ein fühlend Herz
Zur Gattin dir gegeben! (Er reicht ihm die Hand.)
Jetzt leb‘ wohl.
Ich geh‘ zur Stadt. Mich treibt’s, die Festlichkeit
Zu sehn, die so viel Menschen dort versammelt.
Dann zeig‘ ich mich dem großen Khan und bitt‘
Ihn um die Gunst, in seinem Heer zu dienen.
(Er will fort. Barak hält ihn zurück.)
Barak.
Bleibt, Prinz! Wo wollt Ihr hin? Mögt Ihr das Aug‘
An einem grausenvollen Schauspiel weiden?
O, wisset, edler Prinz – Ihr kamt hieher
Auf einen Schauplatz unerhörter Thaten.
Kalaf.
Wie so? Was meinst du?
Barak.
Wie? Ihr wißt es nicht,
Daß Turandot, des Kaisers einz’ge Tochter,
Das ganze Reich in Leid versenkt und Thränen?
Kalaf.
Ja, schon vorlängst im Karazanenland
Hört‘ ich dergleichen – und die Rede ging,
Es sei der Prinz des Königs Keicobad
Auf eine seltsam jammervolle Art
Zu Peckin umgekommen – Eben dies
Hab‘ jenes Kriegesfeuer angeflammt,
Das mit dem Falle seines Reichs geendigt.
Doch Manches glaubt und schwatzt ein dummer Pöbel,
Worüber der Verständ’ge lacht – Darum
Sag‘ an, wie sich’s verhält mit dieser Sache?
Barak.
Des Großkhans einz’ge Tochter, Turandot,
Durch ihren Geist berühmt und ihre Schönheit,
Die keines Malers Pinsel noch erreicht,
Wie viele Bildnisse von ihr auch in der Welt
Herumgehn, hegt so übermüth’gen Sinn,
So großen Abscheu vor der Ehe Banden,
Daß sich die größten Könige umsonst
Um ihre Hand bemüht –
Kalaf.
Das alte Märchen
Vernahm ich schon am Hofe Keicobads
Und lachte drob – Doch fahre weiter fort
Barak.
Es ist kein Märchen. Oft schon wollte sie
Der Khan, als einz’ge Erbin seines Reichs,
Mit Söhnen großer Könige vermählen.
Stets widersetzte sich die stolze Tochter,
Und, ach! zu blind ist seine Vaterliebe,
Als daß er Zwang zu brauchen sich erkühnte.
Viel schwere Kriege schon erregte sie
Dem Vater, und obgleich noch immer Sieger
In jedem Kampf, so ist er doch ein Greis
Und unbeerbt wankt er dem Grabe zu.
Drum sprach er einsmals ernst und wohlbedächtlich
Zu ihr die strengen Worte: Störrig Kind!
Entschließe dich einmal, dich zu vermählen,
Wo nicht, so sinn‘ ein ander Mittel aus,
Dem Reich die ew’gen Kriege zu ersparen;
Denn ich bin alt; zu viele Kön’ge schon
Hab‘ ich zu Feinden, die dein Stolz verschmähte.
Drum nenne mir ein Mittel, wie ich mich
Der wiederholten Werbungen erwehre,
Und leb‘ hernach und stirb, wie dir’s gefällt –
Erschüttert ward von diesem ernsten Wort
Die Stolze, rang umsonst, sich loszuwinden;
Die Kunst der Thränen und der Bitten Macht
Erschöpfte sie, den Vater zu bewegen;
Doch unerbittlich blieb der Khan – Zuletzt
Verlangt sie von dem unglücksel’gen Vater,
Verlangt – Hört, was die Furie verlangte!
Kalaf.
Ich hab’s gehört. Das abgeschmackte Märchen
Hab‘ ich schon oft belacht – Hör‘, ob ich’s weiß!
Sie fordert‘ ein Edict von ihrem Vater,
Daß jedem Prinzen königlichen Stamms
Vergönnt sein soll, um ihre Hand zu werben.
Doch dieses sollte die Bedingung sein:
Im öffentlichen Divan, vor dem Kaiser
Und seinen Räthen allen, wollte sie
Drei Räthsel ihm vorlegen. Löste sie
Der Freier auf, so mög‘ er ihre Hand
Und mit derselben Kron‘ und Reich empfangen.
Löst er sie nicht, so soll der Kaiser sich
Durch einen heil’gen Schwur auf seine Götter
Verpflichten, den Unglücklichen enthaupten
Zu lassen. – Sprich, ist’s nicht so? Nun vollende
Dein Märchen, wenn du’s kannst vor langer Weile.
Barak.
Mein Märchen? Wollte Gott! Der Kaiser zwar
Empört‘ sich erst dagegen; doch die Schlange
Verstand es, bald mit Schmeichelbitten, bald
Mit list’ger Redekunst das furchtbare
Gesetz dem schwachen Alten zu entlocken.
Was ist’s denn auch? sprach sie mit arger List;
Kein Prinz der Erde wird so thöricht sein,
In solchem blut’gen Spiel sein Haupt zu wagen!
Der Freier Schwarm zieht sich geschreckt zurück,
Ich werd‘ in Frieden leben. Wagt es dennoch
Ein Rasender, so ist’s auf seine eigne
Gefahr, und meinen Vater trifft kein Tadel,
Wenn er ein heiliges Gesetz vollzieht! –
Beschworen ward das unnatürliche
Gesetz und kund gemacht in allen Landen.
(Da Kalaf den Kopf schüttelt.)
– Ich wünschte, daß ich Märchen nur erzählte
Und sagen dürfte. Alles war ein Traum!
Kalaf.
Weil du’s erzählst, so glaub‘ ich das Gesetz.
Doch sicher war kein Prinz wahnsinnig gnug,
Sein Haupt daran zu setzen.
Barak (zeigt nach dem Stadtthor).
Sehet, Prinz!
Die Köpfe alle, die dort auf den Thoren
Zu sehen sind, gehörten Prinzen an,
Die toll genug das Abenteuer wagten
Und kläglich ihren Untergang drin fanden,
Weil sie die Räthsel dieser Sphinx zu lösen
Nicht fähig waren.
Kalaf.
Grausenvoller Anblick!
Und lebt ein solcher Thor, der seinen Kopf
Wagt, um ein Ungeheuer zu besitzen!
Barak.
Nein! Sagt das nicht. Wer nur ihr Konterfei
Erblickt, das man sich zeigt in allen Ländern,
Fühlt sich bewegt von solcher Zaubermacht,
Daß er sich blind dem Tod entgegen stürzt,
Das göttergleiche Urbild zu besitzen.
Kalaf.
Irgend ein Geck.
Barak.
Nein, wahrlich! Auch der Klügste.
Heut ist der Zulauf hier, weil man den Prinzen
Von Samarcanda, den verständigsten,
Den je die Welt gesehn, enthaupten wird.
Der Khan beseufzt die fürchterliche Pflicht;
Doch ungerührt frohlockt die stolze Schöne.
(Man hört in der Ferne den Schall von gedämpften Trommeln.)
Hört! Hört Ihr! Dieser dumpfe Trommelklang
Verkündet, daß der Todesstreich geschieht;
Ihn nicht zu sehen, wich ich aus der Stadt.
Kalaf.
Barak, du sagst mir unerhörte Dinge.
Was? Konnte die Natur ein weibliches
Geschöpf wie diese Turandot erzeugen,
So ganz an Liebe leer und Menschlichkeit?
Barak.
Mein Weib hat eine Tochter, die im Harem
Als Sklavin dient und uns Unglaubliches
Von ihrer schönen Königin berichtet.
Ein Tiger ist sie, diese Turandot,
Doch gegen Männer nur, die um sie werben.
Sonst ist sie gütig gegen alle Welt;
Stolz ist das einz’ge Laster, das sie schändet.
Kalaf.
Zur Hölle, in den tiefsten Schlund hinab
Mit diesen Ungeheuern der Natur,
Die kalt und herzlos nur sich selber lieben!
Wär‘ ich ihr Vater, Flammen sollten sie
Verzehren.
Barak.
Hier kommt Ismael, der Freund
Des Prinzen, der sein Leben jetzt verloren.
Er kommt voll Thränen – Ismael!