Charakterisierung des Fiesco, Zeichnung von Friedrich Pecht

Fiesco, Charakter aus dem Schiller-Drama Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Fiesco, Charakter aus dem Schiller-Drama „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung des Fiesco

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Ist es die Empörung gegen das Bestehende, der revolutionäre Geist, der alle drei Jugendarbeiten Schillers beseelt, so tritt er in den „Räubern“ unstreitig am unbändigsten auf, er richtet sich gegen die ganze Gesellschaft, im „Fiesco“ dagegen beschränkt er sich bereits auf die Auflehnung gegen den Staat, wie er in „Kabale und Liebe“ die Standesunterschiede angreift.

„Fiesco“ sollte ein „republikanisches Trauerspiel“ sein, also doch wohl eine Apotheose dieser Regierungsform versuchen. Unter Schillers Händen wurde aber etwas anderes daraus, beinahe das Gegenteil, denn die meisten Figuren, die ihm wirklich lebendig gerieten: Gianettino Doria, der Mohr, Sacco, Calcagno, sind nichts weniger als geeignete Bürger einer Republik, ihr bevorzugter Vertreter Verrina aber, mit seinem kalten, inhaltsleeren, konventionellen Römertum, ist auch nicht angetan‚ uns ihre Möglichkeit begreiflich zu machen; — kurz, des Dichters Genie hatte mehr den Instinkt des Wahren, als seine damalige Weltanschauung Richtigkeit. Es ist viel Reminiszenz an „Coriolan“ und „Julius Cäsar“, an „Emilia Galotti“ u. a. in dem Stück; Julia, Verrina, der Mohr sind alte Bekannte.

Umso origineller ist Fiesco selber angelegt, wir werden aber auch in dem, was wir misslungen nennen müssen, die Klaue des Löwen überall erkennen. Wie prachtvoll sind die Volksszenen, wie spannend reich an Erfindung, an unerwarteten Zwischenfällen, an erschütternden und fortreißenden Szenen das ganze Stück überhaupt, wie glücklich, mit welchem genialen Instinkt ist endlich die nationale Färbung in dem Helden zur Erscheinung gebracht!

Fiesco ist ganz Italiener, Aristokrat und Politiker. Er hat das Wortreiche, die Liebe zum Vielreden seines Volks, die das Gutsprechen nicht beeinträchtigt, er hat die Tücke und Verschlagenheit, die Geistesgegenwart und schnelle Fassungskraft desselben. Großartig und prächtig‚ dabei unmäßig stolz wie der echte Aristokrat, und außerdem noch ein wenig eitel im Genuss der eigenen glänzenden Persönlichkeit. Der rasende Ehrgeiz, der ihn verzehrt, ist wohl mit Lust an der Intrige, aber auch mit so viel Verachtung der Gefahr gepaart, um dem Helden doch unser Interesse, ja unsere Teilnahme zu sichern.

Am bewunderungswürdigsten ist aber, wie der junge Dichter den politischen Verstand in Fiesco zur Erscheinung zu bringen wusste, auch wenn wir die Reminiszenz an den Menenius und die Szene mit den Bürgern abrechnen, in der ihn unser Bild darstellt:

Die Regierung war demokratisch…. Mehrheit setzte durch…. Der Feigen waren mehr denn der Streitbaren, der Dummen mehr denn der Klugen. — Mehrheit setzte durch.

Schwarz, mit klugem, durchdringendem Schlangenauge, schlank und hoch von Wuchs, pantergleich, lässig und sprungbereit. Charakteristisch ist besonders an ihm das Prächtige, Glänzende des Auftretens, das überall imponiert, ihm die Herzen der Frauen wie des Volks, kurz aller derer erwirbt, die bestechen, nicht überzeugt sein wollen; nicht umsonst sagt er von sich: „Die Blinden in Genua kennen meinen Tritt.“ Der geheimnisvolle Hintergrund, das Undurchdringliche in ihm, das alle die Weiber wie die Staatsmänner an ihm herausfühlen, vermehrt nur seine Macht, denn es reizt und spannt, wie alles Verhüllte. Es spricht nicht für die menschliche Natur, ist aber doch gewiss, dass offene, rückhaltlose, wenn auch noch so geistreiche Menschen es nicht zu dem Einflusse auf die Massen bringen werden, wie arglistige Politiker. Vielleicht liegt dieser Erscheinung der richtige Instinkt zu Grunde, dass jene bei ihrer Vortrefflichkeit wohl schwierige Plane zu fassen, aber nur schwer durchzuführen vermögen, denn alles Werden soll ins Dunkel gehüllt bleiben.

Was aber an Fiesco am meisten bezaubert, ist vor allem der Reichtum seiner Natur, die Unerschöpflichkeit; Adel der Bildung, Geist, männliche Schönheit, schneller Witz und Grazie, wie Feuer und Mut, — sie alle sind in ihm vereint, um die Schwachen und Empfänglichen nicht allein zu bezaubern‚ sondern ihn auch den Einsichtigen als zu großen Dingen berufen erscheinen zu lassen.

Am eigentümlichsten tritt diese Natur in dem humoristischen Verhältnis zum Mohren heraus, weil er sich da ungenierter gehen lässt. Der Mohr ist ein drolliger Schuft, und geistreiche Menschen wie Fiesco werden leicht durch den Witz bestechen. Sehr gut ist bei ihrer Bekanntschaft besonders der Beginn derselben, den der Mohr mit der Versicherung einleitet, dass er ein ehrlicher Mann sei: eine Behauptung, die bekanntlich umso verdächtiger macht, als sie öfter vorgebracht wird. Dass er sich den „Schurken“ gefallen lässt, aber sich den „Dummkopf“ verbittet, das charakterisiert den Mohren, und dass dies den Fiesco für ihn einnimmt, den letztem vortrefflich, wie auch, dass er, da ein Jesuit von ihm sagte, „dass ein Fuchs im Schlafrocke stecke“, erwidert: „Ein Fuchs riecht den andern.“ Das Vornehme seines Wesens spricht es aus, wenn er, da von seinem Namen die Rede ist, sagt:

Dummkopf! Er ist so leicht zu behalten, als schwer er zu machen war. Hat Genua mehr als den Einzigen? —

oder sich ärgert, dass er sich von einem Schurken loben lassen muss; endlich in jener klassisch gewordenen Sentenz: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.“ So etwas konnte nur einem Dichterjüngling einfallen, der mit Shakespeare Verwandtschaft hatte.

Sehr fein ist auch Fiescos Verhältnis zu Verrina gedacht. Als eine reifere, produktivere, begabtere Natur übersieht er den letztern bei weitem, und doch imponiert ihm dieser durch die unbeugsame Charakterfestigkeit, weil er fühlt, dass sein elastisches Wesen nichts gegen dieselbe vermag. Sie lieben sich beide, weil jeder hat, was dem andern fehlt, und Fiesco ist in dieser Empfindung vielleicht noch aufrichtiger‚ weil sie der Achtung entspringt, als Verrina, bei dem sie in Hoffnung und Bewunderung ihren Grund hatte.

Damit sind wir nun freilich am Ziele unserer Bewunderung angekommen und müssen uns weiter gestehen, dass die Ausführung mit der genialen Konzeption nicht Stich halt. Vor allem widerwärtig ist das Verhältnis Fiesco’s zu den beiden Frauen, die ihn lieben, die Herzlosigkeit‚ mit der er beide misshandelt, die Brutalität gegen die Imperiali, die Kälte und Berechnung in seinem Benehmen selbst gegen Leonore. Ebenso steht seine politische Dialektik in einem sonderbaren Widerspruch durch ihr geschraubtes Wesen zu seinem folgerichtigen Thun. Wozu brauchte Fiesco sich vorzulügen, dass die Schande abnehme mit der wachsenden Sünde, dass es namenlos groß sei, eine Krone zu stehlen, wenn er sich doch ganz ruhig sagen kann, dass die Genueser keine Republikaner seien und er der Mann der Situation sei? Nicht minder stößt uns die da und dort herausbrechende Prahlerei des Helden zurück, die noch gar zu sehr nach studentischer Renommistik schmeckt, und mit der sonstigen großen Feinheit, die er in der Regel zeigt, der Grazie, die er meistens seinem Ausdrucke verleiht, umso mehr kontrastiert. Diese Ungleichheiten charakterisieren eben die Übergangsperiode, in der sich der Dichter befand, es ist die Unsicherheit in der Technik, die uns aus all dem noch entgegentritt, eine Unsicherheit. die in „Kabale und Liebe“ sogar noch einmal womöglich noch stärker wird, um bald darauf im „Don Carlos“ schwer errungener Meisterschaft zu weichen.

Dies Schwanken in der Behandlung tritt besonders im fünften Akt heraus, der gegen die vorhergehenden entschieden schwächer wird, nur sehr gemischte Empfindungen erregt, vielleicht am wenigsten befriedigende, da hier den Dichter sein Instinkt für das Wahrscheinliche verließ, den er sonst bei allem Reichtum seiner Erfindung so glänzend bewährt; ein beinahe ermüdendes Pathos verdrängt hier die herrliche Sprache, deren Prägnanz und machtvolle Fülle uns auch in diesem Stück sonst so oft fortreißt.