Charakterisierung der Leonore
aus der „Schiller-Galerie“, 1859
Wenn wir nicht leugnen können, dass die Gestalten des „Fiesco“ fast alle noch etwas Übertriebenes haben, noch „die Überschwänglichkeit der Jugend aussprechen, ja gelegentlich sogar ihre Maßlosigkeit und Rohheit, so trifft dieser Vorwurf doch am wenigsten die Gräfin Lavagna, in der es dem jugendlichen Dichter zum ersten male gelang, eine weibliche Figur zu zeichnen, welche die wärmste Teilnahme weckt. Es ist ein süßes, sanftes und doch leidenschaftliches Geschöpf, die ganz ihrer Zärtlichkeit lebt, die selbst im höchsten Schmerz noch flieht, weil sie fürchtet, dass der Anblick ihrer Trauer dem geliebten Manne einen trüben Augenblick machen könnte. Fiesco war ihre erste Liebe, ihr ganzer Himmel ruht in ihm, sie wiegte sich fortwährend in dem Triumph, ihn erobert zu haben:
Ein blühender Apoll, verschmolzen in den männlich schönen Antinous. Stolz und herrlich trat er daher, nicht anders, als wenn das durchlauchtige Genua auf seinen jungen Schultern sich wiegte…. Ach, Bella! wie verschlangen wir seine Blicke! wie parteiisch zahlte sie der ängstliche Neid der Nachbarin zu! Sie fielen unter uns wie der Goldapfel des Zanks, zärtliche Augen brannten wilder, sanfte Busen pachten stürmischer, Eifersucht hatte unsere Eintracht zerrissen.
Und nun mein ihn zu nennen! verwegenes, entsetzliches Glück! Mein Genuas größten Mann, der vollendet sprang aus dem Meißel der unerschöpflichen Künstlerin, alle Größen seines Geschlechts im lieblichsten Schmelze verband —
und jetzt ein halbes Jahr kaum vermahlt, muss sie schon an die Möglichkeit denken, dieses unschätzbare Gut, diesen ihren höchsten Reichtum zu verlieren; in ihrem eigenen Hause sieht sie den Mann ihres Herzens im Spiel leichtfertiger Galanterie mit einer andern, sie mit Aufmerksamkeiten überhäufend, deren Gewicht ihre Eifersucht um das Zehnfache vergrößert! Wie die Welt ihre Sittenstrenge und das Verhältnis beurteilt, in welchem ihr Gatte zur Imperiali steht, erfahren wir sofort durch die Unterhaltung Calcagnos und Saccos:
Calcagno. Man sagt, sie sei ein Beispiel der strengsten Tugend.
Sacco. Man lügt. Sie ist das ganze Buch über den abgeschmackten Text. Eins von beiden, Calcagno, gib dein Gewerb oder dein Herz auf.
Calcagno. Der Graf ist ihr ungetreu. Eifersucht ist die abgefeimteste Kupplerin. Ein Anschlag auf die Doria muss den Grafen in Athen halten und mir im Palaste zu schaffen geben. Während er nun den Wolf aus der Hürde scheucht, soll der Marder in seinen Hühnerstall fallen.
Indem wir die Plane des Wüstlings auf sie erfahren, sehen wir auch gleichzeitig, aus welchem liederlichen Material der störrische Verrina den Bau einer altrömischen Republik zusammenschweißen zu können meint.
Der Künstler hat Leonore gleich in der ersten Scene aufgefasst, da diese uns den ganzen Charakter der Frau am besten zeigt, die schwärmerische Begeisterung für den Gatten und den elegischen Zug, der durch ihr ganzes Wesen geht, malt, wenn sie, die Maske abreißend, sich verzweifelnd in den Sessel wirft, und doch fast nichts zu finden weiß, als Worte der Bewunderung für ihn.
Wenn sie aber keine Waffen hat gegen den Mann, den sie liebt, als Tränen, so ist sie doch zu sehr Frau, hat zu viel Geist, als dass sie deren nicht die niederschmetterndsten fände gegen die verhasste Nebenbuhlerin, — sie hat diese kaum zwei Minuten gehört, so wird es ihr sofort auch klar, dass Fiesco diese Frau nicht lieben könne:
Wünsche mir Glück, Mädchen! Unmöglich hab’ ich meinen Fiesco verloren, oder ich habe nichts an ihm verloren.
Sie repliziert mit einer Scharfe, die den Frauen a tempo viel besser zu Gebote steht, als den meisten Männern:
Julia. Der arme Ehemann! Dort lacht ihm ein blühendes Ideal — hier ekelt ihn eine grämliche Empfindsamkeit an. Signora, um Gottes willen! wird er nicht den Verstand verlieren, oder was wird er wählen?
Leonore. Sie, Madame — wenn er ihn verloren hat.
Aber wenn sie ihn offen behielt für die Nebenbuhlerin, so verliert sie ihn bei allem, was den Geliebten angeht, so bringt sie schon der bloße Anblick seines Medaillons in den Händen derselben vollständig um die Fassung, wenn es auch ihre Liebe nicht vermindert.
Gemeine Naturen verbittert und verschlechtert der Schmerz, höhere veredelt er. Unsere Leonore gehört zu den letztern, daher findet Calcagno gerade in dem Augenblick, der ihm am günstigsten scheint, dass er sich verrechnet hat, wenn er auf ihre Enttäuschung zählte:
Ich verstehe, und meine Empfindlichkeit sollte dir meine Empfindung bestechen? Das wusstest du nicht, dass schon allein das erhabene Unglück, um den Fiesco zu brechen,“ ein Weiberherz adelt. Geh! Fiesco’s Schande macht keinen Calcagno bei mir steigen, aber — die Menschheit sinken!
Die grenzenlose abgöttische Liebe, von der Leonore erfüllt ist, tritt überall hervor, am meisten aber in diesem unaufhörlichen Auf- und Abwogen des Gefühls, in diesem „Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein“, das die sieben Monate verheiratete Frau erröten macht, wie ein schüchternes Mädchen, wenn ihr die Kammerfrau des Gatten Grüße bringt; im nächsten Augenblick aber wird der Zweifel schon wieder übermächtig, sie Will sich ganz von ihm trennen, sie will ihn mit Vorwürfen überhäufen und bringt es doch nicht weiter, als zu einer sanften Klage:
Ihre Gemahlin zu sein, hab‘ ich nicht verdient, aber Ihre Gemahlin hätte Achtung verdient. — Wie sie jetzt zischen, die Lästerzungen! Wie sie auf mich herabschielen, Genuas Damen und Mädchen! „Seht, wie sie wegblüht, die Eitle, die den Fiesco heirathete!“
Spricht sie so es rührend aus, dass sie es niemals zum Hasse bringen kann, so legitimiert sie sich aber dadurch als Deutsche; hätte Schiller die Italienerinnen gekannt, so würde er sie schwerlich so gemalt, sie so leicht sich wieder haben trösten lassen, sowenig als einer Italienerin eingefallen wäre zu sagen:
Er will’s, Rosa; ich weiss also genug, um gehorsam zu sein. Bella, genug, um ganz ausser Furcht zu sein. — Und doch! doch zittr‘ ich so, Bella, und mein Herz klopft so schrecklich bang. Mädchen, um Gottes willen, gehe keines von meiner Seite.
Deutsch ist ebenfalls der Zug, dass sie, nachdem ihr Fiesco den höchsten Triumph verschafft über die Nebenbuhlerin, für diese bittet, statt ihn zu genießen, dass sie eifersüchtig auf seine Herrschsucht ist:
Hier ist keine Wahl, mein Geliebter! Wenn er den Herzog verfehlt, ist Fiesco verloren. Mein Gemahl ist hin, wenn ich den Herzog umarme —
und mit feinem Instinkt für ihr eigenes Glück Republikanerin wird, weil sie sogleich herausfühlt, dass, wenn sie ihn nicht auf dem Wege zum Throne, doch sicher auf ihm verlieren muss. Ist aber der Kampf erst angebrochen, so kennt sie wieder nichts mehr als die Liebe, ihr mächtigstes Gefühl überwindet selbst die Furcht des Weibes:
Nein! eine Heldin soll mein Held umarmen!
An seiner Seite will sie siegen oder sterben. Ihr wird das letztere. So übermächtige, grenzenlose Leidenschaft an der Seite eines Mannes, der sie nicht in diesem Masse zu erwidern im Stande ist, muss schon allein zu einem tragischen Ausgang führen; dass sie aber von ihm selbst in verhängnisvoller Verwechselung gemordet wird, ist eine unnütze Grausamkeit, die unser Gefühl beleidigt, und die viel eher missverstandenen Shakespeareschen Reminiszenzen, als Schillers eigenem Herzen angehören möchte.