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481. An Goethe, 20. Juli 1798

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Jena den 20. Juli 1798.

Mit dem bessern Wetter finde ich mich auch wieder besser und thätiger, und nach und nach scheint es auch zu einer lyrischen Stimmung bei mir kommen zu wollen. Ich habe bemerkt, daß diese unter allen am wenigsten dem Willen gehorcht, weil sie gleichsam körperlos ist, und wegen Ermangelung eines materiellen Anhalts nur im Gemüthe sich gründet. In den vorigen Wochen habe ich eher Abneigung als Lust dazu empfunden, und bin aus Unmuth auf einige Tage zum Wallenstein zurückgekehrt, der aber jetzt wieder weggelegt wird.

Würden Sie es schicklich finden einen Hymnus in Distichen zu verfertigen? oder ein, in Distichen verfertigtes Gedicht worin ein gewisser hymnischer Schwung ist, einen Hymnus zu nennen?

In Ihrem theatralischen Bauwesen werden Sie sich durch die Bedenklichkeitskrämer nicht irre machen lassen. Ich berührte jenes Dubium auch bloß deßwegen, weil mir gesagt wurde, daß Thouret selbst sich so geäußert habe.

Mein Bau geht nicht so lebhaft fort; es ist sehr schwer jetzt in der Aernte die hier schon zum Theil angefangen Arbeiter zu bekommen, welche mir zu Verfertigung eines Strohdachs und zum Ausstaken der Wände nöthig sind. Heute habe ich endlich den Trost, das Häuschen unter Dach bringen zu sehen. Diese Arbeiten ziehen mich öfters als nöthig ist vom Geschäft ab.

Der Almanach ist nun in die Druckerei gegeben, und Sie werden bei Ihrer Ankunft schon von Ihrer Euphrosyne bewillkommt werden, welche den Reihen würdig beginnt. Ich will hoffen, daß uns Guttenberg nicht über die Gebühr aufhalten wird, denn der Almanach wird in der ersten Woche Septembers im Druck fertig, zu welcher Zeit ich also auch Decke und Titelkupfer brauchte.

Ich habe in diesen Tagen Erzählungen von der Madame Staël gelesen, welche diese gespannte, raisonnirende, und dabei völlig unpoetische Natur, oder vielmehr diese verstandesreiche Unnatur sehr charakteristisch darstellen. Man wird bei dieser Lectüre recht fühlbar verstimmt und es begegnete mir dabei dasselbe, was Sie beim Lesen solcher Schriften zu erleiden pflegen, nämlich daß man ganz die Stimmung der Schriftstellerin annimmt, und sich herzlich schlecht dabei befindet. Es fehlt dieser Person an jeder schönen Weiblichkeit, dagegen sind die Fehler des Buchs vollkommen weibliche Fehler. Sie tritt aus ihrem Geschlecht ohne sich darüber zu erheben. Indessen bin ich auch in dieser kleinen Schrift auf einzelne recht hübsche Reflexionen gestoßen, woran es ihr nie fehlt, und die ihren durchdringenden Blick über das Leben verrathen.

Leben Sie recht wohl. Ich werde eben durch die Ankunft von zwei Preußischen Uniformen unterbrochen, die zwei Brüder meines Schwagers die ihren Urlaub in Weimar zubringen werden.

Meine Frau und Schwiegermutter empfehlen sich bestens.

Sch.