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656. An Goethe, 18. Oktober 1799

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Jena den 18. October 1799.

Meine Frau fängt nun an sich von ihrer großen Schwäche wieder zu erholen und ist nach den Umständen recht leidlich, das Kleine befindet sich sehr wohl. Sie dankt Ihnen herzlich für Ihr Andenken und für die Herzstärkung die Sie ihr geschickt.

Hier folgt der Mahomet nebst einigen Bemerkungen, die ich im Durchlesen gemacht. Sie betreffen größtentheils das Original selbst und nicht die Uebersetzung, ich glaubte aber, daß man dem Original hierin nothwendig nachhelfen müsse.

Was die Anordnung des Ganzen betrifft, so scheint es mir durchaus nöthig, diesen Ammon handelnd einzuführen, und die Erwartung des Zuschauers immer in Athem zu erhalten, daß derselbe das Geheimniß mit den Kindern dem Sopir offenbaren werde. Er muß mehrmal an ihn zu kommen suchen, er muß ihm Winke geben und dergleichen, so daß diese Sache dem Zuschauer niemals aus dem Gedächtnis kommt und daß die Furcht genährt wird, worauf doch alles beruht. Man muß diesen Ammon mit seiner Entdeckung bei den Haaren herbei zu ziehen wünschen, alle Hoffnung auf seine zeitige Erscheinung setzen u. s. w.

Die Scene, worin Seïde dem Ammon den vorhabenden Mord entdeckt, und welche im Stück bloß erzählt wird sollte auf dem Theater wirklich vorkommen. Sie ist fürs Ganze zu wichtig und dabei ein großer Gewinn für den theatralischen Effekt. Ammon braucht darum nicht sogleich mit seinem Geheimniß gegen den Seide herauszugehen, er hat andre Mittel die That zu hindern, ohne sich in Gefahr zu setzen. Mahomet erführe von Omar bloß, daß dieser den Seïde mit dem Ammon bei einer leidenschaftlichen Unterredung überrascht und letztem sehr consternirt gefunden habe. Auch könnte er einen Versuch Ammons, den Sopir geheim zu sprechen, erfahren. Dieß reichte hin ihn zu Hinwegschaffung des Ammon zu bewegen, dieser entdeckte dann sterbend dem Phanor alles und es erfolgte so wie es im Stück schon ist.

Meine Idee wäre ohngefähr diese. Wenn Mahomet (im II Aufzug, 4. Scene) dem Omar seine Liebe zu Palmire entdeckt hat, träte Ammon auf, Omar würde schicklich entfernt, und nun brächte Ammon das Anliegen vor, daß Mahomet endlich die Kinder ihrem Vater wieder geben und dadurch Friede mit Sopir und mit Mecca machen möchte. Die entdeckte Liebe beider zu einander und die Furcht vor einem Incest könnte ein neuer Antrieb für ihn sein. Mahomet müßte ihn nicht geradezu refusiren und ihm bloß das strengste Schweigen auferlegen.

Zum zweitenmal würde ich den Ammon auftreten lassen am Anfang des dritten Akts zwischen den beiden Kindern. Sie müßten ihm ihre Liebe zu einander zeigen, er müßte einen gewissen Schauer dabei zeigen. Auch könnte ihm hier Seïde schon die Entdeckung machen, daß Mahomet ihn zu einer blutigen That berufen. Ammon würde von Furcht erfüllt, Mahomets Eintritt müßte ihn verscheuchen.

Das drittemal würde ich den Ammon mit Vater und Sohn zusammenbringen, aber eh er sich erklärte, trät‘ Omar ein und entfernte den Seïde. Ammon bliebe mit Sopiren, ein Theil der Entdeckung, die jetzt durch des Arabers Brief gemacht wird, geschähe durch ihn selbst, Sopir erführe daß seine Kinder noch leben, aber nicht wer sie sind, weil Ammon verhindert würde seine Entdeckung zu beendigen. Er hätte bloß Zeit, ihm die nächtliche Zusammenkunft vorzuschlagen.

Unterdessen hätte Mahomet die Untreue des Ammon geargwohnt und alles erfolgte wie im Stück.

Ich muß abbrechen, man unterbricht mich. Leben Sie recht wohl, ich wünschte sehr daß Sie in den nächsten acht Tagen über die Veränderungen welche in dem Mahomet noch nöthig sind, vollkommen sich entscheiden möchten, um hier gleich an die Ausführung zu gehen.

Von den Schwestern zu Lesbos fehlt mir der sechste und siebente Bogen. Sie haben vielleicht vergessen sie zu senden.

Leben Sie recht wohl.

Sch.