HomeDie Horen1796 - Stück 4V. Der Waldbruder, ein Pendant zu Werthers Leiden, von dem verstorbenen Dichter Lenz.

V. Der Waldbruder, ein Pendant zu Werthers Leiden, von dem verstorbenen Dichter Lenz.

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Erster Theil. Erster Brief.

Herz an seinen Freund Rothe in einer großen Stadt.

Ich schreibe Dir dieses aus meiner völlig eingerichteten Hütte, zwar nur mit Moos und Baumblättern bedeckt, aber doch für Wind und Regen gesichert. Ich hätte mir nie vorgestellt, daß dies Klima auch im Winter so mild seyn könne. Übrigens ist die Gegend, in der ich mich hingebaut, sehr mahlerisch. Grotesk übereinander gewälzte Berge, die sich mit ihren schwarzen Büschen dem herunterdrückenden Himmel entgegen zu stemmen schienen, tief unten ein breites Thal, wo an einem kleinen hellen Fluß die Häuser eines armen aber glücklichen Dorfs zerstreut liegen. Wenn ich denn einmal herunter gehe und den engen Kreiß von Ideen in dem die Adamskinder so ganz existiren, die einfachen und ewig einförmigen Geschäfte und die Gewißheit und Sicherheit ihrer Freuden übersehe, so wird mir das Herz so enge und ich möchte die Stunde verwünschen, da ich nicht ein Bauer geboren bin. Sie sehen mich oft verwundrungsvoll an, wenn ich so unter ihnen herumschleiche und nirgends zu Hause bin, mit ihrem Scherz und Ernst nicht sympathisieren kann, so daß ich mich am Ende wohl schämen und in ihre Form zu passen suchen muß, da sie denn ihren Witz nach ihrer Art meisterhaft über meine Unbehelfsamkeit wissen spielen zu lassen. Alles dies beleidigt mich nicht, weil sie meistens Recht haben und ein Zustand wie der meinige durch die äussern Symptome die er veranlaßt, schon seit Petrarchs Zeiten jedermann zum Gespött dienen muß. Soll ich aber die Wahl haben, so ist mir der Spott des ehrlichen Landmanns immer noch Wohlthat gegen das Auszischen leerer Stutzer und Stutzerinnen in den Städten.

Wenn Du einmal einen geschäftfreyen Tag hast, so komm’ zu mir, Du bist der einzige Mensch, der mich noch zuweilen versteht.

Herz.

Zweyter Brief.

Fräulein Schatouilleuse an Rothen,
der aufs Land gereist war, eine Frühlingskur zu trinken.

Sagen Sie mir doch in aller Welt, wo mag Herr Herz hingekommen seyn. Etwa bey Ihnen, so hab’ ich eine Wette gewonnen. Der Papa sagte heut, er habe seine Bedienung bey der Canzley niedergelegt und sey in den Odenwald gegangen, um Waldbruder zu werden. Da lachten wir nun alle, daß uns die Thränen von den Backen liefen, er aber schwur, es sey wahr. Ich schlug gleich eine Wette mit ihm ein, daß er bey Ihnen in Zornau wäre; schreiben sie mir doch ob dem so ist, und ich will Ihnen auch viel neues von ihm sagen, das Sie recht zu lachen machen wird.

Dritter Brief.

Herz an Rothen, der dem Boten weiter nichts als einen Zettel mitgegeben, auf dem mit Bleystift geschrieben war: Herz! du dauerst mich!

Du hast vermuthlich erfahren, daß mein letztes Geld, das ich aus der Stadt mitgenommen, mir von einem schelmischen Bauren gestohlen worden, der die Zeit abpasste, als ich unten war, Brod zu kaufen. Aber wozu sollte mir auch das Geld? Wenn ich Mangel habe, gehe ich ins Dorf, und thue einen Tag Tagelöhners Arbeit, dafür kann ich zwey Tage meinen Gedanken nachhängen.

Ich bin glücklich, ich bin ganz glücklich. Ich gieng gestern, als die Sonne uns mitten im Winter einen Nachsommer machte, in der Wiese spatzieren, und überließ mich so ganz dem Gefühl für einen Gegenstand ders verdient, auch ohne Hofnung zu brennen. Das matte Grün der Wiesen, das mit Reif und Schnee zu kämpfen schien, die braunen verdorrten Gebüsche, welch ein herzerquickender Anblick für mich! Ich denke, es wird doch für mich auch ein Herbst einmal kommen, wo diese innere Pein ein Ende nehmen wird. Abzusterben für die Welt, die mich so wenig kannte, als ich sie zu kennen wünschte – o welche schwermüthige Wollust liegt in dem Gedanken!

Beständig quält mich das, was Rousseau an einem Ort sagt, der Mensch soll nicht verlangen, was nicht in seinen Kräften steht, oder er bleibt ewig ein unbrauchbarer schwacher und halber Mensch. Wenn ich nun aber schwach, halb unbrauchbar bleiben will, lieber als meinen Sinn für das stumpf machen, bey dessen Hervorbringung alle Kräfte der Natur in Bewegung waren, zu dessen Vervollkommnung der Himmel selbst alle Umstände vereinigt hat. O Rousseau! Rousseau! wie konntest du das schrieben!

Wenn ich mir noch den Augenblick denke, als ich sie das erstemal auf der Maskerade sah, als ich ihr gegenüber am Pfeiler eingewurzelt stand und mir’s war, als ob die Hölle sich zwischen uns beyden öfnete und eine ewige Kluft unter uns befestigte. Ach wo ist ein Gefühl, das dem gleich kommt, so viel unaussprechlichen Reitz vor sich zu sehen mit der schrecklichen Gewißheit, nie, nie davon Besitz nehmen zu dürfen. Ixion an Jupiters Tafel hat tausendmal mehr gelitten, als Tantalus in dem Acheron. Wie sie so stand und alles sich um sie herdrängte und in ihrem Glanze badete, und ihr überall gegenwärtiges Auge keinen ihrer Bewunderer unbelohnt ließ. Sieh Rothe, diese Maskerade war der glücklichste und der unglücklichste Tag meines Lebens. Einmal kam sie nach dem Tanz im Gedränge vor mir zu stehen, als ich eben auf der Bank saß, und als ob ich bestimmt gewesen wäre, in ihren Zauberzirkel zu fallen, so dicht vor mir, daß ich von meinem Sitz nicht aufstehen konnte, ihr meinen Platz anzutragen, denn die Ehrfurcht hielt mich zurück, sie anzureden. Diese Attitüde hättest Du sehen und zeichnen sollen, das Entzücken hättest Du sehen und zeichnen sollen, das Entzücken, so nah’ bey ihr zu seyn, die Verlegenheit ihr einen Platz genommen zu haben, o es war eine süße Folter, auf der ich diese wenige glückliche Minuten lag.

Wo bin ich nun wieder hineingerathen, ich fürchte mich alle die Sachen dem Papier anvertraut zu haben. Heb’ es sorgfältig auf, und laß es in keine unheiligen Hände kommen.

Herz.

Vierter Brief.

Fräulein Schatouilleuse an Rothen.

Ha ha ha, ich lache mich todt, lieber Rothe. Wissen Sie auch wohl, daß Herz in eine Unrechte verliebt ist. Ich kann nicht schreiben, ich zerspringe für Lachen. Die ganze Liebe des Herz, die Sie mir so romantisch beschrieben haben, ist ein rasendes Qui pro Quo. Er hat die Briefe einer gewissen Gräfin Stella in seine Hände bekommen, die ihm das Gehirn so verrückt haben, daß er nun gieng und sie überall aufsuchte, da er hörte, daß sie in * * angekommen sey, um an den Winterlustbarkeiten Theil zu nehmen. Ich weiß nicht, welcher Schelm ihm den Streich gespielt haben muß, ihm die Frau von Weylach für die Gräfin auszugeben, genug er hat keine Ball versäumt, auf dem Frau von Weylach war, und ist überall wie ein Gespenst mit großen stieren Augen hinter ihr hergeschlichen, so daß die arme Frau oft darüber verlegen wurde. Sie bildet sich auch wirklich ein, er sey jetzt noch verliebt in sie, und ihr zu Gefallen in den Wald hinausgegangen. Sie hat es meinem Vater gestern erzehlt. Melden Sie ihm das, vielleicht bringt es ihn zu uns zurück und wir können uns zusammen wieder weidlich lustig über ihn machen. Er muß recht gesund geworden seyn auf dem Lande. Ich wünscht’ ihn doch wieder zu sehen.

Fünfter Brief.

Rothe an Herz.

Aber, Herz, bist du nicht ein Narr, und zwar einer von den gefährlichen, die, wie Shakespeare sagt, für ihre Narrheit immer eine Entschuldigung wissen und folglich unheilbar sind. Ich habe Dir aus Fräulein Schatouilleusens Brief begreiflich gemacht, daß Dein ganzer Troß von Phantasey irre gegangen wäre, daß du eine andere für Deine Gräfin angesehen hättest, und Du willst doch noch nicht aus deinem Trotzwinkel zu uns zurück. Du seyst nicht in ihre Gestalt verliebt gewesen, sondern in ihren Geist, in ihren Charakter, Du könntest Dich geirrt haben, wenn du zu dem eine andere Hülle aufgesucht hättest, aber der Grund Deiner Liebe bleibe immer derselbe und unerschütterlich. Solltest du aber nicht wenigstens, da Du doch durchaus einer von denen seyn willst, die mit Terenz

Insanire cum ratione volunt

Durch Abschilderung dieses Karakters, dieses Geistes das Abentheuerliche Deiner Leidenschaft bey Deinem Freunde zu rechtfertigen suchen? Vielleicht könntest du hierin eben sowohl eines Irrthums überwiesen werden, als in jenem, und dafür scheint es, ist Dir bange.

Alle deine Talente in eine Einsiedeley zu begraben – Und was sollen diese Schwärmereien endlich für ein Ende nehmen? Höre mich, Herz, ich gelte ein wenig bey den Frauenzimmern, und das blos, weil ich leichtsinnig mit ihnen bin. Sobald ich in die hohen Empfindungen komme, ist’s aus mit uns, sie verstehen mich nicht mehr, so wenig als ich sie, unsere Liebesgeschichtgen haben ein Ende. Ich schreibe Dir dies nicht, Dich in deinem Vorhaben wankend zu machen, ich weiß, daß Du einen viel zu originellen Geist hast, um Deine Eigenthümlichkeit aufgeben zu wollen, aber ich sage Dir nur wie ich bin, ich klage Dir meine kleinen Empfindungen auf der Queerpfeife, wie Du deine auf dem Waldhorn. Siehst Du, so bin ich in einer beständigen Unruhe, die sich endlich in Ruhe und Wollust auflöst und dann mit einer reitzenden Untreue wechselt. So wälze ich mich von Vergnügen auf Vergnügen, und da kommen mir Deine Briefe eben recht, unsern eingeschrumpften Gesellschaften Stoff zum Lachen zu geben. Es sticht alles so schrecklich mit unsrer Art zu lieben ab. Nun lebe wohl und besinne Dich einmal eines bessern.

Rothe.

Sechster Brief.

Herz an Rothe.

Das einzige, was mir in Deinem letzten Briefe erträglich war, ist die Stelle, da Du eine Abschilderung von dem Character des Gegenstandes meiner einsamen Anbetung wünschtest, das übrige habe ich nicht gelesen. Zwar scheint auch in diesem Wunsch nur die Bosheit des Versuchers durch, der dadurch, daß er mein Geheimniß aus meinem Herzen über die Lippen lockt, mir dasselbe gern gleichgültiger machen möchte. Aber sey es, se soll Dir dennoch genug geschehen. Zwar weiß ich wohl, wie vielen Schaden ich ihr durch meine Beschreibungen thue, aber dennoch wirst Du, wenn du klug bist und Seele hast, Dir aus meinem Gestotter ein Bild zusammensetzen können.

Denke Dir alles, was Du dir denken kannst, und Du hast nie zu viel gedacht – doch nein, was kannst Du denken? Die Erziehung einer Fürstinn, das selbstschöpferische Genie eines Dichters, das gute Herz eines Kindes, kurzum alles, alles beysammen, und alle Diene Mühe ist dennoch vergeblich, und alle meine Beschreibungen abgeschmackt. So viel allein kann ich Dir sagen, daß Jung und Alt, Groß und Klein, Vornehm und Gering, Gelehrt und Ungelehrt, sich herzlich wohl befinden wenn sie bey ihr sind, und jedem plötzlich anders wird wenn sie mit ihm redt, weil ihr Verstand in das Innerste eines Jeden zu dringen, und ihr Herz für jede Lage seines Herzens ein Erleichterungsmittel weiß. Alles das leuchtet aus ihren Briefen, die ich gelesen habe, die ich bey mir habe und auf meinem bloßen Herzen trage. Sieh, es lebt und athmet darinnen eine solche Jugend, so viel Scherz und Liebe und Freude, und ist doch so tiefer Ernst, die Grundlage von alle dem, so göttlicher Ernst – der eine ganze Welt beglücken möchte!

Siebenter Brief.

Rothens Antwort.

Dein Brief trägt die offenbaren Zeichen des Wahnsinns, würde ein andrer sagen, mir aber, der ich dir ein für allemal durch die Finger sehe, ist er unendlich lieb. Du bist einmal zum Narren geboren, und wenigstens hast du doch so viel Verstand, es mit einer guten Art zu seyn.

Ich lebe glücklich wie ein Poet, das will bey mir mehr sagen, als glücklich wie ein König. Man nöthigt mich überall hin und ich bin überall willkommen, weil ich mich überall hinzupassen und aus allem Vortheil zu ziehen weiß. Das letzte muß aber durchaus seyn, sonst geht das erste nicht. Die Selbstliebe ist immer das, was uns die Kraft zu den andern Tugenden geben muß, merke dir das, mein menschenliebiger Don Quischotte! Du magst nun bey diesem Wort die Augen verdrehen, wie du willst, selbst die heftigste Leidenschaft muß der Selbstliebe untergeordnet seyn, oder sie verfällt ins Abgeschmackte und wird endlich sich selbst beschwerlich.

Ich war heut in einem kleinen Familienkonzert, das nun vollkommen elend war und in dem du dich sehr übel würdest befunden haben. Das Orchester bestand aus Liebhabern, die sich Tacktschnitzer, Dissonanzen und alles erlaubten und Hausherr und Kinder die nichts von der Musik verstunden, spähten doch auf unsern Gesichtern nach den Mienen des Beyfalls, die wir ihnen reichlich zumassen, um den guten Leuten die Kosten nicht reu zu machen. Nicht wahr, das würde dir eine Folter gewesen seyn, Kleiner? besonders da seine Tochter mit den noch nicht ausgeschrienen Singstimmen mehr kreischend als singend uns die Ohren zerschnitten. Da in laute Aufwallungen des Entzückens auszubrechen und bravo, bravissimo zu rufen, das war die Kunst – und weißt du, womit ich mich entschädigte? die Tochter war ein freundlich rosenwangigtes Mädchen, das mich für jede Schmeicheley, für jede herzlichfalsche Lobeserhebung mit einem feurigen Blick bezahlte, mir auch oft dafür die Hand und wohl gar gegen ihr Herz drückte, das hieß doch wahrlich gut gekauft. Ich weiß, du knirschest die Zähne zusammen, aber mein Epikuräismus führt doch wahrhaftig weiter, als dein tolles Streben nach Luft- und Hirngespinnsten. Ich weiß, das Mädchen denkt doch heute den ganzen Abend mit Vergnügen an mich, warum soll ich ihr die Freude nicht gönnen, daß sie sich mit dem Gedanken an mich zu Bette legt.

Willst du’s auch so gut haben, komm zu uns, ich will gern die zweyte Rolle spielen, wenn ich dich nur zum brauchbaren Menschen machen kann. Was fehlte dir bey uns? du hattest dein mässiges Einkommen, das zu deinen kleinen Ausgaben hinreichte, du hattest Freunde, die dich ohne Absichten liebten, ein Glück das sich Könige wünschen möchten, du hattest Mädchen die an kleinen Netzen für dein Herz webten, in denen du dich nur so weit verstricktest, als sie dir behaglich waren, hernach flogst du wieder davon und sie hatten die Mühe dir neue zu weben. Was fehlte dir bey uns? Liebe und Freundschaft vereinigten sich, dich glücklich zu machen, du schrittst über alles das hinaus in das furchtbare Schlaraffenland verwilderter Ideen!

Nichts lieblicher als die Eheknoten, die für mich geschlungen werden und an denen ich mit solcher Artigkeit unten weg zu schleichen weiß. Denk was für ein Aufwand von Reizungen bey alle den Geschichten um mich her ist, welch eine Menge Karaktere sich mir entwickeln, wie künstliche Rollen um mich angelegt und wie meisterhaft sie gespielt werden. Das ergözt meinen innern Sinn unendlich, besonders weil ich zum voraus weiß, daß sich die Leute alle an mir betrügen, und mir hernach doch nicht einmal ein böses Wort darum geben dürfen. So gut würde dirs auch werden, wenn du mir folgtest; wäre doch besser, unter blühenden und glühenden Mädchen in Scherz und Freude und Liebkosungen sich herumzuwälzen, als unter deinen glasirten Bäumen auf der gefrornen Erde. Was meynst du Herz? Lachst du? Narr, wenn du lachen kannst, so ist alles gewonnen.

Achter Brief.

Antwort Herzens an Rohten.

Deine Briefe gefallen mir immer mehr und mehr, obschon ich deine Rathschläge immer mehr und mehr verabscheue, und das bloß, weil der Ton in denselben mit dem meinigen so absticht, daß er das verdrüßliche Einerley meines Kummers auf eine pikante Art unterbricht. Fahre fort, mir mehr zu schreiben, es ist mir alles lieb, was von dir kommt, sollte mirs auch noch so viel Galle machen.

Sey glücklich unter deinen leichten Geschöpfen, und laß mir meine Hirngespinste. Ich erlaub es euch sogar, über mich zu lachen, wenn euch das wohlthun kann. Ich lache nicht, aber ich bin glücklicher als ihr, ich weide mich zuweilen an einer Thräne, die mir das süsse Gefühl des Mitleids mit mir selbst auf die Wange bringt. Es ist wahr, daß ich alles hier begrabe, aber eben in dieser Aufopferung findt mein Herz eine Grösse, die ihm wieder Luft macht, wenn seine Leiden zu schwer werden. Niemanden im Wege – welch eine erhabene Idee! ich will niemanden in Anspruch nehmen, niemand auch nur einen Gedanken kosten, der die Reihe seiner angenehmen Vorstellungen unterbricht. Nur Freyheit will ich haben, zu lieben was ich will und so stark und dauerhaft, als es mir gefällt. Hier ist mein Wahlspruch, den ich in die Rindenthüre meiner Hütte eingegraben:

Du nicht glücklich, kümmernd Herz?
Was für Recht hast du zum Schmerz?
Ists nicht Glück genug für dich,
Daß sie da ist, da für sich?

Neunter Brief.

Rothe an Herz.

Wenn wir uns lange so fortschrieben, so gerathen wir beyde in eine Geschwätzigkeit, die zu nichts führt. Du willst unterhalten seyn und ich kann und mag dich nicht unterhalten. Alles was ich dir schrieb, war, um dich zurückzubringen, willst du nicht, so laß bleiben, kurz und gut. Alle deine Klagen und Leiden und Possen helfen dir bey uns zu nichts, wir deine wahren Freunde und Freundinnen und alle Vernünftigen – verzeyh mirs, was können wir anders thun – lachen darüber – ja lachen entweder dich aus der Haut und der Welt hinaus – oder wieder in unsre bunten Kränzgen zurück.

Du thätest also besser, wenn du mir nicht mehr schriebest. Ich komme nicht zu dir, was hab ich verschworen. Aber ich erwarte dich bey mir, wenn du mich wieder einmal zu sehen Lust hast.

Rothe.

Die Antwort auf diesen Brief blieb aus.

Zehnter Brief.

Honesta an den Pfarrer Claudius,
einen ihrer Verwandten auf dem Lande.

Wissen Sie auch wohl, daß wir hier einen neuen Werther haben, noch wohl schlimmer als das, einen Idris, der es in der ganzen Strenge des Worts ist, und zu der Nische die Herr Wieland seinem Helden am Ende leer gelassen hat, mit aller Gewalt ein lebendes Bild sucht. Kurz, es ist der junge Herz, den Sie bisweilen in unserm Hause müssen gesehen haben, er war sehr einschmeichelnd beym Frauenzimmer, aber immer in seinen Ausdrücken etwas romantisch, welches mir um soviel besser gefiel. Er hat im ganzen Ernst seine Bedienung niedergelegt, und ist in den Odenwald gegangen und Einsiedler geworden. Jedermann redt davon und bedaurt das Unheil, das solche Schriften anrichten. Ich aber behaupte, daß der Grund davon in seinem Herzen liegt, und daß er auch ohne Werther und Idris das geworden wäre, was er ist.

Die Person, die er liebt, ist eine Gräfinn, die in der That ein rechtes Muster aller Vollkommenheiten ist, wie man sie mir beschrieben hat. Sie tanzt wie ein Engel, zeichnet, mahlt nach dem Leben, spricht alle Sprachen, ist mit jedermann freundlich und liebreich, kurz sie verdient es wohl, daß eine Mannsperson um sie den Kopf verliert. Alle ihre Stunden sollen so eingetheilt seyn, daß sie niemalen müssig ist, sie unterhält allein eine Correspondenz, wozu mancher Staatsminister nicht Sekretärs genug finden würde, und die Briefe schreibt sie alle während der Zeit, da sie frisirt wird, auf der Hand, damit sie ihr von ihren übrigen Beschäftigungen nicht Zeit wegnehmen. Es muß ein liebes Geschöpf seyn, sie soll von dem Unglück des armen Herz gehört haben, und darüber untröstlich seyn, denn sie hat ein Gemüth, das nicht gern ein Kind beleidigen möchte. Er hat einige von ihren Briefen in die Hände bekommen, die sie während ihres Aufenthalts auf dem Lande an die Wittwe Hohl hier geschrieben hatte. Sie wissen doch die Wittwe Hohl in der Laubacherstrasse in dem grossen rothen Hause. Herz soll bey ihr logiert haben. Das seltsamste ist, daß er seinen Abgott noch nicht von Person kennt, obschon er alles angewandt, sie zu sehen zu kriegen. Er hat eine andere für sie angesehen und also eine ganz falsche Vorstellung von ihr in seine Zelle mitgenommen.

Die Fräulein Schatouilleuse kennt die Gräfin auch, weil sie oft in ihr Haus kommt, will aber nicht viel Gutes von ihr sagen. Sie meynt, sie affektire entsetzlich, nun ist das ganz natürlich, weil ihre Art zu denken von jener ihrer himmelweit unterschieden seyn muß.

Man sagt die Gräfinn wolle an den armen Herz schreiben, um ihn vielleicht wieder zurecht zu bringen. Ich habe nicht Zeit, Ihnen mehr zu sagen, obgleich ich sonst so ungern weiß Papier übrig lasse. Unser Haus ist voll Fremde, die zur Ostermesse gekommen sind. Wenn Sie doch auch auf einige Tage herein könnten. Der wunderliche Herr Hokum ist auch da.

Honesta.

Eilfter Brief.

Herz an Rothen.

Ich bin untröstlich, daß meine Einsiedlerey eine Fabel der Stadt wird. Gestern sind eine Menge Leute aus ** hier gewesen, die mich sehen und sprechen wollten, und mir einigemal zwar unter vielen andern den Namen derjenigen genant haben, die ich den Wänden meiner Hütte und den leblosen Bäumen kaum zu nennen das Herz habe. Sollte etwas davon laut geworden seyn, und durch dich, Verräther? Du weißt allein, wer es ist, und wie viel mir daran gelegen, daß ihr Name auf den Lippen der Unheiligen nicht in meiner Gesellschaft ausgesprochen werde.

Auf diesen Brief erfolgte keine Antwort

Zwölfter Brief.

Ich schreibe Dir dieses, obschon Du’s nicht verdienst. Aber ich kann nicht, ich kann die Freude über alle mein Glück nicht bey mir behalten. Und da ich sonst gewohnt war mein Herz gegen Dich zu öfnen –

Wisse alles, Rothe, sie kennt mich, sie weiß, daß ich um ihrentwillen hier bin, wer muß ihr das gesagt haben?

Gestern konnt’ ichs fast nicht aushalten in meiner Hütte. Alles war versteinert um mich, und ich habe die Kälte in der härtesten Jahrszeit in meinem Vaterlande selbst nicht so unmitleidig gefunden. Ich nahm mir das Eis aus den Haaren, und es war mir nicht möglich, Feuer anzumachen; ich mußte also ziemlich spät ins Dorf hinabgehen, mich zu wärmen.

Stelle Dir das Entzücken, die Flamme vom Himmel vor, die meine ausgequälte Seele durchfuhr, als ich auf einmal Fackeln vor einem Schlitten auf mich zu kommen und bey deren schein die Liverey meiner angebeteten Gräfin sah. Ich hielt sie dafür, ich betrog mich nicht. Sie war es, sie war es selbst, nicht die, die ich auf dem Ball gesehen, aber mein Herz sagte mirs, daß sie es sey, denn als sei mich sah, sie sah scharf heraus, hielt sie den Muff vor das Gesicht, um die Bewegungen ihres Herzens zu verbergen. Und wie groß, wie sprachlos war meine Freude, die ich hernach im Dorf hörte, sie habe sich durch ihre Bedienten nach einem gewissen Waldbruder erkundigen lassen, der hier in der Nähe wohnte.

Ich, so lebhaft gegenwärtig in ihrem Andenken – und in dieser Kälte kam sie heraus mich zu sehen – wenn es auch nur Spatzierfahrt war, wie glücklich, daß meine Hütte sie auf diesen Weg locken mußte – vielleicht kann ich sie noch einmal sehen und sprechen. – Rothe! Giebts eine höhere Aussicht für menschliche Wünsche?
Brief der Gräfin Stella an Herz.

Mein Herr! ich habe Ihren Zustand erfahren, er dauert mich. Von ganzem Herzen wünschte ich Unmöglichkeiten möglich zu machen. Indessen kommen Sie nach der Stadt, und wenn Ihnen damit ein Gefallen geschehen kann, mich zu sehen und zu sprechen, wie Herr Rothe mir versichert hat, so hoffe ich, es soll sich bey Ihrer Freundinn, der Wittwe Hohl, schon Gelegenheit dazu finden.

Stella.

(Die Fortsezzung folgt.)