HomeDie Horen1795 - Stück 12III. Die Dichter der alten und neuen Welt. [Friedrich Schiller]

III. Die Dichter der alten und neuen Welt. [Friedrich Schiller]

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(Stimmen: 3 Durchschnitt: 4)

Sagt, wo sind die Vortreflichen hin, wo find ich die Sänger,
Die mit dem lebenden Wort horchende Völker entzückt,
Die vom Himmel den Gott, zum Himmel den Menschen gesungen,
Und getragen den Geist hoch auf den Flügeln des Lieds?
Ach, die Sänger leben noch jetzt, nur fehlen die Thaten
Würdig der Leyer, es fehlt ach! ein empfangendes Ohr.
Glückliche Dichter der glücklichen Welt! Von Munde zu Munde
Flog, von Geschlecht zu Geschlecht euer empfundenes Lied!
Jeder, als wär ihm ein Sohn gebohren, empfieng mit Entzücken,
Was der Genius ihm, redend und bildend, erschuf.
An der Glut des Gesangs entbrannten des Hörers Gefühle,
An des Hörers Gefühl nährte der Sänger die Glut,
Nährt‘ und reinigte sie! Der Glückliche, dem in des Volkes
Stimme der weisen Natur neues Orakel noch klang,
Dem noch von aussen das Wort der richtenden Wahrheit erschallte,
Das der Neuere kaum – kaum noch im Busen vernimmt.
Weh ihm, wenn er von aussen es jetzt noch glaubt zu vernehmen,
Und ein betrogenes Ohr leyht dem verführenden Ruf!
Aus der Welt um ihn her sprach zu dem Alten die Muse,
Kaum noch erscheint sie dem Neu’n, wenn er die seine – vergißt.

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