HomeDie Horen1795 - Stück 5II. Beitrag zu einer Geschichte des französischen National-Charakters. [K. L. von Woltmann]

II. Beitrag zu einer Geschichte des französischen National-Charakters. [K. L. von Woltmann]

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Den Charakter der neuern Nationen aufzufassen und darzustellen, war unter vielen andern Ursachen schon deshalb äusserst schwierig, weil wir selten eine Nation, als solche, fast immer nur als das Werkzeug von wenigen einzelnen handeln sahen, bei welchen das Nationalgepräge gerade am meisten verwischt war. Überraschend ist daher das Schauspiel, wenn die Verhältnisse sich plözlich ändern, und ein Volk selbst sein Regent wird. Steht es auf einer zu niedrigen Stufe der Kultur, so wird dies Schauspiel zu wenig verwickelt, als daß es dauernd interessiren könnte; ist bei einer Nation die Urtheilskraft zu sehr auf Kosten der übrigen Anlagen gebildet, oder sind alle Kräfte verwandt worden, um üppige Blüthen der Phantasie hervorzubringen, so wird der Anblik einer Revolution, die sie bewirkt, im ersten Falle nicht sehr unterhalten, weil es so selten Gelegenheit zu großen Szenen geben kann, und im zweiten, weil man die Menschen oft an die Gränze der Raserei fortgerissen, und ohne ausdauernde Kraft sehen wird. Am interessantesten muß das Schauspiel werden, wenn eine Nation sich erhebt, welche freilich die Phantasie vorzüglich begünstigte, aber die Blüthen derselben nicht ganz von der Zone der kältern Vernunft entfernte; welche Kultur genug hat, um nicht ganz lasterhaft, und zu wenig, um tugendhaft zu seyn. In ihren Revolutionen, die weit mehr geistig sind, als daß sie den Phänomenen der physischen Natur gleichen, wird man gern nach ihrem Charakter forschen, wiewohl es sehr schwierig seyn muß, ihn dort aufzusuchen, weil er sich in so zahllosen Stralen zeigen wird, daß der Blick kaum bis zu den gemeinschaftlichen Mittelpunkte derselben vorzudringen vermag. Nur wann es möglich wäre, ihre Quelle, ehe sie von ihr ausgingen, zu erblicken, dürfte man hoffen, auch ihr Farbenspiel mit weniger Täuschung betrachten zu können. Die französische Nation scheint einen solchen Charakter zu haben. Welche sich einander widersprechende Erscheinungen zeigt uns Frankreichs gegenwärtige Revolution in demselben. Heroische Tugend gränzt in ihm an empörendes Laster, ein Sinn, welcher alles verachtet, was nicht ungewöhnlich und groß ist, an die kleinlichte Eitelkeit, Weichheit des Herzens und Wohlwollen gegen die Menschheit an Barbarei gegen Freunde und Feinde, und ein Selbstgefühl, welches zur unabhängigsten Existenz auffodert, ist mit einer sonderbaren Geschmeidigkeit, durch fremde Hände sich regieren zu lassen, verbunden. Der kalte Deutsche und der stolze Britte weisen die Auflösung dieses Widerspruchs von sich, indem sie auf die französische Nation, wie auf ein thörichtes Volk herabsehen, und sie entweder tödtlich hassen, oder sich an ihr, wie an einem Gaukler, ergötzen. Die Spanier und Italiäner, welche ihren ursprünglichen Anlagen nach mehr Sinn für die Harmonie in jenem anscheinenden Widerspruche haben würden, sind in der Kultur zu weit hinter den Franzosen zurück, als daß sie nicht von denselben, wie von einer frevelnden Nation, ihren Blick wegwenden sollten.

Der Charakter unsrer neuen Nationen erhielt erst da seine bestimmte Form, als der dritte Stand emporkam: auf die Umstände, welche in dieser Epoche auf ihn wirkten, muß man daher vorzüglich seine Aufmerksamkeit richten. Zu den Zeiten der herrschenden Feudalaristokratie, oder in der noch frühern Periode der rohen germanischen Verfassung ist die Bildung der kultivirten Nationen des jezigen Europa sich zu ähnlich, als daß man die feine Individualität, die es immerhin geben mußte, die aber so leicht durch die Nebel der Vergangenheit verhüllt wird, bemerken könnte. Nur wenn man von dem Nationalcharakter, wie er sich seit dem Aufkommen des dritten Standes bildete, eine Schilderung entworfen hat, und dann die Entstehung mancher Züge desselben schon in den frühern Zeitaltern zu finden glaubt, kann man ohne Gefahr auch in ihnen die Geschichte desselben verfolgen.

Richten wir unsern Blick auf jene angegebene Epoche, da ein dritter Stand aufkeimte, in der Geschichte Frankreichs, so ist es unverkennbar, daß zur Entstehung des französischen Charakters diese beiden Umstände entscheidend beitrugen: erstens, die Nationalkultur ging von der Phantasie aus, und zweitens, dies geschah zu einer Zeit, wo durch den Despotism der Könige die verschiednen Provinzen Frankreichs mehr, als der Geist der Feudalaristokratie es in andern Ländern erlaubte, zu einem großen Staate vereinigt waren. Unter dem glücklichen Himmel der Provenze entwickelten sich in jener Periode die Blüthen der Phantasie, und der Geist der Staatsverwaltung konnte sie sogar nach dem Norden Frankreichs hinwehen!

Schon war die Macht der Feudalaristokratie durch die Könige geschwächt, und der Geist derselben durch den Anfang der Kreuzzüge und durch eine gewisse Sehnsucht nach Abentheuern humanisirt worden; schon war das Ritterwesen eine Bildungsschule des Adels, in welcher seine Empfindung Feinheit, seine Phantasie Reichthum erhielt, schon hatte Ludwig der Siebente den fleissigen Bürgersinn in den städtischen Gemeinheiten mit der Hoffnung beschenkt, Menschenrechte von dem Throne zu erhalten, als die liebliche Dichtkunst der Troubadours in dem südlichen Frankreich begann. Ihre Poesien wurden so leicht zu Nationalgedichten, weil die Sänger und Minstrels, die stets in ihrem Gefolge waren, sie sogleich durch Melodien belebten, und ihren Gesang mit der Musik verschiedener Instrumente begleiteten; weil sie sich auf Gegenstände bezogen, die allgemein interessiren mussten. Die Troubadours unterhielten ihre Zuhörer gewöhnlich von Abentheuern aus Palästina, und würzten ihre Erzählung mit Spott über die Ungläubigen, in welchem der erste Keim der französischen Satyre lag; oder sie untersuchten die Geheimnisse der Liebe. Welchen Schwung mußte die Phantasie der Nation erhalten, wenn bei den Volksfesten, wie bei den Feierlichkeiten der Grossen selten das Lied dieser Dichter fehlte. Die niedrigern Volksklassen gewöhnten sich an eine höhere Art zu empfinden, und ein verschönernder Schleier der Phantasie ward durch die Dichtkunst um den rauhen Geist des Adels gewunden. Es währte nicht lange, so begann der Herzog zu dichten, wie der niedrigste Bürger, und es ward Mode, die Tiefen des menschlichen Herzens ergründen zu wollen. Ein besonderes Tribunal, vor welchem Streitigkeiten der Art geschlichtet wurden, waren die Gerichtshöfe der Liebe. Unter dem Vorsitz von Damen führte man hier die Prozesse des Liebesgottes, und so allgemein die Troubadours geworden, wurden es auch diese Institute, durch welche der phantastische Geist der Nation neues Feuer erhalten mußte. Die Königinnen selbst hatten bisweilen in einem solchen Gerichtshofe den Vorsitz. Da wurde es bald eine Ehre, nach welcher man aus allen Gegenden Frankreichs strebte, irgend ein Amt im Dienste der Liebe zu bekleiden. Liebeshändel wurden als die wichtigsten Angelegenheiten betrachtet, und ein Ordensband, welches in Cytherens Namen ausgetheilt ward, achtete man so hoch, als nachher einen Orden aus den Händen der Könige.

Durch die Troubadours und die Gerichtshöfe der Liebe war der Geist, welcher die Chevalerie belebte, gleichsam festgehalten, und zum Nationalcharakter gemacht. Heroische Denkart, romantische Gesinnung, Schwärmerei in den Gefühlen der Liebe, und ein Bestreben, über die Irrgänge des menschlichen Herzens zu philosophiren, wurden allgemein unter der Nation. Von der Poesie und einem dichterischen Leben ging ihre Bildung aus, und Kultur der Phantasie ward die Grundlage ihres Charakters. Sicher kann man ihr zu einem solchen Anfange Glück wünschen. Zwar ist es unvermeidlich, daß ein Volk, welches die Phantasie vor allen andern Seelenkräften ausbildet, leichter in unsittliche Ausschweifungen geräth, als eine Nation, welche sich mit kaltem Urtheile zu einer höhern Stufe der Kultur allmählig fortarbeitet, denn jenes hat sich einem weit unsicherern Führer anvertraut, als diese; seine Begierden werden lebhafter, die Gegenstände, welche dieselben reitzen, zahlreicher und anziehender, und das Laster verliehrt vor ihm seine natürliche Hässlichkeit, weil die Phantasie es mit ihren Blumen bedeckt; zwar ist gleichwohl sittliche Kultur das höchste Ziel, zu welchem jeder Staat hinstreben muß; allein es ist zugleich unbezweifelt, daß man nie zur Humanität gelangen wird, als durch Kultur der Einbildungskraft, als durch das Gebiet einer anfänglich lasterhaften, doch allmählig mit Anmuth geschmückten Sinnlichkeit. Wenn auch ein Volk schon zu einem hohen Grade der Sittlichkeit durch die Herrschaft der Vernunft gekommen ist, darf es sich doch nicht schmeicheln, daß es auf derselben ganz sicher stehe, denn die Sinnlichkeit giebt ihre Rechte nicht auf, und kein Mensch vermag sie derselben durch seine Vernunft zu berauben, weil er es nicht darf. Die Sinnlichkeit soll nämlich durch Kultur der Phantasie eine solche Anmuth erhalten, daß sie, unabhängig von der Vernunft, gleichwohl nichts begehrt und unternimmt, welches der Würde derselben Abbruch thäte. Nur aus dem völlig gleichen Bunde zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, nicht aus der Herrschaft der einen oder der andern kann ächte Humanität hervorgehen, und nur wann er geschlossen ist, kann zwanglose Bildung einer Nation eintreten. Die Griechen näherten sich diesem sittlichen Zustande mehr als alle andern Nationen, wiewohl man unter ihnen vielleicht mehr Laster, als bei vielen andern auffinden könnte: die Franzosen kamen ihnen in dieser Rücksicht vielleicht mehr nahe, als sonst irgend ein neueres Volk, wenn gleich die französische Nationalbildung durch Phantasie nicht den edlen Geist der griechischen erhielt. Die glückliche Leichtigkeit beider Nationen entsprang freilich aus mancherlei Ursachen, aber die vorzüglichste derselben liegt in dem Charakter, der ihnen frühe durch die Einbildungskraft aufgedrückt ward. Wem kein ähnliches glückliches Loos gefallen ist, der bleibt selbst bei einer hohen Aufklärung seines Verstandes in einem pedantischen, zwangvollen Zustande. Wollen die Deutschen zur Humanität gelangen, so ist es nothwendig, daß sie in der Aufklärung einige Schritte zurück thun, um der Phantasie eine grössere Herrschaft über ihre Geister zu verschaffen. Der vornehmste Grund von der so gänzlich verschiedenen Richtung, welche der deutsche und der französische Nationalcharakter erhielten, liegt darin: zur Zeit des Ritterwesens und der Troubadours waren die Einwohner Frankreichs schon so sehr Eine Nation, daß ein Produkt des Süden dem Norden Genuß bringen konnte; die Deutschen hingegen waren beim Erscheinen der schwäbischen Minnesinger viel zu sehr von einander abgerissen, als daß die Wirkung derselben sich über ganz Deutschland hätte verbreiten, und in die kleineren Lebensverhältnisse eingreiffen können.

Wenn man nun aus diesem Gesichtspunkte den Charakter des französischen Volkes in allen folgenden Zeiten betrachtet, so ergiebt sich, daß alle Züge in demselben sich unmittelbar oder mittelbar auf diese erste Bildung, welche er erhielt, zurückbringen lasse: sie sind entweder gute oder schlimme Folgen der Erziehung der Nation durch die Einbildungskraft. Folgende Bemerkungen verbreiten vielleicht einiges Licht über die weitere Geschichte des französischen Nationalcharakters. Schon beim ersten Anfang seiner Bildung floß eine Quelle in Frankreich, aus welcher die Phantasie schöpfen mußte, und sicher nicht den Zaubertrank der Schönheit schöpfte; dann bewirkten alle Verhältnisse, in welche die Franzosen bald nach jener Epoche kamen, daß ihrer Einbildungskraft kein ruhiges Fortbilden zu Idealen erlaubt, sondern das Feuer der Leidenschaft eingehaucht wurde: und wie sie schon dadurch für die Kunst unempfänglicher gemacht waren, so kamen auch nachher keine glückliche Veranlassungen, welche ihre Phantasie zur Schönheit hätten führen können. Sie verbreitete daher ihre üppigen Ranken im Gebiete menschlicher Leidenschaft an einem schmutzigen Boden; die griechische Einbildungskraft suchte mit ihren Sprösslingen den reinen Äther der Kunst.

Die christliche Religion in ihrer damaligen Gestalt war es, welche die junge Phantasie des französischen Volks fern von der Gegend der Schönheit auf die Abwege eines abentheuerlichen Geschmacks führte. Diese Anklage gegen dieselbe wird durch einen Blick auf die Volksfeste in Frankreich in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters gerechtfertigt. Im Anfange des vierzehnten wurde eine Feerei in Paris gegeben, wo religiöse Bilder auf das lächerlichste zusammengesetzt waren. Alle Strassen der Hauptstadt waren tapeziert, der Schein von zahllosen Fackeln leitete am Abend die strömende Volksmenge zu den Bühnen der Feereien. Man sah hier den Sohn Gottes, wie er die Todten erweckte und richtete, aber zugleich, wie er ein Paternoster mit seinen Aposteln betete, Äpfel aß und mit seiner Mutter scherzte; man hörte sie Seligen im Paradiese vereint mit den Chören der Engel singen, die Verdammten in einer düstern stinkenden Hölle unter Teufeln wehklagen; aber zugleich vernahm man das kosende Geschäz von Buhlern und Buhlerinnen, die im weißen Gewande zur Wollust reizten. Wenn Adam und Eva hier im Stande der Unschuld erschienen, so sah man dort eine Gruppe von wilden Männern, welche beym Schmause lärmten. So wenig man Gott selbst schonte, so wenig auch seine Diener. Ein Fuchs erschien anfänglich als ein einfacher Geistlicher gekleidet, der eine Epistel absingt, dann im Schmuck eines Bischofs und Erzbischofs, und endlich in päbstlicher Kleidung; der Grund von seiner steigenden Würde ist die immer größere Niederlage, die er unter Hühnern anrichtet. Noch mehr entartet, als in solchen abentheuerlichen Schauspielen, zeigte sich die Phantasie des französischen Volks in einem religiösen Feste, das lange allgemein in Frankreich gefeiert ward, in dem berühmten Eselsfeste. Um die Flucht der Jungfrau Maria nach Egypten feierlich zu begehen, wählte man das schönste Mädchen eines Ortes, und setzte es köstlich geschmückt, mit einem Körbchen am Arm, auf einen prächtig aufgeschirrten Esel. In einer heiligen Prozession folgte ihr die Geistlichkeit und das Volk in die Hauptkirche. Ihr Esel ward neben dem Altar gestellt, der ganze Gottesdienst schien ihm zu Ehren veranstaltet zu seyn. Das Gloria und das Credo schloß man mit den Worten Hinham!-Hinham! Der Priester endigte den Gottesdienst nicht mit dem gewöhnlichen Segen, sondern mit einem Laute, der dem Eselsgeschrei nachgeahmt war, und das Volk wiederholte denselben statt des Amen! Ein Lobgesang, eben so abentheuerlich, wie das ganze Fest, ward zu Ehren des Esels angestimmt, und wenn er während demselben schrie, so erhielt die Andacht der Gemeine einen neuen Schwung; und ihre Entzückung erreichte den höchsten Grad, wenn er niederkniete, und nun die Strophe begann: „sage Amen, Amen, lieber Esel!“

Eine solche Verwilderung der Phantasie durch religiösen Aberglauben bewirkte bald, daß der liebliche Gesang der Troubadours von einer Poesie verdrängt ward, welche das Gepräge religiöser Unart an sich trug. Pilgrime, die aus Palästina zurückkamen, oder sonst irgendwo fromme Abentheuer bestanden hatten, durchwanderten bald einzeln, und bald in Gesellschaften der Königreich, und schilderten in Gesängen ihr Schicksal. Das Wunderbare in demselben, welches die Phantasie lebhaft beschäftigte, und religiöser Enthusiasm hatten ihnen schon die Liebe des Volks gewonnen, als sie anfingen ihren Gesang dramatisch einzurichten, und durch die Geberden, mit welchen sie denselben begleiteten, die Zuhörer noch mehr an sich zu ziehen. Ihr Spiel gefiel so, daß eine Gesellschaft von Pariser Bürgern sich unter dem Namen der Passionsbrüderschaft zusammenthat, ein besonderes Theater errichtete, und religiöse Gegenstände in förmlichen Schauspielen darstellte. Eine Frivolität, welche die Corruption der Phantasie durch rohe Religionsbegriffe schon in den französischen Charakter gebracht hatte, war auch von dieser Gesellschaft nicht ferne. Bald nach der Passionsbrüderschaft kamen die sorglosen Kinder auf, größtentheils junge Leute, welche die lächerlichen besonders verliebten Abentheuer, die sich täglich in der Hauptstadt ereigneten, in ihrem dramatischen Spiele darstellten. Beide Gesellschaften vereinigten ihren religiösen und profanen Geist, und beschlossen, auf demselben Theater zu spielen.

Durch die damalige Religion der Christen ward also der Werth des Geschenks sehr verringert, welches das Schicksal dem Nationalcharakter der Franzosen mit der frühen Richtung zur Kultur der Phantasie gemacht hatte. Leider gaben auch die politischen Verhältnisse der Nation ihrer regegewordnen Einbildungskraft keine Zeit, sich in sorgloser Muse zu einer schönen idealistischen Welt zu erheben. Gerade in dem Zeitpunkte, da sie mit jungen kraftvollen Flügeln sich hätte aufwärts schwingen sollen, begann der stürmische Kampf mit England. Wie oft war Frankreich während desselben in Gefahr, seine Selbstständigkeit zu verliehren. Ein Knabe, auf dem brittischen Throne gebohren, ward sein König, seine Fluren waren verödet, seine schönsten Provinzen vom Feinde überschwemmt, in mörderischen Schlachten ging die Blüthe seines Adels unter! Ungestümme Tapferkeit, kriegerischen Enthusiasm hervorzubringen, ward unvermeidlich das Geschäft der Nationalphantasie, und die christliche Religion erschien auch in diesem Kriege in Verbindung mit ihr, so wie überhaupt die Geschichte desselben und der Befreiung Frankreichs von den Engländern ein lebhaftes Gemälde von dem Charakter der Franzosen jener Zeit giebt. Eine Schwärmerin wie Jeanne d’Arc rührte eine doppelte Saite der französischen Phantasie, wie sie durch das Ritterwesen und die Religion gestimmt war, nämlich als ein heroisches Mädchen und ein religiöses Wunder. Darum waren die Folgen ihrer Erscheinung so erstaunenswürdig. Welches angenehme Beispiel von der Gewalt, welche durch die Gesänge der Troubadours und die Gerichtshöfe der Liebe edle und reitzende Weiber über das männliche Geschlecht erhalten hatten, und von dem heroischen Sinne, der ihnen selbst durch ihre Macht eingeflößt war, finden wir in der Gemahlin Karls des Siebenten und seiner Geliebten Agnes Sorel! Jene vergißt die Rachsucht, welche verschmähte Liebe und verletzte eheliche Treue ihr einhauchen konnten; um den Ruhm ihres Gemahls und der Nation nicht ganz umkommen zu lassen, stiftet sie die innigste Freundschaft mit der Nebenbuhlerin, um derentwillen sie verachtet wird, und diese droht auf den himmlischen Genuß, den ein feurig geliebter Monarch ihr darbeut, gänzlich Verzicht zu thun, wenn er unritterlich genug denken kann, einem siegreichen Feinde zu weichen.

Während diesem Kampfe mußte also die französische Phantasie alle Hoffnung aufgeben, in idealistischen Welten Eroberungen zu machen, um nur das Gebiet der irrdischen Wirklichkeit nicht verlohren gehen zu lassen: Leidenschaften zu wecken, war ihre Bestimmung. Nach dieser Periode wurden die italiänischen Kriege die vorzüglichste Beschäftigung der Nation. In Italien konnte die Phantasie nie ganz verwildern, ihre Ranken schlangen sich aufwärts an den unsterblichen Idealwerken des Alterthums; allein es war nicht zu erwarten, daß die Einbildungskraft der Franzosen in ihrer Nähe eine Zeitlang einheimisch werde. Selbst bei jener harmlosen Empfänglichkeit für die Kunst, durch welche sich die Griechen auszeichneten, wäre dies in einem solchen Kriege nicht möglich gewesen. Die Franzosen kämpften mit einem Himmel, dessen Einfluß ihnen tödtlich war, mit dem furchtbaren Hasse der Nation, mit der hinterlistigen italiänischen Politik, sie mussten für ihr Daseyn streiten. Was Wunder, daß ihre Phantasie, mit jenem leidenschaftlichen Hange, die Gegenstände in Italien ergriff, welche mit demselben harmonirten, nämlich das Sittenverderbniß der Italiäner. Das neapolitanische Übel war das Geschenk, welches ihnen das Schicksal aus Italien mitgab, anstatt des einzigen, was ihnen so noth war, anstatt einer Stimmung der Einbildungskraft für die Schönheiten der Kunst. Auch nachher traten keine Verhältnisse ein, welche sie ihnen hätten geben können. Hoffaktionen, die zu Nationalparthien wurden, bürgerliche Kriege, welche mehr als alle übrigen Ursachen die Leidenschaften zügellos machen, liessen der Einbildungskraft keine Ruhe; und als endlich der Despotism ganz siegte, man nun ein Zeitalter, wie das des Augusts in Rom, erwartete, war der Nationalgeist schon zusehr vom Kunstsinne entfernt worden, und überdies ward die Kraft des Staats noch in Eroberungs-Kriegen vergeudet. Wie sehr alles im französischen Charakter jetzt blos durch Leidenschaft bestimmt ward, zeigt die Bemerkung, daß jeder Krieg Ludwigs des Vierzehnten eine grosse Verändrung in dem Geschmack an den Künsten und Wissenschaften bewirkte. Nur in einer einzigen Kunst, die sich ganz an das wirkliche Leben anschließt, und die Leidenschaft durch ihr eigenthümliches Werkzeug, durch den menschlichen Körper darstellt, nur in der Schauspielkunst thaten sich die Franzosen besonders hervor: ihre stürmische Beweglichkeit erlaubte ihnen nicht, in dem feinen Äther der übrigen Künste Athem zu schöpfen.

Am stärksten springen die Züge, welche eine Phantasie, die nur an Leidenschaften gewöhnt ward, dem Nationalcharakter einprägte, vielleicht kurz vor der Thronbesteigung des Hauses Bourbon ins Auge. Mit einem Geiste der Schwärmerei, die sich eben so sehr in der Gesinnung gegen das weibliche Geschlecht, als in kriegerischen Unternehmungen, in Spielereien als im Ernste, im Wohlwollen gegen andere Menschen und in Weichheit des Herzens, als in Grausamkeit und Härte zeigt, trat die französische Nation in jenes Zeitalter, wo mit der Reformation eine neue Morgenröthe für Europa anbrach. Nirgends war ein stiller Gang, alles mußte stürmisch, ungewöhnlich seyn; an Tugend lag ihr wenig, alles an Enthusiasm und Kraftäusserung, das Laster reitzte sie nicht, aber die erfinderische Phantasie im Laster; Spott und Bewunderung, nicht Verachtung oder Achtung waren die Strafe und der Lohn, die sie austheilte. Das stille Feuer der Freundschaft ward durch Beschwörungen zur lodernden Flamme aufgetrieben, durch fürchterliche Eide gelobten sich die Jünglinge, in den Stürmen des Lebens sich nie zu verlassen; wenn der Freund abwesend war, that sein Genosse Verzicht auf jede Freude, er ließ seinen Bart wachsen, seine Gestalt mußte den tiefsten Kummer verrathen. Verbindungen, wie die zwischen Waffengenossen zur Zeit der Cehvalerie, waren noch allgemein, und der höchste Ruhm vornehmer Männer bestand darinn, wenn sie viele geachtete Gefährten hatten. Ausgelassener, als in der Freundschaft, war seiner Natur nach der Enthusiasm in der Liebe. Auf den Wink seiner Dame verwundete sich der Liebhaber mit einem Dolch, ließ sein Blut strömen, stürzte sich in den Strom dem gewissen Tode entgegen, wagte im Kampfe mit wilden Thieren sein Leben. Diese Schwärmerei erzeugte zugleich zwischen Verliebten einen Aberglauben, wie wir ihn in den Liebesgedichten der Römer finden. Die geheimen Kammern der Sterndeuter und Wahrsager waren mit dem vornehmsten Adel angefüllt, welcher begierig nach seinem Schicksale bei dem Betruge forschte; die von Hoffnung verlassene Liebe suchte durch Zaubertränke sich hier die Göttin gnädig zu machen, verschmähte Liebe hier durch Zauberkünste ihre Rachsucht zu befriedigen. Wie mancher Liebhaber, wie manche Dame war in der Einsamkeit beschäftigt, einem Wachsbilde, welches den geliebten Gegenstand darstellte, eine Nadel in das Herz zu stossen, das bisher unverwundbar gewesen war, oder es unter tausend Seufzern am Lichte herabschmelzen zu lassen. Der wilde Geist in der Liebe zerstörte jene Zartheit des Gefühls, womit das weibliche Geschlecht sich sonst von Gegenständen des Schreckens wegwendet. Die Königin Margaretha, Heinrichs von Navarra Gemahlin, ließ sich das blutende Haupt ihres hingerichteten Liebhabers La Mole bringen, benetzte es mit ihren Thränen, und bedeckte es mit Küssen. Schrecklich wüthete die Eifersucht zwischen beiden Geschlechtern, aber an wilder Rachsucht in Rücksicht auf jedes Vergehen, wodurch seine Ehre beleidigt ward, trug das männliche den Sieg davon. Von Eifersucht verfolgt, tödtete Villequier, ein Edelmann an Heinrichs des Dritten Hofe, im Louvre seine mit Zwillingen schwangere Gemahlin mit einem Dolch: seine Handlung war dem Geiste seiner Zeitgenossen angemessen, weil sie verwegen und von rasender Liebe erzeugt war. Vor allen andern trug den Ruhm, seine Rache für ein Vergehn seiner Gemahlin auf die ausserordentlichste Weise genommen zu haben, der Korse San Piedro davon, welcher in französischen Diensten stand. Sein muthiger Geist war durch Haß gegen die Genueser, die Unterdrücker der Freyheit seines Vaterlands, früh zu glänzenden Thaten getrieben, und Vanina Ornano, die Tochter des Vizekönigs, die schönste und reichste Jungfrau, gab dem Helden gern ihre Hand, welcher seine niedrige Herkunft durch seinen Ruhm längst hatte vergessen gemacht. Mit dem Gelübde, seinen Haß gegen Genua nie einschlummern zu lassen, ging er nach Frankreich, und erfocht sich hier unter Karl dem Neunten frische Lorbeern in den bürgerlichen Kriegen. Lange schon hatte er sich nach Konstantinopel hingesehnt, um den Feind der Christenheit zur Absendung einer Flotte gegen die Genueser zu bereden. Freudig sieht er endlich die Wimpel des Schiffs wehen, das ihn zum Großsultan bringen soll, aber unterdessen er bei diesem gegen Genua einen verderblichen Anschlag schmiedete, ist dieses schon im Begriff, den seinigen gegen ihn auszuführen. Man hatte sich nämlich an Vanina zu Marseille gewandt, und sie durch die Hoffnung, daß man ihren Mann begnadigen, und ihr alle ihre Güter wieder geben würde, zur Rückkehr in ihr Vaterland beredet. Auf der Reise ward sie von einem Freunde ihres Gemahls verfolgt und eingeholt, sie lebte unter der Aufsicht des Parlements zu Aix, als San Piedro zurückkehrte. Bei der ersten Nachricht von dem vereitelten Vorhaben seiner Gemahlin, stößt er einen Bedienten nieder, welcher um dasselbe gewußt hat, dann fliegt er nach Aix, fodert seine Gemahlin zurück, und, trotz den Warnungen des Parlaments, folgt ihm diese mit sorgloser, liebevoller Seele. Er findet sein Haus zu Marseille leer, Vanina hatte ihre Sachen schon eingeschifft gehabt; sein beleidigter Stolz erwacht von neuem, und er beschließt den Tod seiner Gemahlin. Glühend vor Rache verletzte er dennoch durch keine seiner Reden die Ehrfurcht, die einem edlen Weibe gebührt; indem er zugleich seinen Sklaven befahl, das ausgesprochene Todesurtheil zu vollziehen. Vanina zeigte, wie sehr sie jene Ehrfurcht verdiene, sie flehte ihren Gemahl nicht um die Erhaltung ihres Lebens, sondern bat ihn nur, daß er sie nicht von so unwürdigen Händen wolle sterben lassen, daß er selbst das Todesurtheil vollziehen möge. Schamvoll gab er den Sklaven Befehl, sich zu entfernen, kniete vor seiner Gemahlin nieder, und bat sie mit Thränen um Verzeihung, daß er sie so schimpflich habe wollen sterben lassen. Er ließ die Kinder ins Gemach kommen, damit sie ihrer Mutter das letzte Lebewohl sagen sollten; er schloß Kinder und Mutter in seine Arme, und weinte, und erdrosselte sein Weib! Die Kunde von seiner Handlung war schon an den Hof gekommen, als er selbst an demselben erschien. Er drängte sich durch den Schwarm, welcher den König umgab, riß sein Gewand auf und zeigte seine narbenvolle Brust mit den Worten: was nützt dem König und dem Staate das gute oder schlimme Verständnis des San Piedro mit seiner Frau? Seine Handlung blieb unbestraft. Nach dem Geiste des französischen Volks, welcher nur auf die Energie und das Ungewöhnliche einer That achtete, nicht auf die Güte derselben, mußte die Bewunderung erregen, und wiewohl sie von einem Ausländer in Frankreich verrichtet ward, bleibt sie doch ein Beleg für den Nationalcharakter der Franzosen.

Eine solche Beurtheilung menschlicher Handlungen, ein so leidenschaftlicher Schwung der Phantasie mußte schrecklich werden, wenn religiöser oder politischer Fanatism ihn gleichsam rechtfertigte. Da jene beiden Dinge bis auf unsere Zeiten nationell blieben unter dem französischen Volke, so zeigt uns die Zeitgeschichte, wie sie im Bunde mit dem letztern wirken. An sittliche Grundsätze ist auch jetzt bei den Handlungen der Franzosen nicht zu denken, ob sie teuflisch oder großmüthig seyn sollen, hängt von der Richtung ab, welche ihre Phantasie überhaupt genommen hat, oft von momentanten Bestimmungen derselben. Ihre Thaten sind entweder unter oder über dem gewöhnlichen Maßstabe; aber Energie ist fast immer in denselben sichtbar. Das Widersprechende darinn wird nur für den auffallend seyn, welcher vergißt, daß sie durch den Weg der Phantasie zur Nationalbildung kamen. Religiöse Schwärmerei wirkte unter ihnen oft auf diefelbe Weise, wie jetzt die politische; sie rief dieselben Erscheinungen des französischen Charakters hervor. Ein Blick auf das schrecklichste Schauspiel, das sie gab, auf die Bluthochzeit, lehrt uns die Wahrheit dieser Bemerkung, und einige Züge aus derselben, wodurch wir zugleich lebhaft an den Geist der ersten Bildungsepoche erinnert werden, können dazu dienen, den französischen Nationalcharakter anschauender darzustellen.

Eine Sommernacht hatte der Fanatism der Katholiken und des Despotism des Hofes dazu auserlesen, um in ihr die Hugenotten zu vertilgen, nachdem durch Ermordung des Greisen Koligni der Anfang des Blutbades gemacht war. Sobald mit einer Glocke im königlichen Pallaste das Zeichen gegeben war, sollten Fackeln vor alle Fenster gebracht werden, damit nicht nur das Ohr durch das Winseln der Sterbenden, sondern auch das Auge durch den Anblick ihrer Qualen vergnügt werde; die Katholiken mit dem Mordstal in der Hand, wollten sich einander an der Farbe der Unschuld, an einem weißen Tuch erkennen, das um den linken Arm gebunden war. Eine grausenvolle Stille ruhte auf der Hauptstadt, sorglos legten sich die Protestanten zum Schlummer hin; ein solches Gewitter, wie über ihren Häuptern schwebte, konnten sie nicht ahnen, wenn sie nicht allen Glauben an die Menschheit verlohren hatten. Es bedurfte nur einer einzigen menschlichen Empfindung in einer einzigen Brust, im Herzen des Königs, und der Sturm verzog sich, und tausende sind gerettet, und die Menschheit ist nicht entehrt. Einer von den Anführern der Protestanten, dessen Name auch auf der Todtenliste steht, der Graf La Rochefoucault ist noch spät am Abend bei dem jungen Könige, welchen er durch die Anmuth seiner Sitten bezaubert hatte. Wehmüthig sucht ihn dieser zurück zu halten, als er weggehen will; er weigert sich zu bleiben, gern hätte es ihm Karl befohlen, aber er zittert vor der Entdeckung der Verschwörung, und läßt seinen Liebling zum Tode gehn. Von bangen Ahnungen verfolgt erwartet er die Stunde, wo auf seinen Wink das Blut seiner fleissigsten Unterthanen durch Mörder soll vergossen werden; aber seine Mutter stand wie eine Furie der Unterwelt neben ihm, und vertilgte durch das Gift ihrer Rede jedes menschliche Gefühl in seinem Busen. Durch Drohungen und Thränen erpresste sie von ihm den Befehl, daß das Zeichen zum Morde gegeben werden soll. Er eilte nach einem Zimmer am Thore des Pallastes, und sahe zitternd in die Natur hinaus. Die Ruhe der Sommernacht scheint jeden Sturm menschlicher Leidenschaft besänftigen zu müssen; nur Ein Säuseln von dem Geiste des Friedens, der in ihr herrscht, im Busen dieses Menschen, der sie wild anstarrt, und die Bürger der Hauptstadt werden sich von ihrem Lager am Morgen glücklich erheben, wie sie dasselbe am Abend bestiegen. Aber Katharina und ihr Lieblingssohn, der Herzog von Anjou, drängen sich, wie Dämonen, gewaltsam zwischen Karln und die Natur. Da ertönt der erste grässliche Schlag der Todtenglocke im Pallast! Karl zitterte, als würde der erste Schuß ihn treffen; die Schläge der Glocke werden immer schneller und schneller, Todesschweis dringt auf Anjous Angesicht hervor, schauerlich steigt das Getöse der Glocken, der erste Pistolenschuß fällt, und Katharina selbst erblasst; jetzt zum erstenmal fühlt sie, daß sie eine Verbrecherin sei. Karl und Anjou und Katharina laufen wie betäubt gegeneinander. Der König ruft, man solle zu Franz von Guise schicken, daß man gegen Koligni nichts unernehmen, kein Blut vergiessen sollte; aber zu spät ist die Menschheit in seinen Busen zurückgekehrt, schon wütete allenthalben die Mordsucht. Bald glich er auch selbst dem wildesten Mörder an Wildheit, er schoß aus dem Fenster auf die vorbei eilenden Hugenotten, er zog mit seinem Hofe durch die Straßen von Paris und weidete seinen Blick an den Mordszenen. Mit der Grausamkeit vereinigte man Spott. Lasset zur Ader, zur Ader, war das Kriegsgeschrei vieler Katholiken, im August soll das Aderlassen heilsam seyn, wie im Mai! Kinder erwürgten die Säuglinge in der Wiege, und die Hofdamen standen in Gruppen bei den Leichnamen der ermordeten Edelleute, mit denen sie Buhlerei getrieben hatten, und machten mit Gelächter Anmerkungen über dieselben.

Mitten unter diesen Handlungen der Frivolität und Grausamkeit erinnert die That des braven Vezins, eines Edelmanns aus Querci, an den biedern Sinn, der in jenen Zeiten herrschte, als auch der Grund zu der Wildheit der Phantasie gelegt ward, die jene Mordszenen veranlaßte. Er lebte mit seinem Nachbar Regnier, einem Reformirten, in einer solchen Feindschaft, daß er ihm schon öfters den Tod geschworen hatte. Beide waren zur Zeit der Bluthochzeit in Paris. Sein entblößtes Schwert in der Hand, stürmte Vezins, von Soldaten begleitet, in Regniers Zimmer und rief ihm mit rauher Stimme zu, folge mir! und sein Gegner folgte mit zitterndem Schritte. Er fürchtete zum Tode geführt zu werden, und mußte zu seinem Erstaunen ein kostbar aufgeschirrtes Pferd besteigen. Unter einer Begleitung von fünfzehn Reutern ward er nach Querci gebracht, Vezins ritt mit ihm nach seinem Schlosse. Nun seid in Sicherheit, sagte er zu ihm; kein tapfrer Mann muß durch Meuchelmord sterben. Darum rettet ich euch aus dem Blutbade. Wenn ein tapfrer Mann Rache nimmt, so muß er die Gefahr mit seinem Feinde theilen. Wollt ihr so, wie es einem Ritter geziemt, den Streit mit mir endigen, ich bin dazu bereit! Regnier konnte nichts erwiedern, als dankbare Äusserungen, als Bitten um Freundschaft. Hasset oder liebt mich, sagte Vezins, das steht bey euch; meine Pflicht war es euch zu retten, damit ihr zwischen Liebe und Haß gegen mich wählen könntet! Er gab seinem Rosse die Sporen und verschwand; das kostbare Pferd, auf welchem er Regnier nach Querci gebracht hatte, ließ er ihm zum Geschenke zurück.

Auch in den neuesten Zeiten blieb am Charakter der Franzosen das Gepräge, welches ihm die Phantasie aufdrückte, immer sichtbar, und so deutlich, daß sehr oft noch Spuren von jenen Mitteln erscheinen, durch welche die Einbildungskraft zuerst auf ihn wirkte. Spuren von ihren ersten Schicksalen. Ein Geist der Chevalerie belebte stetes den edleren Theil der Nation: trotz aller der Hindernisse, welche unsre Art, Krieg zu führen, dem Heroism von Einzelnen entgegenstellt, zeigte sie eine ritterliche Tapferkeit in ihren zahlreichen Kriegen. Selbst auf die französische Litteratur leidet jene Bemerkung die Anwendung. Wie in den Zeiten der Troubadours, blieben immer Gesänge der Liebe der vorzüglichste Theil der Poesie der Franzosen; Erzählungen, die einen gleichen Geist athmeten, wie die Erzählungen zur Zeit der Gerichtshöfe der Liebe, waren immer ein schöner Schmuck ihrer Litteratur; und seit jener Epoche zeichneten sie sich vor allen übrigen Nationen in der Erforschung des menschlichen Herzens aus. Sehr genau hängt auch das französische Trauerspiel mit jenem allgemeinen Geiste zusammen. Weil die Einbildungskraft von dem bürgerlichen Leben gefesselt ward, und sich zu keinen Idealschöpfungen der Kunst erhob, mußte sie in leidenschaftlichen Gefühlen und glänzenden Maximen ihre Kraft äussern. Der Alexandriner war ganz dazu geschaffen, den Glanz derselben durch seinen stolzen Klang zu vermehren. Jenes Auffassen von Individualität, welches zu sehr Künstlersinn voraussetzt, war um so weniger von den tragischen Dichtern der Franzosen zu erwarten, da eine gewisse Weise zu empfinden zur allgemeinen Bestimmung des Nationalcharakters ward. Aus diesem letztern Grunde wirkt das französische Trauerspiel unter andern Nationen vorzüglich nur auf solche Menschen, die ihre Individualität in einer allgemeinen Form des Gefühls, welche dem Stande, zu welchem sie gehören, eigenthümlich geworden ist, verloren gehen liessen.

Weil jener Charakter, den die Franzosen bei ihrer ersten Bildungsepoche erhielten, sich den damaligen Staatsverhältnissen gemäß über die ganze Nation ohne große Schwierigkeiten verbreiten konnte, bekamen alle Stände derselben durch ihn mehr Gleichheit in ihrer Art zu denken und zu fühlen, als bei andern Nationen, obgleich es unmöglich war, daß er sich nicht auf verschiedne Weise bei verschiednen Volksklassen hätte modifiziren sollen. Die beiden Hauptmodifikationen desselben waren diese. Die Nationalphantasie äusserte sich entweder in einer hohen romantischen Stimmung, die für jeden großen Eindruck empfänglich macht, oder in einer Beweglichkeit der Seele, die sich nur um Kleinigkeiten, aber doch in dem Kreise eigner Erfindung umherdreht. Frivolität, welche die französische Nationalphantasie der Entwicklung ihres Schicksals nach bald ansteckte, ward bei beiden Modifikationen bemerkbar. Hiedurch flossen die Erscheinungen von beiden noch mehr in einander, da schon die Phantasie ihrer Natur nach und dem Leichtsinne gemäß, welcher sie gewöhnlich begleitet, wenn sie Herrscherin ist, einen ewigen Wechsel in den Charakter bringt. Jene Koketterie in Liebeleien, jener unermüdete Eifer, neue Moden zu schaffen, jenes Gefallen an witzigen Einfällen, die statt der gründlichsten Wahrheit gelten; jene Geschmeidigkeit im Gehorchen, waren mit dem Enthusiasm der Liebe, der Empfänglichkeit für erhabne Ideen und große Erfindungen, der Theilnahme an tiefer Untersuchung der Wahrheit, dem Hange zur Unabhängigkeit, und dem kraftvollen Auflehnen gegen Druck, Früchte desselben Baumes. Wo Phantasie den Nationalcharakter auf eine solche Weise, wie bei den Franzosen bestimmt hat, müssen diese sich einander widerstrebenden Eigenschaften nothwendig erscheinen, muß ein chaotischer Kampf zwischen allen Fähigkeiten der Menschheit seyn, der nicht heer endigen wird, als bis der Geist der Kunst über dem Chaos schwebt, und die Schönheit ihren Ätherschleier über dasselbe ausbreitet.

Auf ein Publikum, das aus zwei solchen Klassen bestand, mußten Männer, wie Voltaire und Rousseau, denen man den ersten Platz unter den Schriftstellern anweiset, welche der jetzigen Revolution vorgearbeitet haben, hinreissend wirken. Jener war vorzüglich für die erste, dieser für die zweite jener Klassen geschaffen, obgleich keiner ausschliessend einer derselben angehörte, so wie diese beiden gleichfalls in einander flossen. Durch eine bezaubernde Phantasie, die sich gewöhnlich in eine frohe und spottende Laune ergoß, und sich am liebenswürdigsten in kleinern Erzählungen zeigte, welche so witzig in der Erfindung als Ausführung sind, musste Voltaire um so unwiderstehlicher für seine Leser werden, da er nicht vergaß Empfindung und Forschungsgeist so viel zu beschäftigen, als ihr Bedürfniß es erfoderte, und zugleich jenen Hang zur Frivolität, welcher so früh in den französischen Nationalcharakter kam, nicht ungeschmeichelt ließ. Wäre es noch nöthig gewesen, bei seinen Lesern irgend einen Argwohn gegen seine Lehre zu vertilgen, so hätte es der Ruhm thun können, welchen er sich als Vertheidiger der Unschuld erwarb. Zauberisch wirkte Rousseau auf den edleren Theil der Nation. Das romantische Licht, welches über seine Darstellungen der Liebe verbreitet ist, beleuchtete jenen Heroism dieser Leidenschaft aus den Zeiten der Chevalerie, welcher sich nicht aus Frankreich verloren hatte. Wie viele Seelen, in welchen noch ein Funke von jenem Geiste verborgen lag, geriethen in Flammen bei den Briefen seiner Heloise! Wie viele gelobten nicht jede Aufopferung zugleich für die Tugend und für die Liebe, wenn sie die Schilderung von dem letzten Sturme, in welchem die wiederkehrende Liebe zu den beiden Liebenden kam, mit voller Empfindung lasen! Erhabener kann kein Gemälde seyn, als dieses von dem Siege der Sittlichkeit über eine Leidenschaft, die schon Jahre hindurch gewütet hat, und die Liebenden von neuem mit Gewalt ergreift, als sie in nächtlicher Stille, eingeschlossen in einem Rachen, auf den schwellenden Wogen des Genfer Sees, kaum der Lebensgefahr entflohn, in die Wohnung zurückgetragen wurden, welche der Tempel ihrer Tugend und das Grab ihrer Leidenschaft seyn mußte! Dieselben Seelen, welche sich von der einfachen Hoheit dieser Szene ergriffen fühlten, waren diejenigen, auf welche Rousseaus Darstellung des Naturstandes am meisten wirken, auf welche das einfache Staatsgebäude, das er errichtete, den größten Eindruck machen mußte. Unterdeß Voltaire über den gegenwärtigen politischen Zustand spotten lehrte, zeigte er in der Ferne das einfachste System des Staatsrechts. Ein Volk, das so leidenschaftlich begehrt wie das französische, bedurfte nur eines solchen Anblicks, um theils mit frivoler Leichtigkeit, theils mit Enthusiasm für große, wohlthätige Ideen, alles um sich her niederzureissen. Doch schien es unvermeidlich, daß aus einem solchen Charakter sich die Stimmung, in welcher das Zerstören geschah, nicht schnell verlöre, und er sich alsdann wieder in die alten Verhältnisse schmiegte. Allein gerade in diesem Hange zur Veränderlichkeit lag wiederum ein Mittel, die Revolution mit ihren Folgen fortdauernd zu machen. Äusserst glücklich und nothwendig war daher die schreckliche Idee, daß man dem Augenblicke der Revolution gleichsam Fortdauer geben, und den Zustand während derselben auf eine Zeitlang zur förmlichen Staatsverfassung machen wollte. Überhaupt zeigen die Mittel, durch welche in unsrer Zeit jener furchtbare Enthusiasm der Franzosen hervorgebracht wurde, daß auf ihre Phantasie vorzüglich gewirkt werden muß, und daß man durch diese so leicht bei ihnen Leidenschaft hervorrufen kann. Weil es aber unmöglich ist, daß ein solcher Revolutionszustand ewig dauert, so ist es rathsam auf das Resultat zu merken, welches uns die Geschichte des französischen Nationalcharakters für die Zukunft giebt, daß nämlich, wenn die republikanische Verfassung in Frankreich fortdauern soll, sie unter keiner andern Bedingung bestehn, und nie einen wohlthätigen Einfluß auf den Geist der Nation und auf die Menschheit haben kann, als wenn es dem Schicksale gefiele, die Phantasie des Volks von Leidenschaften allmählig zum Kunstsinne hinzuführen. Ästhetische Erziehung ist die einzige, welche für die Neufranken noch Nutzen haben kann; nur durch die Kunst können sie fähig gemacht werden, Republikaner zu seyn, unmöglich durch philosophische Raisonnements, Frankreich muß erst zum Garten der Schönheit werden, zuvor die Früchte der Freiheit in ihm reifen sollen; aber ehe es dazu bereitet wird, wie oft kann unterdeß das Gebäude, welche die zuvoreilende Vernunft im Bunde mit der Leidenschaft hier errichtet hat, durch diese letztere zerstört werden!

Man kann dieser Revolution nicht gedenken, ohne sich an zwei Züge im Charakter der Franzosen zu erinnern, an ihre gesellige Nationaleitelkeit, und an die Liebe für ihre Könige, wodurch sie sich sonst vor allen übrigen Nationen hervorthaten. Jene trug sehr viel dazu bei, daß die Revolution gegen auswärtige Mächte behauptet ward, diese verwandelte sich durch dieselbe in die ihr entgegengesetzte Leidenschaft. Den Keim von diesen beiden Charakterzügen muß man in Zeiten suchen, die über jene angegebene Bildungsepoche hinausgehen, obgleich er durch dieselbe und ihre Folgen neue Lebenskraft erhielt. Schon die erste Kunde, welche wir über den Zustand des heutigen Frankreichs erhalten haben, zeigt uns hier ein Völkersystem, welches eine neugierige Geselligkeit und Nationaleitelkeit hervorbringen mußte. Die vielen kleinen Völkerschaften, die hier lebten, waren durch das Band, welches zwischen dem Beschützer und dem Beschützten ist, aneinander geknüpft, indem sich mehrere schwache unter ihnen an eine mächtige anschlossen, und durch ihren Beitritt dieselbe stark genug machten, sie zu vertheidigen. Es war natürlich, daß das Verhältniß zwischen den Völkervereinen, die auf diese Weise entstanden, sehr wechselte, je nachdem die kleinen Völkerschaften sich bald in diesen bald in jenen Schutz begaben. Daher war Streit zwischen ihnen Schutz begaben. Daher war Streit zwischen ihnen unvermeidlich, und hieraus floss wieder ein Interesse für jede Gegend Frankreichs zu wissen, was in der andern vorging. Man hatte deshalb die Einrichtung getroffen, daß sich, sobald irgendwo etwas geschah, das bedeutend war, ein Mann auf das offne Feld stellte, es mit lauter Stimme verkündigte, und seinem Beispiel ununterbrochen gefolgt wurde. In kurzer Zeit konnte man dadurch im Norden wissen, was sich im Süden ereignet hatte. Wenn ein Fremdling an einen Ort kam, so umströmten ihn die Bewohner desselben, und forschten bei ihm nach Neuigkeiten. Die gegenseitige lebhafte Theilnahme, welche so an den Thun aller Bewohner des Landes entstand, brachte bei denselben ein Vertrauen auf sich selbst hervor, das gewöhnlich die Begleiterin der Geselligkeit ist. Durch diesen häufigen Verkehr entsprang zugleich eine gewisse Kultur, welche sie vor den übrigen angränzenden Barbaren auszeichnete: mit Hohn blickten die Gallier zu Cäsars Zeit auf die rohen Germanen herab. Dieses Verhältniß zwischen Gallien und Germanien dauerte auch nach der Völkerwandrung fort. Die kultivirtesten der germanischen Horden kamen nach Frankreich, ihre in der Heimath gebliebenen Brüder waren bald an Kultur weit hinter ihnen zurück. Früher, als irgend ein andres Land, arbeitete sich der französische Staat aus der Feudalaristokratie hervor, und die italiänischen Städte ausgenommen, gedieh in ihm der dritte Stand am schnellsten und am schönsten. Mächtiger als irgend ein andrer konnte er daher auftreten, als das gegenwärtige politische System zwischen den europäischen Mächten seinen Anfang nahm. Durch seine Könige wurde Italien der erste Zankapfel derselben. Wie staunte man am Ende des fünfzehnten und im Anfange des sechszehnten Jahrhundertes über den Muth, den rastlosen Geist, die Kraft der Franzosen in Italien; wie sehr stieg die Bewunderung der französischen Chevalerie, welche man schon vorher als die Zierde der Ritterschaft anerkannt hatte, durch die italiänischen Kriege! Eines Ruhms, wie ihn Ritter Bayard ohne Furcht und Tadel besaß, konnte sich kein Ritter andrer Nationen erfreuen. Sobald ein grösserer Verkehr zwischen den europäischen Nationen hervorgebracht war, mußte der Eindruck, welchen der französische Nationalcharakter auf andere Völker machte, der Nationaleitelkeit schmeicheln, denn weil er von der Phantasie ausgegangen war, so vereinigte er in sich jene Eigenschaften, die am allgemeinsten und am schnellsten wirken. Durch ihn wurden die Vortheile erhöhet, die Frankreich seiner Lage und seiner physischen Beschaffenheit nach hatte, um die erste politische Rolle spielen zu können. Er erhielt denselben Einfluß auf andere Nationalcharaktere, welchen das französische Cabinet auf die übrigen Cabinette bekam. Die Eitelkeit der Nation mußte mit diesem Einflusse steigen, und einen hohen Gipfel erreichen, sobald die allgewaltige Mode, durch den Luxus eingeführt, vor ihr den Szepter senkte, damit sie durch denselben andre Nationen regieren sollte. Es war ferner natürlich, daß aus ihr eine grobe Unwissenheit in allem, was nicht ihre Heimath anging, allmählig entstand, und diese Ignoranz diente dann wieder dazu, um die Eitelkeit zu vermehren. Zum Unglück war noch stets das alte Verhältniß gegen Deutschland, dessen Bewohner durch ihre Verfassung immer mehr gehindert wurden, als Nation gegen die französische mit Ruhm aufzutreten, dessen Bewohner durch ihren daher entspringenden Mangel an Gemeinsinn geneigter wurden, den Anmaßungen ihrer Nachbarn zu fröhnen. Schwer ruhte auf diesen dagegen die Hand des Despotism, dessen Politik es aber erfoderte, der Nation, statt Glückseligkeit blendenden Glanz zu verleihen; eine neue Quelle für die Nationaleitelkeit!

Ein Volk, das einmal durch Eitelkeit hingerissen war, mußte natürlich, so wie es auf alles eitel seyn wird, vorzüglich auf seinen König eitel seyn. Schon darum ließ es sich begreifen, warum die Franzosen ihre Monarchen schwärmerisch verehrten; ihre eigne Eitelkeit fand ihre Rechnung bei dieser Liebe. Doch lassen sich individuellere Ursachen von diesem Charakterzug auffinden. Durch die Könige war zuerst das Elend gemildert, welches die Feudalaristokratie über die Nation gebracht hatte, durch ihre Hand wurde offenbarer, wie in irgend einem andern Lande, dem dritten Stande emporgeholfen; sie erhielten dafür die Liebe desselben, welche um so wichtiger war, je sicherer er zuletzt den Ton für die Nationalmeinung angiebt. Al sich durch das Ritterwesen, durch die Troubadours, durch die Gerichtshöfe der Liebe ein phantastischer Geist über Frankreich verbreitet hatte, fand er seinen glanzvollsten Sitz am Hofe, dessen Mittelpunkt die Person des Königs war. Sicher hat auch der Thron irgend eines andern Volks nicht so viele Männer von erhabenem Charakter oder wenigstens schimmernden Vorzügen aufzuweisen, als der französische. Wo war bei irgend einer andern Nation ein Monarch, der ein solches Ideal von Liebenswürdigkeit, wie Heinrich von Navarra, in sich darstellte, so unwiderstehlich die Herzen fesselte? Es bedurfte nur eines einzigen solchen Königs, wie er war, und die Nachfolger konnten lange von dem Kapital der Volksliebe zehren, das er dem Throne erworben hatte. Er lebte ferner gerade in dem Zeitpunkte, wo sich der Rittergeist und der Bürgersinn immer mehr voneinander schieden; und zum Vortheile der Krone besaß er Humanität genug, um diesen zu schonen, ritterliche Vorzüge und Achtung für den Werth des Adels genug, um jenen für sich zu gewinnen. So bestach er durch sein Leben die Herzen aller Volksklassen für sich, und setzte durch seinen Mitleid erregenden Tod ein Siegel auf diese Volksliebe, das keine frevelnde Hand abzureissen wagte. Nachdem die Könige keinen Kampf mit den Ständen mehr zu bestehen hatten, und nun die Hoffaktionen die Parthie im Staate ausmachten, welche sich gegen sie auflehnten, so kam alles zusammen, um die Nation auf die Seite der ersten zu ziehen; und als endlich der stolze Adel durch die Fesseln der Pracht, Wollust und Königsgunst an den Hof gefesselt war, fand sie hier wiederum allen Nationalglanz vereinigt. Der König regierte den Hof, der Hof die Hauptstadt, und was man in Paris bewunderte, welches der Vereinigungspunkt aller Talente in Frankreich wurde, das bewunderte man auch in den Provinzen. Auffallend ist es freilich, daß jenes ursprüngliche Elend, welches die Könige und ihr verpesteter Hof über Frankreich brachten, nicht die persönliche Achtung der erstern schwächte; allein man darf nicht übersehn, daß sehr oft ihre Gemahlinnen Urheber desselben waren, welches die Franzosen auch nie vergaßen, und daß man allen Haß um so lieber auf jene warf, je häufiger sie Ausländerinnen waren. Den König selbst traf ferner erst dann der Unwille der Nation, wann dieser seine erste Wuth an den Ministern gekühlt hatte. Solange die Erbitterung der Unterthanen noch gegen ein ungeheiligtes Ziel stürmen konnte, wagte sie sich nicht an die geweihte Majestät; Ministerdespotism, welcher durch keine Vorurtheile geschützt ward, war soviel unerträglicher, als alle Willkühr der Könige! Dann erst, als die Könige selbst den heiligen Schleier zerrissen, der sie umgab, als man anfing, sich Spott über sie zu erlauben, als die beiden letzten unter ihnen durch keine glänzenden Vorzüge mehr einnahmen, als das Raisonnement die Leidenschaft für sich gewann, war ihr Sturz unvermeidlich; und schwer würde es jetzt halten, das Band der zerrissenen Liebe für den Monarchen wieder zusammen zu knüpfen, wenn auch eine preißwürdige Reihe von Regenten den französischen Thron in der Zukunft schmücken sollte.

Nach allem bisher gesagten, kann es keine Verwunderung erregen, daß, ungeachtet der Flüchtigkeit des französischen Nationalcharakters, sich doch bei keinem andern so allgemeine Bestimmungen, so sichere Gränzen für das veränderlichste im bürgerlichen Leben, für das schickliche in Sitten und Meinungen finden. Weil die erste Kultur, welche die Nation erheilt, sich allgemein verbreitete, weil die Beschaffenheit derselben sie vorzüglich auf alles das bringen mußte, was in das Gebiet des Schicklichen gehört, weil endlich der Depotism auch über dieses so seine Herrschaft erstreckte, wie es in keinem andern Staate geschah: so konnte es nicht fehlen, daß bestimmte Nationalmaximen über das Schickliche aufkamen. Nirgends wird die Macht derselben sichtbarer, als wenn man die Verschiedenheit des komischen Schauspiels der Franzosen von dem andrer Nationen bemerkt. Die komischen Schauspieldichter der Britten und der Deutschen haben keinen gemeinschaftlichen Gesichtspunkt, aus welchem sie mit dem größten Theile ihrer Nation den Gegenstand ihrer Darstellung betrachten könnten. Wenn sie auch noch so lächerliche Züge aufhaschen, wird es ihnen doch schwer, sie für ihre Leser lächerlich darzustellen, weil diese zuvor auf den individuellen Standpunkt müssen versetzt werden, von welchem sie selbst beobachteten. Es giebt kaum eine andere Übereinkunft, als welche in der menschlichen Natur gegründet ist, zwischen ihnen und ihrem Publikum, daß und warum etwas lächerlich sey. Die Verlegenheit, in welche sie dadurch gerathen, verführt sie dann gewöhnlich, daß sie Leidenschaften, daß sie das Laster zum Stoffe ihrer komischen Darstellung nehmen. Abgerechnet den Nachtheil, welchen es für die Sittlichkeit haben muß, wenn man lernt, über dasjenige, was verderblich und hassenswürdig ist, zu lachen, sind es doch eigentlich nur die Manieren, welche der komischen Darstellung eigenthümlich geweiht seyn können. Wie fein ist dies von den besten komischen Schauspieldichtern der Franzosen beobachtet worden! Über die Personen, die sie aufführen, lacht man nicht so sehr, weil sie solche Menschen sind, als weil sie sich als Nichtfranzosen zeigen. Nur in einem Lande, wo es so allgemeine Maximen über das Schickliche, wie in Frankreich giebt, ist ein solches komisches Schauspiel möglich. Der Charakterzug also, welcher der französischen Tragödie verderblich war, wirkte vortheilhaft auf ihre Komödie. Bei den mächtigen Empfindungen, welche das Trauerspiel beleben müssen, ist es unerträglich, wenn ihnen eine andre Gränze, als die der Kunst überhaupt, vorgeschrieben ist; der mäßige Geist des Lustspiels bedarf keines weiten Kreises. Keine Nation wird in ihm der französischen so wenig gleichkommen, als die deutsche, welcher ja Nationalcharakter selbst in den grobern Verhältnissen fehlt.

Also auch hierin sind die Franzosen und Deutschen einander entgegengesetzt, so wie fast alle Züge in dem Charakter beider Nationen sich einander widersprechen. Um so mehr aber wird die Wißbegierde gereizt zu wissen, welchen weltbürgerlichen Werth beide Nationalcharaktere haben, welche Rolle sie spielen in Hinsicht auf den Plan, den die Natur für die Menschheit entwarf. Durch gesellschaftliches Leben, durch Staaten, welche theils in ihrer innern Verfassung, theils in ihrem Verhältnisse gegen einander sich immer vollkommner ausbilden, können wir einzig zur Entwicklung unsrer Anlagen, zur Humanität gelangen. Bei allen Völkern des Alterthums war es der Natur nicht gelungen, einen Staatenverein zu bewirken, welcher den Schein der Legalität hatte; der erste große Versuch, der in dieser Rücksicht gemacht ward, verunglückte so, daß ein einziges Volk, das römische, alle übrigen verschlang. Sobald aber dieses den Untergang, welchen es verdiente, durch den Sturm der Völkerwanderung gefunden hatte, und nun germanische Horden über die schönsten Provinzen des gefallenen Reichs ausgeströmt wurden, war schon durch die ähnliche Verfassung in den verschiedenen Staaten ein festeres Band zwischen ihnen geknüpft. Bis dahin hatten Frankreichs und Deutschlands Bewohner gleiches Verdienst in weltbürgerlicher Rücksicht. Allein es schien, als liebte die Natur den Kontrast in der verschiednen Entwicklung der germanischen Stämme, die nun anfing. In Gallien bildeten sie ihren Charakter mit der größten Individualität aus, unterdessen die in der alten Heimath zurückgebliebenen in solche Verhältnisse kamen, daß sie kaum Eine Nation wurden, wenigstens keinen bestimmten und allgemeinen Nationalcharakter gewannen. Demnach bleibt es unverkennbar, daß selbst ihr so formloser Charakter vielleicht einen größeren weltbürgerlichen Werth hat, als der starkgezeichnete französische. Das deutsche Volk steht in der Mitte Europens, zuwenig eigenthümlich ausgebildet, als daß es nicht jede Entdeckung in den Wissenschaften und Künsten, welches Nationalgepräge sie auch tragen mag, sich zueignen, und indem es ihr die Nationalindividualität nimmt, mit einem weltbürgerlichen Stempel für die Menschheit bezeichnen könnte. Deutschland ist gleichsam das Magazin des erhabenen Genius, welcher die Menschengeschichte leitet, in das er die aus allen Gegenden zusammengeholten Schätze niederlegt. Wie wir durch den Mangel an Individualität weltbürgerlichen Werth besitzen, so die Franzosen durch ihren stark ausgearbeiteten Charakter. Durch ihn erhielten sie das Übergewicht über andere Völker, und brachten einen häufigern Verkehr zwischen denselben hervor; durch ihn wurden sie über die Gränzen ihres Reichs getrieben, um Flammen des Enthusiasm andern Nationen mitzutheilen; durch ihn gaben sie der Wahrheit ein Feuer, das durch alle Nebel der Vorurtheile drang, bewaffneten sie die Leidenschaft für die Vernunft, welche ohne die Hülfe derselben die menschliche Trägheit nimmermehr überwinden wird. Die Deutschen werden erst in der Zukunft, wann alle Nationen sich mehr wie Weltbürger, als wie Individuen betrachten, den verdienten Ruhm davon tragen. Alsdann wird man ihre Verfassung, welche jetzt so oft das Ziel des Spottes und der Verwünschung ist, gern segnen, weil vorzüglich durch sie wir geschickt wurden, so früh Weltbürger zu werden; dann wird man einsehen, daß wir als Nation aufgeopfert wurden, um einer höheren Pflicht desto leichter nachkommen zu können. Die Franzosen empfangen zugleich mit dem Verdienst, das sie sich um die Menschheit erwerben, den Lohn dafür; je mehr sie ihren Nationalruhm ausbreiten, desto höher steigern sie auch jenes Verdienst; es ist Ein Opfer, welches sie ihrer Eitelkeit und ihrer kosmopolitischen Pflicht darbringen. Mit je grösserer Selbstverleugnung wir hingegen Nationaleitelkeit von uns entfernen, desto pflichtmäßiger handeln wir als Weltbürger. Wunderbar muß für den erhabenen Plan der Natur in Hinsicht auf unser Geschlecht der Versuch wirken, welchen die Neufranken machen, um Ideen, von welchen manche offenbar ein kosmopolitisches Gepräge tragen, für ihre Individualität in Ausübung zu bringen; wohlthätiger aber für die Menschheit werden dieselben gewiß durch die Verarbeitung seyn, welche die Deutschen ohne Zweifel mit ihnen vornehmen. Sollte eine Morgenröthe der Kunst in Frankreich anbrechen, wenn die Nacht der Anarchie verschwindet, dann Heil dem Verhältnisse, in welchem es bisher zu Deutschland stand! ein Schimmer derselben wird sich bald über unsern Horizont verbreiten; und dann dreimal Heil jenem hehren Zeitpunkte, wann nun die Schönheit, wie einen feurigen Nordschein, ihr Licht über den Himmel von Gallien und Germanien ausströmet. Immerhin möchte alsdann eine neue fränkische Universalmonarchie aus beiden Staaten errichtet werden!

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