HomeDie Horen1795 - Stück 7V. Der Dorfkirchhof. [K. L. von Woltmann]

V. Der Dorfkirchhof. [K. L. von Woltmann]

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Nie goß das Abendroth den Purpurschein
Auf eine Ährenflur mit solcher Milde,
Nie sank die Nacht auf einen Blütenhain
So lieblich, wie auf diese Schneegefilde.

Wie zauberisch sich Dämmerung und Licht
Um die Natur im Winterkleide streiten,
Und zum Gesträuch, wo kaum ein Lüftchen spricht,
Die Schatten sanft ergrauend niedergleiten:

Wo magischer als je der Elfen Chor
Im Tanz dahin auf glatter Erde säuselt,
Und geistiger als je ein Nebelflor,
Wie ihre Tänze gehen, sich folgsam kräuselt.

Sie hören nicht, wie dumpf die nahe Nacht
Vom weißen Thurm der Glocken Klang verkündet,
Indeß ihr Blick von leichter Freude lacht,
Und sich ihr Reihentanz um Gräber windet.

Sie schauen nicht das längst bemooste Mahl,
Das dort gebückt den Schnee vor sich verdüstert,
Vernehmen nicht, wie hier im Abendstral
Ein Band der Jungfraun Todtenkreuz umflüstert.

O stille Pracht! hier schlummert die Natur
Auf Grüften sanft bei frommer Menschen Seelen,
Die ferne von der Leidenschaften Spur
Sich hier verloren in die düstern Höhlen.

Sie schlummern tief im kalten Erdengrund,
Wie sonst am Winterabend in der Hütte
Beim Heerde, wo der Hinterlaßnen Bund
Jetzt ihrer denkt, die Flamm’ in seiner Mitte.

Zum wohlbekannten lenkt sich ihr Gespräch,
Dem dennoch alles lauscht mit stillen Zähren,
Wie jener Greis auf herbstlich ödem Weg,
Und diese Jungfrau starb zur Zeit der Ähren:

Wie jenen Mann der schwarze Leichenzug
Beim Nachtigallenlied in Blütengängen,
Und seine Frau durch Schnee zum Kirchhof trug,
Begleitet von der Schule Grabgesängen.

Und mancher Zug aus ihrem Leben zeigt,
Wie oft der Genius den Ätherflügel
Zu Hütten senkt, von Dörfern aufwärts steigt,
Hinan der Phantasie besonnte Hügel.

Wie Mancher, der hier schläft, erblickt’ im Hain
Cytherens Heiligthum, der Musen Tänze,
Wie mancher, unverführt vom irren Schein,
Fand unbewußt sich an des Wissens Gränze.

Die Glücklichen! sie fühlten nur die Luft
Vom Hauch des Genius! kein Ehrgeitz störte
Der Harmonieen Spiel in ihrer Brust,
Fern war der Neid, der ihr Gefühl verheerte.

Jetzt ruhn sie, wie in langer Winternacht,
Als wenn des Sonntags Licht sie wecken würde,
Daß mit dem Liederbuch sie froh erwacht
Zur Kirche gehen, voll Demuth und voll Würde.

Sie hören in der Gruft der Orgel Klang,
Der rauschend in des Himmels blauen Räumen
Sich fortwälzt, sie vernehmen den Gesang
Der Engel unter Edens Lebensbäumen,

Und ihres Heilands Ruf: erwacht, erwacht
Des Dorfes Kinder, kommt zur Himmelspforte!
Ihr hättet mich gespeist, wär’ in der Tracht
Des Pilgers ich gesehn an euerm Orte.

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