HomeDie Horen1795 - Stück 7VI. Lethe. [K. L. von Woltmann]

VI. Lethe. [K. L. von Woltmann]

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Du rollst, o Bach, mit stillem Stolz die Flut,
Und düsterngrün umhüllen dich Gesträuche;
In deiner Well’ erstirbt die Rosenglut,
Die lieblich glänzt vom fernen Geisterreiche.

Dir bietet nie die Gunst der Gegenwart
Den Blütenduft, des Zephyrs kühles Säuseln,
Kein Glück, das in der Zukunft Schleier harrt,
Wird deine Wog’ in holden Spielen kräuseln:

Erhebend schaut es die Vergangenheit,
Wann deine Flut der Schatten Heer’ umweben,
Wie die Gebilde der entflohnen Zeit
Zum öden Nichts auf deiner Well’ entschweben.

Du wallest stolz! des Heiden Lorbeerkranz,
Die Myrte, durch Cytherens Hand erzogen,
Der Tugend Palm’ in des Olympus Glanz
Verlieren sich in deine süstern Wogen:

Entführt durch sie, dahin wo Zeit und Raum
Verschwinden, wo in trüber Nebelferne
Dein dumpfer Fall ertönt, dein weißer Schaum
Im Chaos stralt statt lichtbegabter Sterne.

Hinweg von dir! die blütenreiche Luft,
Der Zauber in Elysiums Gefilden
Verführt mich nicht, der rosenfarbne Duft
Mag sich umsonst an jenem Ufer bilden.

Vergebens weht hier magisch süß ein Ton
Zu mir herab aus seel’ger Geister Chören:
Erschiene selbst Latonens großer Sohn,
Zu Lethens Thau würd’ er mich nicht bethören.

Für Seeligkeit, die ich noch nie genoß,
Sollt’ ich in Lethe meine Lust versenken?
Und Schmerzen, die ich lang’ in mir verschloß,
Für unbekannte Freuden hier verschenken?

Nein, jegliches Gefühl zur Qual und Lust
Vom Hauch der Erdenluft in mir geboren,
Des Lasters Spur, bekämpft in dieser Brust,
Der Tugend Stolz sei stets mir unverloren.

Was hilft es mir, wenn eine fremde Macht
Mir Gottheit giebt? sie giebt mir keine Würde!
Mit höherm Stolz, als wie in solcher Pracht,
Erschein’ ich unter meiner Erdenbürde.

Kann ich die Seeligkeit auf jener Flur
Nur durch den Tod von diesem Ich erringen,
So führe fern von ihrer Zauberspur
Mich die Erinnerung auf zarten Schwingen.

Ich trag’ im Busen mein Elysium,
Und dieses blühe mir auf Blumenmatten
Elysischer Gefild’! ich bringe stumm
Es sonst zum Styr zu ungeweihten Schatten.

Ich aber fleh’ ich dann, Erinnerung:
O Göttinn, die den Gram um Freuden tauschet,
Und wie im Lilienduft mit leisem Schwung
Durch der Verzweiflung Nacht zum Troste rauschet,

Nimm deinen Wunderstab und schlage kühn
Der stolzen Lethe Flut, daß ihre Wellen
Zum Reich des Nichts auf ewig bebend fliehn
Und vor Elysium nicht spottend schwellen.

Die Schatten jauchzen dann! ein Götterglanz
Umschwebt nun hehr selbst ihrer Schwächen Bürde;
Wo Lethe floß, erscheinen nun im Kranz
Der Ewigkeit die Anmuth und die Würde!

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