HomeDie Horen1795 - Stück 9II. Beyträge zur Geschichte der neuern bildenden Kunst. [Heinrich Meyer]

II. Beyträge zur Geschichte der neuern bildenden Kunst. [Heinrich Meyer]

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Die Frage, wann und wodurch die bildenden Künste am besten gedeihen, hat man schon auf verschiedene Weise zu beantworten gesucht. Einige behaupten, daß die Freyheit ihnen besonders günstig sey, andere wollen sie blos für Kinder des Reichthums und der Üppigkeit gelten lassen. Am öftesten überredet man sich, daß Ehre, Belohnungen, Theilnahme der Großen und öffentliche Lehr-Anstalten die Mittel seyen, sie empor zu bringen.

Da wir uns nicht anmaßen, hierüber zu entscheiden, oder den verwickelten Knoten der Meynungen aufzulösen, sey es uns nur erlaubt zu bemerken, daß diese Wirkung nicht von einfachen Ursachen abzuhängen scheine, sondern daß die Kunst nur alsdann wachsen und blühen könne, wenn Zeit und Ort, Menschen und Umstände glücklich zusammentreffen.

Die letzte Hälfte des dreyzehenden Jahrhunderts, das vierzehende und fünfzehende mit dem Anfang des sechszehenden umfassen den ganzen Zeitraum, in welchem Kunst und Geschmack sich aufs neue aus der Barbarey erhoben und zu der grösten Höhe emporstiegen, welche sie damals erreichen konnten.

Italien hatte zu jener Zeit fast die Gestalt des alten Griechenlands, in welchem alle Künste zum erstenmal sich zur schönsten Reife ausbildeten. Beyde waren in mehrere kleine Staaten und unabhängige Städte von sehr verschiedener Verfassung getheilt, die immer unruhig, eifersüchtig und entzweyet, alle Mittel versuchten, und alle Kräfte aufboten, Herrschaft oder Vorzüge zu gewinnen. Eine allgemeine und außerordentliche Thätigkeit der Individuen belebte den Ackerbau, die Handlung und Manufakturen. Reichthum und Überfluß verbreitete sich, und indem die einfachen halbrohen Sitten im bürgerlichen Leben verhältnißmäsig nur geringen Aufwand forderten und erlaubten, wurden öffentliche Gebäude, an denen die Liebe zur Pracht sich uneingeschränkt zeigen konnte, oft zum Erstaunen groß angelegt und kostbar verziert. Nicht selten verschwendete man so viel an einzelne Theile, daß das Ganze nicht völlig ausgeführt werden konnte.

Ohne Zweifel trugen die Kreuzzüge viel zu dem neuen Leben der Kunst bey; wahrscheinlich kam durch sie die Neigung zu Prachtgebäuden, Statüen, Gemählden und Mosaiken aus dem Orient wieder nach Italien. Die Schwärmerey gab allen Unternehmungen eine religiöse Wendung, und brachte auf diese Weise der Kunst großen Vortheil. So viele Kirchen und Klöster wurden erbaut, und die Künstler, die hiezu nothwendig waren, fanden häufig Gelegenheit, sich durch öffentliche Arbeiten hervorzuthun, und reitzten einander zum rühmlichen Wetteifer. Das Volk verglich und beurtheilte ihre Werke, fühlte sich daran erst erbaut, alsdann vergnügt und unterrichtet, und bildete allmählig seinen eigenen Geschmack. Noch bis auf diesen Tag hat die italienische Nation hierin einen Vorzug vor allen andern. Ihr allgemeiner Geschmack, ob er gleich die Kunst nicht auf der höchsten Höhe erhalten konnte, hindert doch ihren gänzlichen Verfall.

Vor allen andern italienischen Städten und Staaten hat Florenz zu Widerherstellung der Künste unstreitig das meiste beygetragen, und ist als die Wiege derselben anzusehen. Die erste berühmte Schule ward daselbst durch den Giotto gestiftet, und brachte ununterbrochen, bis auf die Zeit, da die Kunst wieder zu sinken anfieng, eine Reihe vortrefflicher Künstler hervor.

Die Periode, welche zwar nicht die glänzendste, aber doch für den Fortgang der Kunst die wichtigste war, fällt ohngefähr in die Mitte des vorhin erwähnten Zeitraums, und kann unsre oben geäusserte Meynung bestätigen. Florenz besaß damals zugleich vier Künstler von seltnen Talenten, welche sich auf eine fast unbegreifliche Weise in den Künsten hervorthaten.

Donato übertraf seine Vorgänger und Zeitgenossen, vorzüglich in größern Arbeiten von Marmor. Ghibertis Werke in Erz gefallen durch die Simplicität, womit sie erfunden, durch den Fleiß und Geist, womit sie ausgeführt sind. Massaccio verbesserte den Geschmack in der Mahlerey und dem Brunelleschi war es gelungen, durch emsiges Studieren der alten Reste die Regeln der Baukunst wieder zu finden. Soviel die Kunst diesen Männern zu verdanken hat, so viel sind sie wieder dem Zeitalter und ihrem Vaterlande schuldig, die ihnen eine so erwünschte Gelegenheit verschaften, an großen und prächtigen Werken alle ihre Fähigkeiten zu entwickeln und anzuwenden.

Man hat wenig Beyspiele, daß ein Volk oder die Vorsteher deselben bey Errichtung öffentlicher Denkmale so zweckmäßig gehandelt und dadurch die Kunst zugleich so sehr befördert haben, als von den Florentinern geschah, welche einen Wettstreit vieler Bildhauer veranstalteten, als die ehernen Thüren zur Kirche St. Johannis des Täufers verfertigt werden sollten, und zur Wölbung der Kuppel des Doms alle berühmte Baumeister zusammenberiefen, um demjenigen, welcher sich als der tüchtigste Meister zeigen würde, die Ausführung zu übergeben. Wie sehr mußte ein solches Verfahren die Künstler reitzen, und ihren Talenten einen höhern Schwung geben! Gewiß werden die berühmten Werke, die dadurch entstanden sind, die Bewunderung und Nacheiferung aller Jahrhunderte erregen.

Viel jünger als die Florentinische, ist die Venetianische Schule. Sie fängt mit Vivarini an, in dessen Arbeiten schon die Spuren des guten Kolorits sich finden, durch welches diese Schule sich in der Folge so vortheilhaft ausgezeichnet hat. Die vorzüglichen Eigenschaften des Johan Bellin gründeten aber ihr Ansehen, und in seinen Schülern Titian und Giorgione erreichte sie ihren höchsten Flor.

Unter dem Namen der römischen Schule versteht man in der genauesten Bedeutung den Raphael, und diejenigen Maler, welche seiner Manier folgten, zuweilen aber begreift man darunter alle Künstler, welche im Kirchenstaate gebohren sind, doch rechnet man das Bolognesische, und Ferraresische Gebiet seiner Lage nach zur lombardischen Schule.

Diese hatte den Corregio zum Stifter, wenigstens bildete sie aus seiner Manier ihren eigenthümlichen Charakter. Durch die Carracci und ihre Zöglinge glänzte sie zu Anfang des vorigen Jahrhunderts über alle andere Schulen und nur gleichsam aus ihren Trümmern ist später die neue römische entstanden.

Von den übrigen Schulen hier etwas weiter zu erwähnen, wurde uns vom Zwecke entfernen, den wir uns vorgestekt haben, indem sie nichts wesentliches beytrugen, die Kunst empor zu bringen und vollkommner zu machen. Strenge genommen wäre dies auch schon bey der altrömischen und lombardischen Schule der Fall. Wenn durch die grosen Häupter derselben die Kunst zur obersten Höhe gelangte, so neigte sie sich in ihren Schülern und Nachahmern schon wieder zum Falle.

Der Zweck dieser kurzen allgemeinen Übersicht, wie die neuere Kunst entstanden und aufgewachsen, war, die Herkunft und Abstammung der Werke zu zeigen, welche wir in der Folge zu betrachten gedenken, und wir sind über diese frühern Epoken flüchtig hinweggegangen, weil wir eigentlich nur das Höchste und Schönste zur Anschauung bringen möchten. Ehe wir aber dasselbe in den Werken Raphaels, Titians und Corregios aufsuchen, müssen wir noch bey den Meistern dieser Künstler und ihren Zeitgenossen verweilen, damit wir unsre Leser, wie durch einen Vorhof zum Tempel der neuern Kunst hinaufführen, und uns Stufenweise mit ihnen bis zur Betrachtung des Vollkommensten erheben, was sie anzubieten hat.

Johannes Bellini.

Die Zeit, da Johannes Bellini gebohren worden, kann nicht genau bestimmt werden; wahrscheinlich hat er im Jahr 1514 nach einem ruhmvollen Leben, zu Venedig die Schuld der Natur bezahlt, und soll nach dem Zeugnisse verschiedener Schriftsteller 90 Jahre alt gewesen seyn.

Setzen wir uns durch allgemeine Betrachtung seiner Werke in Stand, über den Gang und Charakter seiner Kunst zu urtheilen, so erscheint Bellini als einer der ehrwürdigsten und seltensten Menschen, welche in der Geschichte der Kunst auftreten. Wir rechnen ihn zwar nicht zu den allgewaltigen durchbrechenden Genie’s, die einen hohen Flug nehmen, und sich neue Bahnen eröfnen, nach dem glänzenden Ziele zu rennen, welches selbst über die Gränzen der Möglichkeit hinaus gestekt scheint: hingegen ist er gemäßigt, stille, immer nüchtern, ein unbestechlicher Freund der Natur und der Wahrheit. Dem Erhabenen, Ausdrucksvollen oder Tiefrührenden hat er nie nachgestrebt, sondern mehr das Angenehme, das Freundliche geliebt. Einfalt und Innigkeit schmücken alle seine Bilder, und darum sind auch selbst die aus den frühern Jahren gefällig, ungeachtet sie noch in der alten trocknen Manier gearbeitet sind. Nachher bemühte er sich die Natur genauer nachzuahmen, und verbesserte dadurch seine Zeichnung, hauptsächlich aber die Farbe, auf welche seine Neigung besonders gerichtet war.

Diese Manier, welche noch immer von Steifheit und Härte nicht ganz frey ist, war die eigenthümliche und bekannteste unsers Künstlers, deren er sich auch die meiste Zeit seines Lebens bedient hat. Nachdem aber Giorgione und Titian der Mahlerey eine neue Gestalt gegeben, so näherte er sich mehr ihrer Art zu mahlen; seine Farbe wurde dann wärmer, der Pinsel freyer und überhaupt die Wirkung seiner Bilder weit angenehmer.

Hierin ist es, wo sich Bellini nach unserer Meynung als ein ausserordentlicher und in seiner Art einziger Mensch bewiesen hat, und deswegen Bewunderung verdient. Denn es bedurfte allerdings seltene Gaben, reine Liebe für die Kunst, und ein groses edles Gemüth, daß er in seinem Alter, als seine Schüler ihn übertrafen, und selbst seinen Ruhm einigermassen verdunkelt hatten, weder Neid noch Eifersucht zeigte, sondern den Werth ihrer Verbesserungen freywillig anerkannte und sogar Verläugnung genug besaß, dieselben nachzuahmen.

Die Darstellung der Maria in der Churfürstl. Gallerie zu Dresden scheint ein Bild aus der Jugendzeit unsers Künstlers zu seyn. Es ist flach und hart, in der Anordnung zwar natürlich, aber ganz kunstlos, die Farben wechseln nicht gehörig mit einander ab, und thun daher keine gute Wirkung; ungeachtet dieses Fehlers ist das Werk anziehend und unterhaltend, weil die Köpfe treu nach der Natur gemahlt sind. Der Verfasser verräth gute Anlage zur Kunst, ob er gleich mit den Theorien derselben noch wenig bekannt ist und die einzelnen getrennten Theile seines Bildes nicht kunstmäsig in ein gefälliges Ganze zu verbinden versteht. Zu seiner Zeit werden wir uns zu zeigen bemühen, wie ein groser Meister diesen rohen aber gehaltreichen Stoff zu benutzen gewußt, und eines seiner vortreflichsten Meisterstücke daraus bereitet hat.

Eine Christus Figur, auch in der Gallerie zu Dresden ist in einer mehr ausgebildeten Manier gearbeitet. Die Lichttinten des Fleisches verdienen viel Lob, und überhaupt sind die Farben in diesem Bilde rein und kräftig; da die Figur aus der Landschaft, welche ihr zum Grund dienet, hervortritt, so läßt sich mit Grund vermuthen, Bellini sey durch sein ernstes Studium über die Farbe auch zugleich zur Erkenntniß der Gesetze der Haltung oder Luftperspektive gekommen, und habe zuerst die Anwendung derselben versucht.

Die Manier, welche wir in der Darstellung der Maria haben entstehen, und in der Christusfigur wachsen und fortschreiten sehen, ist in dem schönen Gemählde in der Sakristey der Kirche de frari zu Venedig zu völliger Reife und Ausbildung gelangt. Dasselbe stellt die Maria mit dem Kinde vor; auf beyden Seiten stehen Heilige und zu ihren Füssen auf Stufen sind zwey kleine Engel, von denen der eine, welcher die Flöte bläßt, vorzüglich wohl gerathen ist. Bellini hatte eine besondere Vorliebe zu dergleichen Gegenständen; daher findet man nicht selten in seinen Werken singende oder auf Instrumenten spielende Engel angebracht.

Ein Marienbild in der Kirche Santa Maria Magiore zählen wir unter seine vorzüglichsten Werke, es gelang ihm, darin den eigenthümlichen Reiz der Venetianischen Frauen, die schönen heiteren Augen mit unübertreflicher Treue und Wahrheit darzustellen.

In dem berühmten Bild zu St. Giobbe und in dem eben so schönen zu St. Zacharia wird die Manier des Giorgione sichtbar, welcher Bellini nun zu folgen angefangen hatte; der ältere Styl behält zwar noch sein Recht, fast möchte man sagen, die Oberhand, aber der Fleiß ist doch schon mehr versteckt, die schneidende Härte gemäsigt, die Farbe wärmer, und es herrscht durchgehends ein gröserer und edlerer Geschmack darinn als in allen vorher angezeigten Werken.

Das Abendmahl zu Emaus an der Seite des Hauptaltars in der Kirche St. Salvatore ist endlich das Ziel in der Laufbahn und, wie wir glauben, die höchste Stufe, die unser Künstler erreicht hat; jede Spur seiner frühern Manier ist hier ausgetilgt, der Geist des Giorgione scheint über diesem Bilde zu schweben. Täuschend gleicht es in dem herrlichen glühenden Colorit, in der geistreichen freyen Behandlung, wie auch in Stärke und Wirkung, den bessern Arbeiten dieses Mahlers und es wird kein Vorwurf seyn, wenn auch nach genauer Betrachtung etwas weniger Feuer und mehr Mässigung bemerkt werden sollte.

Ein allgemeiner Überblik über die Werke des Bellini lehrt uns, daß er die Manier des Giorgione mehr als die des Titian geliebt und nachzuahmen gesucht habe; als Beweis hierfür kann auch noch eine Göttermahlzeit in der villa aldrovandini zu Rom, mit seinem Namen bezeichnet, angeführt werden, wo nach der Art des Giorgione mehr auf den allgemeinen Ton der Farbenmassen als auf zarte Nüanzirung derselben gesehen worden, und überhaupt die flachen Partien besser als die Rundungen oder Übergänge ausgedrückt sind. Darum verdient auch die Sage wenig Glauben, daß Bellini dieses Bild unausgemacht hinterlassen und Titian dasselbe geendigt habe.

Pietro Perugino.

Wenn es auch diesem Künstler, der vom Jahre 1446 an biß 1424 gelebt, und sich in der Schule des Andreas Verocchio gebildet hat, zur grosen Ehre gerechnet wird, daß Raphael sein Schüler gewesen; so ist hingegen seinen eignen Verdiensten oft zu wenig Gerechtigkeit widerfahren. Um dieselben nun nach Billigkeit zu beurtheilen, wird man das geschmeidige Talent, welches wir so eben an Johann Bellini gelobt haben, als eine seltene Erscheinung betrachten müssen, und von keinem andern wieder eben so viel fodern wollen, als vielleicht nur dieser einzige hat leisten können.

Pietro Perugino war auch wirklich, wie es uns scheint, nicht geschickt, den von seinen jungern Zeitgenossen Leonhard da Vinci, Frau Bartholomeo, Michael Angelo, und hauptsächlich von Raphael eingeführten neuern Styl ganz anzunehmen; sondern hat sich immer näher an die ältere Manier gehalten. Da man aber nun einmal gewohnt ist, ohne Unterschied den Werth eines jeden Kunstwerks, nach seinem Verhältniß zu den Arbeiten der genannten grosen Männer zu bestimmen: so läßt sich leicht begreifen, warum unser Künstler im allgemeinen weniger hochgeschätzt wird, als wir glauben, daß in gehöriger Rüksicht auf dasjenige, was er zu Verbesserung der Kunst beygetragen hat, geschehen sollte.

In seinen Werken finden sich selten grose, kühne oder glänzende Gedanken, oder sonst etwas, welches berechtigen könnte, Ihm ein besonderes Talent für die Composition zuzueignen. Oft ordnet er seine Figuren zu symmetrisch, oft zu zerstreut an, und besitzt in diesem Stück gar keinen wesentlichen Vorzug über die Ältern. Seine Zeichnung ist besser, aber das Nackende doch noch hager, und die Falten der Gewänder kleinlich und zu scharf gebrochen; überhaupt sind alle Figuren mehr gebogen als gewendet und daher immer ein wenig steif, auch selbst in den besten Werken, in den geringern aber ist die Manier des Giotto noch nicht völlig ausgetilgt. Seine meisten Bilder sind nur schwach beleuchtet, oft flach und nicht ohne Härte; nur in einigen wenigen (vermuthlich Früchten reiferer Jahre) bemerkt man mehr Rundung und Stärke, wozu aber, da es sämmtlich Öhlgemählde sind, die Zeit auch etwas beygetragen haben kann. Hingegen sind seine Verdienste um das Kolorit unstreitig, und er hat darin alle ältere Meister der Florentinischen Schule übertroffen. Die Natur ahmte er in seinen Werken mit der lobenswürdigen Einfalt seiner Zeit sehr getreu nach; sein Ausdruck ist wahrhaft, richtig, herzlich, weit entfernt von allem, was Karikatur oder Überladung heisen könnte. Aber noch mehr Ehre gebührt ihm dafür, daß er (wie wir glauben bemerkt zu haben) der erste gewesen ist, der Schönheit und Grazie, die so lange von der Kunst sich verlohren hatten, zuerst wiedergefunden und zurückgeführt hat. Raphael selbst ist die Grundzüge zu seinem Madonnen Ideal, dem reinsten und edelsten Produkt der neuern Kunst, diesem seinem Lehrer schuldig. Wir beziehen uns dießfalls nicht nur auf ein einzelnes Bild oder eine einzelne Figur, sondern auf eine sehr beträchtliche Anzahl Werke unsers Künstlers, welche alle für uns zeugen; und jedermann, der nur Gelegenheit hat zwey oder drey ächte Stücke desselben zu sehen, kann hierüber zur völligen Gewißheit gelangen. In allen offenbart sich die Lust am Gefälligen und Schönen, ein milder Hauch des zarten, sanftfühlenden, sich ergiesenden Herzens, der, wenn auch der Verstand zuweilen in Rücksicht auf Regeln mehr fodert, doch immer das Gemüth befriedigt und erfreut.

Von dem, was wir bisher über die Kunst des Pietro Perugiono gesagt haben, können sich Liebhaber aus einer kleinen Anbetung der Könige in der Churfürstl. Gallerie zu Dresden manches deutlich und anschaulich machen. Die geistreichen und zum Theil schönen Köpfe und das gute Kolorit werden ihnen die vorzüglichen Eigenschaften dieses Meisters zeigen, hingegen wird die Zusammensetzung, Licht und Schatten, die Bäume des fernern Hintergrundes, u. a. m. seinen und seines Zeitalters noch nicht ganz gebildeten Geschmack verrathen. Zwey grössere Bilder aus der Großherzoglichen Gallerie zu Florenz, umfassen und zeigen beynahe seine ganze Kunst und zwar von der vortheilhaftesten Seite. Beyde stellen Madonnen vor und Heilige, welche neben ihnen stehen. Zeichnung, Ausdruck, Farbe, Kraft und Rundung ist alles nach dem Maaß des Vermögens unsers Künstlers fürtreflich. Eins dieser Gemählde ist in der Tribune aufgestellt, wo es bei auserlessenen Werken der größten Meister eine ehrenvollen Platz einnimmt; das andere hangt in der eigentlichen Gallerie und hat nicht geringere Verdienste.

Noch angenehmer als diese beyden und ohne Zweifel das gefälligste von allen seinen Bildern ist die Vermählung der Maria in der Capelle des Sakraments, in der Domkirche zu Perugia: und obwohl das Ganze in seiner Art sehr schön ist, so wollen wir doch in Rücksicht auf unsern Zweck nur vorzüglich das bescheidene reizende Wesen der Maria und das schöne zarte Gesicht des Jünglings, der seinen Stab zerbricht, bemerken.

Die Himmelfahrt Christi in der Kirche des heil. Petrus in eben dieser Stadt, ist schon lange her berühmt gewesen, und die Apostel verdienen allerdings grosses Lob. Aber Johannes leuchtet jugendlich schön mit goldenen Locken aus allen hervor; auch hat Raphael den seinigen in der Disputa diesem ähnlich, nur mit noch mehr Kunst und Wissenschaft gebildet.

In der Zeit, da wir beschäftigt gewesen sind, die Verdienste und Gaben des Pietro Perugino zu überdenken, und auseinander zu setzen, haben wir gleichsam nähere und innigere Bekanntschaft und Freundschaft mit demselben gemacht. Um so mehr betrübt es uns denn, daß Er, der bey verschiedenen Gelegenheiten die ehrlichste Uneigennützigkeit bewiesen hat, und dessen schöne Eigenschaften durch seine Werke dargethan sind, dennoch unbilliger Weise verdächtig gemacht worden ist, er sey bloß aus niedriger Habsucht in der Kunst so fleissig, und überdem ein Erzbösewicht gewesen, der einige Dogmen der Kirche bezweifelt habe. Auch vermeinen seine Geschicht- und Lebensschreiber Ihn dadurch herunter zu setzen, daß sie uns berichten, Er habe seine schöne junge Frau lieb gehabt, habe ihr, (was heut zu Tag für sehr erlaubt gehalten wird) Schmuck und hübsche Kleider gekauft, und Sie oft gar mit eigner Hand angezogen. Vasari vita de Pittori. T. I. p. II. p. 478.

Andreas Mantegna.

Dieser Künstler hat seinen Nahmen von dem langen Aufenthalt zu Mantua bekommen, wo er den Fürsten aus dem Hausse Gonzaga gedient hat, und im Jahr 1517 in einem Alter von 66 Jahren gestorben ist. Die Stadt Padua will als sein eigentlicher Geburtsort angesehen werden, und es kommt ihr diese Ehre wenigstens in Absicht seines Ruhmes zu, den er sich daselbst schon in früher Jugend durch öffentliche Arbeiten erworben hat.

Die Kunst des Mantegna trägt den strengen Charakter der äußersten Bestimmtheit. Er liebte diese so sehr, und zog die Umrisse in seinen Gemählden und Zeichnungen so ungemein scharf, daß es läßt, als ob er sie gleichsam hätte eingraben wollen. Daher sind alle seine ächten Werke, zwar hart, aber in einem hohen Grade geistreich, deutlich und bis auf die geringsten Kleinigkeiten mit unverdrossenem Fleiß und Sorgfalt geendigt. Sie reitzen übrigens weder durch lebhaftes Kolorit noch durch Eleganz oder Großheit der Formen. Ob es gleich sehr wahrscheinlich ist, daß er viel nach Antiken studirt und eine große Zuneigung zu denselben gehabt habe: so gelang es ihm doch nicht ganz, sich über die Dürftigkeit und enge Beschränkung der ältern Manier bis zur freyen Nachahmung des Schönen zu erheben. Indeß danken wir doch diesem Studium eine lobenswürdige Zierlichkeit, welche sich besonders in den Gewändern seiner Figuren zu äußern pflegt, deren Falten oft recht gut und mit Geschmack gelegt sind.

Auch in der Composition hat unser Künstler schätzbare Verdienste besessen, und es ist nicht daran zu zweifeln, daß er dieselben ebenfalls in der Schule des Alterthums gesammelt habe. Jetzt dörfen wir ihn darum freylich nicht mehr zu Nachahmung empfehlen, denn es haben bessere Künstler seit der Zeit richtigere Wege gezeigt; aber man wird doch zugeben müssen, daß seine meisten Figuren gut gewendet, und vernünftig in Gruppen zusammengestellt sind, und daß er auch diese wieder untereinander in Verbindung zu bringen gesucht hat; welches alles vorher noch nicht, oder doch nur selten, und mehr wie durch Zufall, geschehen zu seyn scheint.

In der Gallerie zu Dresden bemerkt man eine Verkündigung, welche, wie aus der fleißig gemahlten Architektur des Grundes und aus einigen guten Stellen des Gewandes zu vermuthen ist, ein Werk des Mantegna seyn kann; allein dieses Bild giebt keinen deutlichen Begriff von der Kunst des Meisters, weil, allem Anscheine nach, eine ungeübte Hand durch Aufmahlen vieles daran verdorben hat.

Die Freskogemählde in der bekannten Capelle zu St. Agostino in Padua, sind zwar von seinen frühern Arbeiten; sie unterscheiden sich aber doch im Styl nicht gar sehr von zwey kleinen Öhlgemählden in der Florentinischen Gallerie, welche für Werke aus der besten Zeit unsers Künstlers gelten. Von diesen stellt das eine die Darstellung Christi im Tempel, das andere die Himmelfahrt der Maria vor. Beyde sind einander an innerm Werth fast ganz gleich, und nöthigen beyde den ungemeinen Fleiß, der daran fast verschwendet worden, zur Bewunderung. An den zierlichen gelegten Falten, und der simpeln Stellung und Bewegung der Figuren, ist besonders im ersten Bild, das Studium der Antike unverkennbar.

Unter der Decke eines Saals im Clementinischen Museum sind noch ein paar Figuren von der Capelle übrig geblieben, die Pabst Innocentius VIII von Mantegna hat bemahlen lassen. Diese schönen Reste eines ehemals berühmten Werks machen Freunden der Kunst den Verlust desselben doppelt empfindlich.

Man muß den mit Leimfarben gemahlten Leichnam Christi in der Villa aldrovandini zu Rom, als ein Bravourstück unsers Künstlers ansehen, worin derselbe seine Meisterschaft in Verkürzungen zu zeigen gesucht hat. Überdiß geben die äußerst strengen, harten Umrisse, die aber doch nicht ängstlich, sondern mit Kühnheit und Sicherheit gezogen sind, einen vollkommen deutlichen Begriff von dem Eigenthümlichen seiner Manier.

In eben dieser Villa ist eine große getuschte Zeichnung oder Karton von der Grablegung Christi, welche in Rücksicht auf Geist und Ausdruck, (in so fern er dessen mächtig war) ein Meisterstück genannt zu werden verdient. Sie ist fleißig ausgeführt, und ganz mit dem Pinsel auf weißes Papier schrafirt, so daß die Behandlungsweise mit der Schattirung der Freskomahlereyen übereinkommt.

Eine andere kleinere Zeichnung, aber nicht geringer an Verdienst, befindet sich in dem Cabinet der Zeichnungen in der Gallerie zu Florenz. Die Vorstellung ist, Judith, welche das Haupt des Holofernes in einen Sack steckt, den ihre mohrische Magd darhält. Vermuthlich ist dieses eben dasselbe Stück, dessen schon Vasari im Leben des Mantegna mit besonderm Lob Erwähnung gethan hat.

Die Fortsezung folgt.

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