„Ist es denn wahr, sprichst du, was der Weisheit Meister mich lehren,
Was der Lehrlinge Schaar sicher und fertig beschwört;
Kann die Wissenschaft nur zum wahren Frieden mich führen,
Nur des Systemes Gebälk stützen das Glück und das Recht?
Muß ich dem Trieb mistraun, der leise mich warnt, dem Gesetze,
Das du selber, Natur mir in den Busen geprägt,
Bis auf die ewige Schrift die Schul’ ihr Siegel gedrücket,
Und der Formel Gefäß bindet den flüchtigen Geist?
Sage du mirs, du bist in diese Tiefen gestiegen,
Aus dem modrigten Grab kamst du erhalten zurück.
Dir ist bekannt was die Gruft der dunkeln Wörter bewahret,
Ob der Lebenden Trost dort bey den Mumien wohnt?
Muß ich ihn wandeln, den nächtlichen Weg? Mir graut, ich bekenn‘ es,
Wandeln will ich ihn doch, führt er zu Wahrheit und Recht.“
Freund, du kennst doch die goldene Zeit, (Es haben die Dichter
Manche Sage von ihr rührend und einfach erzählt.)
Jene Zeit da das Heilige noch in der Menschheit gewandelt,
Da jungfräulich und keusch noch der Instinkt sich bewahrt,
Da noch das große Gesetz, das oben im Sonnenlauf waltet,
Und verborgen im Ey reget den hüpfenden Punkt,
Der Nothwendigkeit stilles Gesetz, das stätige, gleiche,
Auch der menschlichen Brust freyere Wellen bewegt,
Da ein sichres Gefühl noch treu, wie am Uhrwerk der Zeiger,
Auf das Wahrhaftige nur, nur auf das Ewige wies?
Da war kein Profaner, kein Eingeweihter zu sehen,
Was man lebendig empfand, ward nicht bey Todten gesucht.
Gleich verständlich für jegliches Herz war die ewige Regel,
Gleich verborgen der Quell, dem sie belebend entfloß.
Aber die glücklichste Zeit ist nicht mehr. Vermessene Willkühr
Hat der getreuen Natur göttlichen Einklang entweiht.
Wolkigt fließt der himmlische Strom in schuldigen Herzen,
Lauter wird er und rein nur an dem Quell noch geschöpft.
Dieser Quell, tief unten im Schacht des reinen Verstandes,
Fern von der Leidenschaft Spur, rieselt er silbern und kühl.
Aus der Sinne wildem Geräusch verschwand das Orakel,
Nur in dem stilleren Selbst hört es der horchende Geist.
Aber die Wissenschaft nur vermag den Zugang zu öfnen,
Und den heiligen Sinn hütet das mystische Wort.
Hier beschwört es der Forscher, der reines Herzens hinabsteigt,
Und die verlorne Natur giebt ihm die Weißheit zurück.
Hast du, Glücklicher, nie den schützenden Engel verloren,
Nie des frommen Instinkts liebende Warnung verwirkt,
Mahlt in dem keuschen Auge noch treu und rein sich die Wahrheit,
Tönt ihre Stimme dir noch hell in der kindlichen Brust,
Schweigt noch in dem zufriednen Gemüth des Zweifels Empörung,
Wird sie, weißt du’s gewiß, schweigen auf ewig, wie heut,
Wird der Empfindungen Streit nie eines Richters bedürfen,
Nie den hellen Verstand trüben das tückische Herz,
Nie der verschlagene Witz des Gewißens Einfalt bestricken,
Niemals, weißt du’s gewiß, wanken das ewige Steur?
O dann gehe du hin in deiner köstlichen Unschuld,
Dich kann die Wissenschaft nichts lehren. Sie lerne von dir!
Jenes Gesetz, das mit ehernem Stab den Sträubenden lenket,
Dir gilt es nicht. Was du thust, was dir gefällt, ist Gesetz,
Herrschen wird durch die ewige Zeit, wie Polyklets Regel
Was du mit heiliger Hand bildest, mit heiligem Mund
Redest, wird die Herzen der Menschen allmächtig bewegen,
Du nur merkst nicht den Gott, der dir im Busen gebeut,
Nicht des Sieges Gewalt, das alle Geister dir beuget,
Einfach gehst du und still durch die eroberte Welt;
Aber blind erringst du, was wir im Lichte verfehlen,
Und dem spielenden Kind glückt, was dem Weisen misslingt.