HomeDie Horen1796 - Stück 1I. Iduna, oder der Apfel der Verjüngung. [Gottfried Herder]

I. Iduna, oder der Apfel der Verjüngung. [Gottfried Herder]

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Vor einigen Jahren ertönte unten am Parnaß ein Ruf, daß oben auf dem Parnaß einige Deutsche Dichter für unsre Nation und Sprache den Gebrauch der griechischen Mythologie abschaffen, dagegen aber die Isländische einführen wollten. Für Apollo sollte künftig Braga, für Jupiter Thor oder Odin, für den Olymp Walhalla gelten u. s. f.

Wiewohl nun dieses Gerücht durch sich selbst nichtig war, indem ja kein Dichter mit seinen Gesängen der Nation Gesetze, am wenigsten verbietende Abolitions-Edicte vorschreibt; und Einer dieser angeklagten Dichter, der mit dem süßesten Wohlklange und einem Reichthum von Dichtungen in unserer Sprache die feinste Kritik und einen Reichthum von Dichtungen mehrerer gebildeten Sprachen verbindet, seinen Skalden eben dazu erweckt hatte, daß er singe und sage, wie alle seine alten Götter gefallen, und daß diese ganze nordische Ideenwelt wie ein Zauberbild, wie ein Traum verschwunden sey: so hätte doch die ganze Erscheinung dieser Dichtungsart, die sich von Dännemark aus als ein wunderbares Nordlicht zeigte, wenigstens Känntnisse und Untersuchungen veranlassen können, die sie damals wahrscheinlich nicht veranlaßt hat. War es nicht der Mühe werth, es auf’s Reine zu bringen: was diese Mythologie sey? woher sie sey? wiefern sie uns angehe? worinn sie uns dienen könne? u. f. Diese Fragen betreffen ja eine Sache ganzer Nationen, einen Schatz menschlicher Erfindungen, Sprache und Gedanken. Uns ist darüber ein Gespräch zu Händen gekommen, das diesen Gegenstand zwar nicht erschöpfet, aber von mehreren Seiten in Betracht nimmt. Es soll nicht entscheiden, aber Gedanken veranlassen und Entschlüsse fördern.

Erste Unterredung.

Alfred.
Meynst Du nicht auch, Frey, daß wenn eine Nation eine Mythologie haben muß, es ihr daran gelegen sei, eine in ihrer eignen Denkart und Sprache entsproßene Mythologie zu haben? Von Kindheit auf wird uns sodann die Ideenwelt dieser Dichtungen näher und inniger; mit dem Stammwort jeder derselben vernehmen wir sogleich ihren ersten Begriff und verfolgen ihn in seinen Zweigen und Ableitungen leicht und vernünftig. Alles in der Einkleidung Enthaltene dünkt uns glaubhafter, natürlicher; der dichterische Sinn, einer Sprache genialisch eingepräget, scheint mit ihr entstanden, mit ihr gleich ewig.

Frey.
Ich wollte, daß keine Dichtungen in der Welt wären! Wir mühen uns mit dem Gerüst, und vergessen das Gebäude. In der Kindheit, wie viel Zeit wird auf’s Lernen der Mythologie verwandt und verschwendet. Vor lauter Hüllen lernen wir den Kern, vor lauter Dichtungen die Wahrheit nicht finden; an jenen verwöhnen wir uns dergestalt, daß wir zuletzt mit den heiligsten Sachen tändeln. Wir wollen immer Hülle, Einkleidung; was sich nicht in einer schönen Gestalt zeigt, ist auch nicht wahr; es wird vergessen und verachtet. Selbst der eigne Dichtergeist erliegt unter einer hergebrachten Mythologie; vielmehr der Sinn, der die reine Wahrheit sucht, und den man bei Dichtungen immer doch in ein Schattenreich alter Personificationen verweiset.

Alfred.
Ich hätte nichts dagegen, wenn wir anders organisirt wären; nun sind wir aber, was wir sind, Menschen. Unsre Vernunft bildet sich nur durch Fictionen. Immerdar suchen und erschaffen wir uns ein Eins in Vielem und bilden es zu einer Gestalt; daraus werden Begriffe, Ideen, Ideale. Gebrauchen wir sie unrecht, oder werden wir gar gewöhnt, falsch zu configuriren; staunen wir Schattenbilder an, und ermüden uns wie Lastthiere, falsche Idole als Heiligthümer zu tragen: so liegt die schuld an uns, nicht an der Sache. Ohne Dichtung können wir einmal nicht seyn; ein Kind ist nie glücklicher, als wenn es imaginirt und sich sogar in fremde Situationen und Personen dichtet. Lebenslang bleiben wir solche Kinder; nur im Dichten der Seele, unterstützt vom Verstande, geordnet von der Vernunft, besteht das Glück unsres Daseyns. Laß uns, Frey, diese unschuldigen Freuden; laß sie uns. Die Fictionen der Rechtswissenschaft und der Politik sind selten so erfreulich, wie sie.

Frey.
So dichte denn fort, Alfred.

Alfred.
Ich fragte Dich, ob es einem Volk nicht angenehm, bequem und nützlich sei, eine in seiner Sprache entsprossene Mythologie zu haben; mich dünkt, die Geschichte der Völker gebe darüber Auskunft. Was z. B. gab den Griechen die schöne Übereinstimmung ihrer Bilder in Kunst, Weisheit und Dichtkunst? woher, daß ohngeachtet aller Local- und Zeitverschiedenheiten eine gewiße große Regel des Geschmacks in allen ihren Werken feststehet? Unter andern daher, daß Alles, was sie auch von andern Nationen nahmen, sie sich eigen machten. Sie organisirten es bei sich, sie idiotisirten es in ihrer Denkart und Sprache. Die Römer dagegen hatten für sich eine harte Mythologie, bei welcher sie griechische Dichtungen und Bilder zwar oft als ein fremdes Spielwerk brauchten, dagegen aber zu einer eigenen Poesie, Philosophie und Kunst nie gelangten. Ihre Fictionen waren kriegerisch und Gesezgebend; eingebohren oder congenialisch ward ihnen die griechische Muse selten.

Gehe einmal die Zeiten hinter den dunkeln Jahrhunderten durch, als der freye Geist der Wissenschaften in Europa wieder erwachte; Du wirst finden, daß die Dichter und Weisen aller Nationen am glücklichsten in ihrer Muttersprache imaginirt haben. Dante, Petrarca, Ariost waren unter den Alten erzogen; der letzte schrieb selbst beinah klassisches Latein, und Petrarca erwartete nicht aus der Hand der Italienischen sondern seiner lateinischen Muse den Kranz der Unsterblichkeit. Indessen hat ihn die Zeit widerlegt. Die Ideen und Dichtungen, die den Werth dieser Dichter auf die Nachwelt brachten, waren aus der Denkart der Nation genommen und ihrer Muttersprache einverleibet. Bei den Britten wars nicht anders. Erinnere Dich, wie mühsam sich Spenser und Shakespear unter der Mythologie der Alten winden; wie leicht und glücklich aber sie denken und dichten, wenn sie, insonderheit Shakespear aus Sagen, aus dem Aberglauben seines Volks Begriffe schaffen, Gestalten dichten. Du kennst Miltons klaßische Denkart und seine schöne lateinische Verse; die stärksten und besten Stellen indeß seiner beiden Paradiese, seiner Ode auf die Christnacht, seines allegro und penseroso sind rein Gothisch.

Frey.
Da schickst Du mir einen unglücklichen Traum, Alfred. Unsre Meistersänger, wie elend schleppten die sich mit der Geschichte und Mythologie der Alten umher! und als unser gelehrter Opitz dichtete oder reimte, war er mehr Übersetzer oder mehr Dichter? Was ist gegen Shakespear unser Andreas Gryphius? u. f.

Alfred.
Und doch waren bereits trefliche Erzählungen, Kern- und Lehrsprüche in der Deutschen Sprache; nur sie standen in ihr ohne Imagination da. Es fehlte der Sprache an einer eignen Mythologie, an einer fortgebildeten Heldensage, an poetischer Darstellung und Ausbildung ihrer ursprünglich so vielfaßenden, vollen und schönen Stammes-Ideen. Willst Du Dich davon überzeugen, wie niedrig sie diesen einst besessenen Reichthum veruntreuet habe, so gehe mit mir ein deutsches Wörterbuch durch, welches Du willst, Scherz, Wachter, Frisch, Haltaus, Adelung, und verfolge den Gebrauch unsrer lieblichsten Stammworte. Du wirst erstaunen, wie knechtisch die Sprache geworden, wie nicht etwa der kirchliche, sondern ein viel ärgerer, der juristische, und der ärgste von allen der Hofstyl (stylus curiae) dergestalt die Herrschaft über sie gewonnen, daß er ihre schönsten Ableitungen bis zur Quelle verderbt hat. Gerechtsame und Feierlichkeiten herrschen in unsrer Sprache; darauf ist alles gewandt, dahin alles gedeutet. Die vornehmsten, edelsten Worte sind dergestalt in Förmlichkeiten, oder gar in possirliche Niederträchtigkeiten verwandelt worden, daß man sich schämt, die kräftigsten Samenkörner in solche Gebüsche, verschrumpft und verkünstelt, aufgeschossen zu sehen. Wollen wir uns die Mühe nehmen, einmal in dieser Absicht den Haltaus oder Glafey durchzugehen, um die Wappenzierde unsrer gerichtlich- und höfisch-gewordnen Sprache stattlich zu erwägen?

Frey.
Verschone mich damit. Ich muß mich täglich in diesem Styl üben.

Alfred.
Nun vergleiche die schönen Stammworte unsrer mit der griechischen Sprache, und siehe was aus beiden geworden sei? Hast Du Schillers Gedicht: die Götter Griechenlands gelesen?

Frey.
Und auch Manches, was darüber gesagt ist.

Alfred.
Man würde Manches nicht gesagt haben, wenn man das Wort Götter genommen hätte, wie es der Dichter nimmt; ihm sinds dichterische, mythologische Götter, Personificationen, Ideen, Ideale. Gehe dies Gedicht durch, und vergleiche die Deutsche mit der griechischen Sprache. Aus unsrer schönen Morgenröthe ist keine Aurora und Eos, aus unserm lieblichen Abendstern kein Hesperus, aus unserm Wiederhall keine Echo. Aus unsrer süßtönenden Nachtigall keine Philomele worden. Die schönen Namen unsrer Bäume und Blumen, unsrer Auen und Ströme, unser Mond und unsre Sonne haben keine Mährchen erzeugt, wie die Erzählungen der Griechen von Apollo und der Daphne, von Apoll und dem Hyacinthus, von einer Luna und Diana mit ihren Nymphen und Dryaden. Unsere alte Mutter Erde (Hertha) ist erstorben; die Elfen auf Bergen und Auen sind Kobolde worden, und was sich von Hexen und Berggeistern, von unterirrdischen Zwergen, Nixen, dem Alp, dem wütenden Heer, dem Jäger u. f. in Pöbelsagen erhalten hat, ist zu so grobem, rohem Aberglauben ausgeartet, daß es nicht ernst gnug hat hinweggeschafft werden mögen –

Frey.
Und nun? –

Alfred.
Wie nun? Wenn aus der Mythologie eines benachbarten Volks, auch Deutschen Stammes, uns hierüber ein Ersatz käme, der für unsre Sprache gleichsam gebohren, sich ihr ganz anschlösse, und ihrer Dürftigkeit an ausgebildeten Fictionen abhülfe, wer würde ihn von sich stossen? Wer wollte ihn nicht vielmehr als einen Zaubergarten betrachten, den nach langen Jahren der Dürre und Theurung eine gütige Fee uns geschenkt habe? Warum wollten wir nicht den höchsten Gott als Allvater, Freia, als die Göttinn der Liebe, Löbna als die Beschützerinn der ehelichen Eintracht, Saga als die Göttinn der Geschichte, Wara als die Aufseherinn der Gelübde, insonderheit der Liebesbetheurungen, annehmen, da ihre Namen, was sie sind, deutlich und schön sagen? Andre Namen sind so wohllautend, die Erzählungen von den Personen, die sie bezeichnen, sind unsrer Denkart und Sprache so angemessen, daß man ja bald lernen wird, wie Thor den Donner, Braga den Gott der Dichtkunst, Iduna, die Göttinn der Unsterblichkeit und der Neuverjüngung, Lyna, die Erretterinn aus Gefahren, Nossa die Vortreflichkeit bedeute. Wird man diesen wiederkommenden Altvätern und Großmüttern, den Ureltern unsrer Sprache nicht gern Stühle setzen und den ehrenhaftesten Platz im Hause einräumen, selbst wenn dies Haus der wohlversehenste Pallast wäre?

Frey.
Gib mir die Bücher, die dahingehören; ich will lesen.
Zweite Unterredung.

Frey.
Ich habe gelesen, und mir sogleich zu Anfang der Edda ein Wort gemerkt, das Gangler (ein guter Name für neugierige Reisende) sagte, als man ihn in den Goldbedeckten Pallast dieser Götter einlud. „Man muß, ehe man hineingeht, zuförderst sich nach allen Thüren umsehen, wo man wieder hinaus kann.“ Dies dünkt mich, Alfred, ist auch uns bei dieser Mythologie zuträglich.

Denn zuerst sage mir: sind wohl alle Namen der nordischen Mythologie so Deutsch, daß sie noch in unsrer Sprache leben? Wer kennt Odin, Äger, Balder, Forsete, Häner und Hoder, Locke, Tyr, Uller und Widar? Wer die Göttinnen und Jungfrauen, Eyra, Fülla, Gna und Gefiona, Syena, Siphia, Skada und Snotra? Wer die Walkyren, Nornen, die Wald- und Meer-Jungfern, die Elfen, Zwerge, Riesen, nach ihren Verrichtungen, Arten und Namen? Sollen wir da abermals eine Mythologie lernen? soll wiederum ein Natalis Comes, Pomey und Damm geschrieben, oder ein Hesiodus, Callimachus, Apollodor commentirt werden? Da liebe ich mir die Antwort jenes Weltweisen, den man um die Bedeutung des Worts Telyn, das unsre Dichter damals oft brauchten, fragte. „Das sind solche Wörter, sagte er, die neuerdings zur Zierde oder zur Ausfüllung des Verses gebraucht werden, deren Bedeutung aber man eben so genau nicht wissen darf.“ – Ich fürchte, daß ohne einen erläuternden, äusserst verdrießlichen Commentar bei den Lesern nordischer Gedichte dies lange der Fall seyn möchte. Die griechische Mythologie lernt man als ein Alphabet in den Schulen; Dichter und Künstler erinnern uns unaufhörlich daran, und halten sie vest in unserm Gedächtniß; wo aber lernen, wodurch verewigen wir uns diese Namen?

Alfred.
Hiezu wäre der Weg leicht. Ist diese Mythologie der Aufmerksamkeit werth, so lerne man sie, wie die griechische; oder vielmehr, der Dichter führe sie verständlich, angenehm, und behutsam ein. Wenn man das Fach der nordischen Litteratur auch blos als einen Theil der Europäischen VölkerGeschichte, als einen Zweig des menschlichen Wissens betrachtet, so sind die ungeheuren, gelehrten und großmüthigen Bemühungen, die eine Reihe Beförderer dieses Studiums von Verelius, Magnäus und Torfäus an bis zu Thorkelin und Suhm darauf gewandt haben, doch wohl der Aufmerksamkeit werth. Und da wirklich schöne poetische Stücke in dieser Mythologie da sind, so muß, wer jene lesen will, diese kennen lernen. In unsern Tagen giebt sich Gräter zu ihrer Bekanntmachung eine unsägliche, bisher unbelohnte Mühe; wäre es eine Entweihung der Kunst, wenn er eine kleine nordische Mythologie mit Kupferstichen schriebe? –

Frey.
Mit Kupferstichen?

Alfred.
Warum nicht? ja ich getraue mir mehr zu sagen. Nach den Griechen kenne ich auf unserm ganzen Erdrund keine Mythologie und Geschichte, die der Kunst fähiger und würdiger sei, als diese. Die Galische, Jüdische, Sinesische, Indische, selbst (wenn man sie von den Griechen trennt), die eigentlich-Römische müssen ihr an Reichthum, Würde und Fähigkeit zur Kunst nachstehn. Geh in diesem Betracht beide Edden und nur einige Sagen durch; Du wirst über den Reichthum an mahlerischen Scenen erstaunen. Kühn und sanft, trotzig und milde, zu Lande und Wasser erscheinen hier Abentheuer der Götter und Helden in beiderlei Geschlecht, die einen Michael-Angelo, Raphael, Correggio und Titian, einen Guido und Dominichino beschäftigen könnten; so viel Abwechslung giebt es in der Götterstadt und im Riesenlande, an Ufern, Bergen, und Thälern. Das Wunderbare ist mit dem Großen und Lieblichen hier dergestalt gemischt, daß wenn man, (wie es auch die Griechen thaten), das Rohe und Ungeheure absondert, selbst die Zaubereien zu den frappantsten Vorstellungen Anlaß geben. Besinne dich, Frey. Das originalste, anziehendste, wunderbarste Stück Shakespears, Hamlet, ist es nicht eben aus dieser nordischen Fabel? Die am meisten mahlerischen Scenen im Sturm, im Lear, im Macbeth grenzen sie nicht an diese Fabel? Und zu wie manchen dergleichen Stücken liegt noch Stof in ihr! – Wäre ich ein nordischer König; ich liesse mir, wie die Britten eine Galerie Shakespears und Miltons haben, eine Galerie der alten Geschichte meiner Völker mahlen, und untersagte meinen Künstlern die zu oft wiederholte Römergeschichten. Die Welt ist groß; die Muse muß umherziehn, wie mit der Lyra, so mit dem Pinsel.

Frey.
Alles zugegeben; wie und woher aber sind diese Scenen für uns Deutsche einheimisch? Ein Theil der Fabeln ist fürchterlich nordpolarisch.

Wenn ich z. B. die Schöpfung der Welt lese: „Von ihren Quellen entferneten sich die Ströme der Hölle; der Gift, der sie fortwälzte, fror. Über ihnen froren die Dünste; unter ihnen stürmten Wirbelwinde; von Süden sprühten Funken und Blitze; in Mitte aller weht’ ein schrecklicher, eisiger Wind. – Da breitete sich aus ein wärmender Hauch über die Dünste von Eis und schmelzte sie zu Tropfen. Aus diesen Tropen ward der erste Mensch.“ – Wenn ich dies lese, so grauset und friert mich.

„Der erste Mensch war ein Riese; er schwitzte, als er schlief. Unter seinem rechten Arm ward ein Mann, unter dem linken ein Weib gebohren. Auch einer seiner Füsse zeugte mit dem andern; daher das Geschlecht der Riesen des Frostes.“ Kein zarter Ursprung.

Alfred.
Für die Riesen des Frostes zart genug.

Frey.
„Sobald der Hauch vom Mittag die Eisesdünste geschmelzet, bildete sich daraus eine Kuh, mit vier Milchströmen. Sie nährte den ersten Riesen, und leckte zu eigener Nahrung die mit Salz und Reif bedeckten Steine. Als sie leckte, kamen am ersten Tage Menschenhaare, am zweiten ein Haupt, am dritten ein Mensch hervor, Bure; sein Sohn hieß Bore.“

„Bore’s Söhne tödteten den Riesen; alle Riesen des Frostes ersoffen in seinem Blut. Sie schleppten den Leib des Erschlagenen in den Abgrund, und machten die Erde daraus. Wasser und Meer entstanden aus seinem Blut; die Berge aus seinen Gebeinen; aus seinen Zähnen die Steine, aus seinem Schädel der Himmel, aus seinem Gehirn die traurigen Wolken.“ Ist dies eine Ansicht der Welt, wie Wir sie wünschen?

„Bore’s Söhne ergingen sich an einem Bach; zwei Stücke Holz schwammen darauf, eine Esche und eine Erle. Sie baueten daraus Aske und Emla, Mann und Weib.“ Ein harter Ursprung beider Geschlechter.

Alfred.
Ich will Dir die Mühe ersparen, Frey, und noch stärkere Züge des Fremdartigen und von uns Entfernten anführen, als Du gethan hast. Ein grosser Theil dieser nordischen Fabelsagen gehört nach Jotunheim, dem Lande der Riesen, das glücklicher Weise unser Klima nicht ist. Ein kaltes, gefrornes, oder thauendes Land, voll Eisenwälder, Ungeheuer, Riesinnen und Riesen; uns weit entlegen.

Ich will Dir Züge anführen, von einem uns noch fernern Local der nordischen Fabel; sie spielt nicht blos in Norden. Auf der brennenden Südseite der Welt regiert Surtur der Schwarze mit seinem Flammenschwerte; an der Brücke des Himmels hält Heimdall gegen ihn Wache. Am Ende der Tage wird er mit seinen Muspelheimern kommen, die Brücke hinaufreiten, den Pallast Odins erobern; da geht dann alles in Trümmer, und eine neue Welt tritt hervor.

Endlich, Frey, der wahre Mittelpunkt der nordischen Fabel ist Odins Stadt, der Aufenthalt seines Geschlechts, Asgard. Er liegt im Mittelpunkt der Erde, Midgard. Da wohnten einst die Asen; da wohnt jeder Tapfre mit ihnen nach seinem Tode; in Norden waren sie nur Ankömmlinge, Fremde. Du hast vom Berge Ida gelesen, auf dem sich die Asen versammlen; und wo er auch liege, es ist kein nordischer Berg. Der Keim der Edda ist aus dem Vaterlande aller Mythologien und Fabeln, aus Asien her.

Frey.
Das habe ich bemerkt, und gewünscht, Aufschluß zu haben.

Alfred.
So viel über Odins Züge und sein Asgard geschrieben ist, so kann ich Dir diesen Aufschluß im Kurzen nicht geben. Offenbar ist diese Mythologie nicht an Einem Ort, nicht zu Einer Zeit entstanden. Große Weltstriche, lange Jahrhunderte trugen dazu bei; und ich wünschte von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Koppenhagen die Preisfrage ausgesetzt: aus inneren und äußern Gründen zu untersuchen, wo, wann und wie in ihren Hauptvorstellungen und Sagen diese Mythologie entstanden sei? zugleich mitbedungen, daß die Beantwortung der Frage ohne alle Rücksicht auf angenommene National- oder geltende Lieblingshypothesen versucht werden müßte. –

Aber, wozu dies alles bei unsrer Frage? Sei die nordische Mythologie am Ida in Phyrygien, oder am schwarzen Meer, am Kaukasus oder unter dem Nordpol entstanden; eine ächte, reine deutsche Stammsprache hat sie aufbewahrt, und deßhalb wollen wir uns etwas von ihr zueignen. Völker von teutonischem Stamm haben sich weit umher getummelt, sogar nach Afrika verlohren; wir nehmen das, was für uns dient, wo wirs finden.

Frey.
Recht. Und ich wollte eben wissen, was in diesem Vorrath für uns sei? Sei aufrichtig, Alfred.

Naturbedichtungen lieben wir, wenn sie uns die Entstehung der Dinge, und ihr Verhältniß zu einander, in angenehmen lehrreichen Einkleidungen, gleichsam wie eine verhüllete Braut zuführen. Sage mir aber, was, als Naturweisheit betrachtet, in diesen Fabeln angenehm und lehrreich sei? Eine Schöpfung der Welt aus des Riesen Ymers Leichnam; eine Schöpfung der Menschen aus zwo Holzarten, der Esche und Erle; die Imagination des Regenbogens als einer flammenden und dennoch vesten Brücke; die Vorstellung des Tages und der Nacht, der Sonne und des Mondes als zweier geraubten Kinder; die Erklärung der Morgen- und Abendkühle durch einen Schlauch, der mit Luft gefüllet dem Roß des Tages und der Nacht zugegeben ist, um beide in ihrem Lauf zu erfrischen; die Erklärung des Thaues aus dem Schweiß dieser Roße; endlich das Ende der Welt durch den Sonn- und Mond verschlingenden Fenris – wahrlich, das ist eine Physik aus Zeiten, die wir auch in Gedichten nicht wiederbringen müssen.

Oder meinst Du, Alfred, daß die Sitten dieser Helden für uns sind? Im Lande der Riesen gebt es wilde zu; in Odins Pallast kämpft, spielet, ißt und zecht man. Der Witz dieser Helden ist nicht fein; nicht fein sind ihre Manieren. Gewalt entscheidet; dem Stärkeren ist die Welt gegeben; er erschlägt, raubt, und entführet. – Willst Du diese Sitten preisen, diese Faust-Grundsätze wiederbringen? Sie, die ganz Europa verwüstet haben, und unter feineren Masken noch verwüsten. Das asotische Heldenleben, da Jemand mit dem Schwert in der Faust sich alles erlaubt hält; das willst Du preisen, Alfred?

Oder endlich willst Du uns die Form dieser Gedichte und Sagen empfehlen? Welches unter den hundert sechs und dreissig lyrischen Sylbenmaasen, die Worm aufgezählt hat, ist Dir das liebste? welche Stellung und Harmonie der Anfangsbuchstaben, auf welche sie so viele Kunst wandten? –

Oder willst Du uns die allegorische Räthselweisheit anpreisen, da weil der Buchstabe A (aar) Korn, der Buchstab F (Fee) Geld bedeutet, beide zusammen eine Gabe des Himmels bezeichnen, die Ursache zum Zank wird. Willst Du die ungeheuren Umschreibungen loben, da Schwert, Schiff, Schlacht, Blut, Sieg, Wolf, Geier auf tausendfache Art so verblümt, so umschreibend gesagt worden, daß im weiten Umfange der Worte sich die Wirkung des Bildes an dieser Stelle ganz verlieret. Alfred, verderbe Dir den Geschmack nicht; wir sind über jene Zeiten, und über eine solche Kunst des Gesangs hinüber. Wir wollen bei dem alten Skalda-Spiller nicht in die Lehre.

Alfred.
Hast Du die Fabel von der Iduna gelesen, Frey?

Frey.
Sie ist eine der besten. „Braga, der Gott der Dichtkunst, hat eine Gemahlinn, der die Götter die Äpfel der Unsterblichkeit anvertraut haben. Altern die Götter; so verjüngen sie sich durch den Genuß derselben.“ Ich fürchte aber, daß diese Götter ganz todt sind, und sich nie mehr verjüngen werden. Die nordische Morgenröthe leuchtet ohne zu erwärmen.

Alfred.
Hast Du noch Lust zu Einer Unterredung?
Dritte Unterredung.

Alfred.
Idunens Apfel ist heut unsre Losung. Ich verliere also kein Wort darüber, daß wir weder aus dieser noch aus irgend einer andern Mythologie rohe Begriffe, sie betreffen Natur oder Sitten, roh auftragen müssen. Auch die Griechen hatten ihre Titanen- und Giganten-Geschichten; ihre älteste war eine sehr rohe Kosmogonie. Jene aber wußten sie schicklich unterzuordnen, und aus dieser eine bessere, zuletzt bis zur feinsten Spekulation hervorzurufen. Glaubst Du nicht, daß aus Ymers Gebeinen, aus Bure’s Söhnen, die Midgard erbauten, aus der Esche des Weltbaums über dem Brunnen der Urzeit und aus den drei Jungfrauen unter ihren Zweigen, der Vergangenheit, Gegenwart, und Zukunft Dichtungen gebildet werden mögen, die dieses Quells der Urzeit werth sind? Hast Du Heimballs Lied gehört, des schönen Gottes, der an des Himmels heiligem Blau die Welt bewacht und ihrem Untergange zuvorkommt? Hast Du vom Brunnen der Weisheit geschöpft, in dem des höchsten Gottes Auge glänzet? und die feine Bildung der nordischen Schutzgöttinnen bemerkt, in allem was sie verrichten auf der Erde? Hast Du die Geschichte von des guten Balders frühem Tode vernommen, und was für Trauren daraus erwuchs? ja die ganze Zusammenordnung der Dinge zwischen dem Guten und Bösen, dem Himmel und der Hela, endlich den Ausgang der Dinge, jene schrekliche Abenddämmerung, auf welche eine verjüngte Welt ein fröhlicher Morgen folget? Lassen sich daraus nicht Dichtungen schöpfen, die unsterblich sind, sobald sie Idunens Apfel berühret?

Frey.
Zeige sie mir.

Alfred.
Das werd’ ich Dir nicht. – Aber Dichtung ist nicht alles; Du sprachst, Frey, auch gegen die Sitten dieser Männer. Suchst Du bei ihnen Sitten nach unsrer Weise? bedörfte es einer Reise ins Land der Helden und der Vorzeit, um Weichlichkeiten zu finden? Weisheit des Mannes ist ein vester Muth, ein gesunder Verstand, Gegenwart des Geistes und in Nothfällen, wo Macht nicht helfen kann, Zauberei, die dem Feinde die Augen blendet. Durchgehe die Geschichten, und ich trotze Dir, daß Du irgend wo einen biederern und schärfern Stahl der Seele findest, als bei diesen Jünglingen und Männern. Freundschaft mit dem Freunde bis auf den Tod, Tapferkeit und ein guter Muth im Leben und Sterben, Redlichkeit in Haltung seines Worts, Keuschheit, Hochachtung und zarte Gefälligkeit gegen die Frauen, ein hülfreich Gemüth gegen die Unterdrückten; das waren Eigenschaften, die diesen Volksstamm von allen Stämmen der Erde unterschieden. Wir Deutsche gehören zu ihm; soll die Tugend, die aus unsern Vätern hervorglänzte, durchaus keine Macht mehr über uns haben? Man vermischt uns mit den Galen; man fodert einen Ossian von uns. Nie gab es zwei verschiedenere Völkerstämme, als diese beiden; sie sind daher auch jederzeit gegen einander gewesen. Der Gale sang weiche, traurige Empfindungen; der Normann sang Thaten. Möge er damit andern Völkern oft zur Last gefallen und bei dem Muth auf sein Schwert stolz gewesen seyn; unterdrückend war er nie. Die ältesten Nordländer waren die Befreier der Welt, die von einer feigen, üppigen Knechtschaft unterjocht war. Das drückende Feudalsystem der spätern Normannen war eine Übereinkunft aus Noth, geformt nach den Sitten der Zeit und der Kirche. Und auch diesen Zeitraum hat kein Volk romantisch-glänzender geendigt, als dieses. Was sind die Helden vor Theben und Troja, gegen jene in der Normandie, in Sicilien, Neapel und Jerusalem? An Heldenmuth und Artigkeit waren sie die Blüthe des Rittergeistes aller Völker. Willst Du davon Proben sehen in älteren und späteren nordischen Sagen?

Frey.
Zeige sie mir.

Alfred.
Suche sie Dir selbst. – Du sprachst weiter, Frey, gegen die Sitten der Weiber. Geh mit Deinen Griechinnen und Römerinnen; und laß mir das Ideal eines deutschen Weibes, wie es in den nordischen Liedern und Sagen erscheinet. Das Verständige, Sittliche, Keusche, das Arbeitsame, Leitende, Prophetische, das Leben der Mutter für ihren Mann und für ihre Kinder ist auch hier allenthalben merkbar. Dem Charakter der Sage nach ist das Deutsche Weib zwar nicht das Gebildetste, aber vielleicht das Würdigste und Edelste ihres Geschlechts. Sollen Züge dieser Art verlohren seyn? will die verzärtelte Urenkelinn das Bild ihrer Ureltermutter nicht sehen und davor erröthen? Hier sind wenig Liebesgesänge; aber tiefe Züge der Liebe. –

Frey.
Zeige sie mir.

Alfred.
Suche sie Dir selbst. – Du sprachst ferner vom rohen Witz dieser Völker. Glaube mir, daß sich so muntre, treffende Antworten, als muthige Entschlüsse, eben so lebhafte Spottreden als kühne Thaten in diesen Liedern und Sagen finden. Nur alles ist kurz, wie ihr Schritt, wie der Klang ihrer Verse.

Du spottetest über diese Verse und nanntest sie Buchstabenwählerinnen; Ordnerinnen des Klanges hättest Du sollen sagen: denn eigentlich die Vocalen ordneten sie zu einander, in deren Vorgange oder Gefolg die Consonanten waren. Manche unsrer Versificatoren thäten sehr wohl, darauf zu merken, was für Vocalen in jeder Reihe von Wörtern, einander ablösen, wie sie wechseln, und ob sie sich, oder auch die Anklänge der Wörter unangenehm wiederholen. Sie dörfen deßwegen nicht erst jene alte, seitdem ganz veränderte Ursprache, sie dörfen darüber nur ihr eigenes Ohr fragen.

Endlich spottetest Du über das Register von poetischen Beinamen und künstlichen Umschreibungen der Dinge, die diese Dichter öfters nennen mußten. Ich hätte hierüber Manches zu sagen: denn dieser ganze Apparat zeigt eben auf das eigentliche Vaterland der Cultur dieses Völkerstammes; wenigstens deutet er auf eine alte Kunst des Gesanges, die in späten Zeiten endlich zum Handwerk geworden war. Denn von wem haben wir diese Namen-Register? Von Stopplern; und denen wollen wir danken, daß wir sie haben. Bei mancher zu künstlichen Umschreibung der Sachen, die der Dichter oft nennen muß, erinnere Dich Pindars. Wer umschreibt Sieg und Lieder, Ort und Kämpfe abwechselnder und künstlicher als Er? und wie laufen seine Bilder in einander! –

Geschmack sollen wir von den Nordländern nicht lernen, Frey: Dieser ändert sich mit Zeiten, Sitten, selbst mit dem Wohnort und Klima eines Volkes; aber Geist der Nation im Verstande, den Sitten, dem Gebrauch der Sprache, der Dichtung soll uns anwehen: denn Composition, Dichtung ist hier allenthalben. Siehe die Edda an. Sie ist bloß eine Sammlung von Fabeln, wie Hesiods Genealogie der Götter, und eben wie diese eine sehr gemischte Sammlung. Indessen macht sie ein Ganzes; sie hat Ein- und Ausgang, wie Hesiodus nicht hat. Die leichtesten Scherzlieder in der zweiten Edda haben Zusammenordnung, Umriß, Handlung, Eurythmie von Anfange bis zu Ende. Nur müssen wir billig seyn und von keinem Stück fodern, was der Zeit und dem Volk nach in ihm nicht liegen konnte. Durch eine völlige Verjüngung muß für uns die Nachbildung hervorgehn, sie betreffe Gegenstände der gegenwärtigen oder der künftigen Welt. –

Frey.
Also auch der künftigen Welt?

Alfred.
Auch dieser. Mich dünkt, daß die Bilder, die in dieser Mythologie über Hölle und Himmel gegeben werden, unserm nordischen Gefühl angemessener sind, als die morgenländischen Bilder. Hela ist eine unglückliche Tochter des Gottes der Verführung, Lock, mit einer Riesinn gezeugt. Ihre Geschwister sind Ungeheuer, die der Schöpfung den Untergang drohen. Hela’s Aufenthalt ist die geräumige Unterwelt; ihr Saal heißt Schmerz, ihr Tisch Hunger; Säumniß heißt ihr Knecht, Langsamkeit ihre Magd; ihre Thür ist der Abgrund, ihr Vorhof die Mattigkeit, ihr Bette Krankheit, ihr Gezelt der Fluch. Die Feigegestorbnen kommen zu ihr. Missethäter, Treulose, Meineidige, Mörder, Verführer der Ehefrauen und wer sonst unter dem Namen der Nichtswürdigen begriffen ist, den erwartet ein noch schrecklicherer Ort, das Leichenufer, der Nastrand; dagegen; dagegen die Tapfern, die Würdigen, treue Gatten, redliche Freunde, in den Pallästen der Freude, des Friedens und der Freundschaft, in Wingolf und Gladheim wohnen. Hast du bemerkt, Frey, woher diese Nordländer an ein Fortleben nach dem Tode so vest glaubten? Weil sie tapfer und gesund dachten. Nur ein Feigherziger vergehet im Tode; er fühlet oder wünscht sich aufgelöset und vernichtet. Der gesunde Mensch lebt fort; das Nichtseyn ist ihm Nichts; es ist ihm nicht denkbar. Glaubst Du nicht, daß Erzählungen aus jenen Pallästen des Friedens und der Freundschaft rührend und gefällig seyn werden? Der FreundschaftsBund bis auf den Tod war diesen Tapfern der heiligste Augenblick des Lebens; das Wiederfinden in Wingolf war ihnen also auch ein Lohn der Freundschaft nach dem Tode; ein süßer Lohn.

Noch muß ich Dich an jene große Esche erinnern, deren Zweige sich über die Welt verbreiten, deren Gipfel über die Himmel hinausreicht. Sie hat drei weit von einander entfernte Wurzeln, bei den Göttern, bei den Riesen, unter der Hela. An der mittleren Wurzel ist der Brunn der Klugheit, Mimers Brunn; an der himmlischen Wurzel ist die heilige Quelle, bei welcher die Götter Rath halten und ihre Urtheile kund thun. Immerdar stiegen aus dieser Quelle drei schöne Jungfrauen hervor, Urda, Verandi, Skulda, das Vergangene, die Gegenwart und die Zukunft. Sie sinds, die den Rath der Götter, der Menschen Schicksal und Leben bestimmen, und durch ihre Dienerinnen, (die wie Genien dem Menschen, dem sie zugehören, an Gestalt gleich sind), hülfreich oder strafend auf ihn wirken. Glaubst Du nicht, frey, daß diese Göttinnen und Genien auch uns das Vergangene, die Gegenwart und Zukunft, ja unser Inneres im Spiegel zu zeigen vermögen? – Und siehe, oben auf der Esche sitzt ein Adler, der weit umher blickt; ein Eichhörnchen läuft auf und ab am Baum; vier Hirsche durchstreifen seine Äste, und benagen die Rinde; die Schlange unten nagt an der Wurzel; Fäulniß an den Seiten des Baumes – und immer schöpfen die Jungfraun aus dem heiligen Brunn und begießen ihn, daß er nicht dörre. Das Laub der Esche thaut süssen Thau, die Speise der Bienen; über dem Brunnen schwimmen zwei singende Schwäne. Wolltest Du nicht ihren Gesang, nicht Heimdalls Lied vom Schicksal des grosen Weltbaumes, nicht die Stimme der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft im Rathe der Götter, unter diesem Baume hören?

Frey.
Laß mich sie hören.

Alfred.
Wenn Idunens Apfel das Alte wieder verjünget, werden auch sie nicht schweigen.

Frey.
Du hast viel und manches räthselhaft gesprochen, Alfred; laß mir Bedenkzeit.
Vierte Unterredung.

Frey.
Mich dünkt, wir könnten Eins werden über unsre Materie.

Alfred.
Das dünkt mich auch; und dazu sprachen wir eben.

Frey.
Vorausgesezt also, daß Du die griechische Mythologie nicht herabsetzen, nicht kränken willst –

Alfred.
Auf keine Weise; ich halte sie für die gebildetste der Welt.

Frey.
Vorausgesetzt, daß Du die Regel des griechischen Geschmacks in Kunst und Dichtkunst nicht verkennst –

Alfred.
Ich weiß, was wir ihr zu verdanken haben. Bildende Kunst und eine Philosophie der Künste war unter dem nordischen Himmel nie zu Hause.

Frey.
Vorausgesetzt also, daß Du keinen barbarischen, nordischen Ungeschmack weder in Tönen, noch sonst in Worten und Werken aufzubringen Lust hast –

Alfred.
Ich habe schon bezeugt, daß ich Rohes roh aufgetragen nirgendher wünsche.

Frey.
So kann Dir zugestanden werden –

Alfred.
Ich will mir nichts zugestanden wissen, als was jedem Dichte rund Mährchenerzähler aus einem fremden, fernen oder verlebten Volk zusteht, nämlich daß er den Reichthum, den ihm dies Volk und dessen Zeitalter gewährt, brauchen dörfe. Einem Dichter z. B. der aus der Ritterzeit erzählt, steht alles Wunderbare, alles Eigenthümliche der Ritterzeit zu Dienst. –

Frey.
Nicht anders.

Alfred.
Deßgleichen dem, der aus der Feenwelt dichtet –

Frey.
Ihm steht die ganze Feenwelt zu Gebote.

Alfred.
Und dem, der mrogenländische Erzählungen und Mährchen schreibt –

Frey.
Das Costume der morgenländischen Erzählungen und Mährchen. In allen diesen Gattungen haben wir so trefliche Proben, daß darüber kein Zweifel obwalten kann.

Alfred.
Ein Mehreres als dies will ich nicht, für meine nordische Fabel. Nun möge das Ideal, das in diesen Sagen, in dieser Denkart, in dieser Sprache liegt, hervortreten und selbst wirken.

Frey.
Meinst Du, auf unser Leben wirken?

Alfred.
Deßhalb bleibe ich unbekümmert. Verschaffe uns nur den Apfel Idunens.

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