HomeDie Horen1796 - Stück 2I. Herr Lorenz Stark. [J. J. Engel]

I. Herr Lorenz Stark. [J. J. Engel]

Bewertung:
(Stimmen: 0 Durchschnitt: 0)

(Fortsetzung)

XV.

Was giebst du mir, wenn ich dir eine Entdeckung mache? – sagte der Doctor, als er zu seiner Frau zurückkam.

Laß hören! – Vielleicht eine Gegenentdeckung.

Der Bruder ist sterblich verliebt in die Lyk. –

Die Lyk ist sterblich verliebt in den Bruder. –

Ist’s möglich? – Und nun erfolgte von beiden Seiten eine HerzensErleichterung, die mit allen Holdseligkeiten ehelicher Vertraulichkeit gewürzt war. –

Sie ist krank, sagte die Doctorinn, herzlich krank; ich habe die Freundinn von ihr, die eben da war, um dich zu ihr zu bitten, über alle Umstände befragt; sie hat gestern Abend – und merke dir’s wohl: weil eben der Bruder von ihr gegangen – –

Der Bruder? Da hat er Abschied genommen!

Natürlich! – Sie hat, sagt mir die gute Freundinn, gar nicht fertig werden können mit Weinen; die ganze Nacht hindurch hat sie kein Auge geschlossen; alle Munterkeit, alle Esslust ist bei ihr fort; – dazu hat sie Krämpfe – die schreklichsten! –

Krämpfe? Hm!

Kurz: das arme Weib steckt in Liebe bis über die Ohren. – Und nun bitt’ ich dich, Herzensmann: laß Essen und Alles, und mach, daß du hinkommst, damit wir das näher erfahren!

Sie ist ohnehin nicht die stärkste, sagte der Doctor, der ein wenig ungläubig schien; – sie ist dem Bruder ungemein viel Verbindlichkeit schuldig; – sie hat ein dankbares Herz –

Eben deßwegen! Solche Herzen sind dir die rechten; die fangen Feuer, wie Zunder. – Der Bruder ist ein ganz artiger Mann. –

Das wohl. –

Und ich kenne dir eine, die Anfangs auch nur dankbar war, weil ein Gewisser – ein noch artigerer Mann – ihr von einem bösen Fieber geholfen hatte, und die nachher – –

Das verdiente einen Kuß, der gegeben ward, und der Doctor flog fort.

Er fand die Wittwe freilich nicht wohl; aber so krank denn doch nicht, als die gute Freundinn, und dann weiter die Frau Doctorinn, es gemacht hatten. Sie gestand, nach einigem Kampf mit sich selbst, daß der Hauptgrund ihres Übelbefindens in einer Unruhe des Herzens liege. Der Doctor horchte mit beiden Ohren; denn er glaubte schon den außerordentlichen Fall vor sich zu haben, daß ein Frauenzimmer die Schwachheiten seines eigenen Herzens verplaudre; aber als das Geheimnis an den Tag kam, war es weiter nichts, als ihr Verhältnis mit ihrem Gläubiger. Der Doctor war Hausarzt des Mannes, und hatte ihm und seiner Familie große Dienste geleistet: die Wittwe gründete hierauf die Hofnung, daß ein von ihm eingelegtes gutes Wort ihr Nachsicht auf einige Wochen bewirken könnte, und sie beschwur ihn um dieses Wort, als um eine Freundschaft, die ihre Genesung mehr, als alle Arzeineimittel, befördern würde. Ihre Lage, sagte sie, sey die dringendste von der Welt, aber nichts weniger, als verzweifelt: sie sey im Stande, wenn man ihr Zeit lasse, alle ihre Schulden bis auf den lezten Heller zu tilgen, und sie berufe sich deßwegen auf das Zeugnis seines Schwagers, des Herrn Stark – wenn er anders noch hier sey –

Das Eigne in der Modulation der Stimme, womit sie diese lezten Worte aussprach, zusammengenommen mit einem kleinen übelverheelten Seufzer und mit dem Niedersinken ihres bis dahin aufgehobenen Blicks in den Busen, schien dem Doctor eine Indication zu geben, der er weiter nachspüren müßte.

Ich bin zu Ihrem Befehl, sagte er, liebe Freundinn; aber ich bitte Sie zu erwägen, daß die Summe, die Sie mir angeben, von keinem Belang, und daß der Mann, mit dem wir zu thun haben, von rauher, unfreundlicher Art ist. So wenig ich zweifle, meinen Antrag bei ihm durchzusetzen; so könnte er doch leicht sich herausnehmen, bei dieser Gelegenheit Dinge zu sagen, die mir wehe thun würden. – Warum denn auch einen rauhen, beschwerlichen Umweg zum Ziele gehen, wenn ein gerader, gebahnter Weg offen da liegt?

Welcher? seufzte die Wittwe.

Sie nannten vorhin einen Freund, dem jede Gelegenheit, Ihnen gefällig zu werden, das größte Vergnügen erweckt. Ich bürge Ihnen für seine Gesinnungen gegen Sie.

Dieser Freund – –

Gönnen Sie ihm doch das Glück, Madam, Ihnen dienen zu können!

Das Glück? – Aber wenn’s denn ein Glück ist; so gestehn Sie: er hat es nur zu reichlich genossen. – Ich erliege unter der Last meiner Verbindlichkeiten. Ich kann sie ewig nicht tilgen. – Und will er jetzt nicht fort, dieser Freund? Will er uns nicht verlassen? Wird er des Geldes genug nur zu eigener Einrichtung haben? – Ihre Stimme schwankte, und sie schien in außerordentlicher Bewegung.

Es mangelt ihm nicht, Madam; ganz gewiß nicht! – Geben Sie ihm die Freude mit auf den Weg, Ihre Wohlfarth gesichert zu haben! Lassen Sie mich hin, ihm es vorzutragen! Es ist in wenig Augenblicken geschehen. – Er stand auf, und machte Mine, sich zu entfernen.

Nein! Nein! – war Alles, was die Wittwe hervorbringen konnte. Sie hatte die Hand des Doctors, um ihn zurückzuhalten, mit einer ihr ungewöhnlichen Hitze ergriffen. Er fühlte das Brennen und Zittern der ihrigen, und bat sie, ihrer schwachen Gesundheit zu schonen. – Ich rede dann, weil Sie’s so wollen, mit Ihrem Gläubiger, und ich halte die Sache mit ihm für so gut, als berichtigt. Werden Sie ruhiger, liebe Freundinn! – –

Der Doctor hatte an diesem Wenigen schon genug, um bei seiner Zuhausekunft seiner Frau zu sagen, daß sie wohl schwerlich geirrt haben mögte. – Aber, setzte er hinzu, wie in aller Welt soll das werden? Wo soll das hinaus?

Du fragst? – Wenn sie wirklich so liebenswürdig und sanft und gut ist, wie du sie mir immer gerühmt hast – –

Das ist sie wahrlich! wahrlich!

Nun gut! – So läßt man den dritten Mann kommen, den Priester. Der hat Mittel für solche Übel.

Mir wär’s recht; in der That! Ich nennte die gute Frau mit Vergnügen Schwester. – Aber ich gestehe dir: daß ich zittre, wenn ich an deinen Vater denke.

O, der wunderliche, alte – liebe, böse Mann der, der Vater! – Ich bin so erbittert auf ihn; ich mögt’ ihn gleich – – ja, was mögt’ ich, ich Närrinn? – – Aber je lieber ich ihn habe, desto abscheulicher war’s, mich so herumzuführen, so zum Besten zu haben. – Ich vergeß’ ihm das nicht; nimmermehr! Ich spiel ihm irgend einen Gegenstreich, und einen recht argen. – Wart! Eben mit der Lyk muß ich ihm einen spielen. – Wie? Soll denn darum, weil er sich gegen die arme Frau eine wunderliche Grille in den Kopf gesetzt hat – –

Und eine falsche. Denn nicht sie hatte Hang zur Verschwendung, aber der Mann.

Nun ja! – Und soll denn darum die arme Frau ein so schönes Glück nicht machen, das sich ihr anbeut? Soll darum der Bruder eine Leidenschaft aufgeben müssen, die den schönsten, edelsten Grund von der Welt hat? – Da sizt er nun in seinem Käfigt, der arme Narre! und hängt das Köpfchen. – – Hahahaha! Es ist doch ein närrisches Ding um’s Verliebtseyn. – Aber Geduld nur! Geduld! Er soll mir heraus, und soll mir ins Ehebette zur Lyk, oder ich will nicht das Leben haben.

Du unternimmst da viel, sagte der Doctor. Wie willst du deinen Vater gewinnen? – Daß Zureden bei ihm nicht hilft, hast du erfahren; und mit List ihn zu fangen? – Ich fürchte: er geht dir in keine Falle.

Gesteh: es ist doch ein kluger, ein wirklich außerordentlicher Mann, mein Vater?

Der klügste, den ich in meinem Leben gefunden habe.

Sieh in mir seine Tochter! – –

Ah! – sagte der Doctor, der sich verbeugte und über ihr komisches Pathos von Herzen lachte; alle Verehrung, Madam! Aber darf man denn dieses oder jenes von Ihrem Plane voraus wissen?

So bald er da seyn wird; ja! – Weißt du indessen, was vor allen Dingen zu thun ist, und was von Niemanden so gut gethan werden kann, als von dir? – Bring dem Vater bessere Begriffe bei von dem Bruder! Erzähl’ ihm sein Betragen gegen den seligen Lyk! Ich bin versichert, das wird ihm gefallen, recht sehr gefallen. – Auch das erzähl’ ihm, wie edelmüthig er sein Versprechen erfüllt, und wie treu er, ganze Monate lang, für die Wittwe gearbeitet hat. Solche Züge, weiß ich, freuen den alten Mann in die Seele, und ein wildfremder Mensch, von dem er so etwas hört, wird auf der Stelle sein Blutsfreund. – Gewiss, er hätte das schon früher erfahren sollen.

Und würd’ auch, so wie ihr alle, wenn ich nicht dem Bruder hätte mein Wort geben müssen, zu schweigen. – Jetzt; so bald ich Gelegenheit dazu finde – –

Willst du thun, was dein braves Weib dir aufgiebt. Nicht wahr?

Schuldiger Maßen.

Schön! – Und ich will Bekanntschaft mit unsrer Wittwe machen; ehester Tage! Ich hab’ es mit der Freundinn von ihr schon eingeleitet. Ich bin ganz neugierig auf sie. – Da sind auch die beiden Kleinen von ihr, die hier täglich vorbei in die Schule müssen; ein paar Engel von Kindern! Morgen ruf’ ich sie mir herein, und da will ich sie herzen und lieb haben, als ob’s meine eigenen wären.

XVI.

Die Gelegenheit, sein gegebenes Wort zu erfüllen, fand sich für den Doctor gar bald. – Willkommen! Willkommen! sagte der Alte, als er das nächste Mal zu ihm hineintrat; wie stehts? – Und vor Allem, Herr Sohn: wie stehts mit unsrem kritischen Kranken? Ich sehe ja die Mutter noch keine Anstalten machen.

Anstalten, lieber Vater? Wozu?

Zu dem Abschiedschmause, den ich bestellt habe. Hat er denn immer noch Fieber? – Ein ihm eigenes flüchtiges Muskelspiel um die Gegend der Lippen schien anzudeuten, daß er die Krankheit des Sohns eben nicht für die ernsthafteste halte.

Es steht, wie es steht, sagte der Doctor, der diese Gelegenheit, für den Schwager zu reden, um so lieber ergriff, da der Alte nur eben seinen schwersten Posttag abgefertiget hatte, und jetzt, seiner Gewohnheit nach, im Sessel der Ruhe pflegte. In solchen Augenblicken, wußte er, war das Herz des Alten für Eindrücke des Angenehmen und Guten immer am meisten offen: denn die Gegenwart, die allein ihm zuweilen zur Last fiel, hatte er dann bei Seite geschaft, und in die Vergangenheit pflegte er immer mit großer Gemüthsruhe zurück, so wie in die Zukunft mit froher Hofnung vorwärts zu blicken.

Sie reden ja ganz bedenklich, erwiederte er dem Doctor. Es wird doch nichts Schleichendes werden? – Da mögt’ es mit der vorhabenden Reise noch langen Anstand haben. – Er lächelte wieder.

Bis jezt ist es Flußfieber; sonst nichts. – Daß sich etwas Schlimmers dahinter versteckt halten sollte, will ich nicht hoffen. Indessen hat man der Fälle.

Aber es läßt sich doch vorbauen. Nicht?

Allerdings. – Auch wüßt’ ich nicht leicht, für welchen Kranken, wenn es zum Ernst kommen sollte, ich treuer und herzlicher sorgen würde, als für den Bruder. Ich lieb’ ihn gar sehr; denn so wenig ich seine kleinen Schwachheiten an ihm verkenne, so weiß ich doch, daß er zu unsren rechtschaffensten, selbst zu unsren edelsten junge Bürgern gehört.

Das klingen gar schön; in der That! Und am schönsten wohl in dem Ohr eines Vaters.

Sie haben mich fast abgeschrekt, über den Bruder mit Ihnen zu reden. –

Wie das? – Wenn Sie mir solche Dinge von ihm zu sagen, und noch mehr, wenn Sie mir Beweise davon zu erzehlen haben; so reden Sie bis in die sinkende Nacht! Ich will hören. – Leider! würden solche Dinge für mich nur zu sehr den Reiz der Neuheit haben.

Und woher wollten sie auch, daß sie Ihnen bekannt seyn sollten? – Ihr Sohn ist mit dem Guten, was er gethan hat, nie laut geworden.

Das klingt ja immer noch schöner. – Er beugte sich gegen den Doctor vor, und sezte mit einem kleinen ungläubigen Kopfschütteln hinzu: Ich bin ganz neugierig geworden. Was für Wunderdinge werd’ ich denn hören?

Der Doctor hatte keine Noth, unter den Beweisen von dem Edelmuthe seines Schwagers zu wählen; er hatte nur Einen, aber auch desto wichtigern, in seinem Gedächtnis. – Sie erinnern sich doch, fing er an, des unglüklichen Verhältnisses, worinn Ihr Sohn mit dem seligen Lyk stand? Sie wissen doch, zu welchen boshaften, verläumderischen Briefen nach A… sich dieser leichtsinnige Mann durch kaufmännischen Eigennutz hatte verleiten lassen?

Ich weiß das freilich, Herr Sohn. Aber ich bitte: wenn’s zu Ihrem Zwecke nicht unumgänglich nöthig ist, so lassen Sie’s ruhen! – Als der Mann sich hinlegte und starb, ging mir das nahe, und da gab ich ihm die Erinnerung daran in sein Grab.

Edel! – Und wahrlich! will dort ich sie nicht wieder hervorziehn. – Nur gestehen Sie: daß es noch edler, als bloßes Vergessen ist, wenn man so bittre Beleidigungen, die für den Menschen nicht minder kränkend, als für den Kaufmann waren, mit den wichtigsten, langwierigsten, mühsamsten Diensten erwiedert.

Und wer that das? fragte der Alte begierig.

Wer denn sonst, als Ihr Sohn? – Meine wenige Hofnung, den seligen Lyk zu retten, da sein Fieber so heftig und sein Körper so sehr entnervt war, ward mir noch vollends durch eine ganz sichtbare Unruhe seines Gemüths vereitelt. Ich suchte ihr auf den Grund zu kommen, und es fand sich, daß er die schmerzlichste Sehnsucht fühlte, sein dem Bruder erwiesenes Unrecht wieder gut zu machen, und daß er nicht ruhig glaubte sterben zu können, wenn er nicht durch die aufrichtigste und wehmühtigste Bitte um Vergebung sein Gewissen erleichtert hätte. Ich erbot mich zum Mittelsmanne, und ich ward mit Freuden dazu angenommen. Wenn der Bruder nicht gleich auf mein erstes Wort bereit war, den unglücklichen Mann zu besuchen; so lag das nicht, wie ich Anfangs glaubte, an einem Rest von Rachgier oder an einer natürlichen Herzenshärte, sondern bloß an seinem allgemeinen Abscheu vor allen Krankenzimmern, und an der Furcht vor dem zu heftigen Eindrucke, den ein Sterbender auf ihn machen könnte. Als er sich endlich entschloß, mir zu folgen, und nun den Unglücklichen ansichtig ward, der ihm unter lautem Schluchzen die zitternden Arme entgegenstreckte; da war auf einmal jener Abscheu und jene Furcht aus seinem Herzen so rein verschwunden, daß er mit der lebhaftesten Begierde auf den Kranken zustürzte und ihn mit Inbrunst umarmte. Das Menschliche, Edle, Großmüthige seines Benehmens rührte jeden Gegenwärtigen, und auch mich, der ich wahrlich! nicht der Weichmüthigste bin, bis zu Thränen. Wie viel Mühe gab er sich, den armen Leidenden zu beruhigen, und ein Bekenntnis zurückzuhalten, das für ihn so beschämend und kränkend seyn mußte! Aus wie vollem Herzen strömte ihm das Wort der Versöhnung, als ihm seine innre Erschütterung es endlich auszusprechen erlaubte! Fodern Sie, sagte er, fodern Sie einen Beweis von der Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen, und wenn er irgend in meinen Kräften steht, so betheur’ ich Ihnen vor Gott: ich will ihn mit Freuden geben. Kann ich Ihnen; kann ich den Ihrigen dienen? Kann ich’s in diesem Augenblicke? kann ich’s in Zukunft? Womit? Womit? – Ich erwarte nur Ihr Wort, bester Lyck; und was es auch immer seyn mag – –

Der Alte saß in seinem Sessel, vor lauter Zuhören, so stille, daß er kein Glied bewegte. Nur war er sich gleich Anfangs mit der Hand nach dem Stutz gefahren, um ihn von dem guten Ohre ein wenig zurückzustoßen, und jetzt auf einmal fuhr er sich mit den Fingern an seine Augenwimper.

Der Sterbende, fuhr der Doctor fort, nützte die Erklärung des Bruders zu einer Bitte, deren Wichtigkeit ich erst hintenher aus der ungeheuren Arbeit kennen lernte, die ihre Erfüllung kostete. Er gestand, daß seine Handlungsgeschäfte in Verwirrung, seine Bücher in nicht geringer Unordnung wären.

Das will ich glauben, sagte der Alte. –

Er bejammerte das Schicksal seiner Frau und seiner unmündigen Kleinen, wenn ihn Gott von der Welt rufen sollte.

Und das mit Recht! Er war ganz nahe am Bruche. –

Der auch sicher erfolgt wäre, wenn die unermüdbare Geschäftigkeit Ihres Sohnes nicht gethan hätte.

Wie? –

Das Geständniß des Sterbenden war kaum abgelegt, als Ihr Sohn ihm sein heiliges Wort gab, daß er auf den Fall seines Todes nicht ruhen wolle, als bis er Alles, so gut er es immer möglich finde, in Ordnung gebracht habe.

Und er hielt’s? rief hier der Alte hitzig.

Mit der pünctlichsten Treue. Ganze Monate lang brachte er, Abend vor Abend, in jenem Hause der Trauer unter den verdrüßlichsten Geschäften zu, verglich Brüche, zog Rechnungen aus, schrieb oder beantwortete Briefe, indessen Sie, mein lieber Vater, ihn auf Bällen, oder in Concertsälen, oder an Spieltischen glaubten. –

Es wäre besser gewesen, wenn der Doctor diesen unnöthigen Zusatz unterdrückt hätte; denn ohne dem Schwager damit zu nützen, that er sich selbst damit Schaden. Er brachte sich um ein Fässchen Weins, oder um irgend ein andres Geschenk, das er sonst für seine angenehme Erzählung gewiss erhalten hätte.

Ich habe denn eben keinen Wahrsagergeist, sagte der Alte empfindlich. – Die Thorheiten meines Sohns, die mich verdrüssen mußten, durft ich erfahren; aber sein Gutes, was mir hätte können Freude machen – –

Der Doctor entschuldigte sich, wegen seines Geheimhaltens, mit dem abgenöthigten Versprechen, zu schwiegen; einem Versprechen, das er vielleicht zu gewissenhaft bis auf den Vater ausgedehnt habe. die kleine Falschheit, die in dieser Erklärung lag, da vorzüglich um des Vaters willen jenes Versprechen war gefodert worden, glaubte er sich vergeben zu können. – Bald darauf erinnerte er sich einiger Kranken, denen er noch Besuche zu geben hatte, und empfohl sich dem Alten.

Er war schon mehrere Minuten hinaus, als dieser noch in seinem Sessel, von dem er beide Arme bequem herabhangen ließ, mit feuchtem Blick vor sich hinschmunzelte, und in Gedanken das unbegreifliche Bild seines gepuzten und gepuderten Sohnes anstaunte, wie er vor dem Krankenbett eines Feindes edelmüthige Thränen vergoß, und ganze Monate lang alles Vergnügen aufgab, um in das Chaos vernachlässigter Handlungsbücher Licht und Ordnung zu bringen. – Er ward durch den Besuch von ein paar Fremden gestört, die für die abgebrannte Kirche zu L.. und die mit abgebrannten Pfarr- und Schulgebäude milde Beiträge sammelten. Er nahm sie mit vieler Leutseligkeit auf, und statt der dreißig oder funfzig Reichsthaler, die er sonst vielleicht würde geschrieben haben, schrieb er jetzt volle hundert. – Der erste Buchhalter, Monsieur Burg, trat herein, und suchte mit verlegner Mine einen Brief vorzubereiten, worinn ein Verlust von mehrern Tausenden als höchstwahrscheinlich vorausgesagt ward. – So etwas fällt in einer Handlung schon vor, sagte der Alte, und gab ihm den Brief, nach nur flüchtiger Durchsicht, mit einer Freundlichkeit wieder, als ob er die angenehmste Nachricht von der Welt ertheilte. Den ganzen Abend hindurch war er über der Entdeckung, die er so unvermuthet gemacht hatte, ungewöhnlich heiter und froh; es war ihm, als ob ihm erst jetzt ins einem hohen Alter ein Sohn wäre gebohren worden. Als er in seine Schlafkammer ging, gab er vorher der Alten, die solcher ehelichen Zärtlichkeiten schon seit lieben langen Jahren entwöhnt, und daher nicht wenig, aber auch nicht unangenehm, erstaunt war, einen recht herzlichen Kuß. Das Einzige, was ihn noch innerlich ärgerte, war der Umstand: Daß an einer Waare, die doch tiefer hinein ein so gutes und feines Gespinnst zeigte, gerade das SchauEnde so schlecht seyn mußte.

XVII.

Unter so angenehmen Vorstellungen der Alte eingeschlummert war, unter so unangenehmen wachte er auf. Da er sein Herz von der Erzählung des Doctors voll hatte; so versetzte ihn ein Traum in das Lyckische Haus, wo er das Vergnügen genos, seinen Sohn, mit Schweiß und Staub bedeckt, unter einem Haufen ganz verschiedenartiger, höchst unordentlich durch einander geworfener Waaren zu sehn, die er mit großem Fleiß aus einander suchte. Er wollte so eben zugreifen, um ihm zu helfen, als in seiner Einbildung die bisher mit dem Namen Lyck verbundenen Bilder lebendig wurden, und ihn aufs bitterste den Entschluß bereuen ließen, in ein Haus voll so toller Verschwendung und so ärgerlicher Ausschweifung zu treten. Indessen hielt er den Anblick der prächtigen Zimmer, die in seinen Gedanken sich eher für einen Fürsten, als einen Kaufmann schickten, der mit größtem Überflusse besetzten Tafeln, der umherschwärmenden Bedienten, ja sogar der wilden, lärmenden Trinker, die Champagner wie Wasser hinuntergossen, eine Zeitlang aus; aber als endlich sein Sohn mit der Hausfrau süße Blicke zu wechseln anfing, und beide auf einmal in bebänderten Domino’s, mit Masken in den Händen und rothen Absätzen unter den Schuhen vor ihm standen; so stürzte er, voll des äußersten Widerwillens, zur Thüre, und dankte dem Himmel, auf die große Hausflur hinauszukommen, die ihm aus frühern Jahren, von den Zeiten des alten Lyk her, so wohl bekannt war. Er hob hier sorgfältig beide Rockschöße auf, und drückte sie dicht an den Leib, um unbeschmuzt durch die Packen und Ballen und Kisten und Fässer zu kommen, zwischen denen ehemals nur ein ganz schmaler Weg hindurchgieng; aber plözlich ward er zu seinem Erstaunen inne, daß seine Vorsicht unnütz, und daß die ganze Flur von Waaren so ausgeleert war, wie eine Schatzkammer nach einem Kriege von Gelde. Alle Wände umher hiengen voll angezündeter Lampen, und nicht lange, so ertönte aus dem Hintergrunde des Saals – denn das war die Flur nun geworden – eine lustige Tanzmusik; Paar an Paar hüpften, wie unsinnig, gegen und durch einander; und als er sich leise niederdrückte, um wo möglich hinter ihnen weg und zum Hause hinauszuschleichen, so tanzte ihm unversehens eine der muntersten und galantesten Frauen der Stadt von gar nicht gutem Rufe entgegen, riß ihn, wie sehr er sich sträubte, in die Reihe hinein, und wirbelte dann, in Verbindung mit der ganzen Gesellschaft, den guten Alten, der nie als in seiner Jugend ein Tänzchen, und auch da nur ein Ehrentänzchen, gemacht hatte, so unbarmherzig auf und nieder, daß er bei seinem endlichen Stillstehen kaum wieder Athem gewinnen konnte. Er fand sich hier einem Spiegel gegenüber, der ihm seine ganze gegen die übrige Gesellschaft so abstechende Gestalt, zugleich mit seinen grauen Wimpern und den ehrwürdigen Runzeln seines Alters zeigte; ein Anblick, worüber er augenblicklich wach ward, und sich völlig so athemlos und so eingefeuchtet fand, als ob die geträumte heftige Leibesbewegung wirklich Statt gehabt hätte.

Gottlob! rief er, indem er die Augen weit aufthat, und sich des einsamen Schimmers seiner Nachtlampe von Herzen freute; es war nichts, als ein Traum. Hätt’ ichs doch kaum geglaubt, daß man im Traume ein so schweres und angreifendes Stück Arbeit machen könnte! – Die tollen, rasenden Menschen! – und nun fing er an, weil die Wallung in seinem Blute noch fortwährte, und die verhassten Bilder noch ihre volle Lebhaftigkeit hatten, sich recht ernstlich über den Unsinn zu ärgern, womit so Mancher für die läppischen, armseligen Vergnügungen, deren er nur eben beigewohnt hatte, Vermögen und Gesundheit und ehrlichen Namen auf’s Spiel setze. Er dachte sich mit dem äußersten Abscheu die Möglichkeit, daß auch sein so sauer erworbenes Gut, eben wie das Lykische, in wenigen Jahren verpraßt, und der Name Stark, den er bisher in Ehre und Ansehen gehalten, mit Schimpf und Schande belegt werden könnte. Hier fielen ihm die süßen, zärtlichen Blicke auf’s Herz, die er seinen Sohn mit Madame Lyk hatte wechseln sehen. Es fuhr ihm kalt über den Rücken. Doch tröstete ihn wieder die Betrachtung: daß die Liebe zum Gelde in dem Herzen seines Sohns keine schwächere Leidenschaft, als die Eitelkeit, sey, und daß es ihm jene gewiss nicht erlauben werde, sich mit einer Frau von so mittelmäßigen, wo nicht gar schlechten Umständen, und noch obendrein mit einer Mutter von Kindern, zu belasten. So weit, sagte er, kann sein Geschmack an Galanterie ihn doch unmöglich verleiten. – Zwar, wandt’ er sich wieder ein, hat er ja meine Erwartung schon in Einem Stücke getäuscht; und könnt’ er’s nicht leicht auch in diesem? – Doch ich träume noch, glaub ich; die Fälle sind einander nicht ähnlich. Das Opfer, das er bei so einer Heurath brächte, wäre zu groß; auch hat er hier volle Zeit zur Besinnung: – denn in eine Liebe verstrickt zu werden, die ihn aller Besinnung beraubte, sieht ihm nicht ähnlich – und welche Wahl er treffen kann, wenn ihm nur die Besinnung dazu frei bleibt, ist keine Frage. Am Krankenbett des seligen Lyk sah er sich überrascht; er ist nur ein eitler und schwacher, kein verderbter, kein boshafter Mensch; es war natürlich, daß der erschütternde, ihm so neue Anblick eines Sterbenden und die dringende Auffoderung, die so sehr zu rechter Zeit an sein Herz erging, ihn zu einem Versprechen hinrissen, das er bei kalter Überlegung wohl schwerlich gethan hätte, das aber, einmal gethan, nicht unerfüllt bleiben durfte, wenn er nicht geradezu als ein Mann von schlechter Gesinnung erscheinen wollte. Und warum sollt’ er denn nicht auch freudig gethan haben, was einmal gethan werden mußte? Warum sollt’ er nicht, während er’s that, in dem Bewußtseyn seiner Rechtschaffenheit und in der Achtung die er gegen sich selbst empfinden mußte, sich so wohlgefallen haben, daß er immer freudiger fortfuhr? Ich danke dem Himmel, wenn er bei dieser Gelegenheit in den Geschmack des Guten gekommen. Vielleicht, daß ihn das edlere Vergnügen wohl noch ganz von den armseligen Eitelkeiten abzieht, zu denen er bisher einen so unglücklichen Hang hatte. Und dann vollends leben Sie wohl, Madame Lyk, mit Ihrer Feinheit, und Ihrem Weltton, und mit dem ganzen Gefolge von Liebenswürdigkeiten, das hinter Ihnen drein treten mag! Für meine Sohn sind Sie nicht. –

Wenn diese Gedankenfolge des Herrn Stark, so richtig und bündig sie schien, dennoch nur wenig zutraf so lag das an den beiden so gewöhnlichen Fehlern: daß er einen Charakter, der sich bis jezt nur von gewissen Seiten entwikelt hatte und von andern sich selbst noch ein halbes Geheimnis war, als schon völlig bekannt und ergründet voraussezte, und daß er in die Vorstellung der Verhältnisse, worinn er diesen Charakter handeln ließ, einige bedeutende Irrthümer brachte, deren Entstehungsart wir vielleicht künfitg erfahren werden. Genug, daß für den Augenblick Herr Stark sich beruhigt fühlte, und wieder einschlief; doch hatten wirklich die aufgestiegenen Dünste seinen Horizont ein wenig getrübt, und Sonnen-Aufgang war daher nicht ganz so heiter, als man bei SonnenUntergang hätte erwarten sollen.

(Der Beschluß künftig.)

"]"]