HomeDie Horen1796 - Stück 2II. Versuch über die Dichtungen. [A. L. G. Baronne de Staël-Holstein]

II. Versuch über die Dichtungen. [A. L. G. Baronne de Staël-Holstein]

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Keine seiner Fähigkeiten ist dem Menschen werther, als die Einbildungskraft. Das menschliche Leben scheint so wenig auf Glück berechnet, daß man nur mit Hülfe einiger Schöpfungen und gewisser Bilder, nur durch glückliche Wahl unserer Erinnerungen die vertheilten Freuden der Erde sammeln, und, nicht durch die Kraft der Philosophie, sondern durch die weit mächtigere Wirkung der Zerstreuungen gegen die Leiden zu kämpfen vermag, die uns das Schiksal auflegt.

Man hat viel von den Gefahren der Einbildungskraft gesprochen, und es wäre unnütz aufzusuchen, was eine unfähige Mittelmäßigkeit, oder eine strenge Vernunft hierüber wiederholt haben. Die Menschen werden nicht aufgeben, sich interessiren zu lassen, und diejenigen die das Talent besitzen, uns zu rühren, werden noch weniger Verzicht thun, es mit Glück auszuüben.

Die kleine Anzahl nothwendiger und gewisser Wahrheiten wird niemals Geist und Herz völlig befriedigen; wer sie entdeckt, hat ohne Zweifel den höchsten Ruhm, aber auch nützlich für das menschliche Geschlecht haben die Verfasser solcher Werke gearbeitet, die uns rühren oder angenehm betrügen. Will man die Leidenschaften des Menschen mit metaphysischer Genauigkeit behandeln, so thut man seiner Natur Gewalt. Auf dieser Erde giebt es nur Anfänge; keine Gränze ist bezeichnet, die Tugend steht fest, aber das Glück schwebt im Weiten; und wenn es eine Untersuchung nicht aushält, wird es durch sie vernichtet, wie glänzende Nebelbilder, aus leichten Dünsten emporsteigend, für den verschwinden, der durch sie hindurchgeht.

Demohngeachtet aber ist das Vergnügen, das die Dichtungen hervorbringen, nicht ihr einziger Vortheil; sie unterhalten, wenn sie zu den Augen sprechen, aber sie haben einen großen Einfluß auf das moralische, wenn sie das Herz bewegen und dieß Talent ist vielleicht das mächtigste, um aufzuklären oder Richtungen zu geben.

In dem Menschen giebt es nur zwey, deutlich zu unterscheidende Kräfte, die Vernunft und die Einbildungskraft; alle die andern, selbst die Empfindung, sind nur abhängig oder zusammengesetzt. Das Reich der Dichtungen ist deswegen wie das Reich der Einbildungskraft sehr ausgearbeitet; auch die Leidenschaften, anstatt ihr im Wege zu stehen, sind ihr willkommen. Die Philosophie muß die unsichtbare Gewalt seyn, die ihren Wirkungen die Richtung giebt, aber wenn sie sich zu bald zeigte, würde sie den Zauber zerstöhren.

Ich werde deswegen, indem ich von Dichtungen spreche, sowohl ihren Gegenstand als ihren Reitz betrachten; denn in dieser Art Werken kann die Anmuth ohne Nutzen bestehn, niemals aber der Nutzen ohne Anmuth. Die Dichtungen sind berufen uns zu verführen, und je fester man sich dabey einen moralischen oder philosophischen Zweck vorsetzte, desto mehr müßte man sie mit gefälligem Reitz ausstatten, um seinen Zweck zu erreichen, ehe ihn jemand gewahr werden könnte. In den Mythologischen Dichtungen werde ich nur auf das Talent des Dichters sehen, da ihr religiöses Verhältniß nicht zu meiner Betrachtung gehört; ich werde von den Werken der Alten nach dem Eindrucke reden, den sie zu unsern Tagen machen, und ich werde nur von ihrem Talent, nicht von ihren Lehrsätzen mich unterhalten.

Die Dichtungen können in drey Klassen getheilt werden. 1) Die wunderbaren und allegorischen Dichtungen. 2) Die historischen. 3) Die Dichtungen, wo alles zugleich erfunden und nachgeahmt ist, in denen nichts wahr, aber alles wahrscheinlich ist.

Wollte man hierüber ausführlich schreiben, so würde man ein weitläufiges Werk hervorbringen, das die meisten dichterischen Arbeiten begriffe; fast alles würde darin zur Sprache kommen, denn Ein Gedanke kann nur vollkommen durch die Verbindung aller übrigen entwickelt werden. Aber meine Absicht ist nur zu Gunsten der Romane zu schreiben, und ich werde zu zeigen suchen, daß ein Roman, der mit Feinheit, Beredtsamkeit, tiefe und Moralität das Leben darstellt, wie es ist, die nützlichste von allen Dichtungen sey, und ich habe aus diesem Versuch alles, was dahin nicht zielen möchte, entfernt.

I.

Die wunderbare Dichtung verursacht ein Vergnügen, das sich sehr bald erschöpft. Die Menschen müssen erst Kinder werden, um diese unnatürlichen Schilderungen zu lieben, um sich durch unwahre Darstellungen zu Schrecken und Neugierde reitzen zu lassen.

Die Philosophen müssen erst wieder Volk werden, um nützliche Gedanken unter dem Schleyer der Allegorie zu lieben. Die Mythologie der Alten enthält manchmal nur einfache Fabeln, wie sie die Leichtgläubigkeit, die Zeit und die Priester in allen abgöttischen Religionen fortgepflanzt haben, aber man kann sie auch öfter als eine Folge von Allegorien betrachten; man seiht personifizierte Leidenschaften, Talente oder Tugenden.

Ohne Zweifel gehört zu der Wahl dieser Dichtungen ein gewisses Glück, eine Gewalt der Einbildungskraft, die den Erfindern einen wahren Ruhm versichert. Sie haben eine Sprache geschaffen, dem Style eine Gestalt gegeben, und, um die poetischen Ideen in ihrer Würde zu erhalten, sie von der gemeinen Sprache gesondert. Werke. Die zu diesen einmal angenommenen Fictionen noch andere hinzuthun wollten, würden gar keinen weitern Nutzen haben.

Wunderbare Dichtungen erkälten immer die Empfindungen, denen man sie beygesellt. Wenn man nur Bilder verlangt, die gefallen sollen, so ist es erlaubt auf tausend Arten zu blenden. Man hat gesagt: die Augen seyen immer Kinder und es gilt noch vielmehr von der Einbildungskraft, sie verlangt nur unterhalten zu seyn, ihr Zweck ist in ihrem Mittel, sie dient das Leben zu betrügen, die Zeit zu rauben, sie kann dem Tag die Träume der Nacht geben; ihre leichte Thätigkeit ist statt der Ruhe, indem sie zugleich alles was rührt und alles was beschäftigt, entfernt. Aber wenn man sich des Vergnügens dieser Einbildungskraft zu einem moralischen Zwecke mit Consequenz bedienen will, so muß man sowohl mehr Folge als mehr Einheit in den Plan legen. Jene Verbindung der Helden und der Götter, der Leidenschaften und der Gesetze des Schicksals schaden selbst den Gedichten Homers und Virgils; kaum verzeiht man dem Erfinder eine Gattung, deren Erfindung ihm so viel Ehre macht. Wenn Dido den Äneas liebt, weil sie unter den Zügen des Askanius den Amro an ihren Busen gedrückt hat; so bedauert man das Talent, das die Geburt dieser Leidenschaft durch das Gemählde der Bewegungen des Herzens viel besser gezeigt hätte. Wenn die Götter den Zorn, den Schmerz und den Sieg Achill’s befehlen, so kann man weder Jupitern noch den Helden bewundern; der eine ist ein abstractes Wesen, der andere ein Mensch durch das Schicksal unterjocht; die Allmacht des Charakters wird durch das Wunderbare verdeckt, das ihn umgiebt. Auch kommt bey dieser Art des Wunderbaren bald etwas Gewisses bald etwas Unerwartetes vor; wir können deshalb nicht nach unsern eigenen Empfindungen fürchten oder hoffen, und sehn uns auf diese Weise des schönsten Vergnügens beraubet. Wenn Priam den Leichnam Hectors von Achill zurück zu verlangen geht, so sollten mich die Gefahren, in die seine väterliche Liebe ihn stürzte, in Frucht setzen; ich sollte zittern wenn ich ihn in das Zelt des schrecklichen Achills eintreten sehe und sollte in Ungewissheit bey allen Worten dieses unglücklichen Vaters, durch seine Beredtsamkeit sowohl den Eindruck der Gefühle die sie darlegt, als die Ahnung der Begebenheiten, die sie entscheiden wird, empfinden. Aber ich weiß schon, daß Merkur den Priam durch das Lager der Griechen führt, daß Thetis, auf Befehl des Jupiters, ihrem Sohn die Rückgabe des Leichnams befohlen hat, ich bin über Priams Unternehmen nicht mehr zweifelhaft, mein Geist ist mehr aufmerksam und ohne den Nahmen des göttlichen Homers würde ich eine Rede nicht lesen, die erst auf die Situation folgt, anstatt sie herbey zu führen.

Wenn ich sagte, daß auch etwas Unerwartetes im Wunderbaren sey, das die ganz entgegengesezte Wirkung der erst getadelten Gewißheit hervorbringt, und uns das Vergnügen raubt was wir hoffen und wünschen voraus zu sehen, meinte ich die Fälle wenn die Götter die best verknüpften Maaßregeln reissen, ihren Günstlingen einen unwiderstehlichen Schutz gegen die größten Mächte verleihen, und alles Verhältniß der Begebenheiten wie sie dem Menschen angemessen sind aufheben.

Ich gestehe wohl, die Götter nehmen hier nur den Platz des Schicksals ein, sie sind der personificierte Zufall; aber bey Dichtungen ist es besser seinen Einfluß zu entfernen. Alles was erfunden ist, soll wahrscheinlich seyn, alles was uns in Erstaunen sezt, muß durch Verkettung moralischer Ursachen erklärt werden können; in solchen Werken entdeckt man alsdann ein philosophisches Resultat, und das Talent, das sie hervorbringt übernimmt eine grössere Arbeit; denn eingebildete oder wirkliche Situationen, aus denen man sich durch einen Machstreich des Schicksals zieht, können keine Bewunderung erregen.

Ich wünschte, daß, indem man zum Menschen spricht, man auch die grossen Wirkungen durch den Character des Menschen hervorbrächte. Hier ist die unerschöpfliche Quelle, aus denen das Talent tiefe und schreckliche Schilderungen schöpfen kann, ja selbst Dante hat seine höllischen Bilder nicht so weit getrieben als die blutigen Verbrechen unserer Tage sich einander übertroffen haben.

Sind nicht in den epischen Gedichten, die wir wegen des Wunderbaren ihrer Fictionen schätzen, eben die Stellen die erhabensten, derer Schönheiten ganz unabhängig vom Wunderbaren sind? Was man in Miltons Satan bewundert, ist der Mensch, was von Achill übrig bleibt ist sein Character, was man bey der Leidenschaft Reinalds zu Armiden vergessen möchte, ist die Zauberey, die sich zu den Reitzen gesellt, die ihn entzündet haben. Was in der Äneis wirkt, sind die Empfindungen die zu aller Zeit allen Herzen angehören und unsere tragischen Dichter, die aus alten Schriftstellern Gegenstände wählten, haben sie fast ganz von den wunderbaren Maschinen abgesondert die man meist an der Seite der grossen Schönheiten, wodurch die Werke des Alterthums sich auszeichnen, wirksam findet.

Die Ritterromane lassen noch mehr die Unbequemlichkeit des Wunderbaren fühlen; bey ihnen schadet es nicht allein dem Interesse der Begebenheiten, sondern es mischt sich auch in die Entwickelung der Charaktere und Empfindungen. Die Helden sind riesenmäßig, die Leidenschaften überschreiten die Wahrheit und eine eingebildete moralische Natur, hat noch weit mehr Unbequemlichkeiten als die Wunder der Mythologie und der Feerey. Das Falsche ist inniger mit dem Wahren verbunden, und die Einbildungskraft selbst wirkt weniger; denn es ist hier die Rede nicht zu erfinden, sondern zu übertreiben was da ist, und eben was in der Wirklichkeit sehr schön ist, in einer Art von Carricatur darzustellen, wodurch sowohl Tapferkeit als Tugend lächerlich werden könnten, wenn Geschichtschreiber und Moralisten die Wahrheit nicht wieder herstellten.

Doch muß man die menschlichen Dinge nicht nach ausschließlichen Grundsätzen richten, ich weiß daher das schöpferische Genie zu ehren, das jene poetischen Dichtungen hervorgebracht hat, auf denen der Geist so lange ruht und die zu so viel glücklichen und glänzenden Vergleichungen gedient haben; aber man kann wünschen, daß künftige Talente einen andern Weg einschlagen, und ich möchte jenen lebhaften Seelen, denen Gespenster so oft als wahre Bilder erscheinen können, auf die einzige Nachahmung des Wahren einschränken oder vielmehr zu ihr erheben.

Bey den Werken, wo die Heiterkeit herrscht, könnte man ungern die lieblichen Dichtungen vermissen, von denen Ariost einen so schönen Gebrauch gemacht hat und wirklich ist auch in dem glücklichen Zufall, der die Anmuth des Herzens hervorbringt, keine Regel und kein Gegenstand. Der Eindruck kann nicht analysirt werden, das Nachdenken kann sich nichts davon zueignen. In dem wahren findet man so wenig Ursache zur Fröhlichkeit, daß gewiss in den Werken, die ihr gewidmet sind, das Wunderbare manchmal nöthig ist. Empfindung und Nachdenken erschöpfen sich nie, aber der Scherz ist ein Glück des Ausdrucks oder des Gewahrwerdens, dessen Rückkehr man nicht berechnen kann. Jede Idee die Lachen erregt, könnte die lezte seyn, die man jemals entdeckte, es ist kein Weg, der zu dieser Gattung führte; es giebt keine Quelle aus der man mit Gewißheit schöpfen könnte. Man weiß sie existiert, weil sie sich immer erneuert, aber man kennt weder die Ursache noch die Mittel. Der Ton des Scherzes bedarf mehr Begeisterung, als der erhöhte Enthusiasmus selbst. Diese Heiterkeit in dichterischen Werken, die nicht aus einem Gefühl von Glück entsteht, diese Heiterkeit von der der Leser weit mehr Genuß als der Schriftsteller hat, ist ein Talent zu dem man auf einmal gelangt, das sich ohne Abstufung verliert, dem man wohl eine Richtung geben, an dessen Stelle man aber keine Fähigkeit des größten Geistes setzen kann. Wenn also das Wunderbare oft zu den Werken, die immer heiter sind, passt, so mag wohl die Ursache seyn, weil sie niemals die Natur vollkommen mahlen; niemals kann eine Leidenschaft, ein Schicksal, eine Wahrheit munter seyn; nur aus einigen flüchtigen Schattierungen solcher ernsthafter Ideen können lächerliche Contraste hervorspringen.

Es giebt eine Gattung, weit über diejenige erhaben, von der ich eben sprach, die zwar auch scherzhafte Situationen hervorbringt, ich meine die Werke des komischen Talents; aber eben der Vorzug daß seine ganze Stärke auf natürlichen Characteren und Leidenschaften beruht, würde ganz verändert und geschwächt werden, wenn man dabey das Wunderbare brauchen wollte. Mischte sich in den Character des Gil blas, des Tartuffe, des Menschenfeindes irgend etwas Wunderbares, so würde unser Geist durch diese Werke weniger getroffen, weniger verführt werden.

Die Nachahmung des Wahren bringt immer grössere Wirkungen hervor als übernatürliche Mittel. Ohne Zweifel erlaubt uns die hohe Metaphysik anzunehmen, daß es über unsere Fassungskraft, Gedanken, Gegenstände, Wahrheiten und Wesen giebt, die über alle unsere Begriffe reichen; aber da wir von diesen abstracten Regionen nicht den mindesten Begriff haben, so können wir, selbst mit unsern Wunderbaren ihnen nicht näher kommen; das Wunderbare bleibt vielmehr unter der Wirklichkeit, die wir kennen; übrigens begreifen wir nichts als was mit der Natur des Menschen und der Dinge übereinstimmt. Alles also, was wir unsere Schöpfungen nennen, ist nichts als eine unzusammenhängende Versammlung von Ideen, die wir aus eben der Natur ziehen, von der wir uns zu entfernen suchen. In dem wahren ist der göttliche Stempel. Man giebt zu, das Genie erfinde und doch nur indem es entdeckt, vereinigt darstellt das was ist, verdient es den Ehrennamen eines Schöpfers.

Es giebt noch eine andere Art von Dichtungen deren Wirkungen mir noch geringer scheint, als die des Wunderbaren, es sind die Allegorien. Mir scheint, daß sie den Gedanken schwächen, wie das Wunderbare das Gemählde der Leidenschaften entstellt. Unter der Form der Fabel haben die Allegorien manchmal dienen können nützliche Wahrheiten allgemein zu machen, aber selbst dieser Ursprung ist ein Beweiß, daß wenn man dem Gedanken diese Form giebt, man ihn herabzusenken glaubt, um ihn den Menschen überhaupt begreiflich zu machen. Wer Bilder braucht, um sich einen Begriff zu verschaffen, zeigt eine Schwäche des Geistes an; denn selbst einem Gedanken, den man auf diese Weise klar machen könnte, würde es doch, bis auf einen gewissen Grad an Abstraction und Feinheit mangeln. Die Abstraction ist weit über alle Bilder, sie hat eine geometrische Genauigkeit, und man kann sie nicht anders als mit ihren bestimmten Zeichen ausdrücken. Die vollkommene Feinheit des Geistes kann durch keine Allegorie fest gehalten werden; die Schattirungen der Darstellungen sind niemals so zart als metaphysische Ideen und was man körperlich darstellen kann wird niemals das geistreich-feinste des Gedankens seyn. Aber ausser dem daß die Alleogire dem Gedanken, welchen sie ausdrücken will, schadet, sind die Werke dieser Gattung, fast ohne irgend einer Art von Anmuth. Der Zweck ist doppelt; man will eine moralische Wahrheit anschaulich machen und durch ihr Bild, durch die Fabel, einnehmen; immer missglückt eins durch das Bedürfniß das andere zu erreichen. Der abstracte Begriff ist unbestimmt dargestellt und das Gemählde hat keine dramatische Wirkung; es ist eine Fiction in der Fiction, an deren Begebenheiten wir keinen Antheil nehmen können, weil sie nur da sind um philosophische Resultate vorzustellen, die man weit mühsamer begreift als wenn sie rein metaphysisch ausgedruckt wären; man muß in Allegorien das Abstracte von dem, was dem Bilde zugehört, sondern, die Begriffe unter dem Nahmen der Personen, die sie vorstellen, entdecken und das Räthsel zu errathen suchen ehe man den Gedanken begreift. Wenn man erklären will, was dem sonst so angenehmen Gedichte, Telemach, Einförmigkeit giebt, so wird man finden, daß es die Figur des Mentors ist, die, zugleich wunderbar und allegorisch auf doppelte Weise beschwerlich ist. Als wunderbar benimmt sie uns alle Unruhe über Telemachs Schicksal, denn man ist gewiss, daß die Götter ihn aus allen Gefahren siegreich herausführen werden; als allegorisch zerstört sie die ganze Wirkung der Leidenschaften die aus dem innern Streite derselben entspringt. Die zwey Gewalten welche die Moralisten in dem Herzen des Menschen unterscheiden, sind in Fenelons Gedicht als zwey Personen aufgestellt. Mentors Character ist ohne Leidenschaft und Telemach ohne Herrschaft über sich selbst; der Mensch steht zwischen beyden und nun weiß man nicht, an welchem Gegenstand man Theil nehmen soll.

Jene auffallenden Allegorien, wo, wie in Theleme und Macare der Wille reist, um das Glück zu finden, diese verlängerten Allegorien in denen, wie in Spensers Fairy Queen, jeder Gesang eine Tugend als Ritter im Streite gegen ein Laster vorstellt, können uns eigentlich nicht anziehen, von welcher Art auch das Talent sey, das sie verziert. Ermüdet von dem romanhaften Theil der Allegorie gelangt man zum Ende, und man hat nicht mehr Kraft den philosophischen Sinn zu fassen.

Die Fabeln, in denen man die Thiere reden läßt, dienten im Anfang zu einer Art Gleichniß, in welcher das Volk leichter den Sinn begriff, nachher hat man daraus eine eigene Gattung der Dichtkunst gemacht, in welcher viele Schriftsteller sich geübt haben. Es gab einen Mann, der sich einzig in dieser Laufbahn zeigte, dessen Naturell so vollkommen war, daß es weder zweymal entstehn noch einmal nachgeahmt werden konnte. Ein Mann, der die Thiere reden läßt als wenn sie eine Art von denkenden Wesen wären, in einer Welt, in der weder Vorurtheile noch Anmassungen herrschen. Eben Lafontainens Talent entfernt von seinen Schriften die Idee der Allegorie, indem er den Character der Thierarten personificiret, und ihn nach seinen eigenen Verhältnissen ausmahlt; das Comische seiner Fabeln kommt nicht aus Anspielungen, sondern es entspringt aus dem wahrhaften Bilde der Sitten der Thiere, die er auf den Schauplatz bringt. Nothwendig war dieser Erfolg begrenzt, und alle andern Fabeln, die man in verschiedenen Sprachen versucht hat, theilen, indem sie zur Allegorie zurückkehren, auch ihre Unbequemlichkeit.

Die Werke voll Anspielungen sind auch eine Art Dichtung, deren Verdienst nur die Zeitgenossen recht lebhaft empfinden; die Nachwelt beurtheilt diese Schriften ohne auf das Verdienst der Wirkung zu sehen, die sie zu ihrer Zeit haben konnten, und ohne die Schwierigkeiten in Anschlag zu bringen, die ihre Verfasser zu überwinden hatten. Sobald das Talent in einem gewissen Bezuge arbeitet, verliehrt es seinen Glanz mit den Umständen die es in Bewegung sezten. Hudibras zum Beispiel ist vielleicht eins von denen, worinn man am meisten Witz findet, aber weil man immer in dem was der Verfasser gesagt hat, aufsuchen muß, was er sagen wollte, weil Noten ohne Zahl nöthig sind um seine Scherze zu verstehen und weil man ehe man lachen oder Theil nehmen kann, sich vorläufig unterrichten muß, so kann der Werth dieses Gedichts nicht mehrallgemein empfunden werden. Ein philosophisches Werk kann fodern, daß man nachforsche um es zu verstehen, aber eine Dichtung von welcher Art sie sey, bringt keine entschiedene Wirkung hervor, als wenn sie in sich selbst alles enthält wodurch sie allen Lesern, in allen Momenten, einen vollkommenen Eindruck geben kann. Je mehr eine Handlung zu den gegenwärtigen Umständen passt, desto nützlicher ist sie, deßwegen ist ihr Ruhm unsterblich; die Werke des Schriftstellers aber gewinnen nur, in so fern sie sich von den gegenwärtigen Begebenheiten losmachen, um sich zur unveränderlichen Natur der Dinge zu erheben und alles was die Schriftsteller für den Augenblick thun, ist, wie Massillion sich ausdrückt, verlohrne Zeit für die Ewigkeit.

Einzelne Gleichnisse, die auch gewissermassen Allegorien sind, zerstreuen die Aufmerksamkeit weniger, und der Gedanke, der vor ihnen meist vorausgeht, wird nur durch sie aufs neue entwickelt; aber selten ist ein Gefühl oder ein Gedanke in seiner ganzen Stärke, wenn man sie durch ein Bild ausdrücken kann, das: sterben sollt’ er! des alten Horatz, hätte kein Bild vertragen. Wen man das Kapitel des Montesquieu liesset, wo er, um den Despotismus zu schildern, ihn mit den Wilden der Louisiane vergleicht, so wünschte man an der Stelle dieses Bildes einen Gedanken des Tacitus oder des Verfassers selbst zu lesen. Freylich würde es zu streng seyn allen diesen Putz zu verbannen, dessen der menschliche Geist so nothwendig hat, um von neuen Begriffen auszuruhen, oder den bekannten Mannigfaltigkeit zu geben. Die Bilder, die Schilderungen bringen den Zauber der Poesie hervor und beleben alles was ihr ähnlich ist, aber was aus dem Nachdenken entspringt erlangt eine grössere Gewalt, eine weit mehr concentrirte Kraft, wenn der Ausdruck des Gedankens seine Stärke nur aus ihm selbst nimmt.

Auch unter den Allegorien, wie unter den wunderbaren Dichtungen, finden wir Werke, die philosophische Ideen scherzhaft vortragen wollen, so ist das Mährchen von der Tonne, Gulliver, Mikromegas, u. s. w. Ich könnte von dieser Gattung wiederholen, was ich von der andern gesagt habe: wenn man Lachen erregt, so ist der Zweck erfüllt; aber doch giebt es einen höhern Zweck in dieser Art von Schriften; man will einen philosophischen Gegenstand anschaulich machen, und es geschieht nur unvollkommen. Wenn die Allegorie an sich selbst unterhaltend ist, so merken die Menschen mehr auf die Fabel als auf das Resultat und Gulliver hat mehr als Mährchen gereitzt, als seine Resultate unterrichtet und moralisch gebessert haben. Die Allegorie wandelt immer zwischen zwey Klippen. Ist ihr Zweck zu deutlich ausgesprochen, so wird er lästig; ist er verborgen, so vergißt man ihn; versucht man die Aufmerksamkeit zu theilen, so kommt man in Gefahr, gar keine zu erregen.

II.

In dem zweyten Theil versprach ich von historischen Dichtungen zu reden, von Erfindungen nämlich die auf wahre Begebenheiten gegründet sind.

Die Gegenstände der Tragödien sind meist aus der Geschichte genommen; doch wenn man so viele Empfindungen in einen Raum von vier und zwanzig Stunden und funf Acten einschließen soll, oder wenn man seinen Helden in der Höhe der epischen Poesie erhalten will, so zeigt uns kein Mensch, keine Geschichte ein vollkommenes Muster. Hier ist Dichtung nöthig, aber sie nähert sich nicht dem Wunderbaren. Es ist keine andere Natur, hier ist keine Wahl aus der, die vor uns liegt. Wir dürfen alsdann der poetischen Sprache nur das, was ihr eigen ist, nachgeben, so ist unser Herz der beste Richter der schönsten Situationen und der epischen oder dramatischen Charaktere; sie sind von der Geschichte entlehnt; nicht aber entstellt, sie sind von dem was sie sterbliches hatten, abgesondert und so gewissermaßen vergöttert, nichts ist außer der Natur in dieser Dichtungsart; natürliche Verhältnisse natürlicher Gang; und wenn ein Mensch, der zum Ruhme gebohren ist, ein Meisterstück wie die Henriade, den Gengiskan, Mithridat oder Tankred anhört, wird er bewundern ohne zu staunen, er wird genießen ohne an den Verfasser zu denken, und ohne hier die Schöpfung eines talentreichen Künstlers zu vermuthen.

Aber es giebt eine andere Art von historischen Dichtungen die ich völlig verbannt wünschte, es sind Romane auf die Geschichte gepfropft, wie die Anecdoten des Hofs Philipp Augusts und andere. Man könnte diese Romane artig finden, wenn man die bekannten Nahmen veränderte, aber jetzt stellen sich diese Erzählungen zwischen uns und die Geschichte, um uns Details zu zeigen, deren Empfindung, indem sie den gewöhnlichen Lauf des Lebens nachahmt, sich dergestalt mit dem Wahren verwirrt, daß man sie davon nicht wieder abscheiden kann.

Diese Gattung zerstöhrt die Moralität der Geschichte, indem sie die Handlungen mit einer Menge Beweggründe, die niemals existirt haben, überladen muß, und reicht nicht an den Werth des Romans, weil sie, genöthigt sich an ein wahres Gewebe zu halten, den Plan nicht mit Freyheit und mit der Folge ausbilden kann, wie es bey einem Werk von reiner Empfindung nöthig ist. Das Interesse, das ein schon berühmter Nahme für den Roman erregen soll, gehört zu den Vortheilen der Anspielungen, und ich habe schon zu zeigen versucht, daß eine Dichtung, die Erinnerungen statt Entwicklungen zu Hülfe nimmt, niemals in sich selbst vollkommen sey. Auch ist es übrigens gefährlich die Wahrheit so zu entstellen; man mahlt in solchen Romanen nur die Verwickelungen der Liebe. Die übrigen Begebenheiten der Epoche die man wählt sind alle schon durch den Geschichtschreiber dargestellt, nun will man sie durch den Einfluß der Liebe erklären, um den Gegenstand seines Romans zu vergrößern; und so stellt man ein ganz falsches Bild des menschlichen Lebens auf. Man schwächt durch diese Dichtung die Wirkungen welche die Geschichte hervorbringen sollte, von der man den ersten Gedanken geborgt hat, wie ein übles Gemählde dem Eindruck des Originals schaden kann, woran es durch einige Züge unvollkommen erinnert.

III.

Die dritte und letzte Abtheilung dieses Versuchs soll von dem Vorzuge solcher Dichtungen handeln, in denen alles zugleich erfunden und nachgeahmt ist. Die Trauerspiele, deren Inhalt ganz erfunden ist, werden aber nicht in dieser Abtheilung begriffen seyn, sie mahlen eine erhöhtere Natur, einen hohen Stand und eine besondere Lage. Die Wahrscheinlichkeit dieser Stücke hängt von sehr seltenen Begebenheiten ab, aus denen nur wenig Menschen sich etwas zueignen können. Zwar nehmen die Dramen, die Comödien auf dem Theater denselben Rang ein, den die Romane unter den andern Dichtungsarten haben, auch hier erscheint das Privatleben und natürliche Umstände; aber die theatralischen Bedürfnisse hindern solche Entwicklungen, durch welche man das Beispiel zunächst auf sich beziehen kann. Man hat zwar dem Drama erlaubt, seine Personen anders woher als aus der Klasse der Könige und Helden zu wählen, aber man kann nur starke Verhältnisse mahlen, weil man nicht die Zeit hat die Schattierungen abzustuffen. Das Leben ist nicht so eingeschränkt, nicht in Contrasten, nicht theatralisch, wie ein Stück erfunden seyn muß. Die dramatische Kunst hat andere Wirkungen, andere Mittel, andere Vortheile, von denen man besonders reden müßte; aber nur der neue Roman ist im Stande, auf unsere Bildung durch das Gemählde unserer gewohnten Empfindungen nützlich zu wirken.

Man hat eine besondere Klasse für die philosophischen Romane errichten wollen, und hat nicht bedacht, daß alle philosophisch seyn sollen. Alle sollen, aus der innern Natur des Menschen geschöpft, wieder zu seinem Innern sprechen, und hierzu gelangt man weniger wenn man alle Theile der Erzählung auf einen Hauptbegriff richtet, denn man kann alsdann weder wahr noch wahrscheinlich in der Verbindung der Begebenheiten seyn; jedes Kapitel ist eine Art von Allegorie, deren Begebenheiten nichts als das Bild des Grundsatzes darstellen, der nun folgen soll. Die Romane Candide, Zaidk und Memnon, die übrigens so allerliebst sind, würden viel tiefer auf uns wirken, wenn sie erstlich nicht wunderbar wären, wenn sie ein Beispiel und kein Gleichniß darstellten, und dann wen die Geschichte nicht gewaltsam auf Einen Zweck hindeutete. Diesen Romanen geht es wie den Lehrmeistern, denen die Kinder nicht glauben, weil alles, was begegnet, zu der Lection passen soll die sie ihnen einschärfen wollen; da doch die Kinder schon ohngefähr merken, daß in dem wahren Gang der Begebenheiten weniger Regelmäßgkeit ist.

Aber in Romanen Richardsons und Fieldings, die sich an der Seite des Lebens halten um die Abstufungen, die Entwickelungen, die Inkonsequenzen der Geschichte des menschlichen Herzens darzustellen und doch dabey die beständige Rückkehr der Resultate aller Erfahrung zur Moralität der Handlungen und zum Vortheil der Tugend zu zeigen, sind die Begebenheiten erfunden, aber die Empfindungen dergestallt aus der Natur, daß der Leser oft glaubt, man rede mit ihm, und habe nur die kleine Rücksicht genommen, den Nahmen der Person zu verändern.

Die Kunst Romane zu schreiben steht nicht in dem Rufe den sie verdient, denn eine Menge ungeschickter Verfasser haben mit ihren elenden Arbeiten eine Gattung erdrückt, in der die Vollkommenheit das größte Talent erfodert, und in welchem jedermann mittelmäßig seyn kann. Diese unzählbare Menge geschmackloser Romane hat fast die Leidenschaft selbst, welche sie schildern, abgenutzt, und man fürchtet sich in seiner eigenen Geschichte das mindeste Verhältniß zu Situationen zu finden, welche sie beschreiben. Nur die Autorität großer Meister konnte diese Gattung wieder emporheben, ohngeachtet so viele Schriftsteller sie herunter gebracht hatten. Wie sehr zu bedauern ist es, daß man solche Werke erniedrigt, indem man die häßlichen Gemählde des Lasters hineinmischte, und anstatt sich des Vortheils der Dichtung zu bedienen, um alles was in der Natur belehren und als Muster dienen könnte, um den Menschen zu sammeln, geglaubt hat daß man die gehässigen Gemählde der verdorbenen Sitten nicht ohne gute Wirkung darstellen könne, eben als wenn ein Herz, das sie abstößt, so rein bliebe, als das Herz das sie niemals kannte.

Dagegen ist ein Roman, wie man sich davon einen Begriff machen kann, wie wir auch einige Muster haben, eine der schönsten Productionen des moralischen Geistes. Sie wirkt mit stiller Gewalt auf die Gesinnungen der Privatpersonen, aus denen nach und nach die öffentlichen Sitten sich bilden. Dem ohngeachtet ist aus gewissen Ursachen die Achtung für das Talent das nöthig ist um solche Werke hervorzubringen, nicht allgemein genug, da sie sich gewöhnlich der Liebe widmen, der gewaltsamsten, allgemeinsten und wahrsten aller Leidenschaften, diese aber ihren Einfluß nur über die Jugend ausübt, und in den übrigen Epochen des Lebens nicht mehr zur Theilnahme aufruft.

Aber sind nicht alle tiefe und zärtliche Empfindungen von der Natur der Liebe? Wer ist zum Enthusiasmus der Freundschaft fähig? wer zur Ergebung im Unglück? wer zur Verehrung seiner Eltern? wer zur Leidenschaft für seine Kinder? als ein Herz das die Liebe gekannt oder verziehen hat. Man kann Ehrfurcht für seine Pflichten haben, aber niemals sie mit frohem Hingeben erfüllen, wenn man nicht mit allen Kräften der Seele geliebt hat, wenn man nicht Einmal aufgehört hat zu seyn und ganz in einem andern zu leben. Das Schicksal der Weiber, das Glück der Männer, die nicht berufen sind, Reiche zu regieren, hängt oft für das übrige Leben von dem Einfluß ab, den sie in der Jugend der Liebe auf ihre Herzen erlaubt haben; aber in einem gewissen Alter vergessen sie jene Eindrücke ganz und gar, sie nehmen einen andern Character an, beschäftigen sich mit andern Gegenständen, und überlassen sich andern Leidenschaften.

Diese neuen Bedürfnisse müßte man auch zum Innhalt der Romane wählen, dann, scheint mir, würde sich eine neue Laufbahn denjenigen eröfnen, die das Talent besitzen zu schildern und durch die innerste Kenntniß aller Bewegungen des menschlichen Herzens uns anzulocken. Der Ehrgeitz, der Stolz, die Habsucht, die Eitelkeit könnten Gegenstände zu Romanen werden, deren Vorfälle neuer und deren Begebenheiten eben so mannichfaltig seyn würden, als diejenigen, die aus der Liebe entspringen. Wollte man sagen, daß die Schilderung jener Leidenschaften schon in der Geschichte aufgestellt wird, und daß man sie eigentlich da aufsuchen müsse, so läßt sich antworten: daß die Geschichte niemals zu dem Privatleben der Menschen reicht, nicht bis zu den Empfindungen und Charaktern, woraus keine öffentlichen Begebenheiten entsprungen sind.

Auch wirkt die Geschichte nicht auf uns durch ein moralisches und unterhaltenes Interesse, das Wahre ist öfters unvollständig in seinen Wirkungen. Übrigens würde man durch Entwicklungen, die allein tiefe Eindrücke hinterlassen, den schnellen und nothwendigen Gang der Erzählung aufhalten, und einem historischen Werk eine Art von dramatischer Form geben, da es doch ein ganz anderes Verdienst haben soll. Endlich ist die Moral der Geschichte niemals vollkommen ausgesprochen, entweder, weil man nicht beständig und mit Gewißheit die innern Empfindungen darstellen kann, wodurch die Bösen in der Mitte ihres Glücks gestraft werden und tugendhafte Seelen sich bey allem Unglück belohnt fühlen, oder weil das Schicksal des Menschen überhaupt in diesem Leben nicht zu seinem Ende gelangt.

Die practische Moral, die auf die Vortheile der Tugend gegründet ist, wird durch das Lesen der Geschichte nicht immer gestärkt. Zwar versuchen die großen Geschichtschreiber, und besonders Tacitus, die Moralität aller Begebenheiten, die sie erzählen, zu zeigen; man beneidet den sterbenden Germanikus und verabscheut Tiberen auf seiner Höhe, aber doch können Geschichtschreiber nur diejenigen Empfindungen mahlen, von welchen die Handlungen zeugen, und das, was sich bey der Geschichte am lebhaftesten eindruckt, ist mehr das Übergewicht des Talents, der Glanz des Ruhms und der Vortheil der Macht, als eine stille Sittenlehre, die zart und sanft das Glück der einzelnen Menschen, in ihren nächsten Verhältnissen, hervorbringt.

Ich will dadurch keinesweges der Geschichte zu nahe treten, und hier die Erfindungen ausschließlich vorziehen, denn diese müssen ja selbst aus der Erfahrung geschöpft werden. Die feinen Schattierungen, die uns der Roman vorlegt, fließen aus philosophischen Resultaten her, aus jenen Grundideen, die uns das große Bild der öffentlichen Begebenheiten gleichfalls darstellt. Aber die Moralität der Geschichte kann nur in ihrer großen Masse beruhen. Nur durch die Rückkehr einer gewissen Anzahl von Veränderungen lehrt uns die Geschichte wichtige Resultate, die jedoch nicht einzelne Menschen, wohl aber ganze Nationen sich zueignen können.

Ein Volk kann von den Regeln, welche die Geschichte aufstellt, Gebrauch machen, weil sie unveränderlich sind, und man sie auf allgemeine und große Verhältnisse immer anwenden kann, aber man sieht in der Geschichte nicht die Ursachen der vielfachen Ausnahmen und eben diese Ausnahmen können jeden einzelnen Menschen verführen; denn wenn die Geschichte uns bedeutende Umstände bewahrt, so bleiben doch dazwischen ungeheure Lücken, in welchen vieles Unglück, viele Fehler Raum haben, woraus doch die meisten Schicksale der Privatpersonen bestehen. Dagegen können die Romane mit so viel Gewalt und so ausführlich Character und Empfindungen mahlen, daß keine Lectüre einen so tiefen Haß gegen das Laster und eine so reine Liebe für die Tugend hervorbringen könnte. Die Moralität der Romane hängt mehr von der Entwickelung innerer Bewegungen der Seele, als von den Begebenheiten ab, die man erzählt; nicht aus dem willkührlichen Umstand, den der Verfasser erfindet, um das Laster zu strafen, zieht man die nützliche Lehre; aber die Wahrheit der Gemählde, die Steigerung oder Verkettung der Fehler, der Enthusiasmus bey Aufopferungen, die Theilnahme am Elend läßt unauslöschliche Züge zurück. Alles ist in solchen Romanen so wahrscheinlich, daß man sich leicht überredet, alles könne so begegnen; es ist nicht die Geschichte des Vergangenen, aber man könnte oft sagen, es sey die Geschichte der Zukunft. Man hat behauptet, daß Romane eine falsche Idee vom Menschen geben, das ist von schlechten Romanen wahr, wie von Gemählden, welche die Natur übel nachahmen; aber nichts giebt eine so tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens, als diese Gemählde aller Umstände des gemeinen Lebens und der Eindrücke, die sie hervorbringen; nichts übt so sehr das Nachdenken, das in dem Einzelnen sehr viel mehr zu entdecken findet, als in allgemeinen Ideen.

Die Schriften, welche uns die Denkwürdigkeiten einzelner Menschen überliefern, und die wir unter dem allgemeinen Nahmen der Memoiren begreifen, würden auch diesen Endzweck erreichen, wenn sie nicht auch, wie die Geschichte, nur berühmte Männer und öffentliche Angelegenheiten allein beträfen. Und wären auch die meisten Menschen geistreich und aufrichtig genug, um eine getreue und characteristische Rechenschaft von dem zu geben, was sie im Lauf ihres Lebens erfahren haben; so könnten doch diese aufrichtigen Erzählungen nicht alle Vortheile des Romans in sich vereinigen. Denn man würde in ihnen eine Art dramatischen Effects vermissen, der die Wahrheit nicht entstellen darf, aber der sie, indem er sie zusammendrängt, auffallender macht; so wie die Kunst des Mahlers die Gegenstände nicht verändert, sondern sie nur fühlbarer darstellt. Die Natur läßt uns oft die Gegenstände ohne Abstufung sehen, sie zeigt Contraste nicht auffallend; und indem man sie knechtisch nachahmte, würde man sie niemals darstellen; die genaueste Erzählung enthält zwar eine gewisse Wahrheit der Nachahmung; vom Bilde verlangt man aber eine Harmonie, die ihm eigen sey und eine wahre Geschichte, merkwürdig durch ihre Schattirungen, durch Empfindungen und Charactere bedarf dennoch zu ihrer Darstellung eines Talents, das auch fähig wäre, eine Dichtung hervorzubringen.

Wenn uns nur nicht auch das Genie, das wir bewundern müssen, weil es uns in die Tiefen des menschlichen Herzens blicken läßt, manchmal durch so viele Details beschwerlich fiele, mit welchen die berühmtesten Romane gleichsam erdrückt sind. Der Autor glaubt, daß ein Gemählde dadurch an Wahrscheinlichkeit gewinne, und sieht nicht, daß alles, was das Interesse schwächt, die einzige Wahrheit der Fiction zerstöhrt, den Eindruck nämlich, den sie hervorbringt. Wenn man auf dem Theater alles, was in dem Zimmer vorgeht, vorstellen wollte, so würde man die theatralische Illusion völlig zerstöhren. So haben die Romane auch ihre dramatischen Bedingungen, und es giebt in der Erfindung nicht nothwendiges, als was die Wirkung des Erfundenen vergrößern kann. Wenn ein Blick, eine Bewegung, ein unbemerkter Umstand, dienen kann, einen Character zu mahlen, eine Empfindung zu entwickeln; so hat man, je einfacher das Mittel ist, desto mehr Verdienst, es ergriffen zu haben; aber die genaue einzelne Darstellung einer gewöhnlichen Begebenheit vermindert die Wahrscheinlichkeit, anstatt sie zu vermehren. Wenn man zur positiven Idee des Wahren durch Details, die nur ihm gehören, zurückgeführt wird, so tritt man aus der Illusion heraus, und man ist bald ermüdet, weder den Unterricht der Geschichte, noch das Interesse des Romans zu finden.

In der Gabe zu bewegen liegt die große Gewalt der Dichtungen; man kann fast alle moralische Wahrheiten fühlbar machen, wenn man sie in Handlung setzt. Die Tugend hat einen solchen Einfluß auf das Glück oder Unglück des Menschen, daß man die meisten Lagen des Lebens von ihr abhängig machen kann. Es giebt strenge Philosophen, die alle Rührungen verdammen, die verlangen, daß die Sittenlehre ihre Gewalt allein durch den Ausspruch ihrer Pflichten ausübe, aber nichts passt weniger zu der Natur des Menschen überhaupt, als eine solche Meinung; man muß die Tugend beleben, wenn sie mit Vortheil gegen die Leidenschaften streiten soll, nur ein erhöhtes Gefühl findet Freude bey der Aufopferung. Man muß das Unglück auszieren, wenn es allen Gaukeleien verderblicher Verführungen vorgezogen werden soll. Ja! die rührenden Dichtungen sind es, welche die Seele in großmüthigen Leidenschaften üben und ihr darinn eine Gewohnheit geben. Ohne es zu wissen, geht sie ein Bündniß mit sich selbst ein, und sie würde sich schämen, zurückzutreten, wenn ihr eine solche Lage persönlich werden könnte.

Aber je mehr die Gabe zu rühren eine wirkliche Gewalt hat, desto nöthiger ist es, ihren Einfluß auf Leidenschaften eines jeden Alters, auf Pflichten einer jeden Lage auszudehnen; die Liebe ist meist der Gegenstand der Romane, und Charactere, auf die sie nicht wirkt, sind nur wie Beywerke angebracht. Wenn man einem andern Plan folgte, würde man eine Menge neuer Gegenstände entdecken. Tom Jones hat von allen Werken dieser Art die allgemeinste Moral, die Liebe erscheint darinn nur als ein Mittel, damit das philosophische Resultat desto lebhafter hervortrete. Zu zeigen, wie ungewiß das Urtheil sich auf den äußern Schein gründe; zu zeigen, welches Übergewicht die natürlichen Eigenschaften über jene Reputationen haben, denen nur die Rücksicht äußerer Verhältnisse zu gute kommt, dieses hatte der Verfasser des Tom Jones vor Augen, und es ist einer der nützlichsten und mit Recht berühmtesten Romane. Neuerlich ist einer erschienen, dem man zwar hie und da Längen und Nachlässigkeiten vorwerfen kann, aber der genau die Idee der unerschöpflichen Gattung giebt, von der ich gesprochen habe, es ist Calef William von Goodwin. Die Liebe hat wenig Einfluß in diese Dichtung, nur eine gränzenlose Leidenschaft für äußeres Ansehn in dem Helden des Romans und in Calef eine verzehrende Neugierde: ob auch Falkland die Achtung verdiene, die er erworben hat, bringt das Interesse der Erzählung hervor, und indem man von dieser romanhaften Darstellung hingerissen wird, wird man dabey zum tiefsten Nachdenken aufgefodert.

Einige unter Marmontel’s moralischen Erzählungen, einige Kapitel der empfindsamen Reisen, einige abgesonderte Anecdoten aus dem Zuschauer und andern moralischen Schriften, einige Stücke aus der deutschen Litteratur, welche sich täglich mehr erhebt, zeigen uns eine kleine Anzahl glücklicher Dichtungen, die uns die Verhältnisse anderer Leidenschaften als der Liebe darstellen. Aber ein neuer Richardson hat sich noch nicht gewidmet, die übrigen Leidenschaften der Menschen in einem Roman zu schildern, ihren Fortschritt, ihre folgen ganz zu entwickeln, das Glück eines solchen Werks könnte nur aus der Wahrheit der Charactere, aus der Stärke der Contraste, der Energie der Situationen entstehen und nicht aus jener Empfindung, die so leicht zu mahlen ist, die uns sobald einnimmt, die den Weibern gefiele, durch das, woran sie erinnert, wenn sie auch nicht durch Größe oder Neuheit der Bilder anzöge. Was für Schönheiten liessen sich nicht in einem ehrgeitzigen Lovelace entdecken? auf welche Entwickelungen würde man gerathen, wenn man alle Leidenschaften zu ergründen und bis in ihre einzelnen Wirkungen zu kennen bemüht wäre, wie bisher die Liebe in den Romanen behandelt worden ist.

Man sage nicht, daß moralische Schriften zur Kenntniß unserer Pflichten vollkommen hinreichen; sie können nicht die Schattirungen einer zarten Seele verfolgen, sie können nicht zeigen, was alles in einer Leidenschaft liegt. Man kann aus guten Romanen eine reinere höhere Moral herausziehen, als aus einem didactischen Werk über Tugend; eine solche Schrift, indem sie trockener ist, muß zugleich nachsichtiger seyn, und die Grundsätze, welche man im allgemeinen muß anwenden können, werden niemals den Heroismus der Zartheit erreichen, von dem man wohl ein Beyspiel aufstellen, daraus aber mit Vernunft und Billigkeit niemals eine Pflicht machen kann.

Welcher Moralist hätte sagen dürfen: wenn deine Familie dich zwingen will einen abscheulichen Menschen zu heyrathen, und du dich durch diese Verfolgung verleiten lässest, einem Mann, der dir gefällt, nur einige Zeichen der reinsten Neigung zu geben, so wirst du dir Schande und Tod zuziehen! und doch ist das der Plan von Clarissen, das ist’s, was man mit Bewunderung ließt, ohne sich gegen den Verfasser aufzulehnen, der uns rührt und gewinnt.

Welcher Moralist hätte zu behaupten gewagt, daß es besser sey, sich der tiefsten Verzweiflung zu überlassen, der Verzweifelung, die den Verstand angreift und das Leben bedroht, als den tugendhaftesten Mann zu heyrathen, dessen Religion von der eurigen verschieden ist, und doch rührt uns Clementinens Liebe, indem sie gegen Gewissenscrupel kämpft, wenn wir auch ihre abergläubischen Meinungen nicht billigen. Der Gedanke der Pflicht, die über Leidenschaft siegt, ist ein Anblick, der auch selbst diejenigen erweicht und rührt, deren Grundsätze nicht im mindesten streng sind, und die mit Verachtung ein solches Resultat verworfen hätten, wenn es sich vor der Schilderung als Grundsatz hätte aufdringen wollen; da es als Folge und Wirkung ganz natürlich aus ihr herfließt. So finden sich in Romanen einer weniger erhabenen Art die zartesten Grundsätze über das Betragen der Frauen; in den Meisterstücken, die unter dem Nahmen der Prinzessin von Cleve, des Grafen Comminge, Ceciliens bekannt sind, in den Romanen der Madam Riccoboni, in Carolinen, deren Reitz so allgemein empfunden wird, in der rührenden Episode von Callisten, in Camillens Briefen, worinn die Fehler einer Frau und das Unglück, das sie nach sich ziehen, ein sittlicheres, ein strengeres Bild sind, als selbst der Anblick der Tugend, und wie viel französische, englische und deutsche Werke könnte ich anführen, um diese Meinung zu bestätigen. Ich wiederhole: die Romane haben das Recht, die strengste Tugend darzustellen, ohne daß wir uns dagegen auflehnen. Sie haben unser Gefühl gewonnen, und das allein spricht für die Nachsicht, und indessen moralische Schriften und ihre strengen Grundsätze durch das Mitleid gegen das Unglück oder durch den Antheil an der Leidenschaft bestritten werden, besitzen die Romane die Kunst, selbst diese Regungen auf ihre Seite zu ziehen und sie zu ihrem Endzweck zu gebrauchen.

Was man gegen die Romane, in welchen die Liebe behandelt wird, immer mit vielem Rechte sagen kann, ist, daß diese Leidenschaft darinn so gemahlt ist, daß sie dadurch erzeugt werden kann, und daß es Augenblicke des Lebens giebt, in welchen diese Gefahr größer ist, als alle Vortheile, die man davon erwarten könnte; aber diese Gefahr würde niemals entstehn, wenn man andere Leidenschaften der Menschen zum Gegenstand wählte. Indem man die ersten flüchtigsten Symptome einer gefährlichen Leidenschaft characteristisch zeichnete, könnte man sich und andere davor zu bewahren suchen; der Ehrgeitz, der Stolz, die Habsucht erzeugen sich oft ohne Wissen derer, die sich ihnen nach und nach ergeben, nur die Liebe wächst durch die Darstellung ihrer eignen Gefühle, aber das beste Mittel, die übrigen Leidenschaften zu bestreiten ist, sie zu entdecken und aufzustellen. Wenn ihre Züge, ihre Triebfedern, ihre Mittel und ihre Wirkungen so an den Tag gebracht, so durch die Romane popularisiert würden, wie es mit der Geschichte der Liebe gegangen ist, so würde man, in der Gesellschaft, über alle Verhandlungen des Lebens, die Regeln weit sicherer und die Grundsäze zarter finden.

Aber wenn auch bloß philosophische Schriften, wie es Romane thun, alle möglichen Schattirungen unserer Handlungen voraussehen und aufstellen könnten, so würde die dramatische Moral doch noch immer den großen Vortheil haben, daß sie uns zur Indignation bewegen, unsere Seele erheben, und eine sanfte Melancholie über sie ausbreiten, und, durch diese verschiedenen Wirkungen romanhafter Situationen, die Erfahrung gleichsam suppliren kann. Dieser Eindruck ist demjenigen ähnlich, den wir erhalten hätten, wenn wir Zeugen bey den Fällen selbst gewesen wären, aber, indem er immer auf Einen Zweck gerichtet ist, wird der Gedanke nicht zerstreuet, wie es durch die unzusammenhängenden Gegenstände, die uns umgeben, geschieht, und, laßt uns noch eins bedenken, es giebt Menschen, über welche die Pflicht keine Gewalt hat, und die man vielleicht noch vom Laster abhalten könnte, wenn man ihnen zeigte, es sey möglich sie zu rühren. Zwar würden Charactere, die nur durch Beyhülfe der Rührung menschlich seyn könnten, die, wenn ich mich so ausdrücken darf, des physischen Vergnügens der Seele bedürfen, um gut und edel zu seyn, unsere Achtung wenig verdienen, aber wenn die Wirkung rührender Fictionen allgemein und popular würde, dürfte man vielleicht hoffen, in einer Nation solche Wesen nicht mehr zu finden, deren Character eine unbegreifliche moralische Aufgabe bleibt. Der Stufengang vom Bekannten zum Unbekannten ist lange unterbrochen, ehe man begreifen kann, was vor Empfindungen die Henker Frankreichs geleitet haben. Keine Beweglichkeit des Geistes, keine Erinnerung eines einzigen mitleidigen Eindrucks muß sich in ihre Seele bey keiner Gelegenheit durch keine Schrift entwickelt haben, daß es ihnen möglich ward, so anhaltend, so unnatürlich grausam zu seyn und dem menschlichen Geschlecht, zum erstenmal, eine vollkommene gränzenlose Idee des Verbrechens zu geben.

Es giebt Werke, wie der Brief Abelard’s von Popen, Werther, die Portugiesischen Briefe; es giebt ein Werk in der Welt: die neue Heloise, deren größtes Verdienst in der Beredtsamkeit der Leidenschaften besteht, und obgleich der Gegenstand oft moralisch ist, so gewinnen wir doch eigentlich nur dadurch den Begriff von der Allmacht des Herzens. Man kann diese Art Romane in keine Classe stellen. Es giebt in einem Jahrhundert Eine Seele, Ein Genie, das dahin zu reichen vermag, es kann keine Gattung werden, man kann dabey keinen Endzweck sehen; aber wollte man wohl diese Wunder der Sprache verbieten, diese tiefgeholten mächtigen Ausdrücke, die allen Bewegungen passionierter Charactere genug thun. Leser, die ein solches Talent mit Enthusiasmus aufnehmen, sind nur in einer kleinen Anzahl und solche Werke thun ihren Bewunderern immer wohl. Laßt brennenden und gefühlvollen Seelen diesen Genuß, sie können ihre Sprache nicht verständlich machen; die Gefühle, von denen sie bewegt werden, begreift man kaum, und man verdammt sie immer. Sie würden sich auf der Welt ganz allein glauben, sie würden bald ihre Natur, die sie von allen Menschen trennt, verwünschen; wenn leidenschaftliche und melancholische Werke ihnen nicht eine Stimme in der Wüste des Lebens hören ließen, und in ihre Einsamkeit einige Strahlen des Glücks brächten, das ihnen in der Mitte der Welt entflieht. In diesen Freuden der Abgeschiedenheit finden sie Erholung von den vergeblichen Anstrengungen betrogner Hoffnung, und wenn die Welt sich fern von dem unglücklichen Wesen bewegt, so bleibt eine beredte und zärtliche Schrift bey ihm, wie ein treuer Freund, der ihn genau kennt. Ja das Buch verdient unsern Dank, das nur einen einzigen Tag den Schmerz zerstreut; es dient gewöhnlich den besten Menschen, denn zwar giebt es Schmerzen, die aus Fehlern des Characters entspringen, aber wie viele kommen nicht aus einer Superiorität des Geistes, oder aus einer Fühlbarkeit des Herzens, und man würde das Leben viel besser ertragen, wenn man einige Eigenschaften weniger hätte. Eh’ ich es noch kenne, hab’ ich Achtung für das Herz, das leidet, und gebe solchen Dichtungen Beyfall, wenn sie auch nur Linderung seiner Schmerzen zum Zweck hätten. In diesem Leben, wodurch man nur den Menschen von sich und andern abzuziehen suchen, die Wirkung der Leidenschaften aufhalten, und an ihre Stelle einen unabhängigen Genuß setzen. Wer es vermöchte, könnte für den größten Wohltäter des menschlichen Geschlechts gehalten werden, wenn der Einfluß seines Talents nicht auch verschwände.

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