HomeDie Horen1796 - Stück 9IV. Nathan. [G. Boccaccio]

IV. Nathan. [G. Boccaccio]

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(Aus dem Decam. Des Boccaz.)

In der Gegend von Cattajo, – wenn man anders den Versicherungen einiger Genueser und Anderer, die in jenen Gegenden gewesen sind, Glauben beymessen darf – lebte vor Zeiten ein Mann, der von edler Abkunft war, unermeßliche Reichthümer besaß, und den Nahmen Nathan führte. Der Wohnort dieses Mannes lag nahe an einer Strasse, die beinah unvermeidlich, von jedem, der von Osten nach Westen, oder von Westen nach Osten reiste, besucht werden mußte, und sein grosses wohlthätiges Herz, das am liebsten durch Thaten gekannt seyn wollte, gab ihm den Gedanken ein, an dieser Strasse, mit Hülfe vieler Künstler, einen der schönsten, größten und kostbarsten Palläste, die jemahls gesehen worden, in kurzer Zeit erbauen, und mit allen Bedürfnissen, die zur Aufnahme und Bewirthung vornehmer Gäste erforderlich sind, verschwenderisch versehen zu lassen. Seine weitläuftige und liebenswürdige Familie mußte hier jeden Wanderer mit reizender Gefälligkeit empfangen und bewirthen. Nathan blieb dieser lobenswürdigen Sitte so getreu, daß sich sein Nahme auf den Flügeln des Rufs nicht allein im Morgenlande, sondern auch bald im ganzen Abendlande verbreitet hatte. Schon hatte er ein spätes Alter erreicht, ohne seiner Gastfreundschaft müde geworden zu seyn, als sein Ruhm auch zu den Ohren eines Jünglings gelangte, der den Nahmen Mitridanes führte, und nicht fern von ihm lebte. Dieser fand sich durch seinen Ruhm und seine Vorzüge gedrückt, und das Bewußtseyn, gleiche Mittel wie jener in den Händen zu haben, gab ihm den stolzen Gedanken ein, Nathans Freigebigkeit durch eine noch höhere wo nicht ganz zu verlöschen, doch sicher zu verdunkeln. Er ließ einen ähnlichen Pallast erbauen, und begann jeden dort Ankommenden oder Scheidenden mit den ausgesuchtesten Höflichkeiten zu überhäufen. Einst trat es sich, daß er ganz allein in dem Hof seines Pallastes geblieben war, als ein altes unansehnliches Mütterchen durch eine der Thüren hereinkam, und Allmosen verlangte. Sie erhielt es, und gieng, kam aber durch die zweite Thür zurück, wo sie von neuem darum bat, es erhielt, und so nach und nach durch zwölf Thüren des Pallastes zurück kehrte. Als sie zum dreizehntenmal wieder kam, sagte Mitridanes: Wirklich, gute Frau, du bist zudringlich genug mit deinen Bitten, doch sollst du dein Almosen erhalten. Die Alte hörte es und rief: o Freigebigkeit des grossen Nathans! wie unerreichbar bist du! durch zwey und dreyßig Thüren, die in seinem Pallast, so wie in diesem sind, bin ich hereingekommen, und habe Allmosen verlangt, und es immer erhalten, ohne daß er that, als kennte er mich wieder, und hier komme ich erst durch die dreyzehnte und bin bereits erkannt und verhöhnt worden! Hier ging sie schweigend hinweg und kehrte nicht wieder zurück. Mitridanes hörte diese Rede der Alten, und weil alles, was er zu Nathans Ruhm hörte, ihm Verringerung des seinigen zu seyn dünkte, fühlte er sich in diesem Augenblick tiefer als je gekränkt. Ich Unglücklicher, rief er, wann darf ich hoffen Nathans Freigebigkeit in grossen Dingen zu erreichen, viel weniger sie, wie ich wünschte, zu übertreffen, wenn ich mich ihr in den kleinsten noch nicht nähern kann? Nur zu lebhaft fühl’ ich es, daß alle meine Mühe vergebens ist, wenn ich diese unerreichbare Tugend nicht ganz von der Welt vertilge, und da das Alter nichts gegen Nathan ausrichtet, so sollen meine Hände, ohne weitern Verzug, der Zeit dieß Geschäft abnehmen. Er folgte dieser Aufwallung, und ohne seine Absicht einem Einzigen anzuvertrauen, stieg er zu Pferd, und kam nach drey Tagen, mit einer geringen Begleitung in die Gegend, wo Nathan lebte. Hier bat er seine Gefährten es auf alle Art zu verbergen, daß sie zu ihm gehörten oder ihn nur kennten und sagte ihnen daß er sich unterdessen eine vollständige Kenntniß von allem, worin Nathans Einrichtungen von seinen eigenen abwichen, erwerben wolle. Der Abend war indessen herbeygekommen, und nahe bey Nathans Pallaste begegnete er einem einsamen, einfach gekleideten Greiß, der kein anderer als Nathan selbst war. Mitridanes fragte den Unbekannten, ob er ihm wohl Nathans Wohnung zeigen könne, und dieser antwortete ihm launig: in dieser ganzen Gegend, mein Sohn, ist Niemand, der sie dir besser zeigen könnte, als ich, und willst du, so führe ich dich auch dahin. Der Jüngling erwiederte, daß dieß ganz seinen Wünschen entspreche, nur wollte er, wenn es seyn könnte, von Nathan weder gesehn noch gekannt seyn. Auch dieß will ich bewerkstelligen, wenn es dir Freude macht, sagte Nathan. Beyde näherten sich nun unter den angenehmsten Gesprächen, die Nathan sehr bald anzuknüpfen wußte, seinem reizenden Pallast. Sei traten ein, und Nathan rief sogleich einen von den Seinigen herbey, um das Pferd des Jünglings wegzuführen. Diesem näherte er sich, und raunte ihm schnell ins Ohr, daß er aufs schleunigste mit Allen im Hause Abrede nehmen sollte, damit keiner dem Jüngling verrathe, daß er selbst Nathan sey. Dieß geschah, und Mitridanes ward in das schönste Gemach geführt, wo er von keinem, als den zu seinem Dienst bestimmten gesehen wurde, und Nathan selbst, der ihn vorzüglich ehren wollte, ihm Gesellschaft leistete. Hier fragte ihn Mitridanes, der eine kindliche Achtung und ein unwiderstehliches Vertrauen zu ihm fühlte, wer er sey? – Ein unbedeutender Diener Nathans, antwortete dieser, der, von dem zartesten Alter an, mit ihm zusammen gewesen, und immer in derselben Lage, worin du mich jetzt siehst, alt worden ist, so daß ich allein, während alle andre Menschen ihn preissen, wenig Ursache habe, mit ihm zufrieden zu seyn. Diese Worte erweckten in dem Jüngling die Hoffnung, daß er vielleicht durch seine Hülfe sein abscheuliches Vorhaben mit Besonnenheit und Sicherheit ausführen könnte, und diese Hoffnung verstärkte sich, da ihn Nathan mit gefälliger Theilnahme nach seinem Nahmen und der Absicht, die ihn hierher geführt habe, fragte, und ihm in Allem, was er für ihn thun könne, seinen Rath und seine Hülfe anbot. Ungewiß was er thun sollte, zögerte Mitridanes einige Momente lang mit seiner Antwort, aber bald entschlossen, sich ihm ganz anzuvertrauen, bat er ihn mit grosser Umständlichkeit um seine Verschwiegenheit, seinen Rath und seine Hülfe, und unterrichtete ihn auf das vollständigste, von seinem Stande, seinem Vorhaben, und seinen Beweggründen dazu. Nathan hörte die Erzählung und das vermessene Vorhaben des Jünglings mit innerer Empörung an, aber mit entschlossnem Muthe und Besonnenheit antwortete er, ohne lange zu zögern: Dein Vater war ein edler Mann, Mitridanes, und du wirst seiner nicht unwürdig seyn, wenn du dem schweren Unternehmen, gegen Alle freigebig zu seyn, getreu bleibst. Ich lobe die Eifersucht, mit welcher du Nathans Tugenden betrachtest, und thäten alle, was du thust, so würde es um die Welt, wo es so viele Unglückliche giebt, bald besser stehen. Dein Vorhaben, das du mir ohne Argwohn mitgetheilt hast, soll verborgen bleiben, und ich kann dir dabey mehr mit meinem Rath als mit unmittelbarem Beystand nützen. Höre also: Du kannst von hieraus, ohngefähr eine halbe Meile weit, ein Wäldchen sehen, worinnen Nathan, fast jeden Morgen, ganz allein, ziemlich lange lustwandelt. Dort ist es leicht, ihn zu treffen, und dann nach deinem Gefallen zu handeln. Tödest du ihn, so mußt du nur ohne Aufenthalt nach deinem Hause zurückkehren und ja nicht den Weg wählen, der dich hierher geführt hat, sondern einen andern, den du linker Hand aus dem Gesträuch kommen siehst. Dieser wird dich schnell und wohl behalten nach deiner Wohnung zurückleiten. Nach dieser ertheilten Nachricht verließ er den Jüngling, und dieser bezeichnete seinen Gefährten, die sich verkleidet eingeschlichen hatten, mit grosser Behutsamkeit den Ort, wo sie ihn am folgenden Tage erwarten sollten. Der neue Tag fand Nathan unverändert, die Ausführung des von ihm selbst ertheilten Raths zu befördern, und auf alles gefaßt, gieng er in das Gehölz, einsam, dem Tode entgegen. Auch Mitridanes stand auf, ergriff seinen Bogen und sein Schwerd, die einzigen Waffen, die er hatte, bestieg sein Pferd, und kam in das Gebüsch. Bald sah er von ferne Nathan, ganz einsam, darinnen wandeln, und von dem Wunsch, ihn, eh er ihn tödete, doch einmahl gesehn und gehört zu haben, überwältigt, lief er zu ihm, und fasste ihn, mit den Worten: Alter, du bist des Todes! bey der breiten Binde, die er am Kopf trug. Folglich habe ich ihn verdient, war alles, was Nathan antwortete. Der Jüngling hörte die Stimme, und ein einziger Blick in Nathans Gesicht überzeugte ihn schnell, daß er der nehmliche sey, der ihn so gütig empfangen, so vertraulich mit ihm umgegangen und ihm so treulich gerathen hatte. Sein Grimm verlosch in ihm und sein Zorn verwandete sich in Schaam. Er warf sein Schwerd, das schon zum Mord entblößt war, hinweg, sprang vom Pferd, und warf sich mit Augen voll Thränen zu Nathans Füssen hin. Jetzt, mein theuerster Vater, rief er, erkenne ich Eure unbegreifliche Freigebigkeit in ihrer ganzen Grösse! Ihr selbst ihr könnet mit so vieler Vorsicht für meine Sicherheit, meinen Wünschen, die ich Euch selbst bekannte, Euer Leben aufopfern, auf welches ich doch gar kein Recht hatte. Aber ein höheres Wesen wachte über meine Vergehungen, und hat mir in dem dringendsten Moment die Augen geöfnet, die mir ein elender Neid verschoß. Nehmt jetzt an mir eine Rache, die meinem Verbrechen gleich zu achten ist, denn je geneigter ihr seyd, Mitleiden mit mir zu haben, desto tiefer fühle ich die Grösse meiner Verirrung.

Nathan nöthigte den reuigen Jüngling aufzustehen, umarmte und küßte ihn zärtlich und sagte: Deines Vorhabens wegen, mein Sohn, nenne es Ruchlosigkeit, oder wie du sonst willst, bedarfst du nicht, um Verzeihung zu bitten, noch sie zu erhalten, weil nicht Haß, sondern Eifersucht des Bessern die Triebfeder davon war. Lebe also vor mir in Sicherheit, und überzeuge dich, daß von allen Lebenden dich keiner zärtlicher liebt als ich; denn ich kenne die Hoheit deines Geistes, der nicht darauf denkt, Schätze aufzuhäufen, wie so viele Elende thun, sondern die aufgehäuften freigebig auszuspenden. Erröthe nicht, daß du mich, meines Ruhmes wegen, hast töden wollen, noch glaube, daß es mich befremdet. Was haben die berühmtesten Feldherrn, die größten Könige anders gethan, als, freilich durch andere Mittel, – nicht Einen Menschen getödet wie du thun wolltest, sondern unzählige, die Länder verheeret und die Städte zerstöret, bloß um ihre Herrschaft und folglich ihren Ruhm zu vergrössern? – Es war also weder etwas sehr Befremdendes noch Unerhörtes, daß du mich töden wolltest, um dich dadurch berühmter zu machen, sondern eine sehr häufig vorkommende Sache. Mitridanes bewunderte die feine Endschudligung die Nathan für ihn gefunden, ob er gleich sein schlimmes Vorhaben nicht dadurch gerechtfertiget fühlte, und im fernen Gespräch äusserte er seine gränzenlose Verwunderung, daß Nathan ihn in seinem Unternehmen noch bestärken und ihm Rath und Mittel zur Ausführung gegeben habe. Ich will nicht, Mitridanes, antwortete Nathan, daß du meinen Rath noch mein ganzes Betragen unbegreiflich finden sollst. Vernimm also, daß, seit ich aus freier Willkühr das wirklich ausführe, was du zu thun erst willens bist, noch keiner je in mein Haus kam, dem ich nicht, so viel mir möglich war, Alles gewährte, was er von mir verlangte. Du kamst, nach meinem Leben lüstern dahin, und kaum vernahm ich deinen Wunsch, so beschloß ich schnell, dir es zu überlassen, damit du nicht der einzige wärest, der ohne Befriedigung von mir hinweggegangen wäre. Ich gab dir zu Erreichung deines Ziels die Rathschläge, die ich für die besten hielt, um mein Leben in deine Gewalt zu bekommen, ohne das deinige dabey in Gefahr zu setzen, und noch jetzt biete ich dir es an, und versichere dich, daß, wenn du es annimmst, und deine Wünsche dadurch befriediget werden, ich es auf keine bessere Art auszuspenden weiß. Ich habe es achtzig Jahre lang benutzt, und zu meiner Freude und Glück angewandt, jetzt weiß ich, daß es mir den Gesetzen der Natur gemäß, wie allen andern Menschen, nicht lange mehr gelassen werden kann, und warum sollte ich es nicht für besser achten, es freywillig zu verschenken, wie ich meine Reichthümer, die so viele andere ungenossen verwahren, ausgespendet habe, ehe es mir wider meinen Willen von der gewaltigen Natur entzogen wird. Auch hundert Jahre sind nur ein flüchtiges kleines Geschenk, wie viel mehr müssen es also die sechs oder acht seyn, die ich allenfalls noch wegzugeben habe? darum bitte ich dich noch einmahl, nimm es hin, wenn es dir ansteht, denn, da sich, so lange ich lebe, noch keiner gefunden hat, der es gewünscht hätte, so weiß ich auch nicht, ob sich, ausser dir, noch Jemand finden würde. Und geschähe dieß auch, so fühle ich, daß, je länger ich es behalte, desto mehr wird es im Werth sinken, nimm es daher, ich bitte dich nochmahls, ehe es an Werth verliert, als Geschenk von mir hin. Mit grosser Beschämung sagte Mitridanes: Behüte mich Gott, daß ich eine so kostbare Sache, wie Euer Leben, annehmen, oder, wie ich vorhin gethan, nur wünschen sollte! Anstatt die theuern Jahre desselben zu vermindern, würde ich sie durch meine eigenen gern verlängern, wenn ich könnte. Hierauf versetzte Nathan schnell: und also, wenn du könntest, so wolltest du die Jahre deines Lebens zu den meinigen hinzusetzen? und du wolltest mich bewegen, etwas gegen dich zu thun, was ich noch gegen keinen gethan habe, das heißt von dir annehmen, was ich nie von einem andern annehmen würde? Gern, versetzte Mitridanes. So thue denn, was ich dir sagen werde, fuhr Nathan fort. Du, in deinem schönen Alter, gehst in mein Haus, und führst hinfort auf immer den Nahmen Nathan, und ich gehe in das deinige und lasse mich von nun an Mitridanes nennen. Hierauf antwortete Mitridanes: Wüßte ich alles so vortreflich einzurichten, wie Ihr es versteht, und verstanden habt, so würde ich, ohne vieles Besinnen annehmen, was Ihr mir anbietet, da ich aber mit Gewißheit voraussehen kann, daß meine Handlungen nur den Ruhm des grossen Nathan verringern würden, und da ich nicht einem andern verderben will, was ich an mir nicht in vollem Glanze zu erlangen weiß, so kann ich es nicht annehmen. Diese und ähnliche angenehme Gespräche fielen zwischen den Beyden vor, bis Nathan den Mitridanes bat, mit in seinen Pallast zurückzukehren, wo er ihn viele Tage lang, mit der ausgezeichnetsten Achtung bewirthete, und ihn mit vielem Geist und Klugheit in seinem grossen, wohlthätigen Vorhaben ermunterte und bestärkte. Und da endich Mitridanes mit seiner Gesellschaft wieder in sein Haus zurückkehren wollte, und ihm Nathan hinlänglich gezeigt hatte, daß seine Freigebigkeit unerreichbar sey, trennten sie sich mit gegenseitiger Zufriedenheit.

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