Charles kam den nächsten Morgen zu mir. Er brachte mir einen zärtlichen Gruß von meiner Mutter, und eine Ermunterung unsre für jetzt nothwendige Trennung ruhig zu ertragen. Der Innhalt meines Briefes habe sie betrübt, sagte mir Charles, doch werde sie nie nach einem Einfluß in mein Schicksal streben, welcher meiner Neigung Gewalt anthun könnnte. Ein gesundes Gemüth werde durch sich selbst mit allen Erscheinungen im Leben fertig, und lerne seine Macht kennen, sie zu verwandeln, oder zu ertragen. Ihre Mutter, fuhr Charles fort, vertraut Ihrer guten Natur. In einem heftigen allbezwingenden Verlangen lernt unser Wesen seine ganze Kraft empfinden. Die Illusion der Leidenschaft ist in der Ökonomie der menschlichen Natur, was die Blüthe in der Pflanzenwelt ist. Die Schönheit umschleiert den Moment, wo sich die Kraft und Gestalt eines Wesens entscheidet. Ich zweifle nicht, meine Agnes wird in reiner tadelloser Form aus dieser Verwandlung hervorgehen, und mit erhöhter Kraft zum Leben und wirken gerüstet. Eine Seele, die im Zauber der lebendigen Fantasie ihre entflohenen Genüsse und leiden zurückzurufen vermag, bewahrt leichter das heilige Gesetz der Billigkeit gegen andre, als lebendiges, gegenwärtiges Gefühl in der Seele. Sie werden Ihre Mutter bald wieder sehen, auch in kurzem Ihren Pflegevater in Hohenfels, und wenn Sie selbst wollen, werden Sie an seiner Seite einen Kreiß der Thätigkeit finden, der Ihnen das Glück der Liebe ersetzen kann, oder in stäter Dauer bewahren wird.
Charles brachte in jeder Woche einige Morgenstunden bei mir zu. Er ließ mich Zeichnungen kopieren, die er selbst nach den besten Meistern entworfen hatte. Ich wählte eine Landschaft nach Poussin, und während dieser Arbeit fielen unsre Gespräche auf die wichtigsten Gegenstände.
Charles herzlicher Antheil, und die Klarheit seiner Vorstellungen wirkten wohlthätig auf mein Gemüth. Ich wurde mir selbst klärer in seinem Umgang. Er faßte meinen Zustand, und suchte die verworrenen Bilder zu zerstreuen, welche meine Fantasie aus den grossen Cirkeln der vergangenen Abende zurückgebracht hatte. Ich heftete mich an ihn, und ehrte ihn wie einen guten Genius, der den Faden meines geistigen Daseyns aus dem Gewühl des Sinnlichen zu lösen vermochte.
Meine kleine Kunstarbeit hatte während unsrer Gespräche guten Fortgang. In jeder Darstellung eines grossen Sinnes liegt eine gewisse magische Kraft gleich als für immer gefesselt, sie bewegt jeden fühlenden Beobachter, er fühlt eine fremde Gewalt, die seine Kräfte aufregt, und emporzieht. So wirkte auch der Geist des grossen Meisters, dessen Dichtung vor uns lag, still und erhebend auf mein Gemüth; und das Andenken an meine Mutter, das mir in Charle’s Gespräch beinah zu einer geheimnisvollen Gegenwart wurde, stärkte mein Herz in dem zarten süssen Leben der Hofnung.
Ich war heiterer und lebendiger nach jeder Zusammenkunft mit Charles, und hatte manche kleine Spötterei der Gräfin über den Einfluß des Zeichenmeisters auf meine Laune auszustehen.
Bettina war oft gegenwärtig, während Charles bei mir war, sie zeigte viel Freude und Geschicklichkeit zur Kunst und gewann Charles Neigung sehr bald.
Die Kleine hatte ihre Liebe zu Nordheim so innig mit der Neigung gegen mich vereinigt, daß wir beide gleichsam zu einem Bilde in ihrer Vorstellung zusammengeflossen waren. Je inniger sie uns in sich vereinte, je schärfer trennte sie jede dritte Erscheinung von der unsern. Jede kleine Vertraulichkeit Nordheims mit der Gräfin schmerzte sie tief, sie kam traurig zu mir, und verweilte mit ihrem kindischen Geschwätz bei jedem kleinen Umstand. Sie machte auch in Charles Gegenwart oft bittre Anmerkungen über die Gräfin, und schwazte nach und nach so viel, daß Charles den Grund ihres Herzens und des meinen erblickte. Nein, rief sie einmal heftig aus, nein, es ist unmöglich, daß Nordheim ein andres Weib als meine Agnes lieben sollte! Ich suchte meine Bewegung durch einen Scherz zu verbergen, aber ich fühlte es, Charles hatte mein Geheimniß errathen.
Mir selbst blieb Nordheims Verhältnis mit Amalien immer ein Räthsel, ich scheute mich bei den Kleinheiten der Eifersucht in meinem Gemüth zu verweilen und verstattete mir keine genaueren Beobachtungen. Es fuhr gleich einem kalten Strahl durch meine Brust, wenn ich die Gräfin mit Nordheim allein fand, meine Lippen bebten und meine Worte wurden zu unsichern Lauten. Aber ein freundliches Wort von Nordheim, voll einfachen treuen Sinnes, brachte den Frieden in meinem ganzen Wesen zurück. Was willst du? fragte ich mich selbst, nimmt er nicht Theil an Dir, will Dir wohl, ist das nicht schon so viel? Ist es nicht genug?
Ein sonderbarer Vorfall zeigte mir auf einmal die ganze Gewalt der Leidenschaft über mein Herz, indem er den freundlichen Wahn der Erfüllung zerstörte, welcher sich insgeheim immer an unsren heissesten Wunsch anschmiegt, so sehr unser klarer Verstand ihn auch zurückzuweisen strebt.
Die Hindernisse, welche Elisens Verbindung im Wege sanden, waren nunmehr besiegt, der Tag der Hochzeit war festgesetzt, und der Hof nebst der ganzen Gesellschaft versammlete sich bei Elisens Tante, um der Trauung beizuwohnen. Die Gesellschaft vertheilte sich bis zum Anfang der Ceremonie in mehrere Zimmer. Elise nahm mich geheimnisvoll bei der Hand und führte mich in ein Cabinet, wo ich den Prinzen fand.
„Verzeihen Sie das, was ich Ihnen zu sagen habe: redete er mich an. Es ist ein Auftrag meiner Schwester, welche uns seit wenigen Tagen verließ.“
Die Prinzessin hatte mich seit der lezten sonderbaren Szene ganz vernachlässigt, ich war durch ihr Betragen gekränkt, weil etwas unaussprechlich anziehendes für mich in ihrem Wesen lag.
„Meine Schwester und ich, fuhr der Prinz fort, vereinigen uns mit den Wünschen Ihrer Freundin, heut mit einem liebenden Gemahl zugleich auch eine geliebte Schwester zu besitzen.“
Elise lag in meinen Armen. O meine Agnes, gewähre uns allen dieses Glück! Rief sie aus. Mein Alban bittet für seinen Bruder, Julius bittet nur mit stiller Liebe und Treue.
Geben sie uns allen die Freude, Sie für immer unter uns zu sehen, sage der Prinz. Selbst mein Vater ist von dem Zauber Ihres Betragens gerührt, und wünscht, Sie möchten bei uns leben. Er wird Julius in eine Lage setzen, welche Ihnen eine angenehme Existenz versichert.
Der Fürst trat herein und sein freundliches gütiges Lächeln über den ernsten Zügen, die aus allen ihren gewohnten Falten gerückt waren, ergriff mich auf eine sonderbare Art, und rührte mich bis zu Thränen.
Ein geschäftiges Männchen unter den Hofleuten hatte etwas von der Szene durch die halboffne Thür gesehen, und breitete in den andern Zimmern die Nachricht aus, ich empfienge die Glückwünsche zu meiner Heurath. Das Cabinet füllte sich, Nordheim kam mit den Übrigen, blieb ernsthaft an der Thür stehen, ohne ein Wort zu sprechen, Julius erfuhr von Elisen die Veranlassung dieses Auftritts. Er sah mich in der peinigenden Verlegenheit, wagte nicht, sich mir zu nähern, und bat die Gräfin, mich von der lästigen neugierigen Menge zu befreien.
Ich hatte mich unterdessen gefaßt und ersuchte den Prinzen seinem Herrn Vater meine Dank auszudrücken, nebst dem Wunsch, für jezt noch unverheurathet zu bleiben. Der Fürst sah verdrislich aus und sagte halb laut: Er hätte von mir solch eine Ziererei nicht erwartet. Der Tadel des alten Mannes schmerzte mich, wie mich sein Antheil bei seiner sonstigen gewohnten Kälte rührte. Die Gräfin zog mich in ein Fenster und sagte nach einigen Minuten: Welch eine eigne Gestalt nehmen doch alle gewöhnlichen menschlichen Verhältnisse für Seelen gewisser Art an! Die Liebe für Dich, meine Agnes, scheidet sich von jedem eigennützigen Begehren, sie will nicht sowohl besitzen, als Dein Wesen gleich einer schönen Kunstgestalt in reiner Anschauung geniessen. Dein holdes Gemüth wirkt geheimnißvoll aber mächtig auf alles, was sich Dir nähert, und bildet eine Welt feinerer zärterer Verhältnisse um Dich her. Doch, jeden, fuhr sie fort, jeden, mein bestes Kind, ergreift früh oder spät das unbezwingliche Schicksal, und versetzt ihn in den Kreiß des Bedürfnisses und der Noth, in welchen unser Daseyn gebannt ist. Nichts bleibt rein und ungemischt in diesem, und jedem Genuß folgt bittres Entbehren. Besser ist es, freiwillig den Göttinnen des Schicksals ein Opfer zu bringen, einem Gut zu entsagen, um ein andres zu gewinnen. Doch ich fühle, sagte sie, mehr sanft und betrübt, als unmuthig, ich fühle, daß ich Ihr Vertrauen nicht besitze, ob ich gleich wähne, es zu verdienen. Wir waren allein im Cabinet geblieben, Nordheim näherte sich uns. Vertraulicher als ich es in der letzten Zeit gewohnt war, faßte er meine Hand, seine ernsten Blicke ruhten mit zärtlicher Theilnahme auf mir, indem er sagte: Wie gern, beste Agnes, nähme ich noch auf eine weite Reise, die ich in kurzem antreten werde, die Überzeugung mit mir, daß ich meine Freundin glücklich zurückließ.
Sie wollen verreisen? sagte ich mit zitternder Stimme.
Ich muß, erwiederte er. Im Vertrauen auf die Freundschaft Ihres Vaters, wage ich es, vielleicht zudringlich zu werden. Die Wünsche Ihrer Freunde scheine mir einen Lebensweg für Sie zu bezeichnen, der zur Zufriedenheit führen wird. Der, welchen sie aus eigner Stimmung für jetzt vielleicht erwählen könnten, würde Sie nur zu Unruhe und Sorge führen. Trauen Sie den Blicken eines Freundes, der zärtlichste Antheil macht sie scharfsichtig. Was mich selbst betrifft, so bleibe mir noch einiges zu sagen übrig. Ich wünsche klar vor Ihnen zu stehen, ob ich gleich Ihr Vertrauen nie erwerben konnte. Sie werden mich aus meinen Briefen an Ihren Vater ganz kennen lernen, in kurzem werden diese in Ihren Händen seyn. Julius edle Liebe wird Ihr Leben beglücken, meine theure Agnes, und Ihr Glück wird die reine Freude Ihres fernen Freundes seyn. Ich gewöhnte mich seit langer Zeit, nur in dem Glück meiner Freunde zu geniessen. Der Moment, wo ich aus diesem Daseyn heraustrat, rächte sich durch manche innre Verwirrung.
Nordheim verließ mich hier schnell.
Unendlich ist der Schmerz der Liebe, weil sie selbst ein Verlangen nach dem Unendlichen ist.
Nordheim selbst wünscht dich mit einem andern Mann verbunden! Jeder Wunsch nach dir ist also in seinem Herzen erloschen! Er liebte dich nie! Nur dieses Gefühl klang immer aufs neue in meiner Seele wieder, meine Sinne waren wie erstarrt und jedem äussern Eindruck verschlossen.
Die Gräfin faßte meine Hand, und diese Berührung erweckte mich durch eine höchst widrige Empfindung. Ich hatte den Sinn ihrer Worte nicht ganz gefaßt, und nur eine dunkle Vorstellung dabei gehabt, als enthielten sie den Rath, Julius meine Hand zu geben, und meiner Neigung für Nordheim zu entsagen. Ich war schon in der widrigsten Stimmung gegen die Gräfin, als sich Nordheim zu uns gesellte, und jetzt in dem schwersten Moment meines Lebens stand sie vor mir, als ein feindseliger Dämon, der sich meines bösen Geschicks erfreute, in welches er mich, so wähnte ich, selbst hineingezogen. Ich hatte keine Worte für solche widrige Gefühle, in Liebe und Stille der Seele erzogen, kannte meine Brust den kalten Haß nicht.
Mit einer unwillkührlichen Bewegung hatte ich den Arm der Gräfin zurückgestossen, und jetzt strebte ich, meinen Schmerz zu verbergen. Julius bemerkte die gewaltsame Anstrengung in meinem Wesen, und äuserte sein Mißvergnügen, der Anlaß zu einer so unangenehmen Szene für mich gewesen zu seyn, der er meinen ganzen Zustand zuschrieb.
Ich hielt die Gesellschaft aus, aber man trug mich bald ohnmächtig aus dem Wagen, so sehr hatte die Gewalt, mit welcher ich mein Herz zurückhielt, meine Nerven zerrüttet. Wie wohlthätig kehren sich die Genien unsrer entflohenen guten Stunden in jenen Zeiten zu uns, wo uns eine hoffnungsleere Finsterniß umgiebt!
Nachdem ich einen Strom erleichternder Thränen vergossen, standen meine lieblichen Wälder von Hohenfels mit ihren kühlen Lauben vor meiner Fantasie. Dort, sagte ich mir, wo mir die ersten goldnen Jugendträume blühten, dort wird das Andenken an Nordheim, mein ewig lebendiger Schmerz über seinen Verlust, ungestört wohnen!
Ich rief mir jetzt Nordheims Worte zurück. Ausser ihrem schmerzlichen Sinn, welcher mir eine Verbindung mit einem andern Manne anrieht, lag noch etwas räthselhaftes in seiner Äuserung.
Er warnt dich selbst, dich deiner Neigung für ihn zu überlassen! Auf diese Erklärung kam ich endlich zurück, ob sie mir gleich mit seiner Bescheidenheit und Feinheit zu streiten schien.
Wir sind so geneigt, die fehlgeschlagnen Hofnungen unsers Herzens aus der Stellung der äussern Umstände herzuleiten, um die Erscheinung eines geliebten Wesens rein in unsrer Seele zu bewahren. An welchen zarten Fäden hängen oft die wichtigsten Begebenheiten unsres Lebens, sagte ich mir. Ein geheimnisvolles Gewebe umspinnt uns unsichtbar, aber gewaltsam, und alle Kraft unsres Herzens vermag nicht, die eisernen Fäden zu durchbrechen. Hätte die Gräfin heut nicht zwischen uns gestanden, hätten uns statt der steifen Hofwelt Wälder und Wiesen umgeben, statt des engen Zimmers das weite blaue Gewölbe des Himmels, o! wer weiß, ob nicht das innigste Gefühl der Liebe in meiner Brust, ein Wort, einen Ausdruck gefunden hätte, welcher Nordheims Herz mir wieder zugewendet! Alles erinnert uns an Beschränktheit in den Cirkeln der feinen Welt, sie bestehen nur durch dieselbe, und die himmlische Freiheit der Liebe fühlt sich dort gefesselt. Welche unselige Stellung der Umstände mußte den entscheidenden Moment meines Lebens umgeben! Ich habe alles verlohren! für immer verlohren!
Unter diesen Selbstgesprächen nahte der Morgen. Der Entschluß, Nordheim nicht wieder zu sehen, stand hell in meiner Seele. Die Gräfin kam, mich zu besuchen; ich war milder gestimmt, und sie selbst schien mir mehr ein Werkzeug des Schicksals zu meinem Unglück, als die erste Ursache desselben. Gleichwohl blieb ich ungerührt von ihrem gutmüthigen Betragen, so sehr ich mich selbst darüber tadelte. Es giebt Menschen, welche uns nie von ihrem guten, und andre welche uns nie von ihrem bösen Willen überzeugen können. Ausser meiner leidenschaftlichen Stimmung, die ein unreine Farbe in das Bild der Gräfin mischte, lag noch vielleicht in ihrem eignen Wesen ein gewisses Etwas, welches das Vertrauen raubte. Wo die Manier ganz vorherrscht, da scheint zulezt der Charakter selbst nur Manier.
Der reine Klang des Herzens entlockt einzig hinwiederum dem Herzen, Neigung und Vertrauen.
Man rief die Gräfin bei mir ab, weil Nordheim zu ihr gekommen war.
Mein Entschluß ihn nicht wieder zu sprechen blieb fest, aber noch einmal wollte ich den lebendigen Zauber seiner Gegenwart empfinden, und seine Gestalt als ein holdes Bild für meine dunkle Zukunft bewahren.
Ich lauschte hinter meinem Fenster, bis er aus dem Hause gieng. Er trug dasselbe Reisekleid, in welchem ich ihn zuerst gesehen. Er wendete sich nach meinem Fenster. Muth und Vertrauen und Vergessenheit alles Schmerzens strahlte aus dem edlen liebevollen Gesicht in meine Brust. Aber als er hinter der Ecke der Straße verschwand, ergriffen mich alle Schauer der Zerstörung aufs neue. Zum letzten Mal – es ist vorbei – es ist aus, sagte ich mir. Zum leztenmal, ist ein beunruhigendes Gefühl bei der gleichgültigsten Sache, weil es an unser engbeschränktes menschliches Dasein so innig erinnert, und zum leztenmal! bei der höchsten Lebensfreude ergreift uns wie die kalte Hand des Todes.
Charles trat in diesem Augenblick ins Zimmer. Ich eilte ihm entgegen und suchte mein Gemüth zu verbergen, aber er wich stumm und erschrocken bei meinem Anblick zurück.
Haben Sie mir eine böse Zeitung zu bringen? Fragte ich ihn. Nein, erwiederte er, möge ich keine von Ihnen zu vernehmen haben, und Ihre Worte Ihrem Aussehen widersprechen.
Sein herzlicher Antheil lößte alle Banden meines Schmerzes, meine Thränen flossen unaufhaltsam.
Der zarte Sinn meiner Mutter schien mir von Charles Lippen entgegenzuschweben. Er nathe sich mir sanft, faßte meine Hand, und nach einem tiefen Blick in meine Seele sagte er: Sollte für Dich, gutes Geschöpf, der Moment schon gekommen seyn, wo die freundlichen Täuschungen der Sinnewelt sich in quälende Gestalten verwandeln? Ist der jugendliche Wahn einmal verschwunden, in dem wir freundlich und harmonisch mit der äusern Welt zusammenfließen, wo unser Wesen in allem innig und ganz lebt, und eben darum keine Trennung in seinem Innern empfindet, ist jene Magie einmal aufgehoben, und mußt Du den innern Bestand in Dir selbst durch eignes Streben wiederherstellen, dann kann Dir vielleicht der Rath eines Freundes nützen. Dein Wesen, gutes Kind, fuhr er fort, ist Liebe und Sympathie. Genuß ist für dich nur in der reinen Stimmung Deines Innern zu finden, also lasse früh ab von der Täuschung, die uns einen äusern Gegenstand als die höchste Wonne des Lebens vormahlt. Aber hüte Dich auch vor jenen Momenten starrer Apathie, in welche unser Gemüth so leicht nach einer zerstörenden Anspannung fällt. Handle nicht eher bis der klare Blick Deines Verstandes alle Dinge in ihrem rechten Maaß zu würdigen vermag. Der erste tiefe Schmerz getäuschter Erwartung treibt die Seele aus den endlichen beschränkten, empor ins unendliche. Wir herrschen über die Gestalten der Erde in unserm Gemüth denen wir sonst dienten. Glücklich wenn wir in solch einer Periode innrer Klarheit und Reinheit, uns selbst eine richtige haltbare Stellung, in unsern innern und äusern Verhältnissen geben! Glücklich wenn das Schicksal uns an einem Scheideweg stehen läßt, bis wir uns selbst gesammlet haben, und das Maaß unsrer Kraft zu ermessen vermögen! Wenig Glückliche führt ihr Genius ganz schuldlos durch das Leben. Manche müssen mit dem Opfer eines ganzen Lebens wenige Augenblicke büßen, in welchen sie verschmähten, auf jenen leitenden Wink zu achten. – Hier hielt Charles ein, schlug die Augen nieder, und sein ganzes Wesen verrieth einen Sturm durch die Gewalt schmerzlicher Erinnerungen erzeugt. Meine Agnes, rief er aus, indem sein Auge einen Blick unaussprechlicher Liebe auf mich warf, wenn es mir gelänge, Dir den reinen nie getrübten Frieden der Seele zu erhalten, dann will ich jedes Leiden, das ich erduldete als eine Wohlthat des Schicksals dankend verehren! Er stieg heftig von seinem Stuhl auf, lief ein paarmal im Zimmer auf und ab, und kam dann mit ruhiger Meine wieder zu mir.
Sie müssen sich billig wundern über den so lebhaften Antheil eines Unbekannten, sagte er, aber es ist meine Art so. Mein Herz nähert sich allem Liebenswürdigen mit einem innigen Verlangen, es in seiner eigenthümlichen Grazie erhalten zu sehen. Das Schicksal versagte mir zarte Naturverhältnisse, in denen meine Liebe lebendig wirken könnte, und darum spähet mein Auge nach allen holden Gestalten, die in meinen Kreiß kommen, und mein Herz schließt ihnen seine Erfahrungen auf.
Charles Worte hatten mich lebhaft ergriffen, seine Vorstellungsart drang sich meinem Verstande auf, und die Wärme seines Herzens belebte meinen Willen. Ich fühlte die Kraft neue Ansichten des Lebens zu fassen. Die Pflicht, die gesunde heitre Thätigkeit meines Gemüthes für meine Mutter zu erhalten, war das erste Verhältnis welches ich lebendig ergriff. Wenn Freude und Hofnung vom Herzen gefallen sind, finden wir nur unser Daseyn im nothwendiger, allgemeinen Gesetz unsrer Natur wieder.
Sie werden Ihre Mutter diesen Abend sehen, sagte mir Charles, und sie wird Ihnen viel wichtiges und neues entdecken, was die Sphäre Ihrer künftigen Thätigkeit und den Ort Ihres Aufenthalts betrift.
In Ansehung des Wunsches, sogleich zu meinem Vater nach Hohenfels zu eilen, verwieß er mich auf die Unterredung mit meiner Mutter.
Ich blieb den ganzen Tag auf meinem Zimmer. Bettians liebevolle heitre Geschäftigkeit erhielt mich in einer sanften wehmüthigen Stimmung. Das liebe Geschöpf wird doch immer ein Verhältnis zwischen Nordheim und mir erhalten; wenigstens werde ich wissen, wo er lebt, sagte ich mir. Über Bettina wird er mir etwas zu sagen haben, und ich zu antworten. O die einzige edle, holde Gestalt wird nicht ganz für mich in das Reich der Schatten verschwunden seyn! Ich werde zuweilen ein Zeichen seines Daseyns empfangen. diese Gedanken gaben meiner Neigung für Bettina etwas rührend zärtliches, welche sich noch nie bei ihr empfunden hatte. Ich sagte ihr manches über ihre innre und äusre Existenz, welches sie mit lebendigem Wahrheitssinn aufnahm, denn ich selbst hatte ein sehr klares Gefühl ihrer ganzen Individualität. Ohne etwas besonders dabei zu denken, bracht eich meine Sachen in Ordnung und versiegelte meine Papiere. Bettina fiel mir weinend in die Arme, und rief: Ach du willst mich verlassen! Ich lachte, und versprach ihr dann ernsthaft, sie sollte immer bei mir bleiben.
Bei einbrechender Nacht entfernte ich das Mädchen, verhüllte meine Gestalt so sehr als möglich, und eilte dem Stadtthor zu. Charles hatte diese Einrichtung getroffen, er schien mir bedenklicher, ja furchtsamer als bei unsrer ersten Zusammenkunft mit meiner Mutter.
Es war eine sehr finstre Nacht. Regenwolken umhüllten den Mond und die Sterne, und der Regen fieng schon an zu fallen, als ich kaum einige Schritte vom Hause der Gräfin entfernt war. Ich eilte, so sehr ich konnte, aber ich war schwach von der schlaflosen Nacht und den mancherlei Stürmen, welche in den lezten Tagen auf mein Gemüth eindrangen. Der Wind jagte mir den Regen entgegen, und benahm mir die Luft. Athemlos lehnte ich mich für einen Augenblick an eine Mauer, einem Laden gegenüber, welcher sehr erhellt war. Eine große Gestalt gieng ganz dicht an mir vorbei, sie hatte den Huth tief in die Augen gedrückt. Aber in dem Moment, wo das Licht aus dem Laden das Profil des Untergesichts stark erhellte, dünkten mirs Nordheims Züge zu seyn. Ich bebte für Furcht und für Freude. – Ein Wort der Liebe von den geliebten Lippen zu vernehmen und dann an der Brust der Erde mein Leben auszuhauchen um in dem Odem des Ewiglebenden neu aufzublühen; dieser Wunsch bewegte mein Innerstes. Wenn uns die Naturkräfte im Sturm aufgeregt erscheinen, und wir selbst den Sturm in unserm Innern kaum entrannen, dann schmiegt sich ein Gemüth, welches das Vermögen besitzt, sich der ewigwirkenden Kraft nahe zu fühlen, mit unendlichem seligem Verlangen an das Eine, bleibende, in, oder über der Natur.
Die grüne Erde dünkt uns wirklich der Schooß der Mutter, über welchem ewig unwandelbares Leben weht, um uns einem neuen Daseyn zuzubilden.
Wie sonderbar geht oft eine neue ungewöhnliche Stimmung in unsrer Seele einer Begebenheit zuvor, die unsern Verhältnissen und uns selbst eine neue Gestalt giebt! Gleich als gäbe uns unser Genius den Wink, unsre Kraft zu sammlen. Der Wunsch nach der Auflösung unsres Wesens, bildet in gewissen Stimmungen unsrer Seele ein neues Lebensorgan, und die gestaltlose, aber lichte Zukunft, der sich unsres Innres entgegendrängt, wirft auf alle Erscheinungen der Erde ein neues milderes Licht. Welcher feine Mensch, der gewöhnt ist in sich selbst zurückzublicken, kennt nicht jene Momente des reichern höheren Lebens, wo die Seele eine unabsehliche Kette der Gedanken durchfliegt, und die reicher an lebendigen Erscheinungen in seinem Innern sind als oft Zeiträume von Jahren!
Ich hatte solch einen Moment durchlebt, und fand mich gestärkt und erhellt um jeder Begebenheit zu begegnen. Selbst der geliebten Erscheinung Nordheims gieng ich mit Ruhe und stiller Freude, ohne Furcht und Sehnsucht entgegen.
Der Regen dauerte fort, und durch die Finsternis und den Sturm arbeitete ich mich nur mühsam und langsam hindurch, bis zum bestimmten Ort. Als ich bei einigen erleuchteten Häusern vorbeikam, dünkte mirs, als folge mir die Gestalt, die ich zuvor sah, sie stand still, sobald ich mich nach ihr umwendete. Ich dachte nicht mehr, daß es Nordheim wäre, und glaubte mit Recht meine Einbildung habe mich betrogen.
Auf dem bestimmten Platz fand ich den Wagen. Charles bot mir die Hand zum einsteigen, und nahm seinen Sitz neben mir. Er schien ungewöhnlich bewegt und sprach wenig. Wir waren ohngefähr eine Viertelstunde gefahren, als der Weg vom Steinpflaster abgieng. Einige Reuter waren uns bis dahin gefolgt, Charles sah sich oft nach ihnen um. Jezt verliessen sie uns, und er schien ruhiger.
Wir hatten schon einen weitern Weg gemacht, als bei der ersten Zusammenkunft, als sich die Wolken zertheilten und der Himmel aufhellte. Ich öffnete das Wagenfenster um des gestirnten Himmels zu genießen. Welch eine schöne Nacht! mein Freund, sagte ich zu Charles, um seinen Trübsinn zu zerstreuen. Ist’s Ihnen nicht auch, fuhr ich fort, als ob die Klarheit des Äthers den innren Sinn umleuchtet, wie die Sonne de Gestalten der Erde? Alles Drückende und Verworrene läßt sich auf mit einem Blick in das grenzenlose Blau des Himmels, von dem eine Ahnung des unvergänglichen uns entgegenweht. Dieser Tag soll mir ein merkwürdiger Tag bleiben. Ihr Gespräch diesen Morgen hat mich zu mancherlei Erscheinungen in meinem eignen Wesen vorbereitet. – Charles drückte meine Hand und sagte mit zitternder Stimme – Unser eignes Daseyn ist zu ermessen und zu ertragen, aber die Sorgen der Liebe drücken uns dreifach schwer darnieder. Wer für sich nur fürchtet, fürchtet nichts.
Die Reuter stießen wieder zu uns, Charles hieß mich ängstlich, mich nicht wieder aus dem Wagenfenster herauszubeugen. Sie folgten unserm Wagen seit einer halben Stunde, Charles wurde immer unruhiger, und als wir durch ein Dorf fuhren, sagte er: wir müssen diese Leute von unsrer Spur entfernen; und bat mich, am Wirthshause auszusteigen. Man führte uns in ein kleines Zimmer, dessen Fenster gegen den Garten geöfnet waren. Die Düfte der vom Regen erfrischten Pflanzen wallten uns durch die helle Mondnacht entgegen. Mir war wohl und sonderbar klar in meinem Gemüth. Ich sprach mit Charles von der Freude meine Mutter zu sehen, und von der Hofnung, daß die geheimnisvollen drückenden Verhältnisse sich endlich einmal auflösen würden.
Hoffe nichts, und fürchte nichts, liebes Kind, sagte Charles, so hat das Schicksal keine Gewalt über dich. Er stand trübsinnig neben mir, und gab nur unzusammenhängende Antworten.
Ein wilder Lärm drang an unsre Thür. Charles verwahrte sie von innen, so gut er konnte, stellte sich mit bloßem Degen davor, und bat mich, in einer Ecke des Zimmers ruhig zu bleiben.
Unter einem wilden Getöse von mancherlei Stimmen erkannte ich Nordheims Stimme. Mit festem gebietenden Ton befahl er dem Wirth die Thür unsres Zimmers zu öffnen. Der Wirth entschuldigte sich; es sey ein Herr mit einer Dame darinnen, welche gewiss nichts weniger als eine Überfall erwarteten.
Nichtswürdiger! Sagte Nordheim, zornig, eben das Mädchen fodere ich, sie ist mit Gewalt geraubt.
Wie belebend fühlt eich in meinem ganzen Wesen Nordheims Antheil an mir! die ganze peinigende Verworrenheit dieser Szene vermochte nicht dieses Gefühl niederzuschlagen. Ich bat Charles die Thür zu öfnen und sich gegen Nordheim frei zu erklären. Er sah mich wild an, und sagte: Du weißt nicht, was Du begehrst. Du bist Deiner Mutter für immer entrissen, wenn Du in die Hände des Fürsten kommst, Nordheim ist sein Freund. O er ist edel Charles! rief ich. Lassen sie uns ihm alles vertrauen. Er kann nie ein in ihn geseztes Vertrauen beleidigen.
Armes, hingebendes, leichtgläubiges Geschöpf! sagte Charles. Du kennst das Leben noch nicht, und welche doppelte Gestalt es dem menschlichen Gemüth aufdrückt. Laß Dich zu keiner Unvorsichtigkeit verleiten, die Du ewig bereuen müßtest.
Nordheims wiederhohlter Befehl die Thür zu öfnen, machte unserm Wortwechsel ein Ende. Er befahl seinen Leuten sie aufzuschlagen. Der Wirth gab wahrscheinlich nach. Die Thür öffnete sich, Nordheim trat herein, und eine Menge von Leuten des Wirths und von seinen eignen drangen ihm nach.
Es wage sich keiner über diese Schwelle! rief Nordheim, alles entfernte sich, bis auf einen von seinen Leuten, der bittend rief, indem er auf Charles wilde Gestalt deutete: Bester Herr, lassen Sie mich blieben! Geh augenblicklich! sagte Nordheim, und schloß die Thür hinter ihm ab.
Jetzt, redete er Charles an, jezt sagen Sie, was berechtigt Sie zu diesem Betragen? Nur die Neigung dieser Dame für Sie kann es entschuldigen, aber nie rechtfertigen. Im Namen Ihres väterlichen Freundes, bitte ich Sie sogleich nach dem Hause der Gräfin zurückzufahren, sagte er mir sehr ernsthaft. Mein Wagen erwartet Ihren Befehl. Er faßte meine Hand, legte sie in seinen Arm und eilte der Thüre zu. Ich vermochte es nicht der süssen Gewalt zu widerstehen, ich folgte, beinah unwillkührlich, denn der Gedanke an meine Mutter hielt mich nicht weniger mächtig zurück. Nun schrie Charles: Ich behalte das Mädchen, oder den Tod für einen von uns beiden! Vertheidigen Sie sich. Er hatte Pistolen aus dem Gürtel gezogen, reichte die eine Nordheimen, und behielt die andre, nach ihm zielend, in der Hand.
Waffen können nur zwischen Menschen von gleichen Rechten und gleicher Kraft entscheiden, sagte Nordheim. Ich schlage mich mit keinem Unbekannten. Wer sind Sie? Und was treibt Sie an, die Ruhe eines edlen Mädchens und ihrer Freunde zu kränken?
Ich hatte einst einen Namen, der mir das Recht gab, mich mit den Edelsten zu messen, sagte Charles, aber er ist aus dem Reich der Lebendigen verlöscht – ich bin nichts mehr – Ein Schatten, der Kraft- und Thatenlos umherschwebt.
Die Hand mit dem Pistol sank, und er blieb starr und unbeweglich. Es war ein Ausdruck dumpfer Verzweiflung in seinem Ton. Nordheim näherte sich ihm edel und gütig, ohne Waffen und sagte: Was zwingt Sie, Unglücklicher, solch eine Rolle zu übernehmen? Ist es eine unbezwingliche Leidenschaft, so werde ich ihr Vertrauen nicht misbrauchen. Handlen Sie zur Beförderung fremder Zwecke, unter fremden Einfluß, so kann nur ein offenherziges Geständniß Ihnen meine Verzeihung erwerben. Dringt Sie die Noth, ein unedles Geschäft zu übernehmen, so erwarten sie von mir eine größere Belohnung, wenn Sie sich davon lossagen. Reden Sie, aber widersetzen Sei sich nicht, daß ich das Fräulein zurückführe, oder Sie bezahlen es mit Ihrem Leben, denn in jedem Fall bin ich entschlossen, sie nicht hier zu lassen.
Bittres Schicksal, zwingst du mich auch noch ein Mörder zu werden! rief Charles, und richtete das Pistol gegen Nordheim.
Ich hatte mich von Nordheim losgemacht, und fiel Charles in den Arm, ihn zurückzuhalten. Nordheim war mir schon zuvorgekommen und hatte ihm das Pistol mit einer geschickten Bewegung und überlegener Stärke aus den Händen gewunden.
Wie rasch bestes Kind! sagte mir Nordheim. Wie leicht hätten Sie sich verwunden können. Beruhigen Sie sich, ich werde keine Waffen gegen einen Mann führen, der Ihnen werth ist. Aber folgen Sie mir jetzt. Verzeihen Sie, ich muß es fodern, und ich weiß, Sie selbst werden es mir in einer ruhigen Stimmung danken.
Die reine Güte in diesen Worten zog mein Herz unaussprechlich zu Nordheim, so sehr mich auch ihr Sinn schmerzte, der ein Herzensverhältnis mit Charles durchaus voraussetzte, und auch in meiner glühenden Besorgnis um ihn selbst, nur Liebe für seinen Gegner sah.
Ach Nordheim, sagte ich, wie sind Sie so gütig, und so grausam zugleich! Meine Thränen flossen unaufhaltsam.
Seyn Sie überzeugt, meine Agnes, ich wünsche nur Ihr dauerhaftes Glück, sagte Nordheim sanft. Ich verspreche alles für Ihre Liebe zu thun, aber für jetzt folgen Sie mir!
Ich fühlte, wir verwirrten uns unauflöslich. Meine vorhergegangene Stimmung hatte mich über alles conventionelle erhoben, und ich glaubte mich wirklich in diesem Moment jugendlicher Selbsttäuschung über alle Leiden und Freuden des Lebens empor gerükt.
Charles stand in stummer Betäubung mit dem Rücken an die Thüre gestemmt und schien entschlossen, alles zu wagen. Die Spannung zwischen ihm und Nordheim mußte aufgelößt werden. Nur der unendlich Himmel mit seinen glänzenden Sternen lag vor meinem Auge. Ich fühlte eine Kraft der Wahrheit, des Vertrauens in meinem Busen und den Muth, als könne und müsse ich diese verworrene Lage auflösen.
Hören Sie mich an, Nordheim, sage ich. Es sind die letzten Worte, die Sie von meinen Lippen vernehmen werden. Nach diesem Augenblick werden Sie mich nie wieder sehen. Nicht Liebe führte mich hierher mit diesem Manne. Ein Geheimnis, welches nicht mein gehört, und ich Ihnen also verbergen muß, hieß mich diesen, und alle andere Schritte thun, welche Ihnen von jeher Verdacht gegen mich einflößten. Was Liebe und Zärtlichkeit in meinem Wesen heißt, fand längst einen Gegenstand, den es fest und einzig umfaßte – aber seit gestern mit tiefem Schmerz verläßt. Leben Sie wohl, sagte ich mit tiefer Bewegung, und bewahren Sie das Bild eines Wesens, welches Ihnen angehörte, rein im Andenken. Jetzt lassen Sie mich meinen Verhältnissen, meinen Pflichten ruhig folgen. Nordheim lag zu meinen Füssen. Ist es möglich! rief er, bin ich der Glückliche! von Ihnen geliebt! Verzeihung beste Seele – ich wagte dieses Glück nur für wenig Augenblicke zu träumen. Von nun an lebe ich nur für Sie. Können Sie mir verzeihen? – Süsser einziger Moment unsres Lebens, wo unsre heiligste Hofnung unser Herz als Wirklichkeit ergreift, und mit jenen süssen geheimnisvollen Schauern eines neuen Daseyns überströmt!
Ich hatte keine Worte, meine Sinne waren verwirrt, ich zog Nordheim zu mir auf, seine Arme umfassten mich, und unsre Lippen berührten sich.
Jene süßen Augenblicke bewahrt sich selbst die Zauberkraft der Erinnerung nur in geheimnisvollen Zeichen und wagt es nicht, sie in eine Sprache zu übersetzen. Schwindelnd entwand ich mich Nordheims Umarmung, und da mein Herz in seinem beschränkten Daseyn seine Vergangenheit wieder fand, schwankte Amaliens Bild vor meinen Sinnen. Auch sie ruhte an dieser Brust! sagte ich mir. Vergebens wollte ich dieses Bild zurückwiesen, ein tiefes schmerzliches Mitleiden bald mit ihr, bald mit mir selbst bewegte meine Seele. Nordheims Blicke sprachen nur Liebe und hingebende Zärtlichkeit, unter süßen Thränen bat er aufs neue um meine Verzeihung. Auch ihm schien die Vergangenheit lebendig vorzuschweben, aber nur sein schwankendes Betragen gegen mich schien ihn schmerzlich zu bewegen. O wie viel, rief er aus, nimmt uns das Leben mit der Welt, indem es das holde Vermögen zerstört, der sichern Stimme unsres Herzens zu folgen. Wir müssen uns des Glaubens entwöhnen, wenn wir für andre handlen und leben, und können ihn dann für uns selbst oft nicht wieder finden. Mistrauen konnte ich der heiligen Einfalt und Wahrheit deines Herzens nie, über jede Vergleichung erhaben stand dein schönes Wesen vor mir. Oft fühlte ich Deine Liebe – hätte ich meinem Herzen gefolgt. – Doch so süß ist es auch, all mein Glück ihrer Güte zu danken, meine Agnes.
Himmlische Ruhe, Klarheit und Treue leuchteten aus Nordheims Augen – ich fühlte mich unaussprechlich sein. Von diesem heiligen Herzen kann mir nichts Böses kommen, von dem Anschaun dieser theuren Gestalt kann ich nicht scheiden – unter den verworrensten Lagen wird mich dieses Gefühl empor halten. Der stille Entschluß, um seinetwillen alles zu tragen überglänzte wie ein leuchtender Schild, Amaliens Bild, so stark es auch hervordrang.
Mein Freund, sagte ich jetzt zu Charles, ich bin bereit Ihnen zu folgen. Sie werden Herrn von Nordheim künftig näher kennen lernen.
Charles hatte wie in einem tiefen Traum gestanden. Es ist ein Name, den die Welt mit Ehrfurcht nennt, sagte er, ein mir unaussprechlich theurer Name! Aber ein finsters Schicksal hält mich gebunden. Ich muß die liebsten und schönsten Erscheinungen als düstre kalte Schatten vor mir vorbei schweben sehen. Meine Hand darf nichts Lebendiges mit Muth und Freude ergreifen. Alles Mistrauen schwindet vor solch einer edlen Gestalt, sagte er freundlicher und indem er sich Nordheim näherte; ob Sie gleich ein Freund des Fürsten von ** sind, der mich verfolgt, so fühle ich doch, sie können mir gerecht seyn.
Ich folgte Ihnen nur, erwiederte Nordheim, um das Herz meiner Agnes zu ergründen, um sie vor einem Fehltritt jugendlicher Übereilung zu beschützen. Jede andre Beweggründe sind fern von mir. Ohne irgend ein bestimmtes Verhältniß in D. diene ich nur zu Übungen der Güte. Ich weiß, daß der Fürst aufmerksam auf Ihren Aufenthalt in der D-schen Gegend war. In jedem Fall war meine Meinung, Ihnen auf meine Gütern eine Freistatt anzubieten. Jenes alles sind von nun an fremde Verhältnisse, und als der Freund meiner theuren Agnes haben Sie ein Recht an meinen wärmsten Diensteifer.
Charles sah uns beide einige Minuten hindurch fest und mit scharfen Blicken an. Ist es so? sagte er leise vor sich hin, und seine Augen blieben sinnend am Boden geheftet. Dann eilte er freudig auf uns zu, indem er rief: Ja es ist so! Reine Freude, der erste belebende Strahl der Liebe flammt in den Blicken meiner Agnes, und indem er auf Nordheim deutete, auf solch einer Stirn wohnt keine Unwahrheit. Möge ein gutes Schicksal die heiligen Blüthen, die die Natur jedem menschlichen Wesen nur einmal reicht, für euch meine Kinder in Schutz nehmen. Möge nur die Zeit sie hold umwandlen, aber kein Sturm sie abbrechen. Verzeihen Sei mein voriges Mistrauen Herr von Nordheim, fuhr er fort, in einem lange gepreßten Herzen ist die Furcht eingewachsen. Verachten Sie mich nicht um meiner ängstlichen Sorge willen. – O wenn Sie wüßten warum ich leben muß!
Nordheims Augen fielen voll schmerzlicher Besorgnisse auf mich. Charles sonderbares Wesen schien ihn zu beunruhigen.
Ich hoffe, sagte er sanft zu Charles, Sie gönnen mir für die Zukunft ein Vertrauen, welches uns beiden wohlthätig seyn wird. Sie finden auf meinem Gute alles zu Ihrem Empfang bereit, und sobald als meine Agnes es wünscht, komme ich selbst zu Ihnen.
Jetzt lassen Sie uns eilen! sagte Charles zu mir. Sobald ich Agnes wieder nach D. begleitet habe, eile ich nach Ihrem Schloße. Bereiten Sie sich, manches von mir zu vernehmen, was Sie verwundern, schmerzen, aber auch erfreuen wird.
Geht meine Agnes auch keiner neuen Gefahr entgegen? sagte Nordheim bedeutend. Ohne in Ihr Geheimniß eindringen zu wollen – dürfte ich Sie nicht begleiten, nur von fern Ihrem Wagen folgen, um Ihnen auf den ersten Ruf nach zu seyn?
Ich fühle Ihre Besorgniß, sagte Charles, aber ich muß diesen Wunsch versagen.
Ich bin ein unglücklicher, aber ein ehrlicher Mann! Es lag ein fürchterlicher Nachdruck in dem Ton, mit welchem er diese Worte aussprach, und sein starrer Blick, eine wilde Bewegung der Hand nach Nordheims Arm, deutete auf die ganze Bitterkeit gegen ein Schicksal, welches ihn nöthigte, zu diesem Selbstgeständniß seine Zuflucht zu nehmen.
Bitten Sie Hr. von Nordheim uns nicht zu folgen, sagte mir Charles.
Sie fühlen, mein Theurer, sagte ich zu Nordheim, daß nur die unbezwingliche Nothwendigkeit mir gebieten kann, Ihnen einen Augenblick Unruhe zu machen. Meine Thränen flossen auf Nordheims Hände, die ich zwischen den meinen hielt. Es ist das erste Zeichen meiner völligen Ergebenheit, liebste Agnes, sagte er sanft, ich gestehe daß es mir viel kostet, aber ich werde Ihrem Befehl folgen. – O meine theure Liebe, wie schnell gewöhnt sich doch unser Herz an das Glück! Schon ist mirs als könnte ich mich nicht für wenige Stunden von Dir trennen. In einer süßen Umarmung strebten unsre Herzen sich auf ewig zu vereinigen, und schon schwebt drohend die kalte Hand des Schicksals über uns, die ein menschliches Daseyn unaufhaltbar in der Fluth der Begebenheiten fortdrängt. Unsre Thränen flossen unaufhaltsam. Gute Seelen! sagte Charles bewegt. Überlassen Sie mir das Mädchen getrost, Nordheim, sagte er halbscherzend. Hörten sie nie von ihrem Vater den Nahmen eines alten unglücklichen Freundes?
Ist es möglich? rief Nordheim freudig. Mit ihm beschäftigte sich mein Vater ins einer Todesstunde, vertraute mir Papiere für ihn, und manches meinem Gedächtniß, was zu gefährlich fürs Papier war. Sonderbare Ahnung, du hast mich also nicht betrogen!
Nun haben Sie etwas, um sich auf das weitere, welches ich Ihnen für Morgen verspreche, zu vertrösten – sagte Charles, und faßte meinen Arm. Leben sie wohl bis dahin. Wohl mir! rief er aus, ich werde den treuen Sinn meines entschlafenen Freundes noch einmal vernehmen. Die Zeit verstattet für jezt keine weitere Erklärung.
Er zog mich fort. Nordheims Auge strahlte Freude und Ruhe, und auch aus meiner Brust entflohen die Sorgen in seinem heitren Blick. Zwar lag mir ein Schleyer über meine Verhältnissen, aber es war der duftige Rosenschleyer eines Frühlingsmorgens, hinter welchem das neusprossende Leben der Natur waltet, um den Schooß der Erde mit jungen Blumen zu schmücken.
Ich grübelte nicht über Charles Rede und genoß die Fülle süßer Ahnungen. Morgen finden wir uns wieder, sagte Nordheim als er mich in den Wagen hob, und ein Kuß auf meine Hand aus dem Wagenfenster goß eine belebende Flamme durch mein Wesen.
Ihre Mutter sagte Charles, als wir im Wagen sassen, muß morgen diese Gegend verlassen. Der Trost, Sie noch einmal zu sehen, war zu ihrer Erhaltung nothwendig.
Ich mußte Charles von meiner Liebe reden. Wir durchflogen eine goldene Zukunft, Charles hatte eine innige Empfindung meines Glückes, die mich tief rührte.
Ich gäbe die Momente meines Zwistes mit Nordheim nicht um Jahre einer längern Bekanntschaft, sagte er unter andern. Die Art, wie sich ein Mann in solchen Lagen benimmt, ist entscheidend für Charakter und Herz.
Welche Größe und Festigkeit war in seinem Betragen! Der wahre Muth, der aus Kraft des Charakters entspringt, Besonnenheit und heller Blick in der Gefahr, bleibt immer die Krone des Mannes.
Das Lob des Geliebten ist die süsseste Musik; ich war verlohren im Entzücken und süssen Hofnungen.
Wir fuhren an der langen Mauer hin, die ich beim ersten Besuch bemerkt hatte. Bald hielt der Wagen. Charles stieg aus. Statt des stillen und geheimnißvollen bei unserm ersten Empfang, sah ich ihn von Leuten umringt, die mit Lichtern und Geschrei durch einander liefen. Ich hörte heftigen Wortwechsel mit Charles, zwei Schüsse, nach denen ich meines Freundes Stimme nicht wieder vernahm.
Ich wollte mich aus dem Wagen werfen, man stieß mich ungestüm zurück. Der Gewalt konnt ich nicht widerstehen, und lag in dem schmerzlichen Zustand der gebundenen Kraft bei dem regesten Willen, in Krämpfen auf dem Boden des Wagens. Man spannte andere Pferde vor und fuhr weiter. Ein fremder ganz unbekannter Mann richtete mich auf, und setzte sich neben mich. Er gab keine Antwort auf meine Fragen, doch bezeugte er Mitleid bei den Ausbrüchen meines Schmerzens.
Es soll Ihnen kein Übel wiederfahren! wiederholte er mir öfters.
Ich fiel in Fieberhitze, dann in Ermattung und Ohnmacht, endlich verlohr ich alles Bewußtseyn.
Als ich aus diesem Zustand erwachte, lag ich in einem kleinen düstern Zimmer. Eine Frau saß an meinem Bette, es war eine kleine zusammengefallne Gestalt, ihre Gesichtszüge trugen die Spuren mancher widriger Schicksale, und die Freundlichkeit, die sie anzunehmen suchte, machte sie ganz zur Larve. Seit acht Tagen, sagte sie mir, lagen sie hier, ohne ein Zeichen des Bewußtseyns von sich zu geben. Sie sind mir theuer empfohlen und ihr Zustand machte mich sehr besorgt.
Wo bin ich aber? fragte ich aufs neue, und sie erwiederte: Beunruhigen Sie sich nicht, sie sind an einem Ort, wo Sie sich bald Ihrer völligen Genesung erfreuen werden. Die Lage ist anmuthig, die Luft gesund, und man wird sich ein Vergnügen daraus machen, alles zu Ihrem Zeitvertreib beizutragen, was die Umstände nur immer erlauben.
Ich hörte an der Aussprache, daß die Frau keine Deutsche war, sondern eine Französin. Der Mann hatte sich entfernt. Die Kraft der Jugend und meiner guten Natur hatten die Macht der Krankheit besiegt, mein Blut gieng seinen ruhigen Kreislauf aufs neue, und mein Gedächtniß fieng an die Fäden der wirklichen Begebenheiten aus dem Gewirre der Erscheinungen zu lösen, die meine Einbildungskraft während der Fieberhitze erzeugt hatte.
Kalt und zerstöhrend ergriff mich die Entfernung von meinem geliebten Freunde. Das Gefühl des Fremden und Unbekannten um mich her, ergriff mich mit Grauen, ein wilder Schmerz bewegte krampfhaft meine Brust, und mein Daseyn drohte aufs neue in dumpfer Fühllosigkeit zu vergehen, als ein guter Genius meine jugendliche Phantasie neu und heiter belebte, und mein Herz auf eine wundersame Art mit Glauben und Hofnung stärkte.
Ein lieblicher kleiner Knabe trat herein und brachte einen Teller voll der schönsten Früchte. Ich empfand ein inniges Vergnügen bei diesem Anblick, er knüpfte sich auf eine sonderbare Art an eine meiner vergangnen Erscheinungen, die ich während der Fieberhitze gehabt hatte, und die sich jetzt als ein liebliches Bild in meiner Seele wieder ordnete. Mit unaussprechlich lebhafter Farbe stellten sich alle jene Traum-Gestalten vor mich, nur ein leichter duftiger Nebelschleier schien zwischen ihnen und der Wirklichkeit zu liegen.
Ich saß neben Nordheim in einem blühenden Garten. Er hielt mich ernst und schweigend bei der Hand. Ein großer bunter Vogel mit den glänzendsten Farben geschmückt, flog auf uns zu und hielt ein Körbchen voll der schönsten Früchte in seinem Schnabel. Wir reichten beide nach den Früchten, aber der Vogel flatterte bei uns vorbey, lachte und rief Nordheimen zu: Noch nicht, sobald noch nicht, denn sie liebt dich nicht! Nordheim zog seine Hand aus der meinen, und eilte sich zu entfernen, ich warf mich zu seinen Füssen, weinte, wollte ihn zurückhalten, aber vergebnes, er war verschwunden. Ich suchte ihn auf, aber wo ich auch hinfloh, so zog sich ein Kreiß von Gebüschen, meist von wilden Rosen um mich her und versperrte mir den Ausgang. War ich einmal durch eine Lücke der Hecke entwischt, so bildete sich gleich wieder ein neuer Kreiß, der zu einer schauerlichen Höhe empor wuchs. Julius stand mitten in solch einem Kreiß, er trug die Rüstung eines alten Ritters, und über die Brust eine breite weiße Binde, die Blutflecken hatte. Ich näherte mich, er riß die Binde auf, und aus seiner Brust wuchs eine Blume von sonderbarer Gestalt und Farbe, die ich nie gesehen. Reiß mir die Blume von der Brust, sagte er mir ernsthaft, und ich befreie Dich. Ich gab mir alle Mühe die Blume abzubrechen, aber vergebens. Er sah mir lächelnd zu, berührte die Rosenhecke um uns her mit seinem Degen, und es öfnete sich ein kleiner Fußpfad. Bald zertheilten sich die Gebüsche, vor uns lag Nordheims Schloß. Nordheim selbst näherte sich uns freundlich, und als wir alle drei dicht bei einander standen, flog derselbe bunte Vogel auf uns zu. Langsam ließ er sich über unsren Häuptern nieder, und als er die Erde berührte, sahen wir statt seiner einen wunderschönen Knaben. Er hielt denselben Teller mit Früchten, welchen uns der Vogel erst versagt hatte, wir eilten alle drei das Kind zu umarmen.
Der Zauber dieser Traumgestalten wirkte belebend auf mein Gemüth, wie die Gegenwart eines Freundes, und die alte Frau freute sich der sonderbaren Veränderung, die der Anblick des Kindes in mir bewirkt hatte.
In kurzem erschien der Arzt, ein Mann von mittlerem Alter, mit einer angenehmen Bildung und wohlwollender Miene, er näherte sich mir mit Anstand und erkundigte sich mit bescheidnen Fragen nach meinem Befinden.
Ich bemerkte bald, daß ihm die Gegenwart der Alten Zwang auflegte, als sie sich auf ein paar Augenblicke entfernen mußte, sagte er sanft: Vor allem wird es zu Ihrer Genesung beitragen, wenn Sie sich über Ihre, ich gestehe es, freilich sonderbare Lage an diesem Ort, keine beunruhigenden Gedanken machen. Haben Sie Muth, und sorgen jetzt einzig und allein für Ihre Genesung! Die Alte kam zurück, ehe ich antworten konnte, und das Betragen des Arztes gegen sie, hieß mich jede Frage in ihrer Gegenwart unterdrücken.
Als sie auch entfernt auf meine Gemüthsstimmung deutete, und mich Muth fassen hieß, antwortete ich kalt, daß ich mir nichts bewußt wäre, wodurch ich ein böses Schicksal verdient hätte, und daß ich also auch keins befürchtete.
Der Arzt sagte hierauf, alles läge daran, jede trübe Vorstellung zu entfernen, und mich auf eine angenehme Art zu zerstreuen. Die Alte sollte mir leichte und anmuthige Geschichten vorlesen, die meiner Phantasie freundliche Bilder zuführten. Sie haben ja die Schlüssel zu der Bibliothek, sagte er, und das Fach der Mährchen ist gewiß gut besetzt.
Ich wußte es dem Arzt herzlichen Dank, daß er mich durch diesen Vorschlag von der unerträglichen Alten lästigem Gespräch befreite. Die Feinheit und der gute Wille, welchen dieser Mann gegen mich bezeugte, waren mir sehr tröstend, und gaben mir Hofnung meinem Freunde bald Nachricht von mir geben zu können. Jetzt überließ ich mich still den Rückerinnerungen jenes letzten Abends, der dem gewaltsamen Zustand, aus welchem ich eben erwacht war, vorangieng.
Alle kleinen Züge jener seligen Zeit erfrischten sich in meiner Vorstellung und das Gefühl, du besitzest Nordheims Liebe! gab mir ein neues wundersames kräftigeres Daseyn. Er war mir auf eine unaussprechliche Art immer gegenwärtig, Verlangen und Sehnsucht nach seinem lebendigen Daseyn waren zart und lieblich, aber nicht ungestüm. Die Kraft alles zu werden, was hoch und treflich ist, fühlt eich nie so tief und lebendig. Seine Sorge um mich war das schmerzlichste, was ich empfand, und doch welcher geheimnisvolle unaussprechliche Reiz gab auch dieser Sorge eine sanfte Farbe!
Nur zuweilen flog durch meine von der Krankheit geschwächten Kopf, in welchem Traum und Wahrheit noch schwankten, ein beruhigender Zweifel, ob mein Glück auch kein Traum sey? Mit welchem Vergnügen fand ich bey meinen Kleidern, die auf einem Stuhl am Fuß des Bettes lagen, ein Tuch mit Nordheims Nahmen gezeichnet! Ich verwahrte das Tuch an meinem Herzen als das liebste, was ich besaß, und gleich als vermöchte es die Fülle lieber Erinnerungen mit dem Schleyer der Wahrheit zu bedecken und fest zu verwahren.
Der Arzt kam täglich, aber meine Alte bewachte mich mit Drachenaugen, und ein besondres Gespräch mit ihm war unmöglich, da ich noch immer zu schwach war, um das Bett zu verlassen.
(Die Fortsetzung folgt.)