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Die Jungfrau von Orleans – 2. Aufzug, 10. Auftritt

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Dunois.
Erst Worte und dann Streiche. Fürchtest du
Vor Worten dich? Auch das ist Feigheit
Und der Verräter einer bösen Sache.

Johanna.
Uns treibt nicht die gebieterische Not
Zu deinen Füßen, nicht als Flehende
Erscheinen wir vor dir. – Blick um dich her!
In Asche liegt das engelländsche Lager,
Und eure Toten decken das Gefild.
Du hörst der Franken Kriegstrommete tönen,
Gott hat entschieden, unser ist der Sieg.
Des schönen Lorbeers frisch gebrochnen Zweig
Sind wir bereit, mit unserm Freund zu teilen.
– O komm herüber! Edler Flüchtling komm!
Herüber, wo das Recht ist und der Sieg.
Ich selbst, die Gottgesandte, reiche dir
Die schwesterliche Hand. Ich will dich rettend
Herüberziehn auf unsre reine Seite! –
Der Himmel ist für Frankreich. Seine Engel,
Du siehst sie nicht, sie fechten für den König,
Sie alle sind mit Lilien geschmückt,
Lichtweiß wie diese Fahn ist unsre Sache,
Die reine Jungfrau ist ihr keusches Sinnbild.

Burgund.
Verstrickend ist der Lüge trüglich Wort,
Doch ihre Rede ist wie eines Kindes.
Wenn böse Geister ihr die Worte leihn,
So ahmen sie die Unschuld siegreich nach.
Ich will nicht weiter hören. Zu den Waffen!
Mein Ohr, ich fühle, ist schwächer als mein Arm.

Johanna.
Du nennst mich eine Zauberin, gibst mir Künste
Der Hölle schuld – Ist Frieden stiften, Haß
Versöhnen ein Geschäft der Hölle? Kommt
Die Eintracht aus dem ewgen Pfuhl hervor?
Was ist unschuldig, heilig, menschlich gut,
Wenn es der Kampf nicht ist ums Vaterland?
Seit wann ist die Natur so mit sich selbst
Im Streite, daß der Himmel die gerechte Sache
Verläßt, und daß die Teufel sie beschützen?
Ist aber das, was ich dir sage, gut,
Wo anders als von oben könnt ichs schöpfen?
Wer hätte sich auf meiner Schäfertrift
Zu mir gesellt, das kindsche Hirtenmädchen
In königlichen Dingen einzuweihn?
Ich bin vor hohen Fürsten nie gestanden,
Die Kunst der Rede ist dem Munde fremd.
Doch jetzt, da ichs bedarf dich zu bewegen,
Besitz ich Einsicht, hoher Dinge Kunde,
Der Länder und der Könige Geschick
Liegt sonnenhell vor meinem Kindesblick,
Und einen Donnerkeil führ ich im Munde.

Burgund (lebhaft bewegt, schlägt die Augen zu ihr auf und betrachtet sie mit Erstaunen und Rührung).
Wie wird mir? Wie geschieht mir? Ists ein Gott,
Der mir das Herz im tiefsten Busen wendet!
– Sie trügt nicht, diese rührende Gestalt!
Nein! Nein! Bin ich durch Zaubers Macht geblendet,
So ists durch eine himmlische Gewalt,
Mir sagts das Herz, sie ist von Gott gesendet.

Johanna.
Er ist gerührt, er ists! Ich habe nicht
Umsonst gefleht, des Zornes Donnerwolke schmilzt
Von seiner Stirne tränentauend hin,
Und aus den Augen, Friede strahlend, bricht
Die goldne Sonne des Gefühls hervor.
– Weg mit den Waffen – drücket Herz an Herz –
Er weint, er ist bezwungen, er ist unser!

(Schwert und Fahne entsinken ihr, sie eilt auf ihn zu mit ausgebreiteten Armen und umschlingt ihn mit leidenschaftlichem Ungestüm. La Hire und Dunois lassen die Schwerter fallen und eilen ihn zu umarmen)

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